Serpentinen, alte Hasen und The Beach: Sina Strupp über den Masters‘ Cup 2011

Datum: 27. September 2011
Redakteur:
Kategorie: DDG

Mitten im Wald wird die nächtliche Stille von einem aufheulenden Motorengeräusch jäh unterbrochen. Der kleine Dacia Sandero kämpft sich im ersten Gang tapfer den steilen Hang zur Eisenacher Jugendherberge hoch, am Steuer der ebenso tapfere amtierende deutsche Meister Severin Weingarten. Tapfer zum einen, weil er die komplizierte Parkplatzsituation oben, mit Hilfe von Patrick Ehmann, gut zu meistern weiß und zum anderen, weil er komplett nüchtern die halbe Nacht im legendären The Beach verbracht hat. Während ich unendlich glücklich bin, dass mir Dank der Jenenser Hilfe, beide Mutproben erspart geblieben sind, neigt sich ein in jeder Hinsicht einzigartiges Turnier, mein erster Masters‘ Cup dem Ende zu.

Aber von Anfang an: Das Alumni-Turnier beginnt für die Mainzer Delegation dort wo es auch endet, im Auto. Dieses wird sich im Laufe des Wochenendes noch als guter Freund erweisen, da Stefan Hübner mehrmals bemerkt, dass alle Anwesenden erwachsen sind und Transfers somit auf diesem Turnier überflüssig, womit er Recht hat. Bei der Fahrt durch das malerische Eisenach überlegen wir Mainzer, welche der vielen alten Villen man als Debattierhaus des DCJG herrichten könnte, verwerfen die Idee aber aus Standort-Überlegungen wieder.

Nachdem wir es zum ersten Mal in den folgenden drei Tagen, den Serpentinen zur Jugendherberge hoch geschafft und dort unsere Zimmer bezogen haben, geht es zum Abendbrot und zur Freitags-Vorrunde ins Luther-Gymnasium.

Die erste Überraschung lässt nicht lange auf sich warten. Allen sonst bestätigten Vorurteilen über Debattierer zum Trotz, geht es pünktlich los. Die DDG-Vorstände Stefan Hübner und Oliver Hörtensteiner sowie die beiden Chefjuroren Bernd Hoefer und Benedikt Nufer begrüßen uns in der Aula und dann wird es auch schon spannend. Es folgt die Setzung und alle Debattierer im Raum halten die Luft an. Nach meiner ersten Saison gibt es immer noch Gesichter im Raum, die ich noch nie vorher gesehen habe. Wer wird wohl mein Teampartner sein und gegen welches alte Hasen-Team müssen wir antreten? Ich schätze, dass jeder im Raum eine Wunschkonstellation im Kopf hat, in der er gerne einmal reden möchte. Für mich besteht eine dieser Konstellationen aus Tim Richter und mir, doch dass daraus heute und morgen nichts werden soll, kann sich jeder denken, der schon einmal auf Losglück vertraut hat. Beim letzten angezeigten Raum erscheint mein Name an der Wand. Erste Opposition zusammen mit Almut Graebsch in der zweiten Opposition. Ich freue mich über meine Teampartnerin während alle anderen in der Aula ihre Stifte zücken, um das Thema mitzuschreiben. Es lautet: „Dieses Haus würde Palästina als Vollmitglied in die UN aufnehmen.”

In den folgenden 15 Minuten muss ich feststellen, dass es sich um eines der Themen handelt, bei denen ich über weniger Sachkenntnis verfüge als zunächst vermutet, was aber nicht weiter hinderlich ist. Vorbereitungszeit mit Almut ist Vorbereitungszeit aus dem Bilderbuch und fühlt sich fast genauso an wie mit einem gewohnten Teampartner. In der Debatte zeigt sich, dass sich die gute Zusammenarbeit gelohnt hat, was sich auch in den Punkten widerspiegelt. Anschließend wartet Bier für einen Euro in der Aula und zur Verwunderung mancher Alt-Gedienter geht es nicht wie gewöhnlich in den ortsansässigen Pub, sondern ins Eisenacher Bowlingcenter. Dort fallen wir als Herren in Hemden und Damen ohne Tätowierung nicht zum letzten Mal an diesem Wochenende auf, können an Spielmaschinen das Kind im Debattierer wiederentdecken und uns über das Jahrbuch freuen. Mit müden Passagieren auf der Rückbank und Mariettas Ukulele im Kofferraum geht es zurück in den Wald – ins Schlafgemach, der Jugendherberge.

Der nächste Morgen beginnt für mich als Fahrer des gestrigen Abends ohne Kater, aber leicht übermüdet.

Die Teilnehmer des Masters' Cup 2011

Die Teilnehmer des Masters' Cup 2011. Foto: Manuel Adams

Bei Verkündung der zweiten Vorrunde hört man das Rattern in den Köpfen der Anwesenden. Das Thema lautet: „Dieses Haus bestraft eine erwiesene Falschbeschuldigung nach der Strafe, die der Beschuldigte erhalten hätte, wenn er aufgrund der Beschuldigung verurteilt worden wäre.” Bei kurzem Nachsprechen, des für Themenstellungen ungewöhnlich langen Satzes, fällt der Groschen: Aha, ein Jurathema! Zu Beginn der Debatte fällt meinem Teampartner Nicolas Eberle und mir auf, dass die einzigen Nichtjuristen im Raum unsere Gegner von der Opposition sind. Was folgt ist eine Rechtsdebatte, die an mancher Stelle verwirrend ist, aber viel Spaß macht und die mit den Juristen Bernd Hoefer und Alexander Postinett die perfekten Juroren gefunden hat.

Ausgelassene Stimmung bei allen Teilnehmern des Masters' Cup im Vorfeld des Finals auf der Wartburg. Foto: Manuel Adams

Ausgelassene Stimmung bei allen Teilnehmern des Masters' Cup im Vorfeld des Finals auf der Wartburg. Foto: Manuel Adams

Meine nächste Teampartnerin auf der Oppositionsbank wird Anna Hörtensteiner und antreten müssen wir gegen das auf Welt-und Europameisterschaften erfolgreiche und eingespielte Team Marietta Gädecke und Marcus Ewald. Damit steht mir dann auch das „alte Hasen-Team“ gegenüber, das ich bis dahin gefürchtet habe. Zum Thema „Dieses Haus wandelt Deutschland in einen laizistischen Staat um.” lässt mich der mitgeschleppte Fischer Weltalmanach im Stich und ich entscheide, dass eine Prinzipienrede jetzt das Richtige sein muss. Marietta und Marcus geben hinterher zu, dass sie die wahlweise fiesen oder angeekelten Gesichtsausdrücke, die sie mir während der Debatte zuwerfen, vor dem Spiegel geübt haben. Da es sich bei beiden jedoch um mir bekannte und sonst sehr friedliche Mainzer handelt, versuche ich einfach gemein zurück zu schauen. In Benedikt Nufers Gesicht lese ich stattdessen Unverständnis und dass er mir meine Prinzipien nicht abkauft. Schade und doch eine weitere lustige Vorrunde.

Obwohl kalendarisch noch September ist, schenkt uns Thüringen ein Goldener-Oktober-Wetter, sodass die Chefjuroren die Setzung der letzten Vorrunde im Schulhof verkünden können. Katharina Handke bildet mit mir zusammen die Regierung. Bei ihr handelt es sich um eine Debattiererin, deren Gesicht ähnlich neu sein dürfte wie meins. Ich bewundere ihre Gelassenheit in der Vorbereitungszeit, doch auch mich kann nach der Debatte gegen Marcus und Marietta kein übermächtiger Debattiergegner mehr einschüchtern. So treten wir unerschrocken gegen die nicht mehr ganz so neuen Gesichter Moritz Niehaus und Martin Herz an. Das Thema lautet: „Dieses Haus würde bei Facebook einen Missfällt-mir-Button einführen”. Während der Debatte, in der die Regierung über Demokratie und die Opposition über Mobbing redet, habe ich das Gefühl, dass Moritz womöglich nicht bei Facebook sein könnte. Hinterher erzählt er mir, dass er tatsächlich aus Prinzip nicht registriert ist, doch als amtierender Deutsche Meister kann er mit Ausflügen in sein Fachgebiet Psychologie geschickt davon ablenken und fliegt nicht auf. In seiner Rede spricht Moritz über Rattenexperimente und Schulhofcliquen und Martin kann gut daran anknüpfen. Katharina und ich nehmen die Überlegenheit der alten Garde erneut gelassen hin und ich habe das Gefühl, dass dieses Turnier neben einem Haufen Spaß auch die Möglichkeit bietet, meinen Stresspegel auf künftigen Turnieren zu senken.

Warmes Sonnenlicht empfängt uns vor der Tür der Schule. Am Vortag habe ich mich noch geärgert, keinen Wintermantel eingepackt zu haben – jetzt können wir im T-Shirt in der Sonne sitzen. Nach dem Mittagessen und einem Stadtbummel durch Eisenach verkünden Bernd und Bene die Besetzungen der beiden Halbfinals. Die Redner dürfen nach der Tab-Reihenfolge ihre Position selbst auswählen. Als Top oft the Tab beginnt Lukas Haffert und redet drauf hin in Raum eins, mit Marcus Ewald in der Opposition gegen Bastian Laubner und Almut Graebsch in der Regierung. Der Schulhof wird zu Raum Nummer zwei, wo Torsten Rössing und Farid Schwuchow gegen Jan Lüken und Marietta Gädecke antreten. Das Thema lautet: „Dieses Haus würde dem Wutbürger einen Maulkorb verpassen”. In Raum eins, den ich mir ansehe, bieten uns die Redner eine unterhaltsame Debatte, wie sie auf diesem Turnier nicht anders zu erwarten ist. Marcus verkündet als letzter Redner, mit diesem Antrag mache man den Wutbürger zu einem extrem wütenden Wutburger, einem Wutbürger hoch drei.

Die Halbfinals sind vorbei und es scheint offen, welche vier Redner die Juroren überzeugen konnten und weiter vom Titel Master oft the Masters träumen dürfen.

Wir fußschwache und faule Debattierer fahren mit dem Auto wieder zurück in unsere Jugendherberge, wo genug Zeit bleibt vor dem Abendessen noch ein bisschen zu schlafen. Vorher wundert sich einer meiner Zimmergenossen noch darüber, wer bei uns wohl die Vaseline im Bad braucht und wofür. Zum Abschminken natürlich. Ein Schelm, wer an etwas anderes denkt.

Während die Sonne über dem Wald zu sinken beginnt, wird deutlich, dass alle Vorrunden auf diesem Turnier nur nebensächlich und der Versuch sind, dem Masters‘ Cup die übliche Turniertarnung zu verpassen. Worum es eigentlich geht, sind das Finale auf der Wartburg und die Party im The Beach. Umso ausgelassener ist die Stimmung auf dem kurvenreichen Weg hoch zur Burg. Besonders Sarah Kempf wird die Strecke bestimmt in freudiger Erinnerung behalten. Da wir zu unserem Schrecken nicht ganz hoch fahren können und doch noch ein paar Stufen bezwingen müssen, bin zumindest ich froh, mich nicht der Lukas-Haffert-Wanderfraktion angeschlossen zu haben. Diese Gruppe kommt mit gestählten Waden und ruhigem Atem etwa zeitgleich mit uns Autofahrern an, aber ich bin sicher, dass ihr Weg weniger abenteuerlich war als unserer.

Lukas Haffert während seiner Finalrede auf der Wartburg. Foto: Manuel Adams

Lukas Haffert während seiner Finalrede auf der Wartburg. Foto: Manuel Adams

Nachdem das Essen oben auf der wild-romantischen Wartburg keine Wünsche offen gelassen hat, gibt es endlich die Verkündung, welche vier Redner ins Finale des Masters‘ Cup 2011 einziehen. Aus Raum eins schaffen es Lukas Haffert und Marcus Ewald und aus Raum zwei Marietta Gädecke und Torsten Rössing. Keine zwei Minuten nachdem die Redner erneut ihre Positionen wählen dürfen, beginnt Patrick Ehmann die ersten Wetten anzunehmen und langsam begeben sich die Debattierer mit vollen Bäuchen Richtung Festsaal. Der ist so schön, dass man ihn kaum beschreiben kann, ohne ihm Unrecht zu tun. Am beeindruckensten finde ich das Adler-Pult, dass mich sehr an das Pult in Hogwarts erinnert, hinter dem Albus Dumbledore seine Reden an die Schülerschaft hält. Jedoch tritt nach kurzer Zeit nicht Harry Potters Schulleiter dahinter, sondern Marietta Gädecke, die einen Antrag zu dem Thema stellt, „Dieses Haus würde elektronische Hilfsmittel auf Turnieren erlauben”. Nachdem sie dargelegt hat, warum technische Hilfsmittel Debatten auf keinen Fall schlechter, sondern allenfalls qualitativ hochwertiger machen, folgt Torsten Rössings Erwiderung. Er hebt hervor, warum es gerade Nachwuchsredner schadet, in der Vorbereitungszeit im Internet zu recherchieren und warum die Debatten dadurch insgesamt schlechter werden. Marcus Ewald erklärt als zweiter Redner der Regierung, warum Debatten ohnehin nicht mit Prep-Cases oder auswendig gelerntem Wissen gewonnen werden. Als letzter Redner beginnt Lukas Haffert seine Rede mit der Frage „Können Wale furzen?“ und argumentiert, warum technische Hilfsmittel die Neugier einschränken, wie sie die Themensetzung ungerechter und Debatten schlechter machen. Besondere Begeisterung ruft sein Kommentar hervor: „Ein guter Debattierer weiß, dass er nicht die Nazi- sondern die DDR-Keule auspacken muss, wenn er nicht mehr weiter weiß.“ Dieser weise Satz und auch der Rest von Lukas‘ glänzender Rede müssen die Juroren wohl zu dem Schluss bringen, dass hier der Master of the Masters gesprochen habe. Nach einer kurzen Pause stürme ich in letzter Sekunde zur Siegerverkündung zurück in den Festsaal. Torstens und Lukas‘ Hände werden geschüttelt und der Sieger verkündet: Lukas Haffert ist erneut Gewinner des Masters‘ Cups und damit Master of the Masters 2011! Was für ein Finale! Trotzdem weiß ich, ohne einmal vorher hier gewesen zu sein, dass der absolute Höhepunkt des Abends noch folgen soll. Wir machen uns auf den Weg in den wohl einzigen erwähnenswerten Club Eisenachs: The Beach. An dieser Stelle herzlichen Dank an Tom-Michael Hesse, ohne den ich den Weg wohl heute noch suchen würde.

Vor dem Eingang steht eine Ansammlung Debattierer, die all ihren Mut zusammen nehmen, bis Benedikt Nufer entschlossen den Anfang macht und seine Jacke abgibt. Der Mitarbeiter der Eisenacher Lokalzeitung hat uns beim Fototermin am Vortag gefragt, ob The Beach nicht unter unserem intellektuellen Niveau sei. Das halte ich für weit hergeholt. Ich fühle mich an ein Kinder-Erlebnisbad erinnert, das seine Besucher in die Tropen entführen möchte. Räume in warmen Farben, Plastik-Palmen und Papageien neben der Tanzfläche, Sand auf dem Boden. Ein von Gitterstäben zur Hälfte umzäuntes Podest mit Striptease-Stange lädt nicht nur 16-jährige Jungs zum Showtanzen ein, sondern auch so manchen Debattierer. Der DJ kommentiert Musik und Publikum ähnlich einem Ansager beim Autoscooter, nimmt aber trotz denkwürdiger eigener musikalischer Vorlieben unsere Musikwünsche gerne entgegen. Zwischen schwarzgefärbten, tätowierten Mittfünfzigern fällt eine Gruppe von jungen Hemdträgern und Minirockträgerinnen auf – das sind wir. Und wir fallen nicht nur durch unser Aussehen auf, sondern auch durch eine große Präsenz auf Tanzfläche und Tanzpodest. Mit steigendem Alkoholpegel kann auch „Barbie Girl“ von Aqua plötzlich jeder mitsingen, der das unter normalen Umständen sicher weit von sich gewiesen hätte. Kurzum: Es ist großartig. Von keinem anderen Turnier berichten die Teilnehmer so begeistert wie vom Masters‘ Cup und es gibt keine Party, die Schauplatz für so viele lustige Geschichten ist, wie diese alljährliche im The Beach.

Als wir den Club in den frühen Morgenstunden verlassen, verabschiedet uns der Türsteher mit einem: “Machts gut und bis zum nächsten Mal!“ Glücklicherweise ist Severin Weingarten nicht nur ein guter Debattierer, sondern auch ein guter Autofahrer und hat sich bereit erklärt, mein Auto zurück zur Jugendherberge zu fahren. Nachdem sich Fuchs und Hase im Wald schon längst „gute Nacht!“ gesagt haben, kämpfen wir uns ein letztes Mal die Serpentinen hoch. Hinter uns liegt dank Stefan Hübner und Oliver Hörtensteiner ein wundervolles Wochenende, vor uns ein Tag mit Kopfschmerzen und eine Saison, die hoffentlich so toll wird wie die letzte.

Text: Sina Strupp, DDG-Nachwuchspreisträgerin 2011 / tr; Fotos: Manuel Adams

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2 Kommentare zu “Serpentinen, alte Hasen und The Beach: Sina Strupp über den Masters‘ Cup 2011”

  1. Bene sagt:

    … alles andere ist nur Disco!

  2. Ruppe sagt:

    sehr cooler bericht, da schmerzt das herz, wieder mal nicht dabei gewesen zu sein!

Kommentare sind geschlossen.

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