Daniel rezensiert: „Trainingsbuch Rhetorik“

Datum: 1. April 2010
Redakteur:
Kategorie: Rezension

Der Traditionsverein Streitkultur Tübingen überrascht die deutsche Debattierszene in regelmäßigen Abständen mit innovativen Ideen und neuen Konzepten. Dazu gehört auch eine längst beachtliche Reihe an Publikationen.

2002 erschien erstmals das „Handbuch der Offenen Parlamentarischen Debatte“, herausgegeben von Michael Hoppmann und Bernd Rex. Es erreichte drei Auflagen, ist moment leider nur noch antiquarisch zu erhalten, dafür aber auch in einer vollständigen Fassung online abrufbar. Nicht nur von OPD-Clubs geschätzt, findet man hier die umfassendste Einführung und Kommentierung des OPD-Regelwerks. Im Juni 2005 präsentierten die Tübinger auf der von ihnen ausgerichteten Baden-Württembergischen Meisterschaft 2005 ihr zweites Buch. Mit „Was ist Debatte? Ein internationaler Überblick“ legten Hoppmann und Rex gemeinsam mit Tim C. Bartsch die erste deutschsprachige Übersicht über die wichtigsten nationalen und internationalen Debattierformate vor.

Pünktlich zum Auftaktturnier der ZEIT-DEBATTEN-Serie 2005/06 von 25. bis 27. November 2005 in Tübingen ist dann ihr drittes Buch erschienen: das „Trainingsbuch Rhetorik“ der Streitkultur-Gründungsmitglieder Tim C. Bartsch, Michael Hoppmann, Bernd Rex und Markus Vergeest.

Das Trainingsbuch ist als UTB-Taschenbuch im Schöningh Verlag erschienen. Es grenzt sich in seinem Anspruch deutlich von den meisten andern Rhetorikhandbüchern ab und verzichtet auf simple Anleitungen, „goldene Regeln“ und „rote Leitfäden“. Ziel der Autoren ist hingegen, dem Leser in konkreten Übungssituationen die Möglichkeit zu geben, seine „grundlegende rhetorische Fitness“ zu trainieren.

Der erste Teil des Trainingsbuches widmet sich zahlreichen Vorübungen, die den Leser auf sein Training vorbereiten sollen. In sieben Schritten lernt der Leser hier das „Rüstzeug“ kennen, welches ihm zur Verfügung steht, um in einer Rede überzeugend aufzutreten. Jeder Schritt führt den Leser dabei näher an die konkrete Redesituation heran. Er lernt, seine Ausgangsposition einzuschätzen und sich über die Ziele seiner Rede klar zu werden. Weitere Übungen helfen, Argumente zu sammeln, zu gewichten und in einer passenden Struktur zu ordnen. Hinweise zu Sprachstil und Formulierung sollen helfen, die gefundenen Argumente auszuschmücken und so verständlich wie überzeugend zu präsentieren. Auch die konkrete Vorbereitung einer Rede wird trainiert, der Umgang mit dem Redemanuskript geübt, Memorierungstechniken und „Pannenhilfen“ für Notsituationen werden erklärt. Schließlich behandelt die letzte Vorübung die „Durchführung“ der Rede, also Stimme, Betonung und Artikulation, aber auch Gestik, Stand und Auftreten.

Es ist einer der Vorzüge des Trainingsbuches, dass die Autoren zu den verschiedenen Schritten – von der Ausgangssituation bis zur Durchführung der Rede – immer gleich mehrere, unterschiedliche Übungen vorschlagen. Es gibt kein „Schema F“, nicht „richtig“ und „falsch“. Der Leser trainiert vielmehr, auf verschiedene Situationen jeweils angemessen zu reagieren. Er erhält zudem die Möglichkeit, aus den vielfältigen Angeboten auszuwählen und sich für diejenigen Techniken zu entscheiden, die der eigenen Veranlagung, dem eigenen Rednercharakter besser entsprechen als andere.

Der zweite Teil des Trainingsbuches beschreibt verschiedene Trainingssituationen, in denen die „Hantelübungen“ des ersten Teils nun gegen Mitstreiter und auch vor Publikum erprobt und praktisch im Wettkampf des agonalen Streits geübt werden können. Es werden vier Typen der rhetorischen Auseinandersetzung vorgestellt: Das Wortgefecht, die Deklamation, die Debatte (OPD) und die Disputation. Mit insgesamt 14 Vorübungen, die jetzt nur noch gemeinsam mit weiteren Trainierenden durchgeführt werden können, wird der Leser an die jeweilige Disziplin herangeführt. Für Anfänger finden sich leicht erlernbare Übungsformate (zum Beispiel die Stehgreifrede oder die Argumentationsstaffel). Fortgeschrittene finden in komplexeren und anspruchsvolleren Formaten neue Herausforderungen (etwa die Disputation). In allen Fällen werden bündig und elegant die Regeln erläutert sowie Anleitungen zum Jurieren und Bewerten gegeben.

Im Anhang bietet das Trainingsbuch vielfältige Beispielthemen- und Fälle zum Diskutieren sowie Vorlagen für Jurierbögen und weiterführende Literaturhinweise. Zahlreiche Grafiken, speziell hervorgehobene Informationsblöcke und besonders die hilfreichen Randnotizen erleichtern dem Leser die Orientierung.

Trotz der Breite und Tiefe der Darstellung insgesamt, kommen einige wenige Bereiche leider etwas zu kurz. So werden im Kapitel „Formulierung und sicherer Stil“ die rhetorischen Redefiguren und Stilmittel in allzu geraffter Form präsentiert. Gerade fortgeschrittene Redner werden hier neue Anregungen und Hilfe beim weiteren Training vermissen. Andere Aspekte scheinen ganz zu fehlen. So beinhaltet das Kapitel „Auftritt und Stimme“ neben wertvollen Anmerkungen zu Gestik, Stand und Stimme zwar interessante Hinweise, wie ein Redner mithilfe einer kleinen Wippe aus einem Brett und einem dicken Bleistift sein Gleichgewicht finden kann, doch wird der Bereich der Mimik hier völlig ausgeblendet. Auch das Register sollte überarbeitet und werden, z.B. sucht der Leser Begriffe wie „Timing“ oder „Zeitmanagement“ vergeblich. Schließlich könnten auch die hilfreich gemeinten Querverweise im Text durch Seitenzahlen ergänzt werden, einige führen den Leser ins Leere.

Insgesamt bietet das Trainingsbuch aber eine Fülle an Informationen und wertvollen Anleitungen, von den Autoren so kenntnisreich wie eloquent dargelegt. Anfänger und Fortgeschrittene werden es mit Gewinn und vergnügen Lesen. Besonders Debattanten und Debattierclubs, die ihre rhetorische Kompetenz auch über die Debatte hinaus trainieren wollen, finden hier mit Sicherheit wertvolle Anregungen. Die variantenreichen Übungen können problemlos in den Clubbetrieb eingebaut werden und dort helfen, rhetorische Kondition und Fitness weiter zu trainieren.

Seit Oktober 2008 ist eine zweite, aktualisierte Auflage im Handel erhältlich. Auch das Trainingsbuch Rhetorik ist teilweise online abrufbar.

Tim C. Bartsch, Michael Hoppmann, Bernd Rex, Markus Vergeest
„Trainingsbuch Rhetorik“
UTB, Schöningh Verlag, Stuttgart 2008
ISBN: 3-506-72966-7
235 S.; 16,90 €

Tim C. Bartsch, Michael Hoppmann, Bernd Rex und Markus Vergeest sind Deutsche Vizemeister 2004 (sie standen in zwei BPS-Team im Finale der DDM in Bonn).  Michael, Bernd und Markus sind Baden-Württembergischer Meister 2004. Michael war Chefjuror der DDM 2003, Bernd war Chefjuror der DDM 2005, Tim war Chefjuror der DDM 2007.  Tim arbeitet heute als Redenschreiber im Staatsministerium Baden-Württemberg. Michael ist Lehrbeauftragter für Rhetorik an der Northeastern University in Boston. Bernd arbeitet als selbständiger Trainer und Berater.

Daniel Sommer, Debating Club Heidelberg / glx
Daniel schrieb die Ursprungsfassung dieses Textes bereits bei Erscheinen der ersten Auflage 2005. Damals wurde die Rezension über den VDCH-Mail-Verteiler versandt. Daniel ist Deutscher Vizemeister 2008 und Bester Redner der DDM 2005. Daniel war Chefjuror der DDM 2007 und 2009.

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