Themen aus der Perspektive undefinierter Akteure – das „objektive Interesse“ als neuer Operator

Datum: Oct 9th, 2024
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Category: Mittwochs-Feature

 

Konstantin debattierte seit 2016 in der Rederei und seit 2023 in Mainz. Als Redner gewann er einige Turniere und chefjurierte viele, unter Anderem die DDM 2023.

Das Mittwochs-Feature: Mittwochs veröffentlicht die Achte Minute ab 10.00 Uhr oftmals ein Mittwochs-Feature, worin eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

 

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4 Kommentare zu “Themen aus der Perspektive undefinierter Akteure – das „objektive Interesse“ als neuer Operator”

  1. Anne W. (Hannover) says:

    Hallo Konsti,

    Vielen Dank für dein MiFi und deine Gedanken zu dem Thema. Es freut mich, ein debattentheoretisches Mifi zu einem Thema zu lesen, das mir mir auch am Herzen liegt. Gerade weil POV Themen in letzter Zeit häufiger werden, ist es sinnvoll, sich Gedanken zu ihnen zu machen.

    Ich verstehe deinen Ansatz, POV Themen semantisch genauer zu fassen. Nur glaube ich, dass die Fallstricke von POV-Themen durch deinen Vorschlag unberührt bleiben. Ich würde es eher begrüßen, CAs für diese Fallstricke zu sensibilisieren, anstatt suboptimale Themen hinter einem neuen Operator zu verstecken.

    Erstens scheitern POV Themen häufig daran, dass der Akteur überhaupt kein einheitliches objektives Interesse hat. Das Problem tritt auf, wenn der Akteur nicht eine einzelne Person sondern eine Organisation (z.B. eine politische Partei) ist. Nicht selten gibt es dann Sub-Gruppen innerhalb des Akteurs (z.B. Parteivorsitzende, die Parteibasis, der Parteivorstand) mit heterogenen Interessen. Das wird immer dann zum Problem, wenn die Teams einen Incentive haben unterschiedliche Interessen zu postulieren. Die Debatten werden dann zu einer Definitionsschlacht darum, welche Subgruppen zum Akteur gezählt werden und welche Subgruppen eine wie große Rolle im Akteur einnehmen.

    Der neue Operators verändert nichts daran, dass solche Akteure kein einheitliches objektives Interesse haben (weil es nicht exsistiert). Er ändert auch nichts daran, dass Teams Incentives dazu haben unterschiedliche Interessen zu postulieren.

    Zweitens scheitern POV Themen oft daran, dass die interne Abwägung unterschiedlicher Interessen eines Akteurs in Debatten schwer möglich ist.

    Es ist für Teams sehr einfach zu postulieren, dass irgendetwas im Interesse eines Akteurs liegt. Dass es allerdings wichtiger als alle anderen Dinge ist, die auch im Interesse des Akteurs liegen, ist oft nur schwer zu argumentieren. Das liegt daran, dass meistens sehr unklar ist, wie ein spezifischer Akteur unterschiedliche Werte intern abwägt. Z.B. bei dem Thema „DH als europäischer Spitzenfußballer würde die WM in Katar boykottieren“ ist klar dass dem Fußballer sowohl seine Karriere als auch sein reines Gewissen wichtig sind. Was von beidem ihm wichtiger ist, entscheiden individuelle Faktoren, die im Rahmen einer Debatte nicht zu ermessen sind. Auch dieses Problem löst der neue Operator nicht, weil diese Abwägung subjektiv ist.

    Sobald die Definition der Interessen des Akteurs zum Debattengegenstand sind, degenerieren die Debatten zu Definitiosschlachten. Nicht nur machen diese vielen Debattierern weniger Spaß, sie sind in BPS schwerer zu jurieren und somit anfälliger für Fehljurierungen. Meiner Erfahrung nach funktionieren POV Themen dann gut, wenn die Möglichkeit einer Definitionsschlacht gar nicht besteht, weil es für alle Teams eine günstige Position in der Debatte darstellt, sich auf ein Interesse des Akteurs zu einigen.

  2. Ruben H (Hamburg/Hannover) says:

    Zusätzlich zu Annes Punkten glaube ich nicht, dass diese Trennung in objektive und subjektive Interessen funktioniert. Mir ist völlig unklar, welche Interessen nicht objektiv sind. Lebenserhalt und Geldverdienen werden wohl objektiv sein, aber bereits bei Zielen, nach denen viele (aber nicht alle) Menschen streben wie Kinder kriegen oder religiöse Erfüllung, ist es unklar ob diese Ziele subjektiv oder objektiv sind. Damit wird die Wertung der Argumente zu einer Intuitionsfrage der Jurierenden und einem Glücksspiel für Teams.
    Insbesondere bei den im Artikel häufig erwähnten unspezifischen Akteuren stellt sich die Frage, welche objektiven Interessen man bei diesen annehmen darf. Beide Seiten in der Debatte haben in der Regel ein strategisches Interesse, dem Akteur unterschiedliche Interessen zu unterstellen. Gleichzeitig gibt es kaum einen Anhaltspunkt, welche Interessen bei der sehr abstrakten und fiktiven Person am Ende tatsächlich überwiegen, sodass wir wieder eine Behauptungsschlacht erhalten, deren Wertung eine Intuitionsfrage ist.

  3. Konstantin (Mainz / Rederei) says:

    Danke euch beiden für die konstruktiven Kommentare. Ich teile im Kern die Kritik daran, dass bei unbestimmten Akteuren, die subjektiven Gewichtungspräferenzen unklar sind. Deshalb soll es hierbei um diese auch nicht gehen, sondern gerade die objektiven. Was solche sind, ist natürlich nicht unbedingt immer sofort für alle Interessen klar. Ich glaube aber, dass das nicht anders ist als alle anderen Arten von Debatten, bei denen wir zB “Einflüsse auf Individuen” und “Einflüsse auf die Gesellschaft” unterscheiden. Der zentrale Unterschied ist hier, dass in vielen dieser Debatten ersteres enorm unterbeleuchtet wird (da es in der Abwägung idR qua Masse verliert), gerade dieser Clash aber oft ein interessanter ist. Was ein objektives Interesse ist, ist idR schon für die meisten Leute entweder klar (Geld, Glücklichkeit, Liebe irgendeiner Art, usw.) oder die Debatte einigt sich darauf. Wenn man das unbedingt möchte, kann man natürlich auch aufwändig versuchen streitig zu beweisen, dass Kinderkriegen ein universeller objektiver Glücksgrund ist). Das unterscheidet sich strukturell nicht von jeder anderen Art von Interessen, die wir Debatten zugrunde legen. Wenn wir das nicht intersubjektivieren können, scheidet dann nicht auch jede andere Art von Debatte die diese Axiome annimmt aus? Relativierend kann es dann in Grenzfällen natürlich sein, dass es diese Art von Clash in der Debatte gibt, ich glaube, dass mit dem Operator (wie mit allen Operatoren, siehe Artikel) aber auch ein gewisser nudge verbunden ist, zu welchen Argumenten Teams in der Debatte geschoben werden. Dass es Differenzen darüber gibt, welche Argumente von welchen Jurierenden für wie überzeugend in ihren Prämissen gehalten werden, scheint mir aber in diesen Grenzfällen debattierimmanent und auch ein Teil der Überzeugungsleistung.

    Im Übrigen glaube ich, dass die Beschränkung bei Einzelpersonendebatten zwar bestimmte Abwägungen (subjektive) rausnimmt, das aber nicht heißt, dass Abwägungen generell nicht mehr möglich sind. Vielmehr verschieben sie sich. Es geht dann mehr um Tiefe des Eingriffs in ein bestimmtes Interesse, Wahrscheinlichkeit des Eingriffs, Exklusivität des Eingriffs, usw. Zuletzt würde ich einschränkend anmerken, dass natürlich nicht alle Themen geeignet sind, diese Art von Debatte zu bedienen (siehe Artikel), dies insbesondere wenn ein bestimmter subjektiver Akteur naheliegt, der definiert werden könnte. Dies würde dann ggf. den “nudge” des Themas so verschieben, dass es Teams naheliegt trotz des Nichterfüllens solcher Ausführungen für ihre burdens, anhand subjektiver Gewichtungspräferenzen Argumentationen zu versuchen. Solche Themen sind dann eher zu vermeiden, bzw. Themen sind hierauf abzuklopfen. Ich nehme in Kauf, dass es in der Anfangsphase hier zu zusätzlichen Gewöhnungsschwierigkeiten kommen könnte, die sich iÜ aber auch bei anderen Operatoren mit der Zeit gelegt haben.

    1. Ruben H (Hamburg/Hannover) says:

      Danke für deine Antwort! Ich fürchte ja, dass sich das Thema nicht endgültig in einer Kommentarspalte behandeln lässt, möchte trotzdem gerne noch einmal einen Kernpunkt hervorheben:
      Es geht bei Akteursthemen mit unspezifischen Alteuren ja darum, was für eine zufällige Person aus einer bestimmten Gruppe von vielen Personen am besten wäre. Wenn jetzt wie du schreibst Glücklichkeit ein zentrales Ziel ist, auf das sich die Teams im Best Case sogar einigen: wie erklärst du dann, wie dieser Mensch glücklich wird, ohne auf seine subjektiven Vorlieben einzugehen?
      Oder konkret am Beispiel gefragt: Wie erklärst du ob für einen zufälligen jungen Menschen Zeit mit Kindern oder viel Geld wichtiger ist um glücklich zu werden, ohne auf die subjektiven Prägungen und Vorlieben dieses Menschen einzugehen? Am Ende kommt es doch genau auf diese an und dafür gibt es leider keine objektive Herleitung.
      Ich fürchte daher, dass sich weiterhin viele Debatten darum kreisen werden wie dieser zufällige junge Mensch charakterisiert wird, ohne das Teams und Jury irgendeine Möglichkeit hätten, diese Charakterisierungsschlacht objektiv abwägen zu können.

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