Ich finde, man kann von solchen Casefiles nur profitieren. Gerade ich als Neuling innerhalb der Debattierszene hatte bei manchen Themen das Gefühl, in’s kalte Wasser geschmissen zu werden und dachte mir selbst schon bei einigen Themen: “Das kann man debattieren?”. Hier ist es gut, hinterher zu erfahren, wie man hätte argumentieren können, wobei es mir hier besonders wichtig ist, Argumente zu haben, die nahe am Thema bleiben und nicht in Meta-Argumenten á “Im Grunde genommen geht es ja nicht um XY, sondern um Freiheit” enden – sprich, man sollte nicht den Eindruck haben, die Themen wären austauschbar, da sie letztendlich eh nur auf einen Überbegriff abzielen.
Auch bei erfahrenen “alten Hasen” sollte diese Methode gut ankommen, da man sich ja eigentlich immer verbessern kann – wer anders denkt, braucht sich die Casefiles ja nicht anzuschauen. Und wie Jonathan schon gesagt hat, wer anders argumentieren würde, muss sich klar sein, dass diese Casefiles nicht das allein Seeligmachende sind.
Zu den konkreten Casefiles von Jonathan:
Ich empfinde die Arbeit als sehr hilfreich. Das wertet das an sich schon sehr schöne Turnier in Magdeburg noch einmal zusätzlich auf.
Im Allgemeinen:
Ich halte das für sehr wichtig, dass das zum Standart wird.
Wir hatten es in der BDU auch mal diskutiert, aber irgendwie haben wir es dann nicht durchgesetzt.
Woran kann das gelegen haben:
1. Angst Juroren zu verschrecken: Gerade wenn man Turniere ausrichtet, die nicht viel Prestige haben, muss man manchmal händeringend nach CAs suchen. Wenn man denen dann das auferlegt, dann sagen die im Vorfeld eher ab.
2. Selbst wenn man die Zusage hat, wird dann doch Stress, etc. als Ausrede genommen, um kurzfristig die Verabredung doch nicht zu erfüllen.
3. Das liegt vor allem daran, dass CAs meist auf dem Turnier das erste Mal zusammenkommen. Dann ist am Tag davor aber nicht mehr die Zeit, um den dann beschlossenen Themen noch ein File zu schreiben.
Das heißt in der Zusammenfassung für mich: Jedes Turnier muss als CA bitterernst genommen werden. Wen man sich keine echte, langfristige Mühe für Themen gibt, dann sollte man es eher lassen.
Schlussendlich kann sich aus einer Verbreitung dieses Ansatzes auch eine sehr schöne deutsche Debatabase ergeben, die zum Teil vermutlich deutlich brauchbarere Casefiles hergibt.
@Jonathan: Wäre eine Konsequenz aus deiner Aufstellung nicht, dass Themen, bei denen es deutlich mehr Argumente für die eine statt für die andere Seite gibt, nicht debattieren zu lassen? Ich finde deine Aufstellung sehr schlüssig, aber allein durch die Tatsache, dass man weiß, es gibt für das erste Thema mehr gute Pro-Argumente als Argumente dagegen, wird das Thema ja nicht brauchbarer als andere Themen.
1. Wenn es zu einem Thema mehr gute Argumente für eine als für die andere Seite gibt, dann ist es leichter auf der Seite mit den meisten Argumenten zu gewinnen. Allein deshalb, weil man eher eine Chance hat, auf diese Argumente zu kommen.
Jetzt kann es dazu natürlich Ausnahmen geben (viele gute, aber unbekannte Argumente auf einer Seite; nur wenige, aber dafür bekannte auf der anderen Seite)
2. Das schöne an dem Ansatz von Jonathan ist ja, dass es erstmal gar keine Konsequenzen gibt. Die CAs können genauso weitermachen wie bisher. Nach einiger Zeit hat man dann erstmals valide Übersichten darüber, wie es empirisch tatsächlich aussieht.
Wie viele Themen sind quantitativ in der Erwartung der CAs ausgeglichen?
Wie viele Argumente werden als Argumente für Ausgeglichenheit ausgeführt, obwohl sie eigentlich gar nichts wert sind?
usw.
Und dann kann man irgendwann deutlich leichter begründete Forderungen an die Themenwahl aufstellen.
ja, die Zahl der Argumente ist natürlich in erster Näherung ein Kriterium. Ich denke aber, dass ein Thema auch dann ausgewogen sein kann, wenn es mehr Argumente auf einer Seite gibt, weil auch Relevanz und Komplexität der Argumente ein Kriterium dafür sind, wie ausgewogen das Thema werden dürfte. Wichtig ist mir vor Allem, dass es genug Argumente gibt, sodass die schließenden Parteien auch eine Chance haben.
Vorneweg, ich finde den Vorschlag von Jonathan im Großen und Ganzen gut und durchaus unterstützenswert!
An paar Anmerkungen meinerseits, die inhaltlich zum Teil schon angerissen wurden:
– Wenn nur jeder Clubs seine eigenen Casefiles schreibt, ist das ineffizient. Da in meinen Augen casefiles beim Lernen des Debattiersports hilfreich sein können, wären mehr gute öffentlich zugängliche casefiles zu guten Themen sicherlich begrüßenswert (Turnierthemen sind ja idR gut und werden nicht selten in den Wochen nach einem Turnier in einigen Clubs als Vorlage genommen).
– Es gibt ja immer wieder umstrittene Themen auf Turnieren bei denen es sicherlich gut wäre, casefiles für die anschließende Diskussion und kritische Bewertung des Urteils zur Verfügung zu haben.
Aus jüngerer Vergangenheit fällt mir hier insbesondere das Finale der diesjährigen Regionalmeisterschaften ein (Sollten Homosexuelle Paare das volle Adoptionsrecht bekommen?). Die langen Diskussionen, Anschuldigungen und Rechtfertigungen auf den facebook Seiten einiger Debattanten hätten sicher verhindert oder besser geführt werden können, wenn jeder zu Beginn hätte nachlesen können, was die Chefjuroren sich von diesem Thema erhofft hatten.
Auch bei dem Achtelfinale der Diesjährigen DDM (Sollte die Pendlerpauschale abgeschafft werden?) waren sich die Juroren in meinen Augen bis zum Schluss nur bedingt einig, um welche Punkte es hier hauptsächlich hätte gehen sollen und warum eigentlich.
-Als größtes Problem sehe ich folgendes:
Hat man sich als Juror vor der Debatte schon viele Gedanken zu einem Thema gemacht, fällt es ohnehin schon schwer, den Rednern unvoreingenommen zuzuhören. Einige Male hatte ich bereits den Eindruck (und diese Tendenz auch bei mir selbst erkannt), dass Redner überproportional dafür belohnt werden, wenn sie die Argumente bringen, die der Juror vor der Debatte für die wichtigsten hielt (bzw. sie ungerechtfertigterweise bestraft werden, wenn sie diese nicht bringen).
Durch casefiles wird dieser Effekt womöglich noch verstärkt, da man nun die in den eigenen „Lieblingsargumente“ schwarz auf weiß ausformuliert hat.
Zumal könnte ich mir vorstellen, dass Juroren zusätzlich dazu eine Tendenz entwickeln könnten, mehr ‘nach casefile’ zu jurieren und einer unkonventionellen Herangehensweise an die Debatte weniger Chancen zu geben. Das eigene Urteil ist deutlich leichter zu rechtfertigen, wenn man auf das gut vorbereitete casefile verweisen kann, statt eine Sichtweise auf die Debatte zu vertreten, die völlig neu und einmalig in dieser Runde auf dem Turnier ist.
Ich habe schon jetzt den Eindruck, dass es leider oftmals nützlich zu sein scheint, Juror xy gut zu kennen und zu wissen, was er/sie denn gerne hört. Hier ist also noch mehr Vorsicht und kritisches Hinterfragen der eigenen Entscheidungen bei den Juroren gefragt.
-Hierzu vielleicht ergänzend:
Es macht wahrscheinlich auch einen Unterschied, in welchem Format das Thema debattiert wird. Wie viel inhaltlich/rational gute Argumente es für die eine Seite gibt ist nicht zwangsläufig proportional dazu, wie viel „rhetorischen Sprengstoff“ sie bieten. Ein Thema mag z.B für BP hervorragend ausgeglichen sein, es in OPD aber durchaus etwas leichter für eine der Seiten machen, ein Publikum mitzureißen. Daher ist Argumente zählen sicher nicht der ultimative für die Fairness eines Themas.
Tolles Casefile. Schöne Anregung und ein spannender Einblick in die Gedankenwelten von erfahrenen RednerInnen und ChefjurorInnen. Über mehr davon würde ich mich freuen.
Deinen Vorschlag Casefiles im Vorfeld anzulegen finde ich super! Auch die Qualität des Casefiles selbst hat mich stark beeindruckt. Danke für die Mühen und den interessanten Input!
In Ermangelung an empfundener Eindeutigkeit bezüglich der Handhabung solcher Casefiles finde ich, dass wenn solche Casefiles verbindlich von CAs angelegt werden müssen diese niemals vor der Debatte einem Juror zugänglich gemacht werden dürfen.
Zu häufig habe ich schon hören müssen, dass Redner trotz im Raum anerkannter schöner Rede mit niedrigen Punkten bestraft wurden, da der Juror die Ansicht vertritt die Redner würden die über sie durch die Motion verschüttete Argumente nicht nutzen: “Ihr hättet DAS sagen können, habt ihr aber nicht! Deswegen 6 Punkte in Sachverstand”, zumal die dargelegten Argumente meiner Meinung nach häufig die zu offensichtlichen und daher uninteressanten waren.
Bekommt ein Juror so eine Argumentenliste auch noch von oben vorgelegt könnte dies meiner Meinung nach zum Annehmen einer solchen Haltung suggerieren und würde mir – und ich denke vielen anderen auch – den Spaß am Debattieren kräftig zerstören.
Es ist in meinen Augen ohnehin ein Ausdruck von Dummheit und Arroganz die Maßstäbe für die Einschätzung der Qualität einer Überzeugungsmaßnahme daran festzulegen, dass Erwartungen erfüllt werden und positive Überraschungen bei Fehlen der Erwartungserfüllung nicht gewürdigt werden. Wir sollten daher meiner Ansicht nach diese verschränkte Haltung nicht weiter fördern und strikt und klar festlegen, dass Casefiles oder Argumentlisten oder von CAs an Juroren vorgetragene Erwartugen darüber wie jene Debatte zu laufen haben soll im Sinne eines Friedens zwischen Rednern und Juroren untersagt werden. In diesem Rahmen könnte man auch drüber nachdenken den Juroren die Vorbereitungszeit zu stehlen und angesichts der geistigen Bindung durch die Anforderungen einer Debatte die Bildung von Erwartungen zu hemmen.
Ich kann auch absolut nicht nachvollziehen, wie man eine solche Haltung mit Intellektualität oder mit dem Vergleich einer realen Überzeugunssituation, in welcher die Erwartungen angeblich relevantes Merkmal sein würden, in Einklang bringen könnte: Tagtäglich erlebe ich im Sales, dass gerade die vom Kunden unerwarteten Argumente die größte vom Kunden empfundene USP liefern und zu einer Kaufentscheidung führen und gerade nicht die üblichen verdächtigen.
die Casefiles hatte außer mir (und Jonas) in der Tat niemand gesehen, bis ich sie hier veröffentlicht habe. Das Problem, das Du ansprichst, kenne ich auch. Ich denke, dem lässt sich nur mit guter Jurorenausbildung begegnen.
Sehr gute Arbeit Jonathan! Zu den von Dir genannten Aspekten, die Chefjuror*innen beim Setzen von Themen berücksichtigen sollten, kann man noch die übrigen aus Shengwu Lis Blogpost zum Thema hinzufügen: http://trolleyproblem.blogspot.de/2012/01/advice-for-new-cas-setting-motions.html. Ich habe mit dieser “Checkliste” bereits gute Erfahrungen gemacht und kann sie nur jedem zukünftigen (D)CA empfehlen.
Sehr schöne Idee, Jonathan!
Ich finde, man kann von solchen Casefiles nur profitieren. Gerade ich als Neuling innerhalb der Debattierszene hatte bei manchen Themen das Gefühl, in’s kalte Wasser geschmissen zu werden und dachte mir selbst schon bei einigen Themen: “Das kann man debattieren?”. Hier ist es gut, hinterher zu erfahren, wie man hätte argumentieren können, wobei es mir hier besonders wichtig ist, Argumente zu haben, die nahe am Thema bleiben und nicht in Meta-Argumenten á “Im Grunde genommen geht es ja nicht um XY, sondern um Freiheit” enden – sprich, man sollte nicht den Eindruck haben, die Themen wären austauschbar, da sie letztendlich eh nur auf einen Überbegriff abzielen.
Auch bei erfahrenen “alten Hasen” sollte diese Methode gut ankommen, da man sich ja eigentlich immer verbessern kann – wer anders denkt, braucht sich die Casefiles ja nicht anzuschauen. Und wie Jonathan schon gesagt hat, wer anders argumentieren würde, muss sich klar sein, dass diese Casefiles nicht das allein Seeligmachende sind.
Zu den konkreten Casefiles von Jonathan:
Ich empfinde die Arbeit als sehr hilfreich. Das wertet das an sich schon sehr schöne Turnier in Magdeburg noch einmal zusätzlich auf.
Im Allgemeinen:
Ich halte das für sehr wichtig, dass das zum Standart wird.
Wir hatten es in der BDU auch mal diskutiert, aber irgendwie haben wir es dann nicht durchgesetzt.
Woran kann das gelegen haben:
1. Angst Juroren zu verschrecken: Gerade wenn man Turniere ausrichtet, die nicht viel Prestige haben, muss man manchmal händeringend nach CAs suchen. Wenn man denen dann das auferlegt, dann sagen die im Vorfeld eher ab.
2. Selbst wenn man die Zusage hat, wird dann doch Stress, etc. als Ausrede genommen, um kurzfristig die Verabredung doch nicht zu erfüllen.
3. Das liegt vor allem daran, dass CAs meist auf dem Turnier das erste Mal zusammenkommen. Dann ist am Tag davor aber nicht mehr die Zeit, um den dann beschlossenen Themen noch ein File zu schreiben.
Das heißt in der Zusammenfassung für mich: Jedes Turnier muss als CA bitterernst genommen werden. Wen man sich keine echte, langfristige Mühe für Themen gibt, dann sollte man es eher lassen.
Schlussendlich kann sich aus einer Verbreitung dieses Ansatzes auch eine sehr schöne deutsche Debatabase ergeben, die zum Teil vermutlich deutlich brauchbarere Casefiles hergibt.
@Jonathan: Wäre eine Konsequenz aus deiner Aufstellung nicht, dass Themen, bei denen es deutlich mehr Argumente für die eine statt für die andere Seite gibt, nicht debattieren zu lassen? Ich finde deine Aufstellung sehr schlüssig, aber allein durch die Tatsache, dass man weiß, es gibt für das erste Thema mehr gute Pro-Argumente als Argumente dagegen, wird das Thema ja nicht brauchbarer als andere Themen.
@Kollege Sommerfeld: Was ist eine “Debatabase”?
1. Wenn es zu einem Thema mehr gute Argumente für eine als für die andere Seite gibt, dann ist es leichter auf der Seite mit den meisten Argumenten zu gewinnen. Allein deshalb, weil man eher eine Chance hat, auf diese Argumente zu kommen.
Jetzt kann es dazu natürlich Ausnahmen geben (viele gute, aber unbekannte Argumente auf einer Seite; nur wenige, aber dafür bekannte auf der anderen Seite)
2. Das schöne an dem Ansatz von Jonathan ist ja, dass es erstmal gar keine Konsequenzen gibt. Die CAs können genauso weitermachen wie bisher. Nach einiger Zeit hat man dann erstmals valide Übersichten darüber, wie es empirisch tatsächlich aussieht.
Wie viele Themen sind quantitativ in der Erwartung der CAs ausgeglichen?
Wie viele Argumente werden als Argumente für Ausgeglichenheit ausgeführt, obwohl sie eigentlich gar nichts wert sind?
usw.
Und dann kann man irgendwann deutlich leichter begründete Forderungen an die Themenwahl aufstellen.
3. Debatabase ist das hier:
http://idebate.org/debatabase
Sowas gibt es auch in einer veralteten Form auf Deutsch:
http://www.amazon.de/Pro-Contra-Das-Handbuch-Debattierens/dp/3867071519/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1373287815&sr=8-1&keywords=pro+und+contra+handbuch+debattieren
Hallo Jörn,
ja, die Zahl der Argumente ist natürlich in erster Näherung ein Kriterium. Ich denke aber, dass ein Thema auch dann ausgewogen sein kann, wenn es mehr Argumente auf einer Seite gibt, weil auch Relevanz und Komplexität der Argumente ein Kriterium dafür sind, wie ausgewogen das Thema werden dürfte. Wichtig ist mir vor Allem, dass es genug Argumente gibt, sodass die schließenden Parteien auch eine Chance haben.
Jonathan
Vorneweg, ich finde den Vorschlag von Jonathan im Großen und Ganzen gut und durchaus unterstützenswert!
An paar Anmerkungen meinerseits, die inhaltlich zum Teil schon angerissen wurden:
– Wenn nur jeder Clubs seine eigenen Casefiles schreibt, ist das ineffizient. Da in meinen Augen casefiles beim Lernen des Debattiersports hilfreich sein können, wären mehr gute öffentlich zugängliche casefiles zu guten Themen sicherlich begrüßenswert (Turnierthemen sind ja idR gut und werden nicht selten in den Wochen nach einem Turnier in einigen Clubs als Vorlage genommen).
– Es gibt ja immer wieder umstrittene Themen auf Turnieren bei denen es sicherlich gut wäre, casefiles für die anschließende Diskussion und kritische Bewertung des Urteils zur Verfügung zu haben.
Aus jüngerer Vergangenheit fällt mir hier insbesondere das Finale der diesjährigen Regionalmeisterschaften ein (Sollten Homosexuelle Paare das volle Adoptionsrecht bekommen?). Die langen Diskussionen, Anschuldigungen und Rechtfertigungen auf den facebook Seiten einiger Debattanten hätten sicher verhindert oder besser geführt werden können, wenn jeder zu Beginn hätte nachlesen können, was die Chefjuroren sich von diesem Thema erhofft hatten.
Auch bei dem Achtelfinale der Diesjährigen DDM (Sollte die Pendlerpauschale abgeschafft werden?) waren sich die Juroren in meinen Augen bis zum Schluss nur bedingt einig, um welche Punkte es hier hauptsächlich hätte gehen sollen und warum eigentlich.
-Als größtes Problem sehe ich folgendes:
Hat man sich als Juror vor der Debatte schon viele Gedanken zu einem Thema gemacht, fällt es ohnehin schon schwer, den Rednern unvoreingenommen zuzuhören. Einige Male hatte ich bereits den Eindruck (und diese Tendenz auch bei mir selbst erkannt), dass Redner überproportional dafür belohnt werden, wenn sie die Argumente bringen, die der Juror vor der Debatte für die wichtigsten hielt (bzw. sie ungerechtfertigterweise bestraft werden, wenn sie diese nicht bringen).
Durch casefiles wird dieser Effekt womöglich noch verstärkt, da man nun die in den eigenen „Lieblingsargumente“ schwarz auf weiß ausformuliert hat.
Zumal könnte ich mir vorstellen, dass Juroren zusätzlich dazu eine Tendenz entwickeln könnten, mehr ‘nach casefile’ zu jurieren und einer unkonventionellen Herangehensweise an die Debatte weniger Chancen zu geben. Das eigene Urteil ist deutlich leichter zu rechtfertigen, wenn man auf das gut vorbereitete casefile verweisen kann, statt eine Sichtweise auf die Debatte zu vertreten, die völlig neu und einmalig in dieser Runde auf dem Turnier ist.
Ich habe schon jetzt den Eindruck, dass es leider oftmals nützlich zu sein scheint, Juror xy gut zu kennen und zu wissen, was er/sie denn gerne hört. Hier ist also noch mehr Vorsicht und kritisches Hinterfragen der eigenen Entscheidungen bei den Juroren gefragt.
-Ob ein Thema gut ist lässt sich in meinen Augen doch einigermaßen objektiv bewerten: Wie fair ist das Thema und wie viel Unterhaltungspotential bietet es?
Sehr gute Beiträge zu Ersterem finden sich im Blog des Europa- und Vizeweltmeisters Shengwu Li (dürfte vielen aus der internationalen Szene ohnehin schon bekannt sein):
http://trolleyproblem.blogspot.co.at/2012/01/advice-for-new-cas-setting-motions.html
http://trolleyproblem.blogspot.co.at/2012/05/what-does-it-mean-to-say-this-motion-is.html
-Hierzu vielleicht ergänzend:
Es macht wahrscheinlich auch einen Unterschied, in welchem Format das Thema debattiert wird. Wie viel inhaltlich/rational gute Argumente es für die eine Seite gibt ist nicht zwangsläufig proportional dazu, wie viel „rhetorischen Sprengstoff“ sie bieten. Ein Thema mag z.B für BP hervorragend ausgeglichen sein, es in OPD aber durchaus etwas leichter für eine der Seiten machen, ein Publikum mitzureißen. Daher ist Argumente zählen sicher nicht der ultimative für die Fairness eines Themas.
Stark!
Oder in ganzen Sätzen: Sehr guter Vorschlag, Jonathan.
Tolles Casefile. Schöne Anregung und ein spannender Einblick in die Gedankenwelten von erfahrenen RednerInnen und ChefjurorInnen. Über mehr davon würde ich mich freuen.
Deinen Vorschlag Casefiles im Vorfeld anzulegen finde ich super! Auch die Qualität des Casefiles selbst hat mich stark beeindruckt. Danke für die Mühen und den interessanten Input!
In Ermangelung an empfundener Eindeutigkeit bezüglich der Handhabung solcher Casefiles finde ich, dass wenn solche Casefiles verbindlich von CAs angelegt werden müssen diese niemals vor der Debatte einem Juror zugänglich gemacht werden dürfen.
Zu häufig habe ich schon hören müssen, dass Redner trotz im Raum anerkannter schöner Rede mit niedrigen Punkten bestraft wurden, da der Juror die Ansicht vertritt die Redner würden die über sie durch die Motion verschüttete Argumente nicht nutzen: “Ihr hättet DAS sagen können, habt ihr aber nicht! Deswegen 6 Punkte in Sachverstand”, zumal die dargelegten Argumente meiner Meinung nach häufig die zu offensichtlichen und daher uninteressanten waren.
Bekommt ein Juror so eine Argumentenliste auch noch von oben vorgelegt könnte dies meiner Meinung nach zum Annehmen einer solchen Haltung suggerieren und würde mir – und ich denke vielen anderen auch – den Spaß am Debattieren kräftig zerstören.
Es ist in meinen Augen ohnehin ein Ausdruck von Dummheit und Arroganz die Maßstäbe für die Einschätzung der Qualität einer Überzeugungsmaßnahme daran festzulegen, dass Erwartungen erfüllt werden und positive Überraschungen bei Fehlen der Erwartungserfüllung nicht gewürdigt werden. Wir sollten daher meiner Ansicht nach diese verschränkte Haltung nicht weiter fördern und strikt und klar festlegen, dass Casefiles oder Argumentlisten oder von CAs an Juroren vorgetragene Erwartugen darüber wie jene Debatte zu laufen haben soll im Sinne eines Friedens zwischen Rednern und Juroren untersagt werden. In diesem Rahmen könnte man auch drüber nachdenken den Juroren die Vorbereitungszeit zu stehlen und angesichts der geistigen Bindung durch die Anforderungen einer Debatte die Bildung von Erwartungen zu hemmen.
Ich kann auch absolut nicht nachvollziehen, wie man eine solche Haltung mit Intellektualität oder mit dem Vergleich einer realen Überzeugunssituation, in welcher die Erwartungen angeblich relevantes Merkmal sein würden, in Einklang bringen könnte: Tagtäglich erlebe ich im Sales, dass gerade die vom Kunden unerwarteten Argumente die größte vom Kunden empfundene USP liefern und zu einer Kaufentscheidung führen und gerade nicht die üblichen verdächtigen.
Hallo Aleksandar,
die Casefiles hatte außer mir (und Jonas) in der Tat niemand gesehen, bis ich sie hier veröffentlicht habe. Das Problem, das Du ansprichst, kenne ich auch. Ich denke, dem lässt sich nur mit guter Jurorenausbildung begegnen.
Schöne Grüße,
Jonathan
Sehr gute Arbeit Jonathan! Zu den von Dir genannten Aspekten, die Chefjuror*innen beim Setzen von Themen berücksichtigen sollten, kann man noch die übrigen aus Shengwu Lis Blogpost zum Thema hinzufügen: http://trolleyproblem.blogspot.de/2012/01/advice-for-new-cas-setting-motions.html. Ich habe mit dieser “Checkliste” bereits gute Erfahrungen gemacht und kann sie nur jedem zukünftigen (D)CA empfehlen.