Erinnerungen an Theo Sommer
Das deutschsprachige Debattieren und seine Vereinigungen, der Verband der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH) und die Deutsche Debattiergesellschaft e.V. (DDG) trauern um Theo Sommer († 22.08.2022), der unseren Sport über Jahrzehnte unterstützt hat. Denn Theo Sommer war ein großartiger Journalist – und für das deutschsprachige Debattieren gewissermaßen eine essentielle Startbedingung. Wir sagen danke, und haben hier ein paar Erinnerungen zusammengetragen.
Warum debattieren wir für ein Jahr auf allen Turnieren nicht ein einziges Thema? Daran hatten wir nicht gedacht. Wir waren auf viele Fragen vorbereitet: Warum wünschen wir uns DIE ZEIT als Partner? Was darf der Verlag als Marketing-Mehrwert erwarten? Wie setzt sich das Budget zusammen? Aber die Frage von Theo Sommer kam unerwartet.
Er kannte das Debattieren aus Amerika, entweder vom Manchester College in Indiana, oder von der University of Chicago. Schon in den fünfziger Jahren studierte er global, in den USA, in Schweden, in Deutschland, nach der Promotion noch in England. Er kannte das Debattieren als Sport und seine Stimme hatte bei der ZEIT Gewicht: Er war ihr Chefredakteur, ihr Mitherausgeber. Jetzt, 2001, trug er den Ehrentitel “Editor at Large”, über den er sich bei vielen Gelegenheiten lustig machte, z.B. im Grußwort bei einem Finale der Meisterschaft im deutschsprachigen Debattieren.
Damals aber, als wir ihn das erste Mal trafen, tauschte er mit ein paar Studenten Erfahrungen zum Debattieren aus, und die Leitung des Hauses, darunter der Verlagschef und der Marketingleiter, war interessiert. Eine Stunde später unweit des Verlagshauses an der Alster waren wir Studenten uns so sicher, dass uns seine Fürsprache geholfen hat, einen Vertrag mit der ZEIT zu schließen, dass wir ihm Jahre später die Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Debattiergesellschaft e.V. angetragen haben, die er gerne angenommen hat.
Er blieb für unsere Debattiergemeinde erreichbar: Kein Brief blieb unbeantwortet und er besuchte Veranstaltungen. Ich habe ihn einmal zufällig bei einer Veranstaltung getroffen, die mit dem Debattieren nichts zu tun hatte, und gleich den nächsten Besuch einer Finalveranstaltung vereinbart. Das sportliche Debattieren an Hochschulen verliert einen Fürsprecher, einen Förderer, einen Freund. Wir könnten ihm zu Ehren in allen deutschsprachigen Debattierclubs zumindest eine Woche lang alle dasselbe Thema debattieren. Ich bin sicher, es hätte ihm gefallen.
Christian Blum
Gründungspräsident des VDCH
Mit dem Tod von Theo Sommer verliert die Deutsche Debattiergesellschaft einen wichtigen Freund und Förderer. Von Anfang an unterstützte er uns in unserem Vorhaben, an den deutschen Universitäten die Kultur des Debattierens zu etablieren, empfing uns nach der 1. Deutschen Meisterschaft mit offenen Armen in den Räumen der ZEIT in Hamburg, um mit deren finanzieller Unterstützung das Debattierprojekt über Jahre zu sichern.
Mit Freude nahm er die 1. Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Debattiergesellschaft an: „ Nichts fehlt unserem Lande so sehr wie eine gepflegte Debattierkunst. Sie allein jedoch verschafft einem Gemeinwesen Frische, Farbe und Lebendigkeit.“
Wir werden seinen zupackenden Optimismus, seine herzliche Hilfsbereitschaft und mitmenschliche Offenheit vermissen. In Dankbarkeit denken wir an ihn und werden in seinem Sinn weiterarbeiten.
Dr. Kai Monheim
Mitgründer des VDCH und Gründungspräsident der DDG
Bemerkenswert und für ein Mitglied der schreibenden Zunft durchaus nicht selbstverständlich war Theo Sommers Lust am gesprochenen Wort und der unmittelbaren argumentativen Auseinandersetzung, mit anderen Worten: der Debatte. Er fand Debatte nicht nur für die demokratische Meinungsbildung entscheidend; er hatte sichtlich großen Spaß daran, Argumente robust auszutragen, auch wenn es vielleicht an Grenzen ging.
Meine stärkste Erinnerung an Theo Sommer stammt aus dem Finale der 2. Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft in Dresden, im Sommer 2002 – damals bereits als Teil der ZEIT Debatten. Es war brütend heiß gewesen, die Debatten mindestens hitzig, und irgendwie hatten Kai Monheim und ich es ins Finale geschafft und durften jetzt im Landtag des Freistaates Sachsen vom Redner:innenpult aus sprechen. Damals hat mich das ganz schön beeindruckt. Noch beeindruckender: Theo Sommer, der Herausgeber der ZEIT, saß als Ehrengast in der ersten Reihe des Plenums.
Das Thema der Debatte war im damals üblichen Stil “Niemand hat ein Recht auf Herkunft”, und ich war jung und dumm genug, aus dem Nachnamen des Münchner Debattierers Stefan Marx einen “neuen Marxismus” zu konstruieren, weil er in der Opposition für Eigentum und Erbschaft einstand. Zum Glück habe ich damit nicht gewonnen; aber Theo Sommer tat mir den Gefallen, sich von Herzen über das Wortspiel scheckig zu lachen. Lauthals, ganz frei, mitten im hochherrschaftlichen Landtag, weil ihm offenbar der Scherz gefallen hatte.
Denn auch das hat Theo Sommer ausgemacht: Bei aller Ernsthaftigkeit in der Sache den ganzen Zirkus nicht immer ganz ernst zu nehmen. Für mich ist das eine bleibende Richtschnur geworden. Von Namenswitzen habe ich seitdem Abstand genommen, aber die Freiheit, auch mal laut zu lachen, habe ich von Theo Sommer übernommen.
Jens Henning Fischer
Präsident der DDG
Meine Erinnerung an Theo Sommer, den großen Freund und Förderer des Debattierens, ist untrennbar verbunden mit der Deutschen Debattiermeisterschaft 2003 in Tübingen. Das Finale der Meisterschaft fand im prachtvollen Refektorium des Klosters Bebenhausen statt. Teil des Programms der Finalveranstaltung war eine „Showdebatte“, bei der zwei Debattierer gegen ein Team aus zwei Prominenten antreten sollten. Gemeinsam mit dem Berliner Kai Monheim durfte ich dabei die rhetorischen Klingen mit Theo Sommer und Heiner Geißler kreuzen. Es ging um die Frage, ob sich die Europäische Union eine Verfassung geben sollte. Theo Sommer forderte mit Verve, die EU müsse zum großen Sprung nach vorn ansetzen. Heiner Geißler blieb skeptischer und verglich die EU mit einem behäbigen Elefanten. Da mir die Argumente ausgingen, versuchte ich einen Befreiungsschlag, indem ich die beiden sprachlichen Bilder kombinierte: „Was geschieht, wenn ein Elefant zum großen Sprung ansetzt? Er wird straucheln und sich den Rüssel verstauchen.“ Das Publikum tobte und Theo Sommer lächelte. Nach der Debatte kam er zu mir mit den Worten: „Beim nächsten Mal sind Sie mein Teampartner.“ Gerne hätte ich noch einmal mit Theo Sommer debattiert.
Prof. Dr. Christoph Busch
ehem. Präsident der DDG (2004-2005)
Als wäre es gestern gewesen: Ich erinnere mich noch genau an dieses laute herzliche Lachen der beiden Großmeister der Argumente und Rhetorik: Heiner Geißler und Theo Sommer.
Es war die Finalveranstaltung der Deutschen Debattiermeisterschaft 2003 in Tübingen. Wir hatten uns zuvor im Team (alle drei Anfang 20) in zahlreichen Debatten über drei Tage bis ins Finale debattiert und konnten Deutsche Meister werden. Unglaublich, waren wir doch eigentlich als Underdogs gestartet. Nach unseren Finalreden – während die Jury tagte und unsere Aufregung in unermessliche Höhen stieg – debattierten dann genau dort, wo wir gerade zuvor geredet hatten, Theo Sommer und Heiner Geißler. Diese zwei großartigen, beeindruckenden, charismatischen Redner sprachen in einer Showdebatte darüber, ob sich die EU eine Verfassung geben sollte.
Mit viel Enthusiasmus und bewundernswerter Präzision legten sie aus dem Stegreif ihre Argumente dar, verbunden mit viel Humor und vor allem Spaß am verbalen Wettstreit. Diese Debatte und das darin gezeichnete Bild des „Elefanten, der sich den Rüssel verstaucht“, war das eigentliche Highlight der DM. Und das Lachen des Saals und der beiden prominenten Redner löste alle Spannung auf.
Nach der Debatte kam Theo Sommer dann zu mir, gratulierte zum Meistertitel und sagte, dass man in Hamburg bei der ZEIT immer Leute braucht, die Spaß am Argumentieren haben. Und auch wenn ich später nicht in den Journalismus gegangen bin, bin ich heute doch im Management der ZEIT und habe ihn die letzten Jahre noch oft bei uns im Pressehaus und auf Veranstaltungen getroffen. Immer wieder haben wir dabei über das Debattieren gesprochen und darüber, wie wichtig es gerade heute ist, das beste Argument zu finden und im Austausch zu bleiben. Dem Debattieren blieb er immer verbunden.
Dr. Hanna Proner
ehem. Vizepräsidentin des VDCH (2003-2004) und Deutsche Debattiermeisterin 2003
In seinen Grußworten bei Finalveranstaltungen berichtete Theo Sommer immer wieder gern von seinen ersten Begegnungen mit dem Hochschuldebattieren in den 1950er Jahren in den USA. Fast nie unerwähnt blieb das Thema der ersten Debatte (oder einer der ersten größeren Debatten), der er seinerzeit beiwohnte: You can’t double cross Germany. Auf manche wirkte das anfangs vielleicht so, als habe er lediglich sein Grußwort recycelt. Doch wer bemerkte, wie innerlich bewegt Theo Sommer davon erzählte – so als ob er die Debatte gleich noch einmal führen wollte –, erkannte, welche Leidenschaft er für das Wettkampfdebattieren hegte. In der Showdebatte am Rande des Finals der Deutschen Meisterschaft in Tübingen 2003 etwa ließ er dieser Leidenschaft beherzt freien Lauf. Und viele langgediente Debattiererinnen und Debattierer wissen mittlerweile aus eigener Erfahrung, dass es alles andere als ungewöhnlich ist, sich noch Jahrzehnte später an einzelne Themen und Debatten zu erinnern und davon zu erzählen.
Dr. Bernd Hoefer
Gründungsvizepräsident des VDCH
2004 hat der Debattierclub Bonn die deutschsprachige Debattiermeisterschaft ausgetragen. Für das Finale hatten wir einen besonderen Ort gefunden: das alte Wasserwerk mitten im ehemaligen Bonner Regierungsviertel. Mir hatte man die Moderation anvertraut, und ich war sehr aufgeregt. Das Publikum hatte im Pumpenhaus Platz genommen. Hier hatte der deutsche Bundestag von 1986 bis 1993 getagt, das Hochschuldebattieren war in der Herzkammer der Bonner Republik angekommen, und es war jetzt meine Verantwortung, das Debattieren überzeugend zu präsentieren.
Meine Aufregung war nicht zuletzt darin begründet, dass mir direkt gegenüber Theo Sommer saß, dieser Titan des deutschen Journalismus. Und er guckte ständig zu mir rüber, der große Theo Sommer. Das lag natürlich auch daran, dass er gleich das Grußwort halten sollte, aber mich hat es schon irritiert.Als ich ihn also angekündigt hatte, und er sich erhob und zum Rednerpult ging, kam er in meiner Nähe vorbei. Und ohne dass das Publikum es bemerkt hätte, raunzte er mir unter Bezug auf meinen damaligen Nachnamen zu: “Gut gebrüllt, Löwe.”
Er kannte mich bis dahin nicht und irgendwie bin ich bis heute stolz darauf. Und es zeigt, was für ein Mensch Theo Sommer war: Er war aufmerksam, spontan, gewitzt und zugewandt. Ohne ihn hätte es das Hochschuldebattieren so nicht gegeben; hoffentlich finden sich auch in Zukunft Menschen wie er, die das Debattieren weitertragen. Ich werde ihn in guter Erinnerung behalten.
Isabelle Fischer (geb. Loewe)
ehem. Präsidentin des VDCH (2005-2006)
Theo Sommer war ein intellektuelles Vorbild für Millionen und zugleich ein toller Typ für alle, die das Glück hatten, ihn persönlich zu erleben. Seneca der Jüngere brauchte 28 Kapitel, um das erfüllte Leben zu beschreiben; im 21. Jahrhundert können wir das kürzer: lebe ein Leben wie Bruce Dickinson oder Theo Sommer! Ich werde ihn herzlich vermissen.
Prof. Dr. Michael Hoppmann
Mitbegründer des Tübinger Debattierclubs Streitkultur e.V.
Ein wirklich schöner und geschmackvoller Nachruf an Herrn Sommer, den ich leider nicht kennenlernen durfte.
Der Vorschlag, eine Woche überall dasselbe Thema zu debattieren, gefällt mir. Vielleicht könnte die DDG ein passendes Thema vorschlagen, dann rege ich das in Freiburg gerne an.