Auf der Suche nach Austausch III: Die richtige Mischung

Datum: 10. Februar 2016
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature, ZEIT DEBATTE

Im Rahmen der für den März 2016 anstehenden ZEIT DEBATTE Berlin kam es auf der Facebookseite der vom VDCH-Vorstand betriebenen ZEIT DEBATTEN-Seite jüngst zunächst zu sachlicher Kritik an der Wahl des Finalorts, später jedoch zu heftigen persönlichen Angriffen. Die daraus resultierende Löschung des Ursprungsposts und die Verlagerung der Diskussion auf den VDCH-Verteiler forderte unter anderem eine Aufarbeitung der aufgeworfenen Fragen durch die Achte Minute.

Den Auftakt unserer Reportage machte ein Kommentar von Pegah Maham zum produktiven Miteinander. Im zweiten Teil ging es in einem Beitrag von Florian Umscheid um geeignete Diskussionsforen. Im dritten Teil kommen nun Ruwen Fritsche, Alexander Osterkorn und Sebastian Schwab aus Göttingen zu Wort, die sich mit der Frage der sinnvollen Auswahl von Finalorten und Ehrenjurys auseinandersetzen.

 

Die Ausgangsposition

Die deutsche Debattierszene steht für politische Heterogenität: Sie vereint konservative, bürgerliche, grüne, sozialdemokratische und linke Student*innen und Berufstätige. Das ist ein kostbarer Wert, der die Debattierclubs an den Universitäten von politischen Hochschulgruppen unterscheidbar macht und auch Studierende ohne feste politische Sozialisation anspricht. Die Debattierszene kann darum, wenn sie diese Diversität wertschätzt und bewahren möchte, nur darauf abzielen, ihre eigene Überparteilichkeit zu betonen und ihr auch in der Realität Geltung zu verschaffen. Besonders relevant für die Außendarstellung der deutschsprachigen Debattierszene und die Vernetzung der Szene nach innen sind die Debattierturniere der ZEIT DEBATTEN-Serie.

Im Falle der Berliner ZEIT DEBATTE wurde nun der Vorwurf laut, dass der Besetzung der Ehrenjury dazu die nötige politische Heterogenität fehle. So sind unter anderem der Linkspolitiker und ehemalige SED-PDS-Vorsitzende Gregor Gysi sowie die Fernsehjournalistin Gabriele Krone-Schmalz eingeladen. Letztere bekam für ihre Äußerungen zur Krimkrise insbesondere Zustimmung von Politiker*innen des politisch linken Spektrums. Daneben wird voraussichtlich ein SPD-Staatssekretär in Vertretung des regierenden Bürgermeisters Berlins (ebenfalls SPD) zu uns sprechen. Die Veranstaltung findet zudem in der Parteizentrale der SPD, dem Willy-Brandt-Haus, statt. In diesem werden zwar auch unpolitische Veranstaltungen wie die Schachbundesliga durchgeführt – zumeist wird das Haus aber wohl eher mit der Partei als mit dem beliebten Brettspiel assoziiert.

 

Ziel der Überparteilichkeit des Hochschuldebattierens

Das deutsche Hochschuldebattieren steht für das Primat der besseren Rede. Parteilichkeit sollte also allein für das bessere Argument, die bessere Rhetorik – kurz: die bessere Rede – herrschen und nicht für politische Lager. Natürlich haben Debattierer*innen politische Ansichten.  Und natürlich geben auch Debattierclubs nicht immer ein vollständiges Abbild des politischen Meinungsspektrums ab. Was uns als Debattierclubs und Verband der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH) aber eint, ist die Erkenntnis, dass beim Eintreten für das bessere Argument parteipolitische Präferenzen keine Rolle spielen sollten.

 

Außenwirkung und Arbeit der Ehrenjury

Die Ehrenjury der DDM 2015 in Münster. © Matthias Carcasona

Die Ehrenjury der DDM 2015 in Münster. © Matthias Carcasona

Ehrengäste bei ZEIT DEBATTEN werden zweifelsohne aus vielen verschiedenen Gründen eingeladen, u. a. um durch ihre besondere Prominenz dem deutschen Hochschuldebattieren einen größeren Glanz zu verleihen, um mögliche Kontakte und Anknüpfungspunkte für spätere Zusammenarbeiten zu erschließen oder einfach, um interessante Persönlichkeiten besser kennenzulernen.

Die Zusage einzelner besonders prominenter Persönlichkeiten ist ein Erfolg für die Szene, sollte aber nicht das einzige Kriterium für die Gästeeinladung sein. Die Ehrenjury ist im Verlauf der Finalveranstaltung mit der Wahl der besten Einzelleistung in der Debatte betraut, wobei sie damit auch stellvertretend für das ganze Publikum stehen soll.

Potenziellen Gefahren für Außendarstellung und Arbeit einer Ehrenjury kann begegnet werden, wenn die Turnierausrichter*innen in ihren Anfragen eine möglichst große Diversität abzubilden versuchen: Alter und Geschlecht der Juror*innen, das Metier, aus dem sie stammen (z.B. Wissenschaft, Kultur, Medien, Religion, Politik) – und bei Politiker*innen auch ihre Partei.

Es ist klar, dass die Einladenden nur begrenzten Einfluss darauf haben, wer letztlich kommt – aber ausgeschlossen macht das eine Steuerung nicht. Bei der ZEIT DEBATTE in Göttingen haben wir bewusst versucht, genau das zu erreichen. Trotz vieler Absagen haben wir ein breites Spektrum von politischen Zugehörigkeiten – CSU, Grüne, SPD -, Metiers (Universität, Fernsehen, Diplomatie, Kommunal-, Landes- und Europapolitik), Anzahl von Lebensjahren und Geschlechtern aufgestellt und möchten deshalb ermutigen, auch bei künftigen ZEIT DEBATTEN einen solchen Ausgleich anzustreben, wie er ja auch vorher oft praktiziert wurde.

 

Ehrenjurys und Finalräume als Barrieren

Eine Errungenschaft unserer Debattierszene ist das gemeinsame Bestreben, Barrieren abzubauen, die bei den Teilnehmer*innen von Debattierturnieren Gefühle von Unbehagen und Ausgeschlossenheit erzeugen können („Equity“). In diesem Sinne ist es z. B. gute Praxis, jeder Teilnehmer*in auf einem Debattierturnier eine Verpflegung anzubieten, die den jeweiligen individuellen Anforderungen an moralisch einwandfreie Ernährung gerecht wird.

Doch auch Räume und Ehrengäste können solche Barrieren darstellen. Debattierer*innen, die vegetarische oder vegane Ernährung bevorzugen, könnten sich unwohl fühlen in Räumlichkeiten großer amerikanischer Systemgastronomen. Atheisten könnten sich von einer Finalveranstaltung in einer aktiven Kirche abgeschreckt fühlen und darum von einer Teilnahme absehen. Darum würde auch keine ZEIT DEBATTEN-Ausrichter*in auf die Idee kommen, „Socials“ oder das Finale in solchen Umgebungen zu veranstalten.

 

Die Paulskirche: Nicht mehr religiös genutzt, dafür große demokratische Tradition und 2013 Finalort einer ZEIT DEBATTE. © DCGF

Die Paulskirche: Nicht mehr religiös genutzt, dafür mit großer demokratische Tradition. Sie war 2013 Finalort einer ZEIT DEBATTE. © DCGF

Das im Rahmen der Facebook-Debatte vorgetragene Unbehagen mit der Berliner Ehrenjury und dem Ort des Finales stellt wohl eine vergleichbare Situation dar. Debattierer*innen, die sich nicht mit der mehrheitlich in der Ehrenjury vertretenen und durch den Finalort verkörperten politischen Richtung identifizieren, fühlen eine Barriere für ihre Teilnahme. Das mag verschiedene Ursachen haben:

Teilnehmer*innen des Turniers bekommen das Gefühl, die Debattierszene erkläre mit ihrer Exposition beim Finale dieses Turniers eine Präferenz für eine bestimmte politische Strömung. Unvoreingenommene Zuschauende, für die das Berliner Finale den Erstkontakt mit dem Debattieren darstellt (und das sind ja gerade die Zuschauenden, die es zu erreichen gilt), bilden sich ihr Bild von der Debattierszene dann unter anderem auf Grundlage des Ortes, des Finalthemas und der Ehrengäste, das dann unter Umständen in Korrespondenz zu dieser Strömung steht. Die Teilnehmer*innen möchten aber nicht gleichsam in „Sippenhaft“ für diese politische Weltsicht genommen werden und betrachten ihre eigene abweichende Ansicht als zu wenig vertreten. Repräsentierende Räume und bekannte Gesichter auf Debattierveranstaltungen stehen eben nicht nur für sich, sondern in der Gesamtheit am Ende für die ganze Debattierszene und ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Präferenzen. Debattierer*innen, die in der szene-eigenen (politischen) Heterogenität einen Wert sehen, möchten diesen auch wiedergegeben sehen und Finalorte als Erkenntnis- und nicht Bekenntnisraum ( = Parteizentrale) begreifen.

 

Zweitens mögen sie den Eindruck erhalten, bei der Vergabe des Preises für die beste Einzelrede wäre nicht Chancengleichheit gewahrt. Bei in der Gesellschaft kontroversen und realen Fragestellungen, die typischerweise in Finals gestellt werden, könnten sie befürchten, Jurymitglieder mit dezidierten Weltsichten wären zugänglicher für Argumente einer der beiden Positionen in der Debatte als für die der anderen. Ob ein solcher Effekt tatsächlich stattfindet, ist schwer zu sagen. Entgegengewirkt werden kann dem möglichen Eindruck aber in jedem Fall durch eine politisch diverse Besetzung der Ehrenjury.

Zuletzt sind da die, die auch ein eigenes Interesse an unserer Überparteilichkeit haben: Die Sponsor*innen. Die verpflichten uns oft zu Überparteilichkeit, weil sie natürlich keine einzelne Veranstaltung, sondern einen Kontext fördern. Manche Sponsor*innen möchten wissen: Wer war in der Vergangenheit prominente Unterstützer*in des Debattierens? Könnten sie abgeschreckt werden, wenn sie bei einer einfachen Google-Recherche den Eindruck gewinnen, sie positionieren sich hier nicht nur politisch, d.h. dass sie für die freie Rede eintreten, sondern parteipolitisch?

 

Fazit

Die Diskussion um Politiker*innen in Finaljurys ist nicht neu – wir erinnern uns an die Diskussion auf der Achten Minute um das “Selfie” mit Julia Klöckner auf der ZEIT DEBATTE Mainz 2014. Neu ist die Intensität und die Schärfe der Auseinandersetzung.

Die erfolgreiche Einladung bekannter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bleibt weiterhin ein Erfolg des Berliner Organisationsteams und ein erstrebenswertes Ziel künftiger Organisator*innen.

Anzunehmen aber ist, dass sich in Berlin auch politisch neutrale Finalräume hätten finden lassen und dass es auch möglich gewesen wäre, zum Ausgleich eine exponierte Vertreter*in z. B. bürgerlich-konservativer Ansichten zusätzlich für die Ehrenjury zu gewinnen. Dass dies nicht geschehen ist, deutet darauf hin, dass die Bedeutung von Finalräumen und Ehrengästen als Barrieren bisher kaum thematisiert wurden. Wir sollten also, statt persönliche Animositäten oder Präferenzen zu bedienen, einen sachlichen Diskurs führen, wie wichtig es uns als Szene ist, unsere Überparteilichkeit und Barrierefreiheit bezüglich verschiedener Hintergründe und Expositionen nach außen zu kommunizieren.

Die Früchte eines solchen Diskurses werden jetzigen und folgenden VDCH-Vorständen und Turnierausrichter*innen die Möglichkeit geben, aus vergangenen Kommunikationsdefiziten zu lernen, für die Frage sensibler als bisher zu werden und so ein diverseres und inklusiveres Debattieren auch mit der ZEIT DEBATTEN-Serie proaktiv zu bewirken.

Dazu gehört aber auch ein Klima, das es einem Vorstand und einem Organisationskollegium zugesteht, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen, statt zu verlangen, dass diese Ehrenamtlichen, die viel Zeit für ein tolles Turnier opfern, alles sofort und immer auf dem Schirm haben. Man könnte das Ziel eines solchen Diskurses also als Schaffung von “awareness” – Risiko-Bewusstsein – zusammenfassen.

Mittwochs-Feature

Ruwen Fritsche, Alexander Osterkorn und Sebastian Schwab gehören dem Vorstand des Debattierclubs Georgia Augusta e.V. in Göttingen an – im Artikel äußern sie sich jedoch als Mitglieder der Debattierszene, nicht als Göttinger Vorstand. Ruwen und Sebastian studieren Jura, Alexander studiert Physik und Mathematik. Sie waren gemeinsam Cheforganisatoren der ZEIT DEBATTE Göttingen 2015.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Ruwen Fritsche/Alexander Osterkorn/Sebastian Schwab/lok

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3 Kommentare zu “Auf der Suche nach Austausch III: Die richtige Mischung”

  1. Christian L. (MD) sagt:

    Ein ausgezeichneter Beitrag, der den Sachverhalt gut darlegt.
    Noch zwei Anmerkungen:
    – Praxis bei der Ehrenjury: Ich unterstelle einmal jedem betroffenen Debattierclub, dass er versucht Politiker aller relevanten Parteien einzuladen, da so auch der Promi-Faktor erhöht wird. In einem Turnierorganisationsseminar des VDCH bekommt man beigebracht, dass man in Wahlzeiten alle Kandidaten einladen sollte, um die Aufmerksamkeit der Presse zu bekommen. Allerdings nehmen nicht alle Politiker diese Einladung an, sei es aus terminlichen oder persönlichen Gründen. Ebenso kann das bei Personen öffentlichen Lebens der Fall sein, dass sie die Teilnahme an der Ehrenjury nicht reizt. Nicht jeder Debattierclub verfügt über ein gewisses Standing und kann auf langjährige Kontakte zurückgreifen. Wenn sich bei der Ehrenjury, aufgrund von Absagen, sich nur eine politische Tendenz widerspiegelt, dann ist es schade. Man musss hier aber abwägen, ob man eine gute, prominente Ehrenjury hat und sich die ZEIT darüber freut oder wegen einer Quote Probleme hat sie zu füllen.

    Trennlinie zwischen Parteien und Stiftungen:
    In der Deutschland gibt es ja über ein Dutzend politische Stiftungswerke, die politischen, weltanschaulichen oder religiösen Organisationen nahestehen. Ich würde jetzt fragen wollen, ob der VDCH oder seine Glieder auf die Räumlichkeiten oder inhaltlichen Angebote zu verzichten haben, damit sie überparteilich wahrgenommen werden können. So bliebe einzig die Studienstiftung des deutschen Volkes übrig.

  2. Peter G. sagt:

    @Christian: Es gibt nun durchaus dutzende weitere unpolitische Stiftungen. Zu nennen wäre hier bspw. die Karl-Schlecht-Stiftung, welche ja auch unser Bildungspartner ist. Das beantwortet zwar deine Frage nicht, sei aber mal als Hinweis angemerkt.

  3. Robert P aus P sagt:

    Gabriele Krone-Schmalz dem linken Lager zuzuordnen mit der Begründung, dass Menschen aus dem linken Lager ihren Ausführungen zustimmen finde ich ziemlich fraglich, da sie mit ihren Auftreten und Annahmen auch viel Zustimmung aus dem rechten Lager (AfD und Pegida) erhält, dazu reicht es die Russlandflagen auf der Pegida Demo zu zählen und das mit den Russlandflaggen auf linken Demonstatrionen zu vergleichen. Als ich ihren Namen gelesen habe, muss ich mich schon sehr zusammenreißen, aber ich wäre sicher nie auf die Idee gekommen diese Frau im linken Lager zu verorten. Auch, weil ihre Äußerungen und Bücher gerade aus dem linken Lager kritisiert werden (und weniger aus dem rechts-konservativen).

    Unterm Strich bleibt also ein im linken Lager verorteter Politiker und das bezeichnet ihr als „mehrheitlich in der Ehrenjury vertretenen[e] […] Richtung“. Das finde ich sehr befremdlich (bzw. mathematisch falsch).
    Das Problem zeigte sich schon in der Facebook-Diskussion, mangelnde Kenntnis über die politische Rechts-links-Achse führt zu einer sachlich falschen Kritik. Anfangs wurde noch behauptet alle Ehrenjurymitglieder seien SPD-nah, daraus wurde dann alle sein links, inzwischen sind nur noch zwei links und in Wirklichkeit steht nur einer für das linke Lager. Wenn es nun ein Problem ist, dass ein linker Politiker eingeladen wird, widerspricht das eigentlich dem Tenor des Artikels.

    Zu guter Letzt finde ich die Trennung an politischen Lagern etwas willkürlich, was folgt denn daraus in Zukunft? Es gibt ja derzeit nur eine relevante Partei, die rechts der Mitte steht. Darf in Zukunft nur einer aus Linkspartei, Grüne, SPD eingeladen werden und dann einer aus der CDU? Also muss sich rot-rot-grün den Platz teilen? Da finde ich eine Grenzziehung an Parteien deutlich fairer, auch da sowohl die SPD, als auch die Grünen, am Medianwähler tanzen und gar nicht immer so klar links einzuordnen sind, aber das würde wieder zu dem Punkt der mangelnden Kenntnis der Rechts-links-Skala führen (die gerade wegen ihrer Eindimensionalität ein fragwürdiges Messinstrument ist).

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