Der Trend geht zur Nachwuchsförderung
Liebes VDCH-Land! Ich möchte heute eine Idee diskutieren, die mir kam, als ich mir Gedanken zu einem Problem machte, das vielleicht einige von euch genauso in ihrem Club gerade auch erleben… doch von vorne:
Im Januar begann ich, in Tübingen zu debattieren. Vielleicht mit einem unüblichen Einstieg – ich wurde gefragt, weil extrem kurzfristig ein benötigter Juror abgesprungen war und ich als ahnungsloser Neuling zumindest präsidieren könnte. So lernte ich auf der ZEIT Debatte Hamburg das Debattieren kennen. Weil ich gerne rede, weil man nette und interessante Leute kennenlernt und weil es Spaß macht bin ich dann auch dabei geblieben, habe Bücher gelesen, jeden Clubabend mitgeredet, Juriererfahrung gesammelt und seitdem nahezu kein Turnier ausgelassen. Aber damit bin ich eine Ausnahme. Viele der Leute, die mit oder sogar vor mir angefangen haben, zu debattieren, waren in ihrem ersten Jahr auf vielleicht einem Turnier. Vielleicht auch auf keinem.
Das hat mich doch sehr verwundert, wo doch gerade die Turniere eine der Säulen des Debattierens, wie wir es kennen, sind. Aber woran liegt diese geringe Beteiligung? In Tübingen sind wir gerade in einer Phase des Generationenwechsels und meistens hat der Erfahrenste in der Runde gerade mal zweieinhalb Jahre debattiert. Für Turnierfahrten sind Plätze verfügbar, wer möchte kann normalerweise auch mitfahren – nur der wünschenswerte Andrang bleibt aus. Nach einigen Erkundigungen kam ich zu drei Gründen, die gerade neue Debattanten von Turnieren abschrecken:
1. Distanz: Kaum jemand kann sich vorstellen, „einfach so“ mal eben von Tübingen nach Berlin oder auch nur nach Marburg zu fahren, nur um zu reden. Was sollte da so groß anders sein als im Clubabend?
2. Kosten: 40€ für ein Debattierturnier zahlen? Zuzüglich der Fahrtkosten, die meistens noch höher sind, für ein Wochenende? Das ist viel für einfache Studenten, vor allem, wenn man sich nichts darunter vorstellen kann.
3. Unsicherheit: Viele Neulinge machen sich Sorgen, für ein großes Turnier einfach zu unerfahren zu sein. Entweder sie ziehen erfahrene Clubmitglieder runter, oder sie starten in einem Team, das ohnehin keine Siegchancen hat. Nur mit „Dabei sein ist alles!“ als Motivation bleibt ein Großteil dann doch lieber 100€ reicher und ein Wochenende mehr zuhause.
Ausgehend von diesen Gründen möchte ich hier folgende Thesen vorstellen:
Punkt 1. und 2. gehen meist damit einher, dass Anfänger oft einfach keine Vorstellung davon haben, wie ein Turnier sein kann. Wenn die neuen Debattanten erst einmal auf einem Turnier sind, sehen sie, wie sehr sich ein Turnier von einem Clubabend unterscheidet – man lernt neue Leute kennen, man debattiert mehrere Runden hintereinander, man kann Feedback direkt umsetzen, es gibt eine großartige Party, und auch, wenn man nicht breakt, kann man im Finale doch meist als Zuschauer etwas lernen und Spaß haben. Trotzdem müssen vorher natürlich erst einmal die Hemmungen überwunden, die Sorgen beschwichtigt werden. Wie also kann man den Stein ins Rollen bringen und den Teufelskreis durchbrechen?
Die Antwort für uns lautete: Mit einem Einsteigerturnier, am besten in der Nähe! Durch sinnvolle Teilnahmekriterien können neue Debattanten unter sich um einen realistischen Sieg kämpfen, Feedback mitnehmen, erste Debattiererfahrung austauschen, Freunde finden und Turnierluft schnuppern. Gerade eintägige Turniere können dabei auch sehr kostengünstig ausgerichtet werden: Beim Frischlingscup, der als Experiment zu diesen Gedanken diente, kamen wir mit 5€/Person aus, möglich durch geschickte Planung und lokales Sponsoring – aber selbst 10€ Teilnahmegebühr sehen doch schon viel freundlicher aus. Crash ist bei eintägigen Turnieren auch nicht unbedingt notwendig, je nach anreisenden Clubs und Distanz kann man hier ja gezielt aushelfen ohne ihn pauschal zusichern zu müssen. Um noch kurz beim Frischlingscup zu verweilen: Tatsächlich war das Interesse der Anfänger sehr groß. Plötzlich meldeten sich über zwei Teams, fast alle unsere neuen Debattanten, zur Teilnahme. Doch auch aus den übrigen Clubs kam großes Interesse – so kamen unter anderem sogar vier Gäste aus dem fernen Wien dazu! Unmittelbar nach dem Turnier wurde im Club dann auch nach weiteren Turnieren gefragt und in der nächsten Saison werden unsere Turnierplätze wohl wieder heiß begehrt sein.
Diese Erfahrung macht vor allem eines deutlich: Der Bedarf nach Anfängerturnieren ist in einer Zeit, in der auf den FDL-Turnieren und Meisterschaften überwiegend sehr starke Teams antreten, mehr denn je vorhanden. Wollen wir den Nachwuchs also wirklich für das Debattieren begeistern, dann sollte das Augenmerk der Clubs sich verstärkt hierauf richten. Tatsächlich gibt es in einigen größeren Clubs auch schon ähnliche kleine Turniere, allerdings meist nur intern oder nicht groß kommuniziert und mit völlig unterschiedlichen Kriterien. Nach einigen Gesprächen mit verschiedenen Leuten aus der Szene, möchten Florian Umscheid und ich daher anregen, eine Einsteigerliga zu gründen!
Die Einsteigerliga wäre eine eigene Turnierklassifizierung (keine Meisterschaft) im VDCH-Land, die angehende Debattanten ein Jahr lang die Möglichkeit bietet, erste Erfahrungen und Erfolge zu sammeln. Im Gegensatz zu herkömmlichen Anfängerturnieren liegt der Vorteil in einheitlichen Teilnahmekriterien und darin, dass sich eine Teilnahme auf mehreren Turnieren nicht ausschließt.
Ich schlage folgende Turnierkriterien vor:
Jede/r Teilnehmer/in…
… hat vor maximal einem Jahr mit dem Hochschuldebattieren begonnen.
… hat auf maximal zwei nicht-Einsteigerligaturnieren geredet.
… hat noch kein Hochschuldebattierturnier gewonnen.
Was folgt daraus: Jeder Neuling kann in seinem ersten Debattierjahr so viele Einsteigerturniere besuchen, wie die Liga zu bieten hat – es sei denn natürlich, er gewinnt eines davon. Das bedeutet für die meisten Leute, dass sie zwei Semester lang als Einsteiger unter sich Erfahrung sammeln können – gleichzeitig können sie auch in zwei größere Turniere reinschauen, ohne sich dadurch etwas zu verbauen. Dadurch, dass die Sieger eines Turniers auch auf dem nächsten nicht mehr teilnehmen, gibt es auf jedem Turnier eine neue Motivation, den Sieg zu erringen, und es wird verhindert, dass ein Team die Saison dominiert.
Die Liga selbst sollte meiner Meinung nach, anders als die FDL, kein Rankingsystem im Sinne einer Meisterschaft oder Ähnliches beinhalten – das mag auf den ersten Blick reizvoll erscheinen, birgt aber potentiell wieder Abschreckungspotential für die Einsteiger, um die es auf den Turnieren eigentlich gehen sollte. Die Teilnahme an Turnieren sollte allen Clubs und – falls von den Ausrichtern her möglich – auch gemischten Teams oder sogar Einzelpersonen möglich sein, so könnten sich dann z.B. auch kleinere Clubs mit weniger Nachwuchs zusammenschließen. Wer über die Klassifizierung der Turniere entscheiden soll, ist offen. Vermutlich können die Clubs selbst entscheiden, ob sie diese Kriterien anwenden und ihr Turnier somit als Teil der Liga klassifizieren möchten. Vielleicht wäre aber auch etwas Formelleres sinnvoll, ein Komitee oder Ähnliches, das aktiv versucht, mehr Clubs für die Ausrichtung zu begeistern und kleinere Clubs auf das Angebot aufmerksam zu machen – allerdings halte ich das für übertrieben, schließlich können die Clubs über den VDCH-Verteiler die Turniere selbst kommunizieren. Vielleicht könnte man die Regelhoheit der Turniere ja auch nach einem informellen Testjahr dem VDCH übertragen.
Auf jeden Fall ist es ein Projekt, das Flo und ich für die nächste Saison einplanen, und seitens Tübingen sind zwei Turniere der Ligakriterien bereits fest geplant. Neben dem Frischlingscup wird es am 23. November noch ein Einsteigerturnier geben – der Streitkultur Cup findet natürlich nach wie vor weiterhin statt. Alles weitere… liegt an den Clubs! Ich würde mich freuen, wenn ihr die Idee der Einsteigerliga hier und auch auf der diesjährigen VDCH-MV mitdiskutieren und unterstützen würdet!
Lennart Lokstein ist Vorsitzender von Streitkultur e.V. und studiert Allgemeine Rhetorik und Philosophie in Tübingen.
Text: Lennart Lokstein/fpu
Ich kann nur sagen, dass ich es bemerkenswert und bewundernd finde, dass immer mehr Clubs Anfänger-Möglichkeiten anbieten. In Mainz hat unser gerade ausgeschiedener Vorstand ein hervoragendes Turnier ins Leben gerufen, Tübingen, Berlin und und und fangen auch an weiter solche Turniere zu organisieren. Gleichzeitig haben Hybrid-Formate jahrelange Tradition. Nicht jeder hat unverschämtes Glück im Debattieren und wird von Anfang an gefördert – sei es von der Szene selbst oder vom heimatlichen Club. Es gibt leider auch verhältnismäßige wenige Redner die systematisch junge Debattierer fördern. (Noch) handelt es sich dabei um Einzelphänomene. Hinzu kommt, dass auch nicht alle Clubs die Kapazitäten haben Anfängerföderung strukturell zu gestalten. Ich kann zu Eurem Vorschlag drei Dinge sagen: Ja, Ja und verdammt nochmal Ja!
Anfängerförderung ist gut. Aber woher kommt der zusätzliche Anreiz für die potentiellen Ausrichter-Clubs? Was ändert diese Liga?
Grundsätzlich finde ich die Idee von Anfänger-Turnieren gut und sinnvoll. Jedoch halte ich reine Anfängerturniere nicht unbedingt für die beste Idee, da man meiner Erfahrung nach als Anfänger am meisten lernt, wenn man einen erfahrenen Teampartner hat, der einen mitzieht und in der Lage ist die Vorbereitungszeit zu organisieren. Zwei Leute die keine Ahnung vom Debattieren haben lernen viel schneller worauf es bei einem Turnieren ankommt, wenn sie einen im Team haben, der Ihnen zeigt worauf es ankommt, so halte ich z.B. die sinnvolle Einteilung der Vorbereitungszeit für eine elementare Sache die einem eigentlich nur von Erfahrenen in Turnier/Seminarsituationen vermittelt werden kann.
Daher empfinde ich Anfängerturniere, bei denen die Anfängerregelung nur 1-2 Anfänger pro Team vorsieht für sinnvoller. Als zusätzlicher Bonus können diese Turniere natürlich zur Überwindung der Hemmschwelle sehr nützlich sein.
Lieber Jonas, deswegen ist es ja so toll was derzeit so passiert! Wir haben alle möglichen Formen von Anfängerturnieren: In Berlin gibt ein Anfängerturnier in dem Anfänger mit Fortgeschrittenen antreten dürfen, in Tübingen gibt es das gleiche nur mit 2 Fortgeschrittenen und zusätzlich ein reines Anfängerturnier. In Mainz und Münster gibt es ähnliche Situationen. Wir in Mainz haben die Erfahrung gemacht (und hier muss ich sagen, musste ich auch erst überzeugt werden) dass Anfänger vll mal alleine sich ganz anders und besser schlagen. So traut man sich vll nicht mit Erfahrenen seine Ideen in aller Form in der Vorbereitungszeit mit auf de Weg zu geben, obwohl es komplett legitim wäre. Ich glaube es gibt unterschiedliche Hemmschwellen, die gerade unterschiedlich angegangen werden!
Gute Analyse, Lennart, vielen Dank..
Ich glaube auch, dass gerade lokale Anfängerturniere den von 1. bis 3. geschilderten Abschreckungsfaktoren abhelfen können.
Ach ja, Anmeldungen fürs Vienna Freshers‘ 2013 im November nehmen wir immer gerne entgegen! (BPS auf Englisch, 8. bis 9. November) 🙂
Zur Ergänzung des Artikels:
Wir haben auf der VDCH-MV die Kriterien noch leicht editiert: Man darf nun ein Einsteigerligaturnier (aber kein anderes Hochschuldebattierturnier) gewinnen, erst ab dem zweiten Sieg ist man nicht mehr startberechtigt.
Der Hintergrund ist, dass man manchmal einfach durch etwas Glück („mein“ Thema, Blackout der anderen Seite, etc.) gewinnen kann. Der erste Sieg verbaut einem hier in diesem Fall nichts, sollte man aber auch auf einem zweiten gewinnen, dann ist man sicher groß genug, für die restliche Welt der Debattierturniere.
Sehr gefreut hat mich, dass wir nun bereits vier feste Einsteigerturniere mit den Ligakriterien angekündigt bekommen haben: Ein Einsteigerturnier in Tübingen am 23.11., der Schröter-Cup in Berlin am 30.11., ein noch undatiertes Turnier in Mainz und den Frischlingscup in Tübingen, voraussichtlich am 17.05.2014!
Und noch als persönlicher Kommentar:
Vienna Freshers‘ finde ich super, allerdings kollidieren die bei uns terminlich mit der Europadebatte, sonst würden wir euch da vermutlich besuchen. :/
Turnierankündigung seitens Tübingen kommt Ende September – kurz vorweg gesagt sei nur, dass wir leider keine andere Möglichkeit haben, als das Turnier parallel zur ZEIT Debatte Frankfurt abzuhalten. Die Planung lief bereits, da rechnete noch niemand auch nur damit, dass Frankfurt auch nur ausrichten würde. Wir denken aber, dass das für die Teilnahme an sich kein Problem ist – die Zielgruppen sind ja völlig verschiedene. Für erfahrene Juroren werden wir auch verstärkt aus den Reihen unserer Alumni sorgen, so dass die Qualität hier auch gewährleistet sein wird, wenn die externen Teams von unerfahrenen oder keinen Juroren begleitet werden, weil deren Veteranen in Frankfurt reden. Wir hoffen, dass beide Turniere gut besucht werden! 🙂