WUDC Countdown 7: Die Kraft des Widerspruchs
Der Countdown läuft: Noch sieben Tage bis zur Eröffnung der World Universities Debating Championship in Berlin. Während über 800 Redner, 300 Juroren und 200 Volunteers aus allen Teilen der Welt in den nächsten Tagen ihren Weg nach Berlin suchen, begleitet die Achte Minute den Cowntdown mit Vorberichten der Weltmeisterschaft. Den Countdown beginnen wir mit einem Text von Matthias Winkelmann, der in dieser Woche in einer ganzseitigen Anzeige in der ZEIT erschien. Darin breitet er den Slogan der Worlds „Die Kraft des Widerspruchs“ aus und legt die programmatischen Grundlagen für das größte Debattierturnier der Welt.
Die Kraft des Widerspruchs
Widerspruch ist gefährlich! Er ist gefährlich für die, die ihn wagen: Der Widersprechende wird marginalisiert und pathologisiert, nicht mehr eingeladen und gelegentlich totgeschlagen. Er ist gefährlich für den Status quo: Für die herrschende Meinung, für die bequeme Ideologie, für die einfache Antwort.
Widerspruch wird unterdrückt, aber nie ausgemerzt. Von Tiananmen bis Tahrir, von der Bastille bis zum Bendlerblock: Widerspruch ist Massenphänomen oder einsam, er ist laut oder stumm; er ist das Nein der Soldatin und das Jahrzehnt des arabischen Frühlings. Erfolgreich oder gescheitert, nie ist er vergebens. Die den Widerspruch wagen, verändern sich und ihre Gesellschaften. Sie nehmen die ihnen verweigerte Freiheit und gewinnen die Würde und das Glück, selbstbestimmter Herr ihres Schicksals zu sein. Die Kraft ihres Widerspruchs ermutigt die Zögerlichen, lässt Befehlsempfänger denken und Mitläufer stolpern.
In der Lotterie der Geburt fiel uns das Glück zu, in einer Gesellschaft der Freiheit und einer Staatengemeinschaft des Friedens zu leben. Diese historische Ausnahmesituation verlangt es von uns, die auf diesem steinigen Pfad gewonnene Erfahrung zu vermitteln und die reifen Früchte, die uns am Ende des Pfades erwarteten, zu teilen. Mühsal und Rückschlag dürfen nicht zermürben, sondern sind zu erwarten, wenn man den endlos erscheinenden Kampf für den gerechten Widerspruch aufnimmt. Sie dürfen auch nicht vergessen lassen, welche Triumphe wir bereits errangen: Ein demokratisches Osteuropa und ein friedlicher Balkan. Südafrika als Regenbogennation vereint in Wahrheit und Versöhnung und Asien als Kontinent von Halbleiter und Mittelschicht.
Jenseits unserer moralischen Verantwortung ist unser Schicksal in einer interdependenten Welt, in der Kohle und Kohlendioxid, SARS und seltene Erden Ländergrenzen mühelos überwinden, abhängig vom Recht auf Widerspruch auch in den BRICS, PIGS und -stans. Jedes Land freier Bürger ist zusätzlicher Partner im demokratischen Frieden. Jeder Markt freier Innovation eröffnet unserer Wirtschaft Chancen und gibt uns neue Produkte. Jeder Kokabauer, der Kaffee anbaut und jeder Gotteskrieger, der mit moderater Feder Gehör findet, erhöht unsere Sicherheit. Und auch wenn wir Freiheit als Recht a priori postulieren, legitimieren wir dieses Recht, in dem wir seine Allgemeingültigkeit demonstrieren: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, wenn eine Pakistanerin das Kopftuch abnehmen will. Unsere Werte triumphieren, wenn sie es darf.
Aber Widerspruch ist notwendiger Mechanismus auch unserer westlichen Demokratien. Gesellschaften und Ökonomien des Wissens leben von der nächsten Idee. Diese Idee kann nur als Antithese zum Bekannten geboren werden und muss in der Auseinandersetzung mit ihrer Kritik die notwendige Schärfe gewinnen.
Unsere Wirtschaft kennt den Widerspruch als kreative Zerstörung. Altes wird durch Besseres ersetzt. Strukturen, die den Widerspruch nicht als Mittel des Überlebens verinnerlichen, werden vom Wettbewerb zersetzt und vom Markt verdaut.
Unsere Wissenschaft erhebt den Widerspruch, den Gegenbeweis, die Falsifikation zum letztgültigen Werkzeug. Wenn Galileo Galilei noch in Todesgefahr raunte „und sie bewegt sich doch“, oder Alfred Wegener Gleiches über massive Kontinentalplatten behauptete, riskierten sie Verachtung, Verfolgung und Verspottung. Aber wie die Erde lebt auch die Wissenschaft von der permanenten Revolution, dem nächsten Paradigma.
Unsere Demokratie entfaltet nur im ewigen, oft mühsamen Diskurs ihre Fähigkeit zur Integration. Allein die stete Bewegung auf dem Schwebebalken des Interessensausgleichs
ermöglicht den Balanceakt, 82 Millionen Individuen zu überzeugen, einen Gesellschaftsvertrag zu akzeptieren, den sie nie unterzeichneten. Die Gemeinschaft verortet sich in der Auseinandersetzung miteinander. Sie driftet jedoch auseinander, wenn Personalisierungsfilter Meinungsoasen speisen und private Einkaufszentren und Flughäfen dem freien Marktplatz der Ideen des öffentlichen Raumes entzogen werden sollen. Auch wo Widerspruch legal ist, müssen wir Jede befähigen, diese schärfste Klinge der Demokratie mit leichter Hand zu führen. Der Widerspruch, der unfähig ist, sich artizukulieren, findet Ausdruck im Widerstand: Als brennendes Auto, dumpfer Onlinekommentar oder schlecht verlötete Rohrbombe.
Weil die Welt ihn verlangt und weil wir ihn brauchen zelebrieren die Berlin Debating Union e. V. und über hundert ehrenamtliche Helfer aus ganz Deutschland den konstruktiven Widerspruch durch die Ausrichtung der 33. Weltmeisterschaft im studentischen Debattieren vom 27. Dezember bis 3. Januar.
Beim kompetitiven Debattieren treten Zweierteams gegeneinander an und streiten nach festen Regeln, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert an traditionsreichen britischen Universitäten haben. Das Thema der Debatte wird erst 15 Minuten vor Beginn verkündet, die Positionen werden zugelost und jede Debattiererin vertritt ihre Seite in einer siebenminütigen Rede. Eine erfahrene Jury bewertet die Debatte anhand der Überzeugungskraft der vorgetragenen Argumente und kürt so ein Siegerteam.
Die kurze Vorbereitungszeit zwingt die Debattierer zur umfassenden Vorbildung, um beide Seiten jeder entscheidenden politischen, kulturellen oder moralischen Debatte unserer Zeit überzeugend vertreten zu können. Durch das Zulosen der Positionen agieren die Redner als Anwälte einer nicht notwendigerweise von ihnen geteilten Sichtweise. So durchdenken sie auch ungewohnte Argumentationslinien und erkennen die Legitimität der Gegenmeinung. Das Vertreten einer oft fremden Meinung befreit von der Last, Opposition als Angriff auf die eigene Persönlichkeit wahrzunehmen und ihr aggressiv zu begegnen. Reflexion und kritisches Denken werden beim Debattieren ebenso geschult wie Bewusstsein für Sprache und Kultur. Die begrenzte Redezeit erfordert es, seine Argumente pointiert und verständlich, nicht jedoch unzulässig simplifiziert zu formulieren.
Wenn afghanische Studentinnen mit amerikanischen debattieren, wenn muslimische Redner auf jüdische treffen, wird kulturelle Vielfalt vom Hindernis zur Bereicherung. Die Zukunft der Energieversorgung und Perspektiven der Arbeit, die Moral der Sterbehilfe und die Sicherung des Friedens: Ein vielfältiges Starterfeld debattiert eine umfassende Auswahl der bedeutenden Themen unserer Zeit.
Die Berlin Debating Union e. V. wird Gastgeberin sein für eine neue internationale Gemeinschaft, die mehr verbindet als das sie trennt; die nicht zögert, schwierigen Fragen mit komplexen Antworten zu begegnen und die fähig ist, diese komplexen Antworten überzeugend zu vertreten. Diese Gemeinschaft darf genau so wenig exklusiv sein, wie es die Fragen sind, denen sie sich stellt.
Deshalb initiertierten wir ein neues Stipendienprogramm, das auch den klügsten Köpfen aus den ärmsten Ländern die Teilnahme ermöglicht. Viele unserer Gäste werden erstmals den Schnee spüren – manche erstmals die Freiheit. In Begegnungen mit unserer Kultur und Ausflügen an Orte unserer Geschichte wollen wir sie begeistern für den Weg, den wir wählten. In umfrangreichen Seminaren werden wir ihnen die Werkzeuge vermitteln, diese Begeisterung auch in ihre Heimat zu tragen.
Hier in Berlin, hier in Deutschland entsteht an über 50 Debattierklubs an fast jeder Universität eine Generation denkender Menschen, die die Herausforderungen dieser Zeit annimmt. Vielleicht entspringt ihr der bessere Talkshow-Moderator oder der bessere Politiker. Sicher jedoch schaffen wir die bessere Öffentlichkeit, die einen besseren Diskurs verlangt. Eine Generation, für die „komplex“ auch nur Latein für „zusammengesetzt“ ist, und die den zehn-Wort-Slogan ablehnt, wenn es des 1000-Wort-Arguments bedarf.
Hier in Berlin, einer Stadt geprägt von ihrer Geschichte und definiert durch Widersprüche; hier in Deutschland, einem Land geteilt in der Schuld und vereint in der Freiheit, sind wir Gastgeber für die nächste Generation von Demokratinnen und Demokratien und befähigen sie zur Perestroika, zur Revolution mit Mikrophon und Feder.
Werden Sie unser Gast und besuchen Sie das öffentliche Finale. Erleben Sie die überzeugendsten jungen Redner der Welt, die vier besten von 400 Teams. Erleben Sie selbst Die Kraft des Widerspruchs.
Werden Sie Gastgeber und teilen Sie unser Abenteuer mit einer Spende. Eine freie und offene Gesellschaft lebt von Voraussetzungen, die der Staat allein nicht schaffen und verteidigen kann. Sie lebt von der selbstlosen Bereitschaft engagierter Bürger, ein Feld zu bestellen, das allen zugänglich ist. Zivilisation ist, wenn greise Menschen Bäume pflanzen, deren Frucht sie nie ernten werden. Pflanzen Sie dieses Weihnachten
Die Kraft des Widerspruchs.
Für das Team der WUDC Berlin 2013, Matthias Winkelmann /pst.
Die World Universities Debating Championship (WUDC oder Worlds) sind das größte Debattierturnier des Welt und finden vom 27. Dezember 2012 bis 4. Januar 2013 in Berlin statt. 400 Teams werden dort um den Titel des Weltmeisters streiten, 1400 Gäste erwartet die ausrichtende Berlin Debating Union dazu aus 82 Ländern. In 2011 fand die Weltmeisterschaft in Manila, Philippinen statt, seit 1981 wird sie jährlich um den Jahreswechsel ausgetragen, seit 1996 immer im British Parliamentary Style. Mehr Informationen unter www.wudcberlin.com.
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