„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!“ – Ein Einblick in die Westdeutsche Meisterschaft
In der „Streitkulturhauptstadt 2010“ Dortmund wurde vergangenes Wochenende der neue oder auch alte Westdeutsche Debattiermeister gesucht. Bei strahlendstem Wetter kämpften die teilnehmenden Teams im „Strickpulligebäude“ (Aussage der Ausrichter – es handelte sich um das Gebäude der Geisteswissenschaften auf dem Campus der Technischen Uni, folglich gab es auch Mädchenklos) um den Titel. Altgediente Veteranen und junge Hüpfer aus Aachen, Bonn, Köln, Mainz, Marburg, Münster, Oestrich-Winkel und Wuppertal rangen um den Sieg, zu dem es als Dreingabe zwar dieses Jahr keinen dekorativen ZEIT-DEBATTEN-Pokal, aber immerhin Dortmunder Schokolade und einen zusätzlichen Startplatz für die Deutsche Meisterschaft gab.
Debado, der Dortmunder Debattierclub, der erstmals in seiner siebenjährigen Geschichte als Ausrichter auftrat, machte von Anfang an eine ausgesprochen gute Figur. Die meisten Teilnehmer hatten am Samstag zu unchristlichen Zeiten aufstehen müssen und waren dankbar, direkt zum Campus kommen zu können, ohne den Umweg über die Jugendherberge machen zu müssen. Die Dortmunder brachten das Gepäck der Teilnehmer auf deren Zimmer und bezogen netterweise auch gleich alle Betten mit. Da Debado unter anderem Rewe als Sponsor gewonnen hatten, mangelte es auch nicht am leiblichen Wohl – dankbar wurde von den Teilnehmern Punica-Saft als Ergänzung zu Wasser, Kaffee und Apfelschorle entgegen genommen. Nach dem Finale wurde der Club von den zufriedenen Teilnehmern mit Standing Ovations bedacht. Die Chefjuroren, zuständig für die inhaltliche Gestaltung des Turniers, waren dagegen keine Debüttanten: Mit Tim Richter und Gudrun Lux zeichneten zwei bekannte Gesichter für die Inhalte der Westdeutschen Meisterschaft verantwortlich.
Da die Regios dieses Mal insgesamt 16 Teams plus Juroren Platz boten, war die Teilnehmerzahl überschaubar und erlaubte, schnell miteinander vertraut zu werden. Wer sich in den Debatte-nach-der-Debatte-Gesprächen nicht näher gekommen war, konnte das abends im Partyraum der Katholischen Hochschulgemeinde tun, wo unter anderem clubübergreifend leidenschaftlich Tischfußball gezockt wurde. Zu später Stunde gab es dort auch die lang ersehnte Break-Verkündung. Natürlich wurden zunächst die Breaks der anderen Regios bekannt gegeben. Seitens der Region-West-Clubs brandete begeisterer Szenenapplaus für befreundete und/oder benachbarte Clubs auf, die sich in den drei anderen Regionen durchgesetzt hatten.
Im Team- und Einzelredner-Break der Region West selbst waren sowohl die üblichen Verdächtigen als auch Überraschung gelistet. Mit jeweils zwei Teams hatten sich Bonn, Mainz und Köln ins Halbfinale durchgekämpft, Münster und Marburg komplettierten mit jeweils einem Team. Zur Frage, ob man die Kopfpauschale im Gesundheitswesen brauche, saßen sich sich am Sonntagmorgen in einem Raum Mainz/Münster in der Regierung und Mainz/Köln in der Opposition gegenüber. Hier siegte geschlossen die Opposition – für Mainz Daniil Pakhomenko und Andrea Gau sowie für Köln Assen Kochev und Tillman Schrammel. In Raum zwei debattierten Bonn/Köln in der Regierung und Marburg/Bonn in der Opposition. Ins Finale zogen Volker Tjaden und Yann Schweisgut-Montané für Bonn sowie Bianca Sterly und Sebastian Hagemann für Köln ein.
Das Finale wurde im Dortmunder Rathaus ausgetragen, einem modernen lichtdurchfluteten Gebäude. Die Bonner Volker Tjaden und sein Teampartner Yann Schweisgut-Montané formulierten als Regierung einen Antrag, den die Kölner Sebastian Hagemann und Bianca Sterly kritisierten. Schließende Regierung waren die Mainzer Andrea Gau und Daniil Pakhomenko, Schließende Opposition wiederum Köln: Assen Kochev und Tillman Schrammel. Während anschließend auf die Jury-Entscheidungen gewartet wurde, sang ein bezaubernder Gospelchor. Da nach dem Auftritt der Sänger jedoch weiterhin eine unbestimmet Zeitspanne zu überbrücken war, griff der Dortmunder Moderator Henning Blunck elegant in die Trickkiste und erfand die ungewöhnlichste Pausenüberbrückung seit Marcus Ewalds Stand-Up-Comedy-Einlage im Stuttgarter Finale: Nach dem Vorbild sensationslüsterner Sportjournalisten zitierte er die Finalteams nacheinander zum Interview zu sich nach vorne. Wer bislang geglaubt hatte, die Stilblüten abseits des Spielfeldes seien dem mangelnden Intellekt der Fußballer geschuldet, der irrte. Die klugen, rhetorisch begabten Debattierer standen den Größen der Fußball-Szene in nichts nach: Yann Schweisgut zauberte spontan, nach der Vorbereitungszeit befragt, eine Weisheit a la Sepp Herberger aus dem Hut („15 Minuten sind immer 15 Minuten!“), Sebastian Hagemann beeindruckte mit konkreten Aussagen („Wir hielten das grundsätzlich für eine prinzipielle Debatte“), und Andrea Gau vergaß bei der Frage, was man tue, wenn der Vorredner alle eigenen Punkte abgrase, den parlamentarischen Stil („Dann denkst du – Scheiße! und schreibst weiter“).
Dann endlich das Ergebnis: Yann Schweisgut-Montané wurde von der Ehrenjury (Dortmunds Bürgermeisterin Birgit Jöder, Prof. Dr. Metin Tola von der TU Dortmund, Michael Kohlstadt, Redaktionsleiter der WAZ-Redaktion, und Debado-Gründer Sören Blom) zum besten Finalredner gekürt.
Die Finaljury (Chefjuroren plus Marco Sterly, TH Köln, und Marcel Giersdorf, DCJG Mainz) hatte über die Frage zu entscheiden: Würden Bonn oder Mainz wiederholt Westdeutscher Meister oder nicht? Bei der Ergebnisverkündung dann Gewissheit: Es wurde ein Erstes Mal. Assen Kochev und Tillman Schrammel gewannen für Tilbury House Köln den Titel des Westdeutschen Meisters 2010.
Herzlichen Glückwunsch an die Sieger des Finales und vielen Dank an die Dortmunder Ausrichter! Möge es nicht das letzte Mal gewesen sein – denn Bianca Sterly brachte es in ihrem Interview auf den Punkt: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!“
Text: Sarah Kempf, DCJG Mainz
Bei der WDM 2010 hat Tilbury House Köln erstmals den Titel des Westdeutschen Meisters geholt. Assen Kochev und Tillman Schrammel zeigten aus Sicht der Jury als Schließende Opposition im Finale die beste Leistung gegen den Debattierclub Bonn (Eröffnende Regierung, Volker Tjaden und Yann Schweisgut), ein weiteres Team aus Köln (Eröffnende Opposition, Sebastian Hagemann und Bianca Sterly) und den DCJG Mainz (Schließende Regierung, Andrea Gau und Daniil Pakhomenko). Die Entscheidung lag bei den Chefjuroren der Westdeutschen Meisterschaft, Gudrun Lux und Tim Richter (beide DC Bonn), sowie den Juroren Marcel Giersdorf (DCJG Mainz) und Marco Sterly (TH Köln). Die Ehrenjury wählte Yann Schweisgut vom DC Bonn zum besten Finalredner.
Dies ist der zweite von vier Texten über die vier VDCH-Regionalmeisterschaften, die am vergangene Wochenende ausgetragen wurden. Artikel über die Norddeutsche sowie die Ost- und Mitteldeutsche Meisterschaft folgen, also bleibt dran, um zu sehen, wie andere „Euer“ Regio gesehen haben oder was auf den Regios los war, zu denen Ihr mangels der Gabe der Bi-, Tri- oder gar Quartupellokalität nicht fahren konntet!