Debattieren im Schaufenster Berlin – Rückblick auf das Einladungsturnier und Punkturnier 2011

Datum: 10. Januar 2011
Redakteur:
Kategorie: Themen, Turniere

Wenn man auf die Frage „Warum denn nun?“ die Antwort „Wenn Sie nach dem Warum fragen, dann ist das Anti-Intellektualismus!“ erhält, ist man vielleicht im ersten Moment verdutzt, aber man bekommt doch den Anschein, dass die Welt (im British Parliamentary Style, kurz BPS) nicht immer so ernst ist, wie man eigentlich glaubt. Von 7. bis 9. Januar fanden das Berliner Einladungsturnier und das Punkturnier statt. Beide Turniere konnten die Teilnehmern viel lehren und mit einigen Vorurteilen gegenüber dem BPS-Format aufräumen.

Beim Einladungsturnier, das am Freitag in den Räumen der „Hertie School of Governance“ in Berlin-Mitte stattfand, traten die 16 von der Berlin Debating Union (BDU) eingeladenen Teams zum Wettstreit gegeneinander an. So war selbst der amtierende Deutsche Meister Phillip Stiel mit im Boot, der überhaupt nur zufällig gerade zum Heimaturlaub aus den USA nach Deutschland gereist war.

Wild gestikulierende Juroren (v.l.n.r.): Simeon Reusch und die Chefjurorinnen Dessislava Kirova und Andrea Gau beim Berlin Punk. (Foto: Manuel Adams)

Am Ende schafften es Jena, Potsdam und Berlin, sowie ein gemischtes Team aus Magdeburg und Berlin ins Finale. Zu dem Thema „Dieses Haus fordert nach drei Straftaten Haft bis ans Lebensende“, erklärten Clemens Lechner und Moritz Niehaus aus Jena in der Eröffnenden Regierung, warum es nötig sei, dass Straftätern lebenslang ihre begangenen Strafen visuell sichtbar „angehaftet“ werden sollten – sie ein Leben lang wegzusperren sei eine absurde Idee. Sie konnten sich mit dieser Idee gegen die anderen Teams mit einer Split-Entscheidung, in der es 3 zu 2 stand, bei den Juroren durchsetzen – nicht zuletzt aufgrund genialer Zwischenrufe und eines charmanten Auftretens gegenüber dem Publikum: „Wer lässt sich denn schon drei Mal beim Kiffen erwischen!“ Damit wurde auch geklärt, dass man selbst eine BPS-Debatte gewinnen kann, wenn das Team in der Eröffnenden Regierung den Antrag nicht ganz so ernst und tiefschürfend nimmt.

Am nächsten Tag schloss sich das zweite Turnier an. Die Idee des Berliner Punkturniers war, dass Anfänger die Chance erhalten, sich rhetorisch und argumentativ auszuprobieren und zu messen, weswegen sich das Punkturnier auch bewusst an das Einladungsturnier anschloss. Gesagt, getan. 36 Teams aus ganz Deutschland debattierten fünf Vorrunden zu jeweils fünf Minuten Redezeit, Halbfinale und Finale mit jeweils sieben Minuten Redezeit, um einen Sieger zu ermitteln. Dabei zeigten die „Anfänger“ teils hervorragende Qualitäten, was Rhetorik und Argumentation betraf. Selbst sehr schwierige und abstrakte Themen ließen die Teilnehmer unbeeindruckt und brachten den einen oder anderen alten Hasen zum Staunen.

Ungewöhnlich wurde es für die Teilnehmer, die im Erdgeschoss ihre Debatte führen durften. In der theologischen Fakultät der Humboldt Universität Berlin durften die Redner hinter einer riesigen Glassfassade ihr Können unter Beweis stellen. So blieb der eine oder andere Passant stehen, um dem ungewöhnlichen Treiben der Studierenden zuzuschauen. Die Redner in den oberen Stockwerken durften dafür die herrliche Aussicht über das Museen-Viertel Berlins genießen, in dem sich unter anderem die Nationalgalerie vor den Augen der Redner erstreckte.

Die Finaldebatte vor großer Aussicht (v.l.n.r.): Julian Schneider, Johanna Mai, Robert Epple und Willy Witthaut. am Pult Silke Bode. (Foto: Manuel Adams)

Am Abend pilgerte man gemeinsam aus der theologischen Fakultät hinaus und entfloh der geistigen Hemisphäre, um dem weltlichen Treiben seine Aufmerksamkeit zu schenken. Der Berliner Debattierer Julian Ohm stellte großzügig seine WG zur Verfügung, um diese zu einer Partylocation umzufunktionieren. Das Schlafzimmer wurde zum Dancefloor, die Küche zum Raucherraum, das Wohnzimmer zur Chilloutzone und ein Flur zur Getränkebar. Bis morgens um halb sechs tanzten, redeten und feierten die Letzten, um drei Stunden später wieder fit der letzten Vorrunde und der Breakverkündung entgegenzufiebern.

Am Ende des Turniers sahen sich zwei Teams aus Münster und eines aus Frankfurt, sowie ein Team aus Potsdam im Finale. Zum Thema „Dieses Haus würde Menschen auch an Staaten ausliefern, in denen die Todesstrafe herrscht, sofern dort Rechtsstaatlichkeit herrscht“ hörte das Publikum eine Debatte, in der sich schließlich Münster mit Julian Schneider und Johanna Mai in der Schließenden Regierung durchsetzen konnte. Dabei betonte Andrea Gau, die zusammen mit Dessislava Kirova Chefjurorin des Turniers war, dass man auch mal den Mut haben müsse, unpopuläre Positionen zu vertreten. Da das Turnier sich zeitlich etwas verzögerte, waren die Gewinner während der Verkündung schon abgereist, die Menge jedoch applaudierte den Siegern lautstark über ein Handy zu.

Die Berliner schafften ein Wochenende mit großartigen Debatten, starken Jurorenpanels und boten vielen neuen Debattierern aus Deutschland eine Chance, sich auszuprobieren. Auch wenn sich ab und zu die Zeit verzögerte, die Freude am Turnier und am Reden war immer vorhanden!

Das Tab des Einladungsturniers und das Tab des Punkturniers stehen online zu Verfügung.

Willy Witthaut / vro / tr / glx / apf

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5 Kommentare zu “Debattieren im Schaufenster Berlin – Rückblick auf das Einladungsturnier und Punkturnier 2011”

  1. Jörn sagt:

    Die Tab-Links sind unvollständig.

  2. Gudrun Lux sagt:

    Vielen Dank für den Hinweis, Jörn. Ist jetzt korrigiert.

  3. Jana sagt:

    Moment-wir sind doch kein Münsteraner Team! Harold und Maude bitten um Korrektur 😉

  4. Andi sagt:

    „Zu dem Thema ‚Dieses Haus fordert nach drei Straftaten Haft bis ans Lebensende‘, erklärten Clemens Lechner und Moritz Niehaus aus Jena in der Eröffnenden Regierung, warum es nötig sei, dass Straftätern lebenslang ihre begangenen Strafen visuell sichtbar ‚angehaftet‘ werden sollten – sie ein Leben lang wegzusperren sei eine absurde Idee.“

    Wie kann man denn mit so einem üblen Squirrel eine Debatte gewinnen? Selbst wenn die anderen Teams nicht gut genug auf das Squirreln reagiert haben und der Sieg gerechtfertigt war, finde ich es unsportlich, ausgerechnet in einem Finale sowas zu machen. Das ist doch kein Karneval …

  5. Jan F. (Berlin) sagt:

    Stimmt, es hatte auch keiner eine Pappnase auf und der Rhein und die Karnevalsregionen Deutschlands sind weit weg von Berlin.
    Ich war anwesend und hab mich zwar über die Juryentscheidung gewundert, kann sie aber nachvollziehen.
    Und freue mich, dass Berlin keine spaßbefreite Zone ist auch wenn manchmal ‚was anderes behauptet wird.

Kommentare sind geschlossen.

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