Wer hat den längsten? Über den weiten Weg nach Greifswald zur ZEIT DEBATTE
“Na, wie lange warst du unterwegs?“ ist der Gesprächseinstieg schlechthin bei der ZEIT DEBATTE in Greifswald. In der Tat ist die Hansestadt am Bodden etwas abgelegen. Das hält aber rund 65 Debattiererinnen und Debattierer nicht davon ab, am vergangenen Wochenende an die Ostsee zu kommen. Der ein oder andere legt die weite Reise gar an zwei Tagen zurück – so mancher berichtet vom Zwischenstopp in Hamburg oder Berlin.
Bereits am frühen Freitagnachmittag trudeln dann die ersten Debattierer/innen in der Stadt am Meer ein und beginnen, die Hansestadt zu erkunden. Die Chefjuroren müssen zu dieser Zeit schon arbeiten – wenngleich sie nicht ganz vollzählig sind. Denn die weitere Reise lässt kaum zu, verlorene Zeit wieder aufzuholen. Wer verschläft, kommt zu spät. Vielleicht auch deutlich. Die große Enttäuschung des Freitagnachmittag: Bis zum Meer sind es zwar nur noch wenige Kilometer, aber um es pünktlich zu Abendessen, Regeleinführung und erster Vorrunde zu schaffen, muss ein Ausflug zum Meer erstmal verschoben werden. Den kürzesten Weg dieses Wochenendes werden wir allerdings die nächsten Tage nicht mehr schaffen, die letzten Kilometer bleiben wegen des strengen Zeitplans in Greifswald unüberwindlich.
Aber zurück zur Jugendherberge, mal sehen, wer schon da ist. Abendessenszeit, die Debattierer tummeln sich bereits im Speisesaal. Und von allen Tischen ist er zu hören, der Satz, der in den nächsten Tagen so viele Gespräche, Flirts und Smalltalks einleiten wird: “Na, wie lange warst du unterwegs hierher nach Greifswald?“ Einer der Chefjuroren erzählt von seiner Reise aus Oxford an den Bodden: Flug von London nach Hamburg, Weiterfahrt mit dem Zug, unterwegs seit mitten in der Nacht. Doch es ist – obwohl Greifswald doch so weit weg ist – eine illustre Runde, die sich da eingefunden hat. Die Chefjuroren Isabelle Loewe, David Laomouroux, Sarah Jaglitz und Michael Saliba haben einen Jurorenpool, der sich sehen lassen kann. In jeder Debatte finden sich ein oder zwei Spitzenleute. Die Turnierszenerie bleibt überschaubar: In nur sechs Räumen werden Debatten ausgetragen.
Regeleinführung und erste Vorrunde sind schnell vorbei, noch schneller bilden sich Grüppchen, jedes Grüppchen findet ein eigenes Lokal. Viele verschlägt es in die Domburg, die – der Name verrät es gleich – direkt neben dem Dom liegt. Das Innere hält nicht ganz, was die Fachwerkfassade verspricht: Die Bar ist etwas beliebig, hier und da grün oder auch lila beleuchtet, kühles Weiß dominiert, im Keller werden Wasserpfeifen serviert. Solche Kneipen gibt es überall. Aber: Das Bier ist unschlagbar günstig! Und was braucht man mehr, um an einem Turnierfreitagabend alte Kontakte aufzufrischen und neue herzustellen?! Und auch hier taucht er wieder auf: “Na, wie lange warst du unterwegs an den Bodden?“ Marco Witzmann vom Debattierclub München berichtet, er sei neun Stunden Zug gefahren. Wie lange er kürzlich von Peru zurück nach München brauchte, wird er nicht gefragt. Dabei ist das südamerikanische Land, in dem er die letzten sechs Monaten verbracht hat, noch weiter weg als Greifswald.
Der nächste Tag wartet wie immer auf Turnieren viel zu früh mit vier weiteren Vorrunden auf uns. Zwischen den Debatten trifft man sich zum Rauchen draußen oder auch an der Kaffeetheke. Und – der geneigte Leser ahnt es schon – auch hier hallt der schon bekannte Satz durch die Gänge: “Na, wie lange warst du unterwegs an den Rand von Meck.-Pomm.?“ Hier erzählen Leonhard Weese und Christoph Jäger vom Debattierklub Wien von ihrer Anreise: Sie sind zwar nach Hamburg geflogen, aber um die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, nahmen sie nicht den direkten Weg. Vielmehr legen sie Zwischenstopps in Rostock und Stralsund ein. Für ihre kleine Hanserundreise mussten die beiden am Morgen in der österreichischen Hauptstadt schon um 4.30 Uhr aus dem Haus. Bis zum Abend sind dann fast alle Geschichten rund um die Anreise ausgetauscht.
Bei der Party am Greifswalder Hafen gibt es am Samstagabend andere Themen, etwa wer mit wem und wer nicht mehr mit wem. Das deutschsprachige Debattierland ist eben auch nur ein Dorf. Mindestens ebensoviel wie über das amouröse Leben einzelner Debattierer wird am Samstagabend über den Break spekuliert: Wer hat es ins Halbfinale geschafft? Und als die Chefjuroren den Break dann verkünden, gibt es einige traurige Gesichter. Viele hochtalentierte junge Leute hatten sich gute Chancen ausgerechnet – doch gleich vier Teams müssen mit den ungeliebten 8 Siegpunkten vorliebnehmen – mit 9 Siegpunkten hätten sie gebreakt. Der Weg ins Halbfinale scheint einem Team besonders weit – weiter noch als der Weg nach Greifswald: Zum dritten Mal in Folge landeten die Münchner auf dem neunten Rang im Tab, knapp gescheitert am Break. Sie nehmen es mit Galgenhumor und vereinbaren, beim nächsten Turnier den Teamnamen Die ewigen Neunten zu wählen.
Stolz wie Oskar ist hingegen das “Debattierurgestein“ Bernd Hoefer – der ausnahmsweise einmal einen eher kurzen Anreiseweg aus Kiel hatte. “Seit der Deutschen Debattiermeisterschaft 2004 in Bonn hat es kein Kieler Team mehr in eine Finalrunde geschafft! Das sind sechs Jahre!“ berichtet Bernd. Der Bann ist gebrochen: Mit Julika Ulrike Hofmann und Rauad Abagela ist ein Kieler Team ins Halbfinale vorgerückt. Herzlichen Glückwunsch! Außer dem Kielern können sich Bremer, Mainzer, Hallenser, Berliner, Jenenser, Dresdner und Göttinger freuen. Acht Teams aus acht Städten ziehen in die Halbfinalrunde ein.
Der nächste Tag wartet mit einem strengen Zeitplan auf – so ein Glück, dass dank der Zeitumstellung die Nacht ein Stündchen länger war. Damit alle nicht nur pünktlich wieder ihre Heimreise antreten, sondern zuvor auch das komplette Finale samt Sektempfang mitnehmen können, muss alles wie am Schnürchen klappen. Dafür sorgt Rafael Heinisch mit einem minutiös ausgefeilten Ablauf. Diese Genauigkeit wird am Ende belohnt: Alle Teilnehmer können das Finale sehen, die Jurorenentscheidungen abwarten, einen Sekt oder auch zwei trinken und sich dann mit Bahn oder Auto auf den Heimweg machen.
Doch zunächst stehen die Halbfinals an. Gudrun Lux und Daniel Grotzky stehen den Halbfinaljurys vor und gehen Diskussionen offenbar nicht aus dem Weg: Lang dauert es, bis die Juroren in den beiden Räumen sich einigen können. Und noch länger dauert es, bis die Halbfinalisten wissen, wer im Finale reden darf. Denn erst während der Finalveranstaltung verkünden Gudrun und Daniel, welche Teams in der wunderschönen Aula der Greifswalder Uni ans Rednerpult treten dürfen. Es sind Teams aus Bremen, Halle, Jena und Mainz, denen schließlich die Ehre zuteil wird. Simeon Reusch und Thomas Wach, die amtierenden Ost- und Mitteldeutschen Meister, können am Ende den ersten ZEIT-DEBATTEN-Sieg der Saison für sich verbuchen. Nach ausgibigem Applaus, Sekt und Abschiedsszenen treten die Debattierer/innen den Heimweg an. Und auf der Heimfahrt fällt auf: Die Wege an den Bodden und von dort nach anderswo sind ja in beide Richtungen gleich lang … Hey, Greifswalder, wie macht Ihr das eigentlich, wenn Ihr zu Turnieren fahrt?
apf / glx
Das Auftaktturnier der 10. ZEIT-DEBATTEN-Serie fand Ende Oktober in Greifswald statt. Simeon Reusch und Thomas Wach konnten das Finale für den Debattierclub Klartext Halle entscheiden. Simeon überzeugte zudem die Ehrenjury und wurde zum besten Finalredner gekürt. Die Hallenser setzten sich zum Thema “Dieses Haus würde Privatpersonen keine Auskünfte aus Stasi-Unterlagen mehr erteilen” aus der Eröffnenden Opposition durch. Sie siegten gegen Teams der Hanse Debating Union Bremen, der Debattiergesellschaft Jena und des Debattierclub Johannes Gutenberg Mainz. Das Finale wurde juriert von den Chefjuroren Isabelle Loewe (DC Bonn), Sarah Jaglitz (S.A.E.C.L.O. Greifswald), David Lamouroux (DC Göttingen) und Michael Saliba (DC Stuttgart) sowie von Anja Pfeffermann (DC Bayreuth), Lukas Haffert (Tilbury Köln) und Patrick Ehmann (BDU).