Ein Pub, eine Burg, ein Strand – So war der Masters‘ Cup 2010
Eisenach ist nicht besonders groß und nicht besonders aufregend. Fremde Besucher fallen auf. Ein Taxifahrer beäugt deshalb die feierwütigen Debattierer, die am Samstagabend voll froher Erwartung in seinen Wagen steigen, und fragt mit thüringischem Dialekt: “Seid ihr heute angekommen?“ Die Debattierer verneinen und erklären, sie seien am Vortag angereist. Der Fahrer, ein mürrischer Mann um die 60, brummt misstrauisch: “Heute ist nämlich auch eine große Gruppe am Bahnhof angekommen. Was macht ihr denn hier, was ist los in Eisenach?“
Dasselbe wie jeden Herbst seit 2005: Der Master‘s Cup der Deutschen Debattiergesellschaft, dem Alumni-Verein des Hochschuldebattierens. Als Redner darf starten, wer DDG-Mitglied ist, Nicht-Mitglieder können als Juroren teilnehmen. Längst hat sich in der Debattierszene herumgesprochen, dass das Turnier eine heitere Veranstaltung ist, deshalb mangelt es nicht an Teilnehmern. Dieses Mal haben sich 35 Redner/innen und 20 Juror/innen aus der ganzen Republik auf den Weg gemacht, die Jüngsten nicht ganz 20, die Ältesten längst über 30. Hier ist der Ort, um Debattierikonen und denkwürdige Battles zu bestaunen: Frühere Teampartner können zu Gegnern werden, alte Widersacher zu Verbündeten und einstige Mitstreiter erneut zu Komplizen, denn die Zusammensetzung der Zweierteams wird Runde für Runde per Los bestimmt. Während sich etwa Marcus Ewald und Torsten Rössing, gemeinsam Deutsche Meister 2008, plötzlich Auge in Auge gegenüberstehen, streiten Lukas Haffert und Sebastian Berg, Sieger der Göttinger ZEIT DEBATTE 2008, als Regierung wiedervereint gegen eine zusammengewürfelte Opposition.
Die Juroren, zumeist an die straffen Zeitpläne der ZEIT DEBATTEN und die komplexeren Formate OPD und BPS gewöhnt, sind dankbar für das spezielle Format des Masters‘ Cup. Seine Regeln passen auf eine Din-A-4-Seite, seine kurzweiligen Debatten bestechen durch knackige 28 Minuten Gesamtredezeit und die kunstvollen Reden der vielen versierten Alt- und Noch-Stars. Aber nicht jeder, der längst DDG-Mitglied ist und selbst beim Masters‘ Cup ans Rednerpult treten könnte, nutzt diese Möglichkeit. Ein 25-jähriger Juror winkt mit Blick auf die hochkarätige Rednerliste ab und grinst: “Ich lasse mich doch nicht verbal abschlachten. Lieber genieße ich die Debatten von der Jurorenbank aus.“
Auch die meisten Redner sind nicht wegen der Aussicht auf ein wenig mehr Ruhm und Ehre nach Eisenach gekommen, sondern um das Miteinander zu erleben – und die neuen Vereinsabzeichen zu begutachten: Angeboten wird das DDG-Zeichen auf Pins, Magnetpins und auf Manschettenknöpfen.
Bei den Abendveranstaltungen in altbewährten Lokalitäten bietet sich später reichlich Gelegenheit zum Plaudern. Nach der ersten Debatte am Freitagabend zum Thema “Dieses Haus gründet eine Partei rechts der Union“ sucht die Meute den örtlichen Irish Pub auf. Dort werden die 60 lauten Debattierer, offensichtlich ortsfremd und den Altersdurchschnitt drastisch senkend, von den Einheimischen wiederum neugierig beäugt. Die Debattierer dagegen betrachten aufmerksam das neu gestaltete DDG-Jahrbuch, das Noch-Präsident Hannes Budelmann im Laufe des Abends verteilt. Es ist deutlich dicker als noch im Vorjahr, vielleicht auch deshalb, weil die Bachelor-Umstellung den Unter-25-Jährigen den Eintritt in die DDG erleichtert hat. (Wer einen Studienabschluss hat darf nämlich Mitglied werden, egal wie alt er ist.) Gleichzeitig reift die DDG; es werden vermehrt Hochzeiten und Schwangerschaften vermeldet, vormalige Berufseinsteiger stehen längst mit beiden Beinen im Job. Wer nicht höchstpersönlich beim Masters‘ Cup auftauchen kann, hat zumeist mehr oder minder subtil im Fragebogen auf seiner Jahrbuchseite auf berufliche oder sonstige Veränderungen seines Lebens hingewiesen.
Der Folgetag beginnt traditionell früh, denn die Jugendherbergsleitung ist unbarmherzig mit den Frühstückszeiten. Irgendwie schaffen es trotz Guinness vom Vorabend alle, halbwegs pünktlich zu den Debatten zu erscheinen. Frühaufsteher werden sogar mit Live-Musik begrüßt: In der Aula des Martin-Luther-Gymnasiums sitzt VDCH-Präsident Jan Lüken am Flügel und spielt, zugegeben etwas verfrüht, Adventslieder.
In den folgenden Vorrunden wird unter anderem über die Wiedereinführung des Prangers gestritten und darüber, ob “dieses Haus“ offline gehen sollte. So geht es in einem Raum etwa darum, dass Geheimdokumente nicht mehr schriftlich verfasst, sondern nur noch in mündlichen Absprachen diskutiert werden sollen. Dafür müssten die betroffenen Mitarbeiter in besonderen Mnemotechniken geschult werden. Ziel des Unterfangens sei zu verhindern, dass staatstragende Geheimnisse etwa über WikiLeaks an die Öffentlichkeit geraten. Im Halbfinale wird heftig um die Erlaubnis des Generalstreiks gerungen: Die Pro-Seite vertritt die Auffassung, dies fördere nicht nur die politische Willensbildung, sondern gebe den Bürgern ein starkes Instrument an die Hand, nicht nur wirtschaftliche Interessen gegenüber den Arbeitgebern durchzusetzen, sondern auch der Politik die Stirn zu bieten.
Nun folgt der offizielle Höhepunkt des Wochenendes: Nach dem beschwerlichen, weil sehr steilen Aufstieg zur Wartburg, UNESCO-Weltkulturerbe mitten im Thüringer Wald, werden alle mit einem Büffet belohnt, bei dem die Thüringer Rostbratwurst natürlich nicht fehlen darf. Nach einem letzten Spaziergang vom Restaurant über den Burghof steht das Finale auf der Wartburg an, wo Martin Luther seinerzeit mit dem Teufel gerungen hat. Doch jetzt stehen sich im golden prangenden Festsaal vier Redner gegenüber, die um den Titel Master der Masters ringen: Sebastian Berg und Patrick Ehmann vertreten auf der Pro-Seite den Standpunkt, die Loveparade 2011 solle stattfinden, während die Contra-Seite, Lukas Haffert und Jens Fischer, mit einem Recht auf individuelle Trauerarbeit dagegenhält. Schließlich setzt sich Jens Fischer durch – er ist der Master der Masters 2010! Das war aber auch mal Zeit, stand er doch nach 2005, 2006 und 2007 bereits zum vierten Mal im Finale des Masters‘ Cup.
Den heimlichen und von Kennern der Veranstaltung längst herbeigesehnten Höhepunkt des Wochenendes bildet aber traditionell der gemeinsame Besuch im örtlichen Nightclub “The Beach“. Um den Namen der Lokalität, mitten im beschaulichen Eisenach gelegen, zu rechtfertigen, ist der Boden mit feinstem Strandsand bedeckt und Plastikpalmen säumen die Tanzfläche. Zu vorgerückter Stunde und mit steigendem Alkoholpegel gibt es kein Halten mehr: Die Debattierer erobern eben jenen palmengesäumten Tanzboden, einige ganz Wagemutige erklimmen gar das Podium und winden ihre Körper im Käfig um die Stange. Der Lokalbevölkerung bleibt nichts anderes übrig als zu staunen, was es mit dieser Entfesselung wohl auf sich habe. Die Antwort ist ganz einfach: Alumni um die 30 geraten ins Schwärmen und gerne auch in Extase, wenn sie die Musik ihrer Jugend hören – das Motto “90er-Party“ ist Auslöser für den vielleicht häufigsten Satz des Abends: “Weißt du noch, damals…?“
Während die Party noch auf dem Heimweg in die Jugendherberge – es wird schon bald hell – als “ganz, ganz groß“ bezeichnet wird, ist am nächsten Morgen nur weniges groß: der Kater und die Augenringe nach durchzechter Nacht. Doch es führt kein Weg daran vorbei, Sonntagmorgen, aus dem Bett quälen und auschecken, denn die jährlich zusammentretende DDG-Mitgliederversammlung will einen neuen Vorstand wählen. Da Hannes Budelmann nach drei Jahren aus dem Vorstand ausscheidet, sucht die DDG einen Nachfolger für den bisherigen Präsidenten. Passend zum Master’s Cup stehen sich auch hier zwei frühere Teampartnerinnen gegenüber: Gudrun Lux und Marietta Gädeke, gemeinsam Deutsche Meisterinnen 2007, konkurrieren um das Präsidentschaftsamt. Mit klarer Mehrheit wird Gudrun zur neuen Präsidentin gewählt. Als Vizepräsident/innen stehen ihr in den kommenden zwölf Monaten Stefan Hübner, Isabelle Loewe und Oliver Hörtensteiner zur Seite.
Bevor nun alle wieder auseinanderstieben und sich beim Abschied in den Armen liegen, ist man sich einig: In Eisenach ist was los – jedenfalls wenn die Debattierer des Masters‘ Cup in das mittelalterliche Städtchen einfallen.
Der Masters’ Cup ist das alljährliche Turnier der DDG, das seit 2004 ausgetragen wird. Seit 2005 findet das Turnier in Eisenach statt, das Finale wird im Festsaal der Wartburg veranstaltet. Der Masters’ Cup findet im extra für das DDG-Turnier entwickelten Masters-Format statt, in dem die Teampartner und Teampartnerinnen von Runde zu Runde einander zugelost werden. Neben DDG-Mitgliedern sind auch Träger des DDG-Nachwuchspreises startberechtigt. Als Chefjuroren werden traditionell je ein Vorstandsmitglied von VDCH und DDG berufen. Als Juroren fungieren in der Regel junge Debattanten aus den VDCH-Clubs. Ein Überblick über die Finalthemen und Sieger der bisherigen Masters’ Cups findet sich auf der DDG-Internetseite.
Sarah Kempf und Anja Pfeffermann
Translation: Isabelle Loewe
Klingt nach einem ereignisreichen und unvergesslichen Wochenende! Wie gern wär ich auch dabei gewesen 🙂 Ich hätt den armen Eisenachern auf Thüringisch versichert, dass ihr alle handzahm seid 😉