Deutschlandtour Dortmunder Debattanten: Die ersten fünf Stationen
Zwei Debattanten der Debatte Dortmund (DebaDo) brachen vor einer Woche auf, um VDCH-Clubs in ganz Deutschland zu besuchen. Über die ersten fünf Stationen ihre Debattiertour berichten die Dortmunder Jörn Hahn und Jens Schulze:
16 Debatten in 16 Tagen – die ersten fünf Tage
Aachen: An diesem Dienstag versammelt sich der Debattierclub Aachen (ACDC) in der Bar der Katholischen Hochschulgemeinde. Kein schlechter Ersatz, denn so können sich Überpünktliche auch schon vor der Debatte ein Bierchen genehmigen (wobei die meisten andere Getränke vorziehen). Vielleicht trägt dies dazu bei, dass die Aachener alle ziemlich pünktlich sind. Zur Debatte ziehen wir uns in ein Hinterzimmer zurück. Außer uns drei Dortmundern – in Aachen ist auch noch Simone dabei – sind acht Aachener anwesend. Florian stellt vier Themen zur Abstimmung. Es gewinnt „Dieses Haus schafft dieWehrpflicht ab“. Anna und Florian sind als Team und Nora ist als Jurorin für die BPS-Debatte gesetzt, denn sie sollen für den Greifswalder Bodden-Cup üben, der am Wochenende stattfindet.
Nach der Debatte vergibt die Jury die Mannschaftsränge und gibt Feedback. Ab und zu sind die Juroren geteilter Meinung. Mit dem Camcorder nehmen wir ein zwölfminütiges Interview mit Anna auf. Sie erzählt von Debatten über Gott, Unisex-WCs und Balkonien im Bundestag, von der Rolle, die Wahrheit, Emotionen und die eigene Meinung spielen, von Streit nach einem Feedback, von Verständnisproblemen bei Debatten auf Englisch und was man von anderen lernen kann. Wir sind mit dem Interview sehr zufrieden – bis wir am nächsten Tag entdecken, dass keine Batterien im Mikro waren, wir also keinen Ton haben.
Heidelberg: Um fünf vor acht treffen sich die Mitglieder des Debating Club Heidelberg vor der Landeszentrale für politische Bildung. Pünktlichkeit ist hier nötige Voraussetzung, denn kaum sind alle die Treppe zum Seminarraum hoch gelaufen, gehen die drei neuen Vorstandsfrauen direkt in medias res. „Johannes und Vicky fahren nach Frankfurt und sollten daher zusammen reden. Wer redet noch Fraktion? Jenny? Redest du mit Nicolas? Ich juriere dann heute, Stefan, du auch?“ – Das Thema steht schon seit drei Tagen für alle einzusehen auf der Homepage: „Soll es eine Altersbeschränkung für den Verkauf von Fastfood geben?“ Die Landeszentrale für politische Bildung bietet eigentlich den idealen Raum für eine Clubdebatte: Bei kleinen Fragen können in der Vorbereitungszeit die verschiedensten Nachschlagewerke zu Rate gezogen werden, in der Debatte zeigt Nicolas aber, dass eine andere Vorbereitung auf dieses Thema durchaus auch sinnvoll sein kann: „Ich habe mir vorher noch kurz einen Hamburger genehmigt“, ergänzt er seine Teampartnerin Jenny auf Regierungsseite, „ich kann Ihnen sagen, der war so groß und fettig, das sollten Kinder nicht essen!“ – „Sie entziehen mit Ihrem Antrag den Kindern und Eltern die Mündigkeit! – im wahrsten Sinne des Wortes“, hält die Opposition schon früh dagegen.
Am Ende einer witzigen Debatte wird auf die Bestimmung eines Siegers verzichtet, stattdessen steht ein intensives Einzelfeedback für jeden Redner an, bevor es zum gemütlichen zweiten Teil des Abends in ein Lokal zwei Straßen weiter geht. Auswahl gibt es mitten in Heidelberg ja genug. Um Mitternacht verabschiedet sich auch der vorletzte Heidelberger Debattierer und wir folgen Johannes – eine kleine Stadtführung inklusive – in sein Studentenwohnheim. Nach einem Schnelldurchgang durchs Friedrich-Ebert-Museum am nächsten Morgen geht es dann Richtung Schwabenländle.
Tübingen: Die Streitkultur Tübingen ist vor wenigen Wochen in Münster Deutscher Meister geworden. Aber der Klubabend des ältesten Debattierclubs Deutschlands verläuft erst einmal alles andere als leistungsorientiert: Trifft man sich anderorts in Räumen der Hochschule, versammeln sich die Tübinger in einer Kneipe direkt in der Innenstadt. Die Debatte erhält damit die Atmosphäre einer Hinterzimmerversammlung, in der – wie jeder weiß im Gegensatz zum Stammtisch vorn – die eigentlichen politischen Entscheidungen getroffen werden. Für einen Moment lang kann man glauben, die Debatte hier entschiede tatsächlich, dass die Bundeswehr zu einer Berufsarmee werden solle. (Wenn man jeden Tag an einem anderen Ort debattiert, kann es vorkommen, dass ein Thema mehrfach debattiert wird.) Nach kurzer Zeit wird man aber von der Jury unsanft wieder in die Realität zurückgeholt, denn es folgt das bisher härteste Feedback unserer Tour, und zwar durch Anwesende, Juroren, Redner und Zuschauer (Der Deutsche Meister Peter gibt sich die Ehre). „Simon, das war eine gute Rede, aber wenn du ein sehr guter Redner werden willst, muss du an dir arbeiten, und zwar in allen fünf Kategorien. Überall kannst du noch was besser machen“, bekommt das frisch gewählte Mitglied des neuen Vorstands nach der besten Rede des Abends an den Kopf geknallt. Nun hat auch hier die Leistungsorientierung Einzug erhalten. Die Tübinger Anspruchshaltung wird deutlich, dabei erhält nur der Feedback, der dies ausdrücklich möchte: Natürlich wollen alle.
Beim obligatorischen Interview danach wird aber klar, dass auch der aktuelle Deutsche Meister mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Der neue Vorstand überlegt, den Klubabend auf einen anderen Wochentag zu verlegen, weil mittwochs eine sehr attraktive Konkurrenzveranstaltung existiert. Leider müssen wir relativ früh wieder aufbrechen, um noch den letzten Bus nach Stuttgart zu erreichen. Dort findet der Clubabend donnerstags statt.
Stuttgart: Auf dem Touchscreen im Erdgeschoss wählen wir den 9. Stock. Sofort wird uns Aufzug 6 zugewiesen, mit dem wir dann nach oben fahren. So systematisch wie die Beförderungstechnologie im Unigebäude, ist der Übungsbetrieb des Debattierclubs Stuttgart Eine Stunde vor Beginn der Debatte beschäftigt man sich mit Redeübungen. Andreas zeichnet ein Ohr an die Tafel und erklärt, weshalb Zuhören so wichtig ist. Schon in der Vorbereitungszeit sollten die Teampartner einander ihre Erklärungen vortragen und auf Schwachpunkte abklopfen lassen und Bilder finden für eine gemeinsame Teamline. Dann sollte man die Argumentation der gegnerischen Teams verstehen, um sie anschließend effizient, das heißt mit geringem Zeitverbrauch, zu zerstören. Nach den Punkten „anderes Team der eigenen Seite“ und „Zuhörer“ geht es zum praktischen Teil: Die Gruppe teilt sich in Kleingruppen zu fünf oder sechs Rednern und spielt „Ich-packe-meinen Koffer“ für Debattierer: Man stellt sich im Kreis auf und der erste Redner nennt ein Pro-Argument. Der zweite Redner fasst das Argument des ersten Redners kurz zusammen und nennt ein Contra-Argument. Der dritte Redner fasst die Argumente der beiden Vorredner kurz zusammen und nennt wieder ein Pro Argument usw. Danach werfen wir immer ein Federmäppchen weiter. Wer es zugeworfen bekommt, muss sofort ein Argument für oder gegen die Vereinigung der Schweiz mit Baden-Württemberg nennen. Wieder in der großen Runde, gibt es noch ein paar Tipps: Man nehme eine Busfahrt als Analogie. Wer sind die Passagiere, was ist der Treibstoff usw. Man sollte sich den ersten und letzten Satz seiner Rede schon vorher überlegen und aufschreiben. Als Aufhänger sind Anekdoten, aktuelle Ereignisse, Witze, Wortspiele oder ähnliches geeignet.
Nach der Übungsstunde teilen wir uns in eine OPD- und eine BPS-Debatte auf. In beiden Räumen argumentieren die Regierungen erfolgreich dafür, Krankenkassen zu verbieten, homöopathische Behandlungen zu bezahlen. Die meisten setzen sich danach noch mit uns in einer Kneipe zusammen, wo uns Michael im Interview erklärt, warum ein Debattierklub mit einer technischen und naturwissenschaftlichen Mitgliederstruktur besondere Herausforderungen meistern muss.
München: Der Debattierclub München hat nach vielen Mails und Telefonaten den elektronischen Schlüssel für einen Raum sowie Redner und Juroren für eine BPS-Debatte organisiert. Mit zwei Keks- und Waffeltüten und fünf Kuchen sind wir zur Five-o‘-Clock-Tea-Debatte gut versorgt. Die Teampaarungen werden vom Vorstand bestimmt. Erstmals reden wir beiden Dortmunder in einem Team. Die Jury hat sich schon vorher ein Thema überlegt. Zum Glockengeläut der nahegelegenen Kirchen wird es verkündet: „Goethes Faust oder Schillers Handschuh: Es soll im Deutsch- und Englischunterricht nur noch aktuelle Literatur behandelt werden.“ Das Ende der fünfzehnminütigen Vorbereitungszeit wird durch das Läuten einer diesmal kleinen Glocke angezeigt. Der Redner redet „frei“, das heißt ohne Tisch oder Pult vor sich. Zettel legt man entweder auf einen Tisch an der Seite oder behält sie in der Hand. Genauso frei verkündet die Jury dann im Stehen die Teamränge und gibt Feedback. Wir werden Zweite, es gewinnen Marco aus Bayern und Martin aus Schweden, die allerdings beide überraschend perfekt in Hochdeutsch debattieren.
Cool. So eine Spionage-Tour durch die Republik wollte ich auch schon immer mal machen, um herauszufinden, was die Konkurrenz so treibt. 😉
@Gudrun: Keine Riesensache, aber bei den Tags steht „Müncehn“.
Schöner Bericht! Ich freue mich schon auf Teil 2… und auf das Video!