Erfahrungen einer Nicht-Debattantin auf dem Familienturnier in Mainz
Das erste Familienturnier in Mainz bot Debattierern die Gelegenheit, ihren Angehörigen die eigene Lieblingsbeschäftigung aus nächster Nähe zu zeigen. Vroni Heitmeier wurde von ihrer Schwester Maria (Mitglied der Streitkultur Tübingen) mitgebracht und berichtet auf der Achten Minute von ihren Eindrücken.
„Hast du am 16.6.2018 schon was vor? Gibt da ein Familiendebattierturnier, das darf man nur mit Verwandten antreten.“
„Ja, da hätte ich Zeit 🙂 Wie viele Familienmitglieder sollen denn da mitmachen und wo findet das statt, weil an sich klingt das ja irgendwie lustig“
„Es ist BP, also man redet nur zu zweit und das Ganze ist in Mainz. Wir können uns das ja mal überlegen und dann schauen.“
Das ist ein Originalchat zwischen meiner Schwester, einer Dauerdebattantin, und mir. Im Gegensatz zu meiner Schwester habe ich noch nie debattiert, bin aber auf diese Weise dazu gekommen, das erste Mal an einem Debattierturnier teilzunehmen.
Dieses Turnier, organisiert vom Debattierclub der Johannes Guttenberg-Universität Mainz, war gleichzeitig das erste Familiendebattierturnier, das jemals stattfand. Das Besondere an einem Familienturnier ist, dass ausschließlich Teams antreten dürfen, deren Mitglieder miteinander verwandt sind.
Die Einweisung in die Kunst des Debattierens von Seiten meiner Schwester vor dem Turnier war kurz, was aber nicht schlimm war, denn nur die Hälfte der Teilnehmer waren geübte Debattanten, die jeweils ihre Eltern oder Geschwister mitgebracht hatten, welche wiederum ebenso wenig Erfahrung hatten wie ich. Im Gegenteil, wegen der Menge an Neulingen wurden am Anfang kurz die Regeln und das Prozedere erklärt, es herrschten also die perfekten Voraussetzungen für mein erstes Turnier.
Schon beim Betrachten der Teilnehmerliste wurde mir klar, dass Debattierturniere keine todernsten, förmlichen Veranstaltungen sind, sondern durchaus auch Raum für Humor lassen. So war ein Teamname zum Beispiel „Dieser Mann hat mich Sibylla J. genannt“ (Sibylla J. mit Vater) oder ein anderes „Fazit: Stets bemüht“.
Nach der Bekanntgabe der Positionen wurde das erste Thema bekanntgegeben: „DHW Zivilklauseln an allen öffentlichen Universitäten in Deutschland einführen.“ Als Nicht-Debattant stellt man als allererstes fest, dass man nicht sehr gut über das Thema informiert ist. Dann merkt man allerdings, dass es hier weniger um Wissen als ums Nachdenken geht. Tatsächlich (und ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage) war es hier toll in einem Team mit meiner Schwester zu sein. Wir haben zusammen Ideen gesammelt und meine Schwester, als Erfahrene, hat diese strukturiert und auf die Reden aufgeteilt. Auch die Rede dann tatsächlich zu halten hat wirklich Spaß gemacht, weil eine offene und freundliche Atmosphäre herrschte, wodurch jedem das Gefühl gegeben wurde, dass seine Meinung wertgeschätzt wird. Das ist wohl auch das, was mich an diesem Tag am meisten beeindruckt hat: obwohl nach jeder Debatte ein Ranking veröffentlicht wird und es immer einen Gewinner gibt, geht es nicht in erster Linie ums Gewinnen, sondern um das Debattieren selbst. Darum, sich Gedanken über ein Thema zu machen und dieses vielleicht von einem Blickwinkel aus zu betrachten, der einem wiederstrebt. Und darum, Antworten auf offene Fragen zu finden und eigene Ansichten kritisch zu überdenken.
Nach den drei Vorrunden, an denen insgesamt 20 Teams teilnahmen, breakten folgende Teams ins Finale: Jakobus Jaspersen und sein Bruder Jonathan, Alena Haub und ihr Bruder Louis, Allison Jones und ihr Vater Dennis und Katrin Fallmann und ihre Mutter Franziska.
Die finale Debatte zum Thema „Dieses Haus als Elternteil in Deutschland würde das eigene Kind geschlechtsneutral erziehen“ konnte die Eröffnende Opposition, Familie Fallmann, für sich entscheiden, welche neben schlagkräftigen Argumenten auch mit ihrem Humor überzeugen konnten („Wer immer offen ist, ist auch nicht ganz dicht“). Juriert wurde das Finale von Samuel Scheuer als Haupjuror, Marius Hobbhahn, Anton Leicht, Justus Raimann und Katharina Stengl.
Das Turnier wurde von Marius Hobbhahn und Anna Markus chefjuriert. Die Organisation übernahmen Sabrina Effenberger und Evren Özkul.
Vroni Heitmeier/cal./jm.
Die Themen des Turniers:
VR1: Factsheet: Die Zivilklausel ist eine Selbstverpflichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen wie Universitäten, ausschließlich für zivile, also nicht-militärische Zwecke zu forschen. Die erste Zivilklausel trat 1986 an der Universität Bremen in Kraft. Heute haben mehrere deutsche Hochschulen sie eingeführt. Zivilklauseln gibt es nur in wenigen anderen Ländern, zum Beispiel in Japan.
DH würde Zivilklauseln an allen öffentlichen Universitäten in Deutschland einführen.
VR2: DHW ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren in Deutschland einführen.
VR3: Factsheet: Nord Stream II ist eine Pipeline, die direkt von Russland nach Deutschland gelegt werden soll. Bisherige Routen gehen durch die Ukraine und Polen, die jeweils bis zu 3% Transitgebühren fordern. Da die neue Route auf dem Boden der Ostsee verlegt werden soll, fallen diese Gebühren weg. Die USA äußern sich kritisch gegenüber der Pipeline, da sie die wirtschaftlichen Sanktionen gegenüber Russland aufweichen könnten. Der Bau und Betrieb lägen in privater Hand unter der Leitung von Gazprom.
DH begrüßt das Projekt Nord Stream II.
Finale: Factsheet: ‚Gender Creative Parenting‘ bezeichnet eine Erziehungsweise, bei welcher das Geschlecht des eigenen Kindes keine Rolle spielt. Eltern verschweigen gegenüber anderen das biologische Geschlecht des eigenen Kindes und erziehen dieses geschlechtsneutral. Das bedeutet, dass das Kind keine spezifisch männlich oder weiblich attribuierte Kleidung oder Spielzeug erhält, sondern frei entscheiden kann, was diesem am besten gefällt. Im englischen wird statt der Pronomen “He” oder “She” das Pronomen “They” verwendet, um über das Kind zu sprechen. Außerdem erhält das Kind einen Namen, welcher nicht gegendert ist, also keine Aussage über das Geschlecht des Kindes zulässt. Die Erziehungsmethode hat zum Ziel, dass Kinder frei entscheiden, ob und falls ja, zu welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen.
DH als Elternteil in Deutschland würde das eigene Kind geschlechtsneutral erziehen.
Es war soooo ein schönes Turnier!! ?
Mein Vater war total begeistert und meinte, dass wir das gerne wieder machen können 🙂 Also in einem oder zwei Jahren auf ein Neues?
Ich bin sofort dabei 😀 Die Überlegung ist tatsächlich, dass man das ja etablieren könnte. Ich weiß nur nicht, ob es genügend Menschen mit Familienmitgliedern gibt, um das jedes Jahr zu machen.
Und: ich bin auch begeistert gewesen, wie entspannt die Stimmung auf dem Turnier war! Zugegebenermaßen hatte ich ja vorher etwas Angst, wie Familienmitglieder wohl auf die doch irgendwie konstruierte Situation einer Debatte reagieren und dann auch noch mit Siegern und Viertplatzierten. Aber im Gegenteil. Ich finde, dass sich die Ansichten von Eltern, Geschwistern und Großeltern echt ganz gut mit unseren ergänzt haben.
Mein Bruder und ich wäre bei der nächsten Auflage auch dabei 🙂
Und nicht zu viel Sorge vor Siegern und Viertplatzierten. Den allermeisten Leuten ist das Prinzip aus der Sportwelt ja bekannt und man muss das ja auch alles nicht so ernst nehmen, gerade bei so einem Turnier.
Meine Schwester und ich wären auch am Start! So bald wie möglich bitte! 🙂
Ich finde es sehr schade nicht dabei gewesen zu sein und wäre es bei einer Wiederholung ganz bestimmt!
Großes Lob an die Orga für die innovative Idee und vorallem an die Cheforga für die grandiosen Themen!