Was tun, wenn’s brennt? – Zu Besuch beim ersten „Train the Trainer“-Praxiswochenende
Sven Schuppener steht vor einem Stuhlkreis und erzählt vom Krieg. „Vor zwei Wochen war ich bei der ZEIT DEBATTE in Wien, da hatten wir eine schlechte Ausgangsposition“, berichtet er. „Wir waren ein zusammengewürfeltes Team: Ein Anfänger, ein Externer und ich. Wir hatten keine Ahnung, wie wir die Vorbereitungszeit sinnvoll gestalten können, weil wir einander nicht gut kannten. Wie geht es euch mit der Vorbereitungszeit, welche Probleme habt ihr dabei?“
– „Cut!“, ruft Trainerin Sarah Andiel, bevor jemand antworten kann. „Sven, was willst du von der Gruppe hören? Nach der Frage erzählen dir hier gleich alle reihum Kriegsgeschichten.“
„Vom Krieg erzählen“, so nennen es die Teilnehmer des Train-the-Trainer-Projektes, wenn einer Anekdoten von früher auspackt. Vom 11. bis zum 13. April sind die zwanzig Projektteilnehmer und vier Trainer in der Jugendherberge in Frankfurts Vergnügungsviertel Sachsenhausen zusammengekommen, um dort gemeinsam an der Trainerleistung der jungen Debattanten zu arbeiten. Neun Frauen und elf Männer haben sich in einer E-Learning-Phase, in der sie einen Workshop mit selbst gewähltem thematischem Schwerpunkt erarbeiten sollten, auf das Praxiswochenende vorbereitet. Aufgeteilt in zwei Gruppen, erhält nun jeder die Gelegenheit, innerhalb von zehn Minuten den Einstieg seines Workshops zu präsentieren.
Nach Sarahs Frage an die anderen im Stuhlkreis, wie Svens Frage auf sie wirke, merkt Vera Bartsch an: „Ich habe eigentlich keine besonderen Probleme in der Vorbereitungszeit. Nehmen wir an, das geht mehreren Leuten in deinem Workshop so. Was machst du dann?“
Sven überlegt einen Moment. Er darf und soll jetzt spontan seinen Einstieg verändern, das ist Sinn der Übung und der Grund für das direkte Eingreifen der Trainerin. „Okay“, sagt er dann, „ich formuliere meine Frage um. Wie gestaltet ihr eure Vorbereitungszeit?“
Die Gruppenmitglieder berichten von „massive communication“, davon, dass sie „die Motion Wort für Wort analysieren“, sich fragen, was am Thema spannend ist, oder nach der Themenausgabe erstmal drei Minuten sitzen bleiben und sich Notizen machen, bevor sie im Laufen ihre Strategie besprechen. Ein Teilnehmer erwähnt, dass er die Betroffenengruppen herausarbeite. „Sehr gut!“, ruft Sven und blättert am neben ihm stehenden Flipchart zu seinem vorbereiteten Papier um. Dort steht über einigen Stichpunkten: Stakeholder-Technik. Darum soll es in seinem Workshop gehen. Er will jetzt, dass alle Teilnehmer zu einem vorgegebenen Thema die Betroffenengruppen suchen. Gerade noch schafft er es, das Thema auszugeben, dann ist seine Zeit um. Die anderen Teilnehmer applaudieren, geben ihm Feedback, am Ende soll er sagen, was er aus dem Feedback mitgenommen hat. Dann ist der Nächste dran.
Keine Chance für Egoisten
Das Praxiswochenende in Frankfurt stellt nach einem Jahr der Vorarbeit die erste Begegnung der Teilnehmer und ihrer Trainer dar. Das Projekt Train-the-Trainer des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. (VDCH) wurde in der Saison 2012/13 ins Leben gerufen, zuständig dafür sind die VDCH-Vorstandsbeiräte Pauline Leopold und Clemens Lechner. Ziel ist es, die Teilnehmer zur selbstständigen Konzeption und Umsetzung von Debattiertrainings zu befähigen. Im Herbst riefen die Vorstandsbeiräte zahlreiche Alumni, die praktische Erfahrung als Trainer haben, in Berlin zu einem Treffen zusammen, bei dem ein Ausbildungskonzept geplant wurde. Sarah Andiel, Marietta Gädeke, Thore Wojke, Karsten Stölzgen, Jens Fischer und Farid Schwuchow, die alle berufliche Erfahrung als Trainer haben, erarbeiteten anschließend die konkrete Gestaltung. „Das Projekt ist sehr kostenintensiv und nur auf Grund der finanziellen Unterstützung der Open Society Foundation (OSF) möglich“, sagt Clemens. „Uns war wichtig, dass den studentischen Teilnehmern keinerlei Kosten entstehen. Obwohl die Unterstützung großzügig ist, geht das nur, weil sich alle Projektbeteiligten auf ehrenamtlicher Basis einbringen.“
Wer sich zum Trainer ausbilden lassen wollte, konnte sich ab Januar dafür bewerben und musste ein Motivationsschreiben einreichen. Die Zahl der Interessenten überstieg das Angebot der Plätze, die Teilnehmer sind handverlesen. „Es gab auch Leute, die bei uns nur kostenlos eine Ausbildung abgreifen wollten, für die man andernorts einen vierstelligen Betrag bezahlen müsste“, erzählt Clemens. Solche Bewerber hatten keine Chance. Ausgewählt wurde nur, wer glaubhaft machen konnte, dass er der Debattierszene etwas von dem zurückgeben will, was er selbst gelernt hat. Die Mehrheit der Teilnehmer ist seit zwei bis drei Jahren im Hochschuldebattieren aktiv und damit noch relativ frisch dabei. Das arbeitsintensive Wochenende in Frankfurt kommt beim engagierten Nachwuchs gut an. Sie finde die Gestaltung des Workshops „megacool“, erklärt Franziska Städter. „In meiner Gruppe hat Nikos (Bosse, Anm. d. Red.) als Erster seinen Einstieg präsentiert, es ging um Zwischenfragen. Schon daraus habe ich total viel mitgenommen.“ Der Lerneffekt sei groß, sagt sie. Diejenigen, die nach ihm präsentiert haben, hätten bereits direkt nach der Besprechung ihren vorbereiteten Einstieg überarbeitet.
Neue Perspektiven eröffnen
Damit die Teilnehmer möglichst viel aus dem Wochenende mitnehmen, werden alle Präsentation und das Feedback dazu auf Video aufgenommen. So können sich alle später noch einmal in Ruhe anschauen, was sie gut gemacht haben und was sie noch verbessern können. Mit dem Praxiswochenende in Frankfurt stehen die Teilnehmer noch am Anfang ihrer Ausbildung, der Zeitplan wird strikt eingehalten und ist straff. Nach den Pausen kommen die Trainer und Teilnehmer in einem großen Stuhlkreis zusammen und machen eine Übung zur Auflockerung. Die jungen Debattierer machen selbst die Methoden mit, die ihnen als Trainer später helfen sollen, eine Gruppe anzuleiten. Jeder der „Master-Trainer“ hat außerdem eine Art Frontalunterrichts-Phase, in der er Inhalte präsentiert oder gemeinsam mit den Teilnehmern erarbeitet und bespricht. So erklärt Sarah am Samstag, wie man gut eine Gruppe führt, etwa durch geschickte Fragen und Gruppeneinteilung. Jens stellt einen Katalog mit bislang rund 120 Übungen vor, der später über die VDCH-Webseite abrufbar sein soll. Auch das Sammeln und Bereitstellen von Trainingsmaterialien für die gesamte Debattierszene zählt zu den Zielen von Train-the-Trainer. „Dieses Dokument soll euch ermöglichen, vor und während eines Workshops gezielt eine bestimmte Aufgabe zu suchen, die zu eurer Teilnehmergruppe und deren Erfahrungsgrad passt“, erklärt Jens. Der Übungskatalog wird in den kommenden Wochen und Monaten mit Hilfe der Projektteilnehmer ergänzt und durch die Erprobung in der Praxis möglichst nutzerfreundlich gestaltet.
Die strukturierte Ausbildung des Projektes soll auch jene Teilnehmer voranbringen, die bereits erste Erfahrung als Trainer mitbringen. Zu den Erfahreneren zählt Jan Dirk Capelle. Er hat schon vor Train-the-Trainer Workshops gegeben. „Ich finde hier vieles von dem wieder, was ich in meinen Trainings bislang intuitiv gemacht habe“, erzählt er. Trotzdem helfe ihm das Projekt weiter. „Es eröffnet mir neue Perspektiven und zeigt mir alternative Herangehensweisen. Dass ich zwei oder drei andere Wege kennenlerne, die das ergänzen, was ich vorher gemacht habe, ermöglicht mir eine größere Handlungsflexibilität in Trainings.“
Horizontale und vertikale Vernetzung
Wer das Praxiswochenende als Besucher beobachtet und mit den Teilnehmern spricht, stellt fest, dass Train-the-Trainer gut zu den gegenwärtigen Herausforderungen der Debattierszene passt. Seit der Gründung des VDCH vor 13 Jahren hat sich das deutschsprachige Hochschuldebattieren in atemberaubendem Tempo entwickelt und professionalisiert. Um die anfallende Arbeit überhaupt noch bewältigen zu können, werden zunehmend mehr Posten geschaffen, die eine stabile horizontale Vernetzung der ehrenamtlich Engagierten notwendig machen. Sie wurde neben dem traditionellen Präsidententag im Herbst 2013 erstmals auch beim Saison-Kick-Off des VDCH gefördert, bei dem die Clubvertreter unter Anleitung von erfahrenen studentischen Debattierern so viel Wissen zur Clubarbeit wie möglich austauschten. Durch das rasante Wachstum der Debattierszene ist struktureller Wissenstransfer bzw. –sicherung eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart, ebenso das Zusammenrücken der zahlreichen Engagierten. Auch die Teilnehmer von Train-the-Trainer sind mehrheitlich amtierende Clubvorstandsmitglieder und/oder Ausrichter von ZEIT DEBATTEN und Turnieren der Freien Debattierliga (FDL). Für sie ist das Projekt eine weitere Möglichkeit, nicht nur Wissen zu erwerben, das sie in ihre Clubs tragen, sondern auch, einander besser kennenzulernen und zusammenzuarbeiten.
Anders als beim Saison-Kick-Off, sind die Referenten bei Train-the-Trainer dem Studium bereits entwachsen. Hier arbeiten die Älteren mit den Jüngeren zusammen, es findet also eine vertikale Vernetzung statt. Bei der Arbeit innerhalb der Debattierszene kristallisiert sich zunehmend heraus, dass das Know-How derer, die bereits im Beruf stehen, für die studentischen Debattierer von großem Wert ist. Unter den Alumni erwacht allmählich das Bewusstsein, dass das Hochschuldebattieren nicht nur ihre finanzielle Unterstützung, sondern auch ihre Erfahrung und ihren Rat braucht, um mit der eigenen Entwicklung Schritt zu halten. Aus dieser Erkenntnis heraus ist Train-the-Trainer entstanden, zudem ein Projekt, das von zwei Berufseinsteigern geleitet wird. In heiterer Atmosphäre sitzen in Frankfurt jüngere und ältere Debattierer zusammen, um gemeinsam die gesamte Szene voranzubringen.
Auch Peter Giertzuch hat für das Praxiswochenende einen Einstieg vorbereitet. Er will seinen Teilnehmern beibringen, wie sie eine ausdrucksstarke und glaubhafte Gestik einsetzen können. Das illustriert er an einem Beispiel: Wenn es draußen brenne und er in den Raum käme, müsse er die anderen überzeugend auf die Gefahr hinweisen. „Ihr glaubt mir doch am ehesten, wenn ich in den Raum stürme, schreie ‚Es brennt!‘ und mich aus dem Fenster stürze“, erklärt er. Während seines Vortrags gestikuliert er wie zum Beweis wild und lässt auch die anderen Teilnehmer anschauliche Gestik ausprobieren. Karsten greift ein paar Mal korrigierend ein, aber am Ende lobt er den flammenden Einstieg. Im Feedback lehnt er sich entspannt zurück und bestärkt den jungen Trainer in spe: „Ich finde, eine Show können wir uns ruhig immer wieder mal gönnen.“
kem/hug