„Dieses Haus geht auf Schatzsuche”: Philipp Stiel über die Zukunft offener Themen
Dieses Haus hat eine Vision: zum berühmt-berüchtigten offenen Finalthema der ersten Deutschen Debattiermeisterschaft (DDM) im Jahre 2001, über das auch der Tagesspiegel berichtete, rief man einst das Jahrhundert der Frau aus. Das Finale endete, glaubt man der Berichterstattung, im rhetorischen Debakel, was die Chefjuroren der frühen Jugend des deutschen Debattierens aber nicht daran hinderte, offene Themen weiterhin ausgiebig zu verwenden. 2004 forderte ein Tübinger Team in Bonn die Einführung von Informatik auf Gymnasien, um dem Thema „Gates ist wichtiger als Goethe“ gerecht zu werden, und noch 2010 in Münster holte „dieses Haus“ den „verlorenen Sohn nicht zurück“.
Offene Themen begleiteten das Debattieren in Deutschland lange und ausführlich, wie VDCH-Chronist Bernd Hoefer schon anlässlich der DDM 2010 schrieb. Zuletzt scheinen sie aber aus der Mode zu kommen – und vielleicht ist damit bereits gut zu erklären, warum die Chefjuroren der ZEIT DEBATTE Frankfurt 2013 für ihr Thema Dieses Haus geht auf Schatzsuche, nun ja, nicht unbedingt umarmt wurden.
100 Prozent Erbschaftssteuer, das Verbot von Schönheits-OPs, die Förderung erneuerbarer Energie: es kam in den Debattenräumen denn auch zu allerlei Wunderlichkeiten beim Gang auf Schatzsuche. Zugegeben deutlich mehr, als wir Chefjuroren uns gewünscht hatten. Nimmt man an, dass es nicht nur an Boshaftigkeit oder bewusster Ignoranz lag, scheint es vielen Regierungsteams schwergefallen zu sein, einen Antrag zu finden, der angemessen den Grundkonflikt des Themas aufgreift und darüber eine Debatte ermöglicht. Damit stellte sich für die Teilnehmer und auch uns Chefjuroren die Frage, ob offene Themen überhaupt noch das richtige Mittel der Wahl sind, um gute und faire Debatten auf einem Turnier zu ermöglichen.
Die Herausforderungen bei offenen Themen
Insbesondere bringen offene Themen einige Probleme mit sich in der Debatte und ihrer Jurierung, die es zu diskutieren gilt:
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Die Eröffnende Regierung muss zusätzlich zu ihren üblichen Aufgaben, Problem, Mittel und Ziel zu skizzieren und dafür Argumente zu finden, noch in kürzester Zeit das Thema anständig interpretieren und eine dazu passende Maßnahme finden (wobei ich davon ausgehe, dass es sich um ein offenes Thema handelt, bei dem man auch einen Antrag stellen muss – das heißt, es ist keine “glauben”-Formulierung im Thema). Dies ist durchaus anspruchsvoll und wir müssen feststellen, dass das in vielen Fällen nicht oder nur schlecht gelungen ist.
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Die Eröffnende Opposition hat gegenüber der Regierung den Nachteil, das genaue Thema der Debatte nicht zu kennen und muss sich innerhalb von weniger als sieben Minuten ggf. auf ein völlig neues Thema einstellen. Gehen wir davon aus, dass das Mittel des Gegenantrags verpönt oder verboten ist, dann muss sie sich zusätzlich die Frage stellen, ob sie die Regierung über eine Fehlinterpretation des eigentlichen Themas aufklären will, bevor sie sich auf die gesetzte Debatte einstellt.
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Gehen wir weiterhin davon aus, dass ein Dolchstoß (Neudeutsch Backstabbing) auf Regierungsseite verboten ist, so stellt sich bei offenen Themen im Schnitt häufiger das Problem, dass die Schließende Regierung in einer gewissen Falle sitzt und sich fragt, ob sie es sein sollte, die versucht, einen misslungenen Antrag noch an das offene Thema anzubinden.
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Schließlich ist es für die Juroren unklar, wie ein zu starkes Abweichen des Antrags von der ursprünglichen Themenstellung sanktioniert werden kann und soll. In meiner Debatte hat die Eröffnende Regierung für ihren Antrag „Verbot von Schönheits-OP“ den vierten Platz bekommen, da er aus Sicht der Juroren klar nicht vom Thema gedeckt war und das Team noch nicht mal den Versuch unternahm, eine Anbindung herzustellen. „Was suchen Sie denn?“, fragte zu Recht die Opposition.
Problem Nummer eins sollte lösbar sein mit ein wenig Übung – und als Bürde erträglich, schließlich besitzt die Regierung gleichzeitig einen Vorteil zumindest vor der Eröffnenden Opposition, da nur sie das gewählte Detailthema kennt. Problem Nummer zwei sollte auch lösbar sein, solange sich die Regierung nicht zu sehr aus dem Ursprungsthema entfernt, denn im Idealfall kann die Eröffnende Opposition aus dem Argumentationsfundus des Grundkonflikts schöpfen, der im offenen Thema bereits angelegt war und mit dem sie sich in der Vorbereitung auseinandersetzen konnte. Problem Nummer drei reduziert sich auf das übliche Problem einer Schließenden Regierung mit einem schlechten Antrag, solange sich nur alle einig sind, dass grundsätzlich der Antrag der Regierung die Debatte definiert.
Problem Nummer vier ist wohl das schwierigste: Wie gehe ich um mit einem Antrag, der gerade noch so bzw. eigentlich schon nicht mehr den Grundkonflikt des Themas aufnimmt (im Falle der Schatzsuche: Gewohntes zurückzulassen; einen beschwerlichen Weg mit unsicherem Erfolg zu wagen: etwas zu suchen, was nicht aus eigenem Besitz/ eigener Arbeit stammt; etwas finden, was besser bleibt, wo es ist – weil es Rohstoffe sind, weil es in den Wahnsinn treibt, weil es geklaut ist etc.)? Eigentlich müsste es im British Parliamentary Style (BPS) qua Konstruktion eine Entweder-oder-Entscheidung geben: Passt der Antrag, oder passt er nicht? In ersterem Fall wäre die Eröffnende Regierung in der normalen Bewertung, im zweiten Fall ziemlich am Schluss der Reihung, wenn nicht ein anderes Team noch viel Schlimmeres verbrochen hat. Dazu muss die Jury die grundsätzlichen Konflikte und Prozesse des offenen Themas mit dem Antrag vergleichen, die ihr im Idealfall schon von der Eröffnenden Regierung erklärt wurden. Auch wenn es nicht einfach ist – für ein gutes Panel sollte es möglich sein, diese Entscheidung zu treffen.
Brauchen wir überhaupt offene Themen?
Wenn ein offenes Thema nun möglich ist – ist es, bei all seinen Gefahren, erstrebenswert? Ich glaube, das ist es, denn es schult wichtige analytische Kompetenzen, die ein Redner im Grunde bei jeder Debatte braucht: Ein offenes Thema zwingt das Team, vom Großen ins Kleine zu denken. Es muss analysieren, welche Beispiele genau durch die Mechanismen und Grundkonflikte gekennzeichnet sind, die auch im Oberthema enthalten sind. Dies ist eine Kompetenz, die ein gutes Team auch in anderen Debatten braucht: Entweder, um Beispiele und Analogien aus anderen Kontexten zu finden, oder um aus einem sehr spezifischen Problem einen grundsätzlicheren Konflikt zu entwickeln – sozusagen die Gegenaufgabe zum offenen Thema.
Zur Illustration hier ein Beispiel (konkret zu abstrakt):
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Soll der Staat einen Menschen, der jeden Tag vor dem Spiegel seine krumme Nase bedauert, durch das Verbot von Schönheits-OPs erlösen?
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Soll die Universität einen Studierenden der Mathematik, der sich seit vier Jahren an der Analysis I versucht (und immer wieder scheitert), endgültig aus dem Studium herausprüfen?
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Dieses Haus würde manche Menschen zu ihrem Glück zwingen.
Und ein zweites Beispiel (abstrakt zu konkret):
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Dieses Haus würde wichtige Richtungsentscheidungen auch gegen die Mehrheitsmeinung des Volkes durchsetzen.
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Dieses Haus würde Revolutionen auch in demokratischen Staaten als Mittel des politischen Fortschritts unterstützen.
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Dieses Haus macht Olympia trotzdem.
Diese Beispiele zeigen auch, dass genau dies eine wichtige Aufgabe von Chefjuroren ist: Man begegnet einem Problem und überlegt, ob es auch noch andere Formulierungen gibt, die entweder die Debatte präziser machen oder die Debatte verallgemeinern – oder ob ein anderes Beispiel die Debatte besser zum (möglichen) Grundkonflikt bringt.
Ist deshalb das offene Thema einfach nur Ausdruck von Faulheit der Chefjuroren? Nein, im Gegenteil: offene Themen müssen besonders gut durchdacht werden, damit ein guter, klarer Grundkonflikt oder Mechanismus beschrieben wird, der für den Antrag der Regierung gute „Leitplanken“ bietet und den anderen Teams die Möglichkeit gibt, sich sinnvoll auf die Debatte vorzubereiten. Wir glaubten, genau dies in Frankfurt erfüllt zu haben – vielleicht aber hätte es eines Vorsatzes bedurft, um eine „metaphorische“ Deutung der Worte „Schatz“ und „Suche“ schwieriger zu machen: „Schiefergas, Bernsteinzimmer oder Zug nach Westen? Dieses Haus geht auf Schatzsuche“. Genauso machten es auch Daniel Grotzky, Sebastian Berg und Marcel Giersdorf 2010 mit dem verlorenen Sohn, in dem sie kurz die entsprechende Bibelgeschichte darstellten.
Dem Thema Dieses Haus hat eine Vision hätte dies vielleicht nicht mehr geholfen: Die Opposition der Vision gewann 2001 die Debatte mit einem Gegenantrag zur Ausrufung des Jahrhunderts der Menschheit. Das wiederum rief die Debattieropposition aus Tübingen auf den Plan: In der Offenen Parlamentarischen Debatte gibt es laut Regelwerk keine offenen Themen. Irgendwie schade, wenn das jetzt in BPS auch so käme.
Philipp Stiel/kem
Das Mittwochs-Feature: jeden Mittwoch ab 9.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.
Philipp Stiel ist Deutscher Meister im Debattieren 2010 und Bester Finalredner der Deutschen Debattiermeisterschaft 2009. Er war Sieger der ZEIT DEBATTE Wien 2009 sowie Chefjuror mehrerer Turniere, darunter die ZEIT DEBATTE Tübingen 2012 und der Bodden-Cup 2013. Von 2011 bis 2013 war er Mitglied des VDCH-Vorstands, zunächst als Vizepräsident für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, ab August 2012 als Präsident. Er studierte in Tübingen, Chile und den USA Volkswirtschaftslehre. Derzeit arbeitet er für eine Bundestagsfraktion im Bereich Finanzpolitik in Berlin.
Sorry Philipp, aber den Schuh, dass sich Teams weit vom „angedachten Grundkonflikt“ entfernt haben, müsst ihr euch schon selbst anziehen, da es keinerlei Einführung dazu gab, was denn aus der Schatzsuche gemacht werden solle. Es wurde lediglich gesagt, dass das jetzt nach einem sehr ernsten Thema etwas lustig klingen mag und man auch lustig sein dürfe, aber es nicht übertreiben solle. Da wundert es doch nicht, dass Teams einfach nicht wissen, dass sie ihren konkreten Antrag an den Wortlaut der Motion anbinden sollen.
Mit klarerer Kommunikation sollte dieses Problem jedoch zugegebenermaßen lösbar sein. Dennoch bin ich höchst skeptisch, was offene Themen angeht, da unerfahrene Teams wohl nicht selten komplett überfordert damit sind und – wenn sie Eröffnende Regierung sind – möglicherweise die ganze Debatte hinüber ist. Nicht umsonst ist der Prozess der Themenfindung in Chefjurys in der Regel doch mit wochenlangem Analysieren des Themas verknüpft, dem Überlegen, ob es genügend Argumente gibt, dem Überlegen, ob es ausgeglichen (welcher Juror eines offenen Themas wird nicht erbost sein, wenn die Regierung einen Antrag wählt, der kaum oder keine Gegenargumente zulässt und eine Debatte damit de facto unmöglich gemacht wird?) ist, relevant, intuitiv etc. ist. Zu erwarten, dass Teams den selben Prozess in 15 Minuten durchlaufen, halte ich für vermessen.
Außerdem frage ich mich, warum man nicht einfach auch ein wenig auf die inzwischen ja offenbar vorhandene Empirie hört. Offene Themen gibt es scheinbar schon seit den Anfängen des Debattierens und zumindest ich kann mich an keine gute erinnern. Und auch wenn jetzt eine hervorragende Debatte zu einem offenen Thema aus den Annalen zitiert werden sollte: Man sollte mal überschlagen, wie viele Räume gleichzeitig über all die Jahre mit offenen Themen konfrontiert wurden und wie viele schlechte Debatten dabei vermutlich entstanden sind. Ist es das wirklich wert, dafür dass alle paar Jahre mal eine gute Debatte entsteht?
Das in BP in der Vergangenheit von offenen Themen Abstand genommen wurde, halte ich für begrüßenswert. Während in OPD einfach alle Teams weniger Punkte bekommen, ergo der Break nicht verzerrt wird, spielt die entscheidende, vierte Vorrunde wegen der o.g. Problem eine nicht zu unterschätzende Rolle. Einen BP-Teampunkt haben oder nicht haben kostet 3-5 Teams regelmäßig den Break und es ist ärgerlich, wenn man die Punkte aufgrund eines Umstandes verliert, für den man nichts kann.
Ich sehe einen entscheidenden Unterschied zwischen dem verlorenen Sohn und der Schatzsuche: der Topos der Vergebung kann von zwei Seiten gut beleuchtet werden, ist konkret und ist gesellschaftlich relevant. Der Topos der Suche bietet all das nicht.
Es gibt offene Themen und offene Themen…
Ich finde offene Themen ebenfalls nicht begrüßenswert.
Eine Aufgabe der Chefjuroren ist es auch sicher zustellen, dass Themen ausgeglichen sind.
Gibt man Teams vor allem ER zu viel Freiheit, kann das vor allem bei guten Teams dazu führen, dass sie einfach sehr regierungslastige Themen aussuchen werden, was ihnen den Sieg einfacher macht. Gute Teams haben schon sehr viel Erfahrung, kennen sehr viele Themen und waren womöglich selber mal Chefjuroren, oder haben einfach ein Gefühl für die Ausgeglichenheit von Themen.
Offene Themen sind vielleicht in Ordnung, sofern die Teams vorher wissen, dass es welche geben wird (so dass sie Themen und Anträge vorbereiten sowie Spontandebattieren üben können), die Juror*innen darin geschult werden, welche Arten von Anträgen statthaft sind und welche nicht (keine tautologischen, trivialen oder jeden Konflikt abschnürende) und die Chefjuror*innen den Bezug der offenen Stellung zum tatsächlichen Thema locker sehen statt rigide. Vielleicht sollten sie auf ein spezielles Turnier ausgelagert werden, wie z.B. das jährliche Durham Open. Aber auch dort gibt es manchmal Murren über Themen „ohne Opposition“. Z.B. haben Sam Block und Joe Roussos dort mal das ESL-Viertelfinalthema der EM in Manchester gestellt 😉
Ein sehr guter Beitrag, Philipp, dem ich entgegen der bisherigen Kommentare voll zustimme.
Jedes offene Thema erzwingt eine Auseinandersetzung mit Grundkonflikten. Diese mögen mitunter schwer erkennen zu sein. Genau dies macht offene Themen aber durchaus zu guten Differenzierungsthemen in der vierten Runde, wenn es langsam in Richtung Break geht – Meiner Meinung nach sogar zu angenehmeren als sehr spezielle wirtschaftliche/soziale/technische Themen, bei denen die Leistung der Teams schlicht darin besteht, sehr sauber und diffizil an ihren Mechanismen zu arbeiten und präzise einzelne Aspekte des Themas zu sezieren. Letzteres ist leider gegenwärtig weit verbreitet, wird gar fast als Standard (alternativlos?) zur Differenzierung zwischen den Top-Teams angesehen. Ich fand es daher sogar sehr begrüßenswert, dass die Chefjuoreren in Frankfurt von diesem Schema abgewichen sind und wieder einmal dem offenen Thema die Ehre gegeben haben.
Themen, bei denen es auf *besonders* saubere Mechanismus- und Analysearbeit ankommt (nennen wir sie der Einfachheit also „Mechanismus-Themen“, auch wenn natürlich jeder Antrag seine Mechanismen braucht), zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass die Teams schon in der Vorbereitungszeit sehr eng am Thema arbeiten müssen. Sie müssen sehr genau untersuchen, wie sich der Antrag auf unterschiedliche Gruppen auswirkt und gut differenzieren. Die Kunst liegt gerade darin, die einzelnen Auswirkungen nicht zu pauschalisieren, sondern präzise zu bennen und zu bewerten. Dies ist für sich genommen natürlich alles noch kein Schaden, da dies zweifellos wichtige Debattierfähigkeiten sind, die letztlich in jeder Debatte zu einem gewissen Grad gebraucht werden. Warum ich das häufige Auftreten dieser Themen trotzdem mit „leider“ bewerte? Weil die aus ihnen resultierenden Debatten oft blutleer und leidenschaftslos werden. Weil es in den seltensten Fällen um die Rückbindung an grundsätzliche Fragen geht, sondern nur um die Frage „Haben wir noch eine Gruppe vergessen, auf die sich der Antrag auswirkt?“. Weil der Verlauf der Debatte schon in der Vorbereitungszeit fast vollständig vorhersehbar ist. Kurz: Weil sie zu einem gewissen Grad „langweilig“ sind.
Offene Themen bilden hier den Gegenpol. Ihre Vorteile und Herausforderungen wurden von Philipp bereits dargestellt, weshalb ich diese hier nicht wiederholen werde. Stattdessen nur ein paar Worte zu ihrer angeblichen „Unfairness“ gegenüber allen Teams außer der ER. Ja, die anderen drei Teams können nicht auf ihr „Schema-F“ in der Vorbereitungszeit zurückgreifen, nach Betroffenengruppen zu suchen. Ja, sie können sich auf keine konkrete Kosten-Nutzen Abwägung vorbereiten, wie sie dies normalerweise tun. Sie sind stattdessen gezwungen, sich auf einen vagen Grundkonflikt einzulassen und „ins Blaue hinein“ Argumente zu finden. Ist dies unzumutbar oder ein Nachteil? Ich finde nein. Um als Beispiel das Schatzsuche Thema aufzugreifen: Jede EO hätte sich zumindest mit der Frage auseinandersetzen können, inwieweit es zulässig ist, aufgrund der Vision einzelner (Staatslenker) einem ganzen Volk die Unwägbarkeiten eines Aufbruchs in eine ungewisse Zukunft zuzumuten. Wie weit geht politische Gestaltungsfreiheit? Wo liegt der Unterschied zwischen einem Individuum (z.B. einem Piraten), der „auf Schatzsuche“ geht, und einer Gesellschaft, die dies tut? Welche Verantwortung hat eine Gesellschaft, in einem vertrauten Status Quo zu bleiben, um einen Zustand zu vermeiden, in dem alles zusammenbricht, wenn „die Schatzsuche“ scheitert? Mit einer Vorbereitung, die sich mit diesen Fragen ernsthaft auseinandergesetzt hätte, hätte man (mit Spontanmodifikationen in der Debatte) sämtliche Anträge, von denen ich auf diesem Turnier zu dem Thema gehört habe, kontern können, selbst so abwegige, wie das Verbot von SchönheitsOPs, einfach weil die Fragen so grundsätzlich sind.
Ebenso kann die SR zumindest einen abstrakten Extension-Punkt vorbereiten, warum gerade der Aufbruch ins Ungewisse gut und notwendig für eine Gesellschaft sein kann, um das Verkrusten von Strukturen zu verhindern. Die SO kann sich mit all diesen Fragen ebenfalls auseinandersetzen.
Ein offenes Thema bürdet den anderen drei Teams somit anderen Strategien in der Vorbereitungszeit auf. Dies trifft aber auch auf die ER zu. Denn im Regelfall verliert diese mindestens fünf Minuten damit, sich überhaupt auf einen konkreten Antrag zu einigen, der eine gute Debatte verspricht. Anders als es oft behauptet wird, glaube ich nicht, dass erfahrene Teams, die die Aufgabe einer ER wirklich verstehen, sich besonders regierungslastige Themen aussuchen werden, weil dies – wie schon von Philipp festgestellt – in aller Regel negativ auf die ER in der Jurierung zurückfällt. Die ER steht somit vor der Gratwanderung, einen Antrag zu stellen, der ausgewogen genug ist, um eine faire Debatte zu ermöglichen, sich dabei aber nicht das eigene Grab zu schaufeln, indem man es den anderen Teams gar zu leicht macht.
Was den Verlust von Teampunkten und Breakchancen angeht: Es kann in absolut jeder Debatte passieren, dass man aufgrund eines schlechten Antrags der ER verliert, weil die Debatte unkontrollierbar wird, dies ist kein Spezifikum der offenen Themen. Und ja, gerade nicht so erfahrene Debattierer mögen von offenen Themen etwas überfordert sein. Dies sollte sich indes kaum auf Breakchancen auswirken, da durch das Powerpairing in der vierten Runde insoweit bereits eine recht zuverlässige Raumteilung erwirkt wurde. Bei einem offenen Thema in der ersten Runde mag dies anders sein, aber dies steht hier nicht zur Debatte.
Was ist nun der langen Rede kurzer Sinn? Ich finde, offene Themen haben definitiv ihre Berechtigung aus all den Gründen, die Philipp schon aufgezählt hat. Sie fordern andere Debattierfähigkeiten als die ansonsten gerne verwandten „Mechanismus-Themen“ in späteren Runden – andere, aber ebenso wichtige. Sie rücken den Grundkonflikt in den Fokus der Vorbereitungszeit und ermöglichen dadurch Debatten, die sich nicht im Klein-Klein einzelner Betroffenengruppen verlieren, sondern den Blick auf das große Ganze ermöglichen. Sie sind hoch-normativ und somit vielleicht ungewohnt. Sie rütteln an den Grundüberzeugungen und Grundfragen unserer Gesellschaft. All dies sollte Debattierer aber nicht vor unlösbare Probleme stellen – ganz im Gegenteil. Jeder Debattierer muss schließlich Prämissen hinterfragen können – auch normative Grundprämissen. Offene Themen erschweren dies lediglich dadurch, dass die zu hinterfragende Prämisse nicht explizit vorgegeben wird, sondern von den Teams selbst erkannt werden muss. Diese Schwierigkeit obliegt aber allen Teams gleichermaßen.
Wenn wir nun feststellen, dass empirisch auf vielen Turnieren dennoch offene Themen fehlschlagen, weil die ER sich ihrer Verantwortung nicht bewusst wird und mit ihrem Antrag nicht auf die infrage zu stellenden Prämissen eingeht oder die anderen Teams nicht von den Prämissen ausgehend sich auf die Debatte einlassen, dann liegt dies meiner Meinung nach nicht an der Form des offenen Themas an sich. Vielmehr sollte dann vielleicht in den einzelnen Clubs mehr Wert darauf gelegt werden, zu üben, sich mit offenen Themen und normativen Prämissen auseinanderzusetzen. Ich jedenfalls fände es schade, wenn die Form des offenen Themas ganz verschwindet und nur die oft blutleeren, handwerklichen und streng technischen „Mechanismus-Themen“ übrig bleiben.
Hm, sorry, der Post ist etwas länger 😀
Ich selbst halte offene Themen auf Turnieren auch für sehr bereichernd, wenn der Grundkonflikt in der Motion deutlich wird. Die für mich relevanten Gründe hat Barbara schon sehr gut und ausführlich erläutert.
Zu den Kritikpunkten gegen offene Motions:
– Grundkonflikt und Anfänger: An sich geht es beim Debattieren nicht um das Aufzählen von Fakten, sondern um die Auseinandersetzung mit einen moralischen Konflikt, der in der Motion erkennbar sein muss. Dies sollte allen Debattieranfängern schon in den ersten Wochen deutlich gemacht werden. Wenn sie das nicht wissen, dann werden sie auch keinen Erfolg im Debattiersport haben. Deshalb fände ich es auch gut, wenn in Clubs offene Themen debattiert werden. Die letzte Vorrunde bei der DDM 2012 in Wien „Dieses Haus unterstützt die Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates.“ konnte man auch gewinnen, wenn man kaum etwas über die Lage der Kurden wusste, dafür aber das Grundprinzip erkannt hat, ob Nationalitäten von ihren bisherigen Staat abspalten dürfen, um einen NAtionalstaat zu gründne. Man könnte hier sich natürlich auch fragen, ob sich das Debattieren hin zum Abarbeiten von genauen Themenfeldern entwickelt. Diese Entwicklung erschiene in meinen Augen allerdings sehr bedauerlich, da dann das eigentliche Grundprinzip der Auseinandersetzung zu mundgerecht präsentiert wird und Tugenden wie Spontanität und Kreativität auf der Strecke bleiben.
– Breakrelevanz: Auf der oben geäußerten Haltung aufbauend kann ich nur sagen: Wer bei einem Turnier (zumal einer ZEIT DEBATTE) sich den Break verdienen will und in der letzten VR in einem breakrelevanten Räum redet, der sollte auch mit einem offenen Thema klarkommen müssen. Nach der Haltung der Kritiker von offenen Themen dürfte es in der letzten Runde auch keine Motion geben, die zuviel Fachwissen erfordert wie bspw. alle finanzpolitischen Themen. So ginge auch nicht das Thema „Soll Bilbo zu Hause bleiben?“, welches ja das letzte Vorrunden-Thema bei einem Anfänger-Turnier war und hat denn gleichen Grundkonflikt beherbergt.
Dass die ER den Antrag in der letzten VR verhaut kann immer passieren, dass beste Mittel dagegen ist gutes Training.
– Vermittlung der offenen Themen: Ein Mittel von Chefjuroren, um die Debatten in eine gewisse Stoßrichtung zu schubsen und somit eine allzu kreative ER zu verhindern, kann das Zeigen eines kleinen Filmchens vor der Bekanntgabe des eigentlichen Themas sein. Mittels der Bilder und Töne haben die Debattierer schon die ersten Assoziationen, an die sie sich klammern können. In der letzten Zeit habe ich solche Filmchen auf Turnieren schon vermisst. 😉
So, dass war es von mir, hier noch einmal die Zusammenfassung:
– Gute, offene Themen sind toll, an ihnen zeigt sich der Grundwert des Debattierens und sie müssten öfter im Club debattiert werden.
– Bei Debatten in breakrelevanten Räumen kann immer etwas unglückliches passen, wichtig ist aber, was man daraus macht.
– Einspielfilmchen vor der eigentlichen Motionsverkündung machen Spaß und schützen vor gewagten Motioninterpretationen.
Dieses Gegensatzpaar „Mechanismus-Themen“/offene Themen scheint mir nicht ganz den Punkt zu treffen. Es ist ja nicht so, dass jedes geschlossene Thema prinzipiell oder auch nur faktisch (weil man sich auf anderes konzentrieren muss), die Prinzipien ausschlösse. Solche Themen gibt es zwar auch. Aber: Mindestlohn oder Drohnenkrieg, Präimplantationsdiagnostik oder Schleckerrettung, Frauenquote oder Überwachung – konkrete Anträge und doch zumindest zu sehr großen Anteilen Prinzipenfragen. Jedenfalls wird es keine Rolle spielen, weshalb der Antrag bei 9,00 Euro statt 8,50 Euro Mindestlohn oder 30 % oder 35 % Frauen in den Aufsichtsräten liegt. Philipp schreibt zu Recht, dass die mit offenen Themen verbundene Übertragungsleistung auch in anderen Debatten gebraucht wird. Das heißt aber auch: Sie wird dort auch geübt, es fehlt also nichts ohne offene Themen.
Der „Normalzustand“ im Leben aber kommt vom Einzelfall her: Für gewöhnlich will man ja sein Gegenüber nicht von irgendeiner Meinung bezogen auf einen Grundkonflikt X überzeugen, sondern zu einem gewissen Thema seine Ansicht vertreten. Wenn man Debattieren nicht nur als intellektuelles Pingpong begreifen will, sondern als Stärkung des Einzelnen zur Wahrnehmung seiner Rolle in einer streitbaren demokratischen Gesellschaft, scheinen mir geschlossene Themen doch näher zu liegen. Zu jedem der offenen Themen lassen sich gute Anwendungen finden (sonst hätten die Chefjury sie nicht gewählt). Debattieren wir lieber diese und darin die Prinzipien!
Ich sehe offene Debatten in Anknüpfung an Flo vor allem deshalb sehr kritisch: Sie nehmen eine wesentliche Grundlage der Vergleichbarkeit aus den Debatten. Wie bereits gesagt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Übertragung Teams eben nicht gelingt, recht hoch, was schlimmstenfalls zur Vernichtung der Debatte führt. Ob man in diesem oder jenen Raum sitzt, kann man aber nicht beeinflussen.
Moin zusammen,
so gern ich offene Themen selbst debattiere so muss ich leider feststellen dass sie für die Ausscheidungsrunden resp. letzten breakrelevanten VR nicht geeignet sind. Wo in OPD zumindest das Antrag überlegen vs. schnelle Aufnahme des konkreten Antrags bei der Opp stehen werden bei BP die Chancen nach dem Coinflip-Prinzip verteilt (sofern es den vierseitige Coins gebe). Die Willkür des offenen Themas ermöglicht vor allem mit mehr Glück als Debattierkönnen Punkte zu sammeln.
Zu ER: Kann gewinnen wenn sie geilen Case macht und den so abseitig aussucht dass alle drei anderen Teams sterben. Kann aber auch schnell verlieren wenn sie dämliches macht. Hat hier an sich die besten Chancen weil bei offenen Themen noch mehr als sonst an ihren Fähigkeiten die Debatte gesettlet wird.
EO: Kann mit abseitigen Thema komplett aus dem Spiel genommen werden oder durch grenzdebile ER den Sieg quasi frei Haus bekommen.
SR: BP-Falle hoch drei wahrscheinlich bei einem solchen Thema. Dazu das Problem das ER Antrag wählt der nach der FH quasi argumentativ leerläuft.
SO: Tendeziell in der guten Lage sich möglichst lange auf den Wahnsinn der ER vorbereiten zu können. Kann ähnlich wie SR allerdings unter mangelnder Anzahl von Argumenten leiden.
Conclusio: Bei offenen Themen steht die Fähigkeit der ER eine Debatte zu setzen noch viel stärker im Vordergrund und verzerrt dadurch mit höherer Wahrscheinlichkeit das Ergebnis. Daher sollten offenen Themen wegen ihrer unvorhersehbaren Abhängigkeit von der ER nicht in relevanten Runden (letzten VR/KO-Runden) gestellt werden.
In OPD zwar regeltechnisch nicht zulässig aber tendenziell eher debattierbar weil es keine hinteren Hälften gibt.
zu C. Landrock: Der Verzicht auf Filme ist an sich gut, da sich häufig in der Debatte die Argumentation an aus dem Film gesehenen Bildern orientiert und damit je nach Qualität des Films Reg oder OPP behindert.
Es gibt keine „BP-Falle“. Das ist loser talk deutschsprachiger Debattierer*innen, die nicht verstehen, was für ein Geschenk es für eine SR ist, wenn sie eine schlechte ER hat. Und wenn die ER sehr gut ist, verdient sie auch, zu gewinnen. Aber auch dann kann man sie noch überholen oder wenigstens Zweiter werden.
Offene Themen sind grundsätzlich in Ordnung, wenn sie so klar formuliert sind, dass der Grundkonflikt unzweideutig ist. Das ist bei „DHW den verlorenen Sohn wieder zurückschicken“ der Fall, bei „DH geht auf Schatzsuche“ nicht. Welchen prinzipiellen Konflikt bietet dieses Thema? Der Artikel meint: „Gewohntes zurückzulassen; einen beschwerlichen Weg mit unsicherem Erfolg zu wagen“ Das ist doch aber eine unsinnige Frage. Die Frage, ob man auf Schatzsuche geht, wird immer davon abhängen, wie gut die Erfolgsaussichten auf den Schatz sind, es geht darum, welchen Nutzen man für den Preis bekommt, und nicht ob man überhaupt einen Preis bezahlen muss. Das Thema ist ungefähr so undefiniert wie „DH geht ein Risiko ein“. Mich würde sehr interessieren, welchen Antrag die CJ bei der Schatzsuche gestellt hätte.
Das Problem ist, dass das Thema so offen ist, dass die Chefjury hier ihren Job tatsächlich an die ER abgibt. Diese muss nämlich nicht nur einen Antrag und Argumente finden, sondern auch ein Thema, das ihren Gegnern überhaupt noch eine Chance gibt, das sie aber dennoch gewinnen werden. Die ER muss also ein Thema finden, bei dem sie ihren Gegner zwar Gegenargumente, aber keine schlagenden Gegenargumente zutraut.
Im Übrigen halte ich es für eine Fehljurierung, wenn eine ER mit der Begründung auf 4 gesetzt wird, dass der Antrag das Thema verfehlt. Debattiert wird schließlich der Antrag. Wenn die EO den nicht will, kann sie einen Gegenantrag stellen.
Grundsätzlich finde ich es super, dass du dich mit der Kritik auseinander setzt Philipp.
Ich habe vor Frankfurt 2 offene Themen auf Turnieren debattiert: „DHW mehr Milch trinken“ (Schwarzwaldcup 2012) und „DHW Maria das eigene Bett anbieten“ (Nikolausturnier 2012). Beide Debatten fand ich gut und aufregend entweder, weil es eine anspruchsvolle Aufgabe war als Regierung auf einen guten Antrag zu kommen oder weil man mal richtig gefordert war wenn es darum ging auf den Antrag zu reagieren. Die Debatten waren deshalb gut, weil die Regierung jeweils das Prinzip interpretiert und einen debattierbaren Antrag gestellt hat.
Dass ist meiner Auffassung nach dann nicht gewährleistet, wenn das Thema zu „offen“ ist.
An dem Punkt wo man den Weg zum Kühlschrank um zu gucken ob noch Milch drin ist als Schatzsuche bezeichnet ist keine sinnvolle Debatte mehr möglich, das Problem ist einfach, dass man alles als eine Schatzsuche bezeichnen kann und deswegen die ER alle möglichen Anträge stellt.
Hat man aber ein Thema, was nicht so offen ist, sondern ein enges Grundprinzip hat z.B. „DHW Maria das eigene Bett anbieten“, dann kommen dabei eher sinnvolle Anträge und auch gute Debatten bei raus.
Auch ich denke, dass eine offene Debatte nur fair ist, wenn der Antrag am Prinzip bleibt. „Edward Snowden Asyl anzubieten“ ist mitunter schwer mit dem Thema „Dieses Haus geht auf Schatzsuche“ in Einklang zu bringen. Nun ist es sicher ok, wenn die Juroren der ER dafür einen entsprechenden Malus geben (wenn die Opp gezeigt hat, dass die Debatte fern der Motion ist), allerdings ändert das nichts an der Verzerrung der Debatte, insbesondere auch für die übrigen drei Teams. Es mag stimmen, dass eine breakentscheidende Runde durchaus anspruchsvoll sein soll, aber sie sollte für alle Teams den gleichen Anspruch haben, um fair zu sein. Und im Fall eines sehr offenen Themas, ist das mitunter nicht gegeben. Denn wie Nicolas ja angerissen hat, haben alle Teams völlig andere Herausforderungen bei einer solchen Debatte.
> Anspruch EO: in 7 Minuten eine Argumentation für eine quasi „normale“ Debatte zu finden, auszuarbeiten und zu strukturieren, gleichzeitig zuhören und Rebuttal einbauen
> Anspruch SR: ohne Vorbereitungszeit weitere Argumente finden und ausbauen, während man der ER intensivst zuhören und die eigenen Punkte entsprechend simultan zu deren Generierung schon wieder verwerfen muss (man hat ja nicht die üblichen 15 min zum Brainstorming creativer Punkte oder zur Tiefenanalyse der Hauptargumente)
> Anspruch SO: ohne Vorbereitungszeit weitere Argumente finden und ausbauen, während man der EO intensivst zuhören und die eigenen Punkte entsprechend simultan zu deren Generierung schon wieder verwerfen muss (man hat ja nicht die üblichen 15 min zum Brainstorming creativer Punkte oder zur Tiefenanalyse der Hauptargumente), strategische Entscheidung die Prämissen der EO zu teilen oder nicht (das Teilen der Prämissen, kann das Aufführen weiterer Argumente erschweren oder unmöglich machen, zugleich steht man als letztes Team, dass Argumente bringen darf im Zweifel komplett ausßerhalb der Debatte, wenn man etwas derartig Neues einbringt)
> alle Teams außer der ER: Debattiere ich den großen Mist, der vorgeschlagen wird oder versusche ich die Unmöglichkeit der Rückanbindung an die Motion (beides ohne zu wissen, wie die Juroren mit solchen Abweichungen von der Motiin umgehen, ob es also strategisch sinnvoll wäre, das eine oder andere zu tun)
Ein paar Worte vorab, worauf die ER bei offenen Themen hätte achten müssen, hätte die Lage sicher verbessert, aber das Problem nicht grundsätzlich gelöst. Und so kommen wir schließlich bei Jonas an: Vielleicht wäre es wirklich eine gute Idee, offene Motion nicht zu übertreiben und so gute und faire Debatten zu garantieren.
Entschuldigt bitte die Tippfehler. Ich schieb’s mal auf dieses blöde kleine Kommentarfeld, bei dem zur Erhöhung der Übersichtlichkeit auch noch jedes deutsche Wort rot unterstrichen wird. 😛
Offenes Thema ist nur, was als solches deklariert ist.
Beispiel: Der verlorene Sohn.
Zwischenruf von Tilbury House: „Ist das eine Open Motion?“
CA: „Ja!“
Also: offenes Thema.
So war das in Münster auf der DDM.
Ohne diesen Hinweis darf ich nicht einfach den verlorenen Sohn als was weiß ich nicht was auslegen und letztlich debattieren, was ich will und leicht gewinnen kann. Der verlorene Sohn ist der verlorene Sohn wie er in der Bibel steht, und Milch ist Milch.
Visionen und Schatzsuchen sind natürlich unspezifischere Konzepte als das Trinken von Milch – aber auch wieder zu unterschiedlichen Graden. Eine Vision kann alles sein. Ein Schatz vieles.
Nun muss die Jury darüber urteilen, ob der Antrag das Thema angemessen reflektiert (s. z.B. §8.2 und §9.1 des DDM-Regelwerks von 2012). Das ist schon bei sehr spezifischen Themen oft nicht ganz leicht, etwa wenn Ausnahmen definiert werden. Wirft man unkommentiert ein sehr unscharfes Konzept an die Wand, ist es umso schwieriger, Interpretationsdurcheinander und Regelauslegungszank unter den Teams und mit der Jury zu vermeiden.
Also: Themen sind von CAs zu setzen und nicht von den Regierungen, die gerade rein zufällig dran sind und vielleicht selber nicht so genau wissen, was sie nun dürfen und sollen.
Unabhängig von dem konkreten Thema: Ich fänd es unendlich schade, wenn es keine offenen Themen mehr im deutschsprachigen Debattierraum gäbe. Das Argument darf nicht lauten: Weil es Teams gibt, die nicht mit offenen Themen klarkommen, sollte man keine mehr machen. Nach dieser Logik könnte man das Thema Wirtschaft komplett streichen. Aber es stimmt schon: Offene Themen sind ein Risiko, sollten daher eher nicht in Runden gesetzt werden, wo es in besonderem Maße auf die Ausgewogenheit ankommt.
Ja, zum Beispiel auf Turnieren.
Mir geht es am Ende darum, auf einem Turnier Spaß zu haben. Das ist der Hauptgrund für mich dort hin zu fahren und ich meine damit Spaß an den Dabatten, den Feiern oder Quatschen kann ich auch ohne Turnier.
Die Frage für mich ist also, ob offene Debatten Spaß bringen. Wenn die Reaktion aber negativ ausfällt, ist das Thema nicht gut. Mein individueller Eindruck war, dass die meisten in Frankfurt eher nicht so begeistert waren. Das war sowohl mein Eindruck bei der Themenverkündung, als auch nach der Debatte. Der Tenor nach unsere Debatte war, tolles Thema aber schade, dass wir es nicht „richtig“ debattieren konnten, mit Vorbereitung.
Da irgendwie jeder eine andere Position benachteiligt sieht, oder auch nicht wie es gerade beliebt, würde ich das außen vor lassen. Eine völlig ausgeglichene Motion für alle 4 Position wird man selten finden.
Ob die Debatte nun ein höheren Wert hat, weil sie besonders toll schult ist mir ziemlich schnurz. Ich fahr nicht auf ein Turnier um dort pädagogisch behandelt zu werden.
Die Frage, die es für mich zu beantworten gilt, ist, freuen sich die Leute bei offenen Themen oder nicht. Mein Eindruck war nein, jedoch habe ich noch nicht so viele offene Themen auf Turnieren gehabt und auch nur Feedback aus einem Raum. Wenn es allen anderen Spaß bringt, dann sei es so und dann gerne jedes mal ein offenes Thema.
P.S. Marc (DD/FR), es gab die Snowden Debatte in unserem Raum. 😉
Ich möchte Philipp in den wesentlichen Punkten anschließen. Zugespitzt: Wenn es ein Problem mit offenen Themen gibt, dann, dass wir sie zu selten debattieren. Ich glaube, viele der hier identifizierten Schwierigkeiten entstehen einfach aus mangelnder Erfahrung mit solchen Themen. Die Lösung dafür ist dann aber nicht, diese Art von Themen abzuschaffen, sondern dieses Erfahrungsdefizit zu beseitigen.
Philipp hat den wesentlichen Punkt schon angesprochen: Letztlich drehen offene Themen einfach die übliche Reihenfolge des Denk- und Debattenprozesses um. In der Regel sind Themen der erste Satz des Eröffnungsredners (in der Praxis setzt man noch eine rhetorische Schleife davor). Offene Themen sind dagegen der letzte Satz des Schlussredners: Der hinter einem Thema steckende Grundkonflikt. Ich würde den Impetus, den Philipp in diese Beschreibung einfließen lässt, aber gerne vom Kopf auf die Füße stellen:
Das Gute an offenen Themen ist nicht, dass sie mit dieser Umkehrung etwas LEHREN, das sonst nicht gelehrt wird, sondern dass sie etwas PRÜFEN, was sonst nicht geprüft wird. Und deshalb widerspreche ich auch allen, die das nicht auf Turnieren sehen wollen. Man macht ja nicht nur deshalb viele Vorrunden, um das schwache Gesetz der nicht ganz so großen Zahl gegen den Zufall in Stellung zu bringen, sondern auch um unterschiedliche Fähigkeiten bei den Teams abzufragen. Und wer breaken will muss eben alle diese Fähigkeiten mitbringen. Deshalb ist z.B. auch der von Daniil angesprochene Komplex Wirtschaftsthemen so wichtig. Deshalb stellt man Themen, bei denen Fachkenntnisse helfen und Themen, bei denen es keine Fachkenntnisse geben kann. Und deshalb sollte man auch offene Themen stellen. Gerade auf Turnieren.
Danke, Lukas – genau so hatte ich es gemeint :-). Entscheidend ist für mich, dass durch offene Themen eine Fähigkeit gefordert wird, die ich von guten Debattanten erwarte. Insgesamt hatte ich auf dem Turnier bei vielen Debatten das Gefühl, dass die Fähigkeit der Abstraktion und das „Übertragen eines Mechanismus in einen anderen Kontext“ nicht so gut funktioniert hat. Meistens blieben die Debatten dort stehen, wo es richtig spannend wird. Ich persönlich würde den Clubs empfehlen, diese Transferleistungen mehr zu üben, z. B. durch die einfache Übung, ähnlich gelagerte Beispiele aus verschiedenen Kontexten zu finden – siehe das Beispiel #1 oben.
@Jonathan: Deine Beurteilung einer Fehljurierung halte ich für falsch. Wenn du Recht hättest, dann dürfte in BP die erste Regierung immer irgendeinen Antrag stellen, der nichts mit dem Thema zu tun hat, solange die erste Opp keinen Gegenantrag stellt. Nur wenn ein Gegenantrag vorliegt, könnte ich einen unzureichenden oder völlig falsch liegenden Antrag sanktionieren. Vielleicht habe ich da etwas nicht mitbekommen, aber mir wäre das neu. Mir hat es gereicht, dass die erste Opp die Anbindung des Antrags an das Thema ERFOLGREICH KRITISIERT hat und sich dann trotzdem auf den Antrag eingelassen hat. Damit eine gute Debatte zu Stande kommt, halte ich dieses Vorgehen für sinnvoller, als einen GEGENANTRAG zu verlangen.
Vielleicht denke ich zu eindimensional, aber ich verstehe diesen Punkt der „Umkehrung“ nicht ganz. Abgesehen davon, dass „lehren“ und „prüfen“ auf dasselbe hinauslaufen (weil die/der DebattantIn das übt, was geprüft wird, sei es bewusst, sei es mit der Zeit durch Feedback), sind für mich der erste Satz der/des Eröffnungsrednerin/-redners und der letzte der/des Schlussrednerin/-redners die gleichen. Denn die/der Letzte muss ganz am Ende darauf zurück kommen, dass man dem Argumentationsziel der Fraktion, das die/der Erste gleich am Anfang genannt hat, erreicht sei. Dieses Argumentationsziel ist ein konkreter Antrag – auch bei offenen Themen. Zwischen dem Ersten Satz der Debatte und der Conclusio am Ende liegen (hoffentlich) Argumente, die – auch bei geschlossenen Themen – sehr oft Prinzipenkonflikte umfassen (s. mein Post oben).
Wo also liegt der Unterschied? Tatsächlich prüft das offene Thema noch eine Fähigkeit zusätzlich ab, nämlich für die einen Einfallsreichtum, ein auf den Konflikt passendes Thema zu finden, und für alle anderen Spontaneität. Das hat Philipp richtig beschrieben. Den theoretischen Aspekt, dass es unterschiedliche Fähigkeiten sind, die da von den Teams verlangt werden, und ob das problematisch ist, einmal außen vor – die eigentliche Frage ist, ob wir diese Fähigkeiten abfragen *wollen*. Daran krankt Dein Argument, Lukas: Mit der Begründung „Man muss es eben auch können, wenn man gewinnen will“ kann man auch Weitspucken dazu nehmen oder Paintball oder was auch immer man sich kompetitiv vorstellen mag. Wir müssten vielmehr Gründe jenseits individueller Vorlieben finden.
Damit sind wir wieder bei der Frage: Was wollen wir von Debattieren? Die Kernfähigkeit des Debattierens, unter die sich alle Unterfertigkeiten subsumieren lassen, ist die Überzeugung. Ich debattiere, weil es Spaß macht, Menschen zu überzeugen. Dabei helfen der Einfallsreichtum und die Spontaneität auch, die von offenen Themen verlangt werden, aber eben nur in dem Umfang, in dem sie ein geschlossenes Thema verlangt. Ich bin vielleicht zu einfallslos, aber ich kann mir nicht vorstellen, wann ich in die Bredouille kommen sollte, mir irgendwas zum Grundkonflikt X auszudenken, um davon jemanden zu überzeugen. Ich kann Dir, Philipp, deshalb darin zustimmen, dass es schön wäre, wenn möglichst viele Menschen diese Fähigkeit haben, nicht aber darin, dass ich sie (gerade) von Debattanten erwarte.
Philipp, Du schreibst, dass offene Themen besonders viel Vorbereitung durch die CJ erfordern. Dazu gehört sicherlich auch, sich einen möglichen Antrag zu überlegen. Welchen Antrag hättet ihr gestellt?