Rückblick: Klartext-Europa-Debatte in Aachen
Am 19. Juni lud der Debattierclub an der RWTH Aachen gemeinsam mit dem Verein Bürger Europas e.V. zur dritten Ausgabe der “Klartext Europa”-Debattenserie ein. Diesmal zum Thema “Wider der bröckelnden Legitimation – Brauchen wir Volksentscheide in allen EU-Staaten über die weitere Mitgliedschaft?”. Auf der Pro-Seite redeten der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko, Mitglied im EU-Ausschuss, sowie Marc-André Schulz, Mitglied des Debattierclubs Aachen. Dem gegenüber standen auf der Gegenseite Frau Bettina Herlitzius, Grünen-Bundestagsabgeordnete für den Kreis Aachen, sowie Marcel Jühling, wiederum Clubmitglied.
Nachdem um Punkt 19 Uhr Glockenschlag Christoph Krakowiak, Organisator der Debattenserie seitens des VDCH und Leiter der kommenden Debatte, alle Anwesenden begrüßte und eine kurze Einführung zum Ablauf sowie den Regeln gab, war der Abend eröffnet. Zunächst wurden alle Zuhörer gebeten, auf einem Stück Papier zu vermerken, ob sie denn für oder gegen die zur Diskussion gestellten Volksentscheide wären. Diese Zettel wurden im Anschluss eingesammelt und ausgezählt, ohne zunächst das Ergebnis zu veröffentlichen.
Nun war es an Marc-André Schulz, mit der eigentlichen Debatte zu beginnen. Das von ihm dann gemalte Bild der EU, als Phantom, das Europas Bürgern die Freiheit nimmt, ihr Haus nach ihren eigenen Vorstellungen einzurichten und zu dekorieren, zog sich durch die ganze Debatte. Wie darf es sein, fragte er das Publikum, dass die Organe eines Staatenbundes, die keinerlei direkter Wahl unterliegen, plötzlich mehr Macht besitzen, als nationale Parlamente? Zumal sich in immer mehr Staaten der Europäischen Union eine Mehrheit unter den Bewohnern grundsätzlich gegen eine Mitgliedschaft in der Union ausspricht. Dem entgegen hielt Frau Herlitzius, die die Debatte anschließend auch für die Gegenseite eröffnete, all die Erfolge, die in den letzten Jahrzehnten vom Prozess der europäischen Einigung und schlussendlich der Gründung einer Europäischen Union ausgingen. Friede. Stärke nach außen. Nicht zu vergessen eine gemeinsame Währung und absolute Reisefreiheit. Nein, sie wolle die Europäische Union, die eine einmalige Erfolgsgeschichte sei, nicht in dieser Weise leichtfertig aufs Spiel setzen. Wenn in einem Mitgliedsstaat wenig Zustimmung herrscht, sei das vielmehr ein Signal an die Politik, noch weiter für das Projekt Europa zu werben. Das sei nun mal nicht immer einfach. Schließlich ist Europapolitik aufwendig – deren Nutzen dem Bürger zu vermitteln langwierig. Die beiden zweiten Redner der Fraktionen konnten ihre Zeit nutzen, um den jeweiligen Standpunkt nochmals zu verdeutlichen. Der Raum war nun gefüllt von Ideen für Argumente, dafür genauso wie dagegen. Der Zeitpunkt, in den nächsten Abschnitt des Abends – die Diskussion mit dem Publikum – überzugehen, gekommen.
Die nächste knappe Stunde offenbarte eine engagierte Gästeschaft, die an Stellungnahmen und kritischen Nachfragen nicht geizte. Besonderes Interesse war bezüglich der Frage zu erkennen, ob der durchschnittliche Europäer denn überhaupt in der Lage sei, solch komplexe europapolitische Fragestellungen ernstzunehmend zu beurteilen. Angestoßen wurden diese Gedanken sicherlich von vielen gewichtigen Argumenten, die seitens der Contra-Fraktion zu diesem Punkt genannt wurden. Durch das rege Nachhaken der Zuhörer war den Pro-Rednern mehrfach der Versuch möglich, derlei – ihrer Meinung nach unzutreffenden – Zweifel aus dem Weg zu räumen. Andrej Hunko sprach hierzu etwa die Volksabstimmungen vor einigen Jahren in vielen EU-Ländern zum Entwurf einer gemeinsamen Verfassung an. Zu dieser Zeit, glaube er, hätten die meisten Wahlberechtigen mehr Wissen über diesen Verfassungsentwurf erworben als ein Großteil der Abgeordneten in den Parlamenten. Das Interesse an den Verträgen sei schlicht so groß gewesen, dass Literatur zu diesem Thema wochenlang die Bestellerlisten dominiert hätte und sich die Bevölkerung auf diesem Wege das nötige Wissen selbst verschafft hätte. Auch der einfache Bürger sei also in der Lage, zu grundsätzlichen Richtungsfragen mit einer Stimme zu sprechen, die es verdient, gehört zu werden.
Als, nachdem allen vier Rednern noch einmal die Möglichkeit gegeben wurde, ein Schlussplädoyer für ihre Seite auszusprechen, der Leiter der Diskussion zur öffentlichen Abstimmung aufrief, ergab sich folgendes Bild: Mit knapper Mehrheit sprach sich die Zuhörerschaft gegen Volksentscheide aus und stand somit auf Seiten der Contra-Fraktion. Der folgende Vergleich mit den geheim abgegebenen Stimmen vor Beginn der Debatte zeigte jedoch – die Pro-Redner waren die eigentlichen Sieger. Die Zahl der Zuhörer, die einen Volksentscheid in allen EU-Staaten über die weitere Mitgliedschaft befürworten, hatte sich im Laufe der Diskussion um mehr als ein Drittel erhöht. Damit hat diese spannende Debatte gezeigt, dass sie für Meinungsaustausch und Meinungswechsel gesorgt hat.
Text: Matthias Voit
Die Debatte war Teil des Projekts „Debate Changing Europe“, einem Projekt von Europadebatten in 7 Ländern Europas unter der Organisation von IDEA Netherlands. Gefördert wurde die Debatte mit Mitteln des Programms „Youth in Action“ der Europäischen Kommission und des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend.