Die neue PR-Strategie des VDCH: „Zukunft liegt im Bewegtbild“
Die Finanzierung der Debattierszene, das haben die letzten Jahre gezeigt, ist eine schwierige Angelegenheit. Auch wenn es aktuell einen Hauptsponsor gibt, hat die Szene keinerlei Garantie, dass dies auf ewig so bleibt. Dem VDCH-Vorstand scheint dieser Umstand sehr bewusst zu sein. Im ersten Artikel der euen Reihe „zum Verband“ berichten die Achte Minute und unser journalistischer Partner Debatte & Tier Investigativ über ein neues Strategiepapier des VDCH: Debattieren soll in die Breite Öffentlichkeit getragen werden, auch via entsprechender Angebote im Fernsehen. Dafür ist der Verband sogar bereit Änderungen vorzunehmen die das Debattieren „vermarktbarer“ machen sollen. Doch ist eine langfristige Sicherung der Finanzierung es Wert, dass wir sowohl den Debattiersport als auch die Debattierenden verkaufen?
Der VDCH Vorstand scheint sich in fortgeschrittenen Verhandlungen zu TV-Übertragungen für das Debattieren zu finden. Das impliziert ein Strategiepapier, das der Achten Minute und Debatte und Tier vorliegt und welches sich zum einen mit Anpassungen auf das Debattieren selbst und zum anderen mit der „Erschaffung eines Medienuniversums rund um die Debatten“ beschäftigt. Die Pläne in diesem Papier haben das Ziel, den Debattiersport und die Szene um das Debattieren herum stärker an die Öffentlichkeit heranzutragen. Gleichzeitig, so eine mit der Situation vertraute Person, fürchtet der Verband jedoch Widerstand aus Teilen Debattierdeutschlands, weswegen mit der Bekanntgabe bis zum Abschluss der Verhandlungen abgewartet werden soll.
Debattieren im TV
Der VDCH plant im Rahmen seiner Medienoffensive signifikante Änderungen am Debattieren selbst. Ziel dieser Änderungen sei es „Die Refinanzierbarkeit für Fernseh- und Medienanstalten durch Werbung signifikant zu erhöhen“ und ein für „KonsumentInnen attraktives und spannendes Produkt zu erschaffen“. Die Änderungen sind dabei weitreichend. So soll zukünftig jede Redeposition einen eigenen Sponsor haben und diese Sponsoren beim Aufrufen der einzelnen Reden genannt werden. Zukünftig wird man also zum Beispiel keine PM-Speech mehr halten, sondern die Coca-Cola Eröffungsrede.
Auch die sieben Minuten einer Rede selbst sind vor den Änderungen nicht sicher. Nach dem Beispiel des American Football soll es künftig, statt einer Glocke, in jeder Rede ein sogenanntes „One-Minute-Warning“ geben. Dafür soll die hauptjurierende Person „die Rede nach dem ersten abgeschlossenen Satz nach Minute 6“ für einen 15-sekündigen Werbespot unterbrechen. In dem Papier heißt es dazu „Kurze Werbepausen sind hier besonders attraktiv, da die Wahrscheinlichkeit, dass Konsumenten abschalten, gering gehalten wird“. Die Änderung soll der Szene mit dem Argument verkauft werden, dass die Redequalität von einer solchen Pause profitieren würde. „Redende können sich durch diese Pause vor ihren Schlussworten noch einmal sammeln und haben durch die aktive Unterbrechung viel mehr die Möglichkeit auch den vor der Rede geplanten Schluss durchzuziehen“.
Eine weitere Neuerung, ebenfalls inspiriert vom US-Sport, sollen Auszeiten sein. Jedes Team soll ein Mal pro Debatte die Möglichkeit haben zwischen den Reden eine einminütige Auszeit zu nehmen. Laut Strategiepapier könnte diese Auszeit „sowohl für Analysen für den TV-Zuschauenden als auch für Werbeblöcke genutzt“ werden.
Nicht nur die Zeit während der Debatte soll sich verändern. In der Zeit nach den Debatten, während sich die Jury zur Beratung zurückzieht, sollen sich die Redenden für Interviews zur Verfügung stellen. Dabei soll jedes Team verpflichtet werden, “mindestens einen Redenden für Interviews abzustellen”. Im Anschluss an die Debatte soll es kein klassisches Feedback mehr geben. Im Falle von OPD wird kein gemitteltes Gesamtergebnis mehr verkündet. Stattdessen sollen die Redenden und Teams ihre Punkte einzeln von den jeweiligen Jurierenden via Punktekarte mitgeteilt bekommen, um dem Prozess mehr Spannung zu verleihen. Vorbild hierfür sei „die Punktevergabe im RTL-Format ‚Let’s Dance‘“. Für BPS soll eine entsprechende Alternative in künftigen Arbeitskreisen noch erarbeitet werden.
Eine geplante Auseinanderziehung von Turnieren, bei der immer nur eine Debatte zur Zeit stattfinden würde, um möglichst viele übertragen zu können, wurde in der aktuellen Version des Strategiepapiers wieder verworfen, da es sonst für jede Debatte ein eigenes Thema bräuchte. Stattdessen sind für die Debatten der Vorrunden und Halbfinals nun Konferenzen geplant. Diese ermöglichten es den Zuschauenden „immer live bei den besten Reden dabei zu sein“. Die Konferenzen sollen dabei, ähnlich wie die NFL REDZONE, leicht verzögert gezeigt werden. Dies ermögliche es „bei Zuschauenden ein LIVE Gefühl zu vermitteln und dennoch jeden besonderen Redemoment mitzuerleben“. Ausgewählte Debatten sollen Konsumenten aber “natürlich auch als Einzelübertragung angeboten” werden.
Die Debatte ist nicht genug
Neben den sportlichen Änderungen heißt es in dem Papier „Andere erfolgreiche Sportformate zeigen, dass in der heutigen Zeit eine reine Übertragung des Sportlichen nicht genug ist. Die Formel 1 profitiert stark vom Netflix Format ‚Drive to Surrive‘, Fußballvereine lassen sich immer mehr für Dokumentationen begleiten und RuPaul’s Drag Race profitiert stark von ‚Untucked‘. Dazu lassen sich auch immer mehr Sportler für Reality-Formate von Kameras begleiten.“
Entsprechend plant der VDCH ein ganzes Medienuniversum mit verschiedensten Casting, Doku und Reality Shows. Die vielversprechendsten Vorschläge sind hier einmal kurz zusammengefasst:
- DSDDDMCA: Künftig sollen DDM CAs nicht mehr durch eine dubiose Auswahlkommission bestimmt werden. Stattdessen ist ein Castingformat geplant bei den KandidatInnen neben der Fachjury auch die Zuschauer von sich und ihren Themen überzeugen müssen
- Das Thematische Quartett: CA Sitzungen seinen aktuell „verschwendeter Kontent“. Um das „intellektuelle Profil des Debattierens zu stärken“ sollen diese künftig aufgezeichnet werden und nach Turnier ausgestrahlt werden. Abgeschlossen werden soll jede Staffel von einer Folge, in der die CAs nach den Turnieren ihre Themen und die Erwartungen an diese noch einmal aufgreifen und besprechen.
- Goodbye Deutschland – Die WUDC Teilnehmenden: In dieser Reality-Doku begleitet ein Kamerateam Debattierende, die ihr Glück außerhalb der deutschen Szene versuchen wollen. Bei Erfolg des Formats sei eine „Erweiterung auf die EUDC“ einfach möglich
- 3 Regios – Eine Traumreise: Nicht nur Debattieren und (Chef-)Jurieren, auch das Ausrichten von Turnieren soll künftig in den Medien stattfinden. In diesem Format sollen die „AusrichterInnen der Regionalmeisterschaften in einen Konkurrenzkampf um Fördermittel, Ehrenjurierende und die Gunst der Teilnehmenden treten. Das Orgateam welches am Ende von den Teilnehmenden am besten bewertet wird gewinnt eine Traumreise.“
- Die Funktion der VDCH-Teampartnerbörse soll gleich von mehreren Sendungen ersetzt werden. Der VDCH-Vorstand glaubt dabei, dass „die Neigung der Szene, Gossip zu produzieren sich insbesondere in diesen Formaten ausdrücken und die Unterhaltsamkeit steigern“ wird:
- Are You My Teampartner?: Erfahrene DebattiererInnen haben aus den Teilnehmenden perfekt zueinanderpassende Teams gebildet. Die Teilnehmenden haben nun zwei Wochen in einer Villa Zeit um durch Gespräche und Spiele herauszufinden, wer ihr perfekter Teampartner ist. Schaffen sie es winkt ihnen ein Teamplatz auf dem nächsten großen Turnier
- Debater‘s Island: Debattierende sind zusammen in einer Villa um einen Teampartner zu finden. Dabei probieren sie verschiedene Konstellationen aus. Doch „wer zu lange alleine bleibt wird die Villa verlassen müssen
- Debatechelor/ Debatechelorette: Ein Mitglied aus dem DDM-Gewinnerteam zieht mit 20 glasgierigen BewerberInnen in eine Villa. Diese konkurrieren um einen Teamplatz mit dem/ der deutschsprachigen Meister/ Meisterin, der oder die Woche für Woche BewerberInnen ausscheiden lässt.
- Ex on the Beach: Im Original treffen Singles am Strand von Mexico auf ehemalige PartnerInnen. „An dem Sendungskonzept müssen wir nicht mal etwas ändern“, so das Strategiepapier.
- Letztlich sind Reality-Dokus zu einzelnen Clubs geplant, um die Zuschauerbindung zu einzelnen Debattierenden noch weiter zu erhöhen. Zum Start wird mit den Formaten „Keeping up with the Streitkultur” und „The Real Debaters of Heidelberg” geplant
- Neben dem Fernsehen wird auch das Influencer-Game eine relevante Rolle spielen. Die ersten Ideen des VDCH-Vorstands reichen hier von “Die Nase hört mit – hosted by Jeremey Fregrance” bis hin zu einer Debattier-Workout Serie mit Pamela Reif.
Neben TV-Formaten sollen auch andere „Crossmediale Angebote“ KonsumentInnen an das Debattieren binden. Eine zentrale Rolle nimmt dabei das sogenannte „Fantasy Debating“, eine Art Tippspiel für Debattierturniere ein. Hierbei sollen Konsumenten sich in Ligen zusammenfinden und gegeneinander spielen. Dazu „dürfen sich die Teilnehmenden der einzelnen Ligen zu Beginn einer Saison abwechselnd DebattiererInnen für ihre Kader aussuchen. Jede(r) Debattierende kann dabei nur in einem Kader pro Liga sein, Debattierende dürfen aber zwischen den Teilnehmenden einer Liga getauscht werden. Zu jedem Turnier stellen die Teilnehmenden ein Team aus drei Debattierenden und einem Juror auf. Entsprechend der Punkte und Erfolge die die aufgestellten Debattierenden und Jurierenden sammeln erhalten die Teilnehmenden Punkte für ihre Liga.“
Neben seiner Funktion als Tippspiel soll das „Fantasy Debating“ auch den Weg in einen Debattier-Wettmarkt ebnen. Hierzu sei man bereits in ersten Gesprächen mit einem „bekannten Anbieter aus dem Sport-Wettmarkt“. Für die Federführung wird hier noch ein Club aus Schleswig-Holstein gesucht, gerne auch mit im Ausland wohnhaftem Präsidenten, der bereit wäre, für diese “dubioseren” Geschäftspraktiken zu unterschreiben.
Wie reagiert die Szene?
Die vom VDCH-Vorstand geplanten Änderungen, sollte das zugespielte Papier denn real sein, wirken mehr als weitreichend. Allerdings verspricht damit allein die nächste VDCH-MV wohl genug Unterhaltungswert, um übertragen zu werden. Der VDCH-Vorstand ließ diesen Bericht unkommentiert. Dies könnte sowohl daran liegen, dass sich der Vorstand so früh im Verhandlungsprozess der Kritik aus der Szene noch nicht stellen will, als auch daran, dass er nie nach einem Kommentar gefragt wurde.
Sollten die Pläne aber umgesetzt werden, können sich viele Altdebattierende auf Jobs als TV-Expertinnen und Experten für die Übertragungen freuen. Entsprechend hört man aus der DDG vor allem Zustimmung zu der Idee.
Der Rechercheverbund AM und D&T Investigativ wurde gegründet, um Gelder von der quasi öffentlich-rechtlichen Achten Minute zum privatwirtschaftlichen Magazin Debatte & Tier schieben zu können. Dazu kann man sich auch gegenseitig als Quelle dienen, was den journalistischen Alltag einfacher macht. Er wird geleitet von Hannah B. und Matthias G..
Großartige Ideen! Insbesondere bei den Reality-Formaten verwundert doch ein wenig, dass das bisher noch nicht umgesetzt wurde. Gut, dass sich dieses schwerwiegenden Versäumnisses nun endlich angenommen wird!
Können wir die anschwellenden Threads unter so Dauerbrennern wie „Mixed-Teams“ und „Eichung“ für einen Moment beiseite lassen und einmal würdigen, wie großartig das hier ist?!
Was für kreative Regeländerungen, die man vor uns in der Regelkommission nicht einmal hätte geheimhalten müssen, da wir da bestimmt gesprächsbereit wären! Was für großartige TV- und Medien-Formate!!
Eine große Verneigung vor allen, die sich das ausgedacht haben und vor Hannah und Matthias für die knallharte Recherchearbeit. Man sieht, dass Debatte & Tier der Szene genauso gefehlt hat wie eine aktive Achte Minute <3