Jurieren – was die neuen Beiräte planen
Die neuen VDCH-Vorstandsbeiräte für Jurierqualität, Chiara Throner, und Jurierseminare, Sven Bake, berichten diese Woche im Mittwochs-Feature über die Relevanz des Jurierens, ihre Beiratstätigkeiten und die geplanten Events für die kommende Saison.
Einen fairen Wettbewerb bei Turnieren zu garantieren und dafür zu sorgen, dass jeder und jede eine gute Erfahrung auf Turnieren macht, ist das Hauptziel von Sven und Chiara. Ohne Jurierende gäbe es keine Turniere, keinen kompetitiven Vergleich zwischen Redenden und somit keine Debattierszene. „Für die Clubs in den einzelnen Städten besteht die wesentliche Form des Trainings ebenfalls aus den feedbackbezogenen Debatten, bei denen am meisten gelernt wird“, hebt Sven die Bedeutung der Jurierung beim Clubabend hervor. Mit der jurierenden Rolle eng verknüpft sieht er die Autorität ausstrahlende Wirkung der Person und die damit verbundene Verantwortung, das Vereinsleben attraktiv zu gestalten. Sven betont: „Auch diese Kompetenz soll in Juriertrainings vermittelt werden.“ Chiara liegt besonders der Gewinn für aktive RednerInnen am Herzen: „Das Jurieren kann auch für sie eine Verbesserung der Leistung bringen, wenn die Debatte einmal aus einer anderen Perspektive heraus beobachtet und bewertet wird.“ Dass es sich bei der Frage nach qualitativ hochwertigem Jurierpotential um eine der maßgeblichsten für den Debattiersport handelt, ist also unumstritten.
Sven stammt aus einem der kleineren Clubs des VDCH-Landes, dem Würzburger Debattierclub, bei dem er seit 2016 primär als Juror tätig ist. Da es zu seiner Einstiegszeit dort wenig andere motivierte Debattierende gab, startete er prompt mit dem Jurieren auf Turnieren und machte schnell große Fortschritte, die er in seinem Club weitergab. Durch Erfolge im Bereich des Jurierens wurde Sven Ende 2019 als neuer Beirat für Jurierseminare angefragt und ist seitdem für das Metier verantwortlich.
Chiara ist seit diesem Monat Beirätin für Jurierqualität. Sie sorgt sich um den gestalterischen Inhalt der Jurierseminare. Welche ReferentInnen kommen und zu was für Themen sie einen Input vorbereiten, liegt primär in ihrer Hand. „Btissam [Boulakhrif, VDCH-Präsidentin, Anm. d. Red.] hatte mich überraschend gefragt. Da ich momentan eine der erfahrensten Jurorinnen bin, schien mir der Posten auch gar nicht so weit entfernt“, freut sich Chiara auf die bevorstehende Arbeit. Angefangen hat sie mit dem Debattieren direkt nach ihrem Abi 2017 in Tübingen, wo sie mit dem Rhetorikstudium begann. Sven Jentzschs Werbeblock für das Debattieren konnte Chiara nicht widerstehen. Sie erzählt schmunzelnd: „Es war das Hobby, das ich immer gesucht hatte, ohne, dass ich wusste, dass es existiert.“ Sie wurde schnell erfolgreich, breakte nach einem halben Jahr Debattiererfahrung auf der SDM, trat ein Vorstandsamt beim Tübinger Debattierclub Streitkultur e.V. an und krönte ihre Debattierkarriere mit dem DDM-Titel 2019. Jetzt sieht sie sich schon fast bei den Dinos, ist aber trotzdem gerne, vor allem als Jurorin, noch aktiv auf Turnieren dabei.
Am Anfang seiner Beiratszeit plante Sven Jurierseminare noch in Präsenz. Pro Saison fanden in Präpandemiezeiten ein bis zwei Wochenendseminare statt, in einer Stadt, die sich im Vorfeld zur Ausrichtung bereiterklärt hatte. Aufgrund der pandemischen Umstände ab 2020 fielen die von Sven vorbereiteten Seminare dieser Art ins Wasser. Notgedrungen machte er sich daran, die Jurierweiterbildungen in den digitalen Raum zu verlegen, was auf große Nachfrage und vollen Erfolg stieß. „Die Teilnehmendenzahlen haben sich mindestens verdoppelt“, so Sven über die unerwartet hohe Resonanz der digitalen Veranstaltungen. Anders als weite Bereiche des übrigen Lebens haben die Jurierseminare vom Beginn des Onlinelebens profitiert. Wo vor der Pandemie 15 bis 20 Jurierende ein gemeinsames Wochenende miteinander verbrachten, was mit weiten Anreisen und Übernachtungskosten verbunden war, können durch einen Wechsel in den Onlinebereich 30 bis 50 Menschen teilnehmen und Fortschritte erzielen.
Ergänzt werden diese Entwicklungen durch die Aufzeichnung der inhaltlichen Inputs und der anschließenden Bereitstellung auf YouTube (Link). Auf diese Weise haben auch Neueinsteigende die Möglichkeit, ihre Jurierfähigkeiten zu verbessern, ohne im ungünstigsten Fall rund ein Jahr auf das nächste Präsenzseminar warten zu müssen. Außerdem besteht eine Hauptkomponente der Seminare aus dem gemeinsamen Jurieren einer YouTube-Debatte. Das lässt sich per Zoom in Breakoutrooms einfacher umsetzen als in einem großen Saal. Sven sieht weitere Vorteile des digitalen Formats in der Jurierdiskussion: „Insbesondere dort können wir auf diese Weise sicherstellen, dass in jedem Raum eine erfahrene Person dabei ist, die sich online mal eben dazuschalten kann, die in Präsenz aber niemals anreisen würde.“ So werden Paneldiskussionen authentischer nachgestellt und geübt.
Für die angebrochene Saison sind drei Jurierseminare in der Planung. Als Vorbereitung auf die Regios und die DDM wird am 15.04.23 ein Seminar zum OPD-Format stattfinden, um die Jurierenden auf einen gemeinsamen Stand zu bringen und so weit wie möglich zu eichen. „Das Problem, dass selbst auf einer Deutschsprachigen Meisterschaft wenig bis gar keine nationalen Spitzenleistungen vergeben werden, versuchen wir damit anzugehen, dass wir auf dem Seminar den Hinweis geben, eine sehr gute Leistung und eine nationale Spitzenleistung auch als solche zu bepunkten“, stellt Chiara einen wichtigen Aspekt ihrer Arbeit vor. Darüber hinaus ist für das Ende der Saison ein Seminar für angehende und noch unerfahrene Chefjurierende geplant, um sie auf ihre künftigen Posten vorzubereiten. Sven versucht auch noch, ein BPS-Seminar im eng getakteten Turnierzeitplan der nächsten Saison unterzubekommen. „Dann sind wir in einem Turnus, pro Saison jeweils ein Seminar in jedem Bereich anbieten zu können, was gerade aufgrund der heranwachsenden ‚Postcoronageneration‘ enorm wichtig für den Erhalt der Szene ist“, so der Beirat.
Neben der Ausrichtung und Organisation der Seminare unterstützen Chiara und Sven den gewöhnlichen Turnierbetrieb. Chiara sieht sich als Beirätin für Jurierqualität mit der Aufgabe konfrontiert, potentielle ChefjurorInnen und TabmasterInnen an die Ausrichterclubs von Turnieren zu vermitteln. Sven erzählt, dass es in den letzten Jahren auch häufig Anfragen von Vereinen gab, die sich auf der Suche nach einem Trainer oder einer Trainerin befanden, um kleine Seminare geben zu können und denen durch die vermittelnde Arbeit der zwei BeirätInnen weitergeholfen wurde.
Auf inhaltlicher Ebene ist das Jurieren noch nicht beim Non-Plus-Ultra angekommen. „Sowohl in OPD, als auch in BPS muss einiges an den Grundlagen nachjustiert werden“, meint Chiara. So möchte die frisch ins Amt gestartete Beirätin einen stärkeren Fokus auf das komparative Beurteilen in BPS legen und durch das strikte Jurieren nach Schulnoten in OPD eine bessere Eichung erzielen. „Es kann nicht sein, dass der oder die Top of the Tab auf einer DDM weniger als 60 Punkte im Schnitt hat.“ Chiara und Sven wollen aber auch neue Bereiche der Jurierarbeit erschließen. Im Austausch mit dem aktuellen VDCH-Vorstand entstand die Idee, an einer Antidiskriminierungsinitiative zu arbeiten, die das Jurieren fairer machen soll. Chiara bemerkt: „Im Status Quo kommt es immer wieder, häufig unbewusst, zu Unterbepunktungen von DaF-RednerInnen oder POC und auch die Auswirkungen von Geschlechtern auf Bewertungen sind nicht zu unterschätzen.“ Chiara möchte sich zunächst vertrauter mit der Thematik machen und dieser Problematik dann zum Beispiel in anstehenden Seminaren Aufmerksamkeit schenken, um ein Bewusstsein für gerechteres Jurieren zu schaffen.
Das Mittwochs-Feature: Mittwochs veröffentlicht die Achte Minute ab 10.00 Uhr oftmals ein Mittwochs-Feature, worin eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.
hb./lok.