Mein erstes Turnier – Auszüge aus dem Tagebuch
Die erste Fahrt auf ein Turnier kann für neue Debattiererinnen und Debattierer vieles sein: Türöffner in die überregionale Szene, der Beginn neuer Freundschaften oder auch das Erwachen des Wettkampfgeistes. Häufig steht davor aber auch eine (mentale) Hürde, die es zu überwinden gilt. In unserer neuen Reihe “Mein erstes Turnier” erinnern sich Debattierende an ihre Anfänge. Beatrice Cala öffnet dafür sogar ihr Tagebuch.
„Im Labor war ich heute aber nur drei Stunden, weil ich vorgestern von Jonas gefragt wurde, ob ich nicht spontan bei der ZEIT Debatte in Tübingen für eine fehlende Person in einem der beiden Marburger Teams einspringe. Natürlich habe ich ja gesagt. Warum? Gute Frage. Vielleicht, weil ich einfach richtig hart scheitern will. Oder, weil es etwas ist, das Mut erfordert und Überwindung und ich danach stolz auf mich sein kann. Und irgendwie ist es ja auch interessant. Und herausfordernd. Beziehungsweise überfordernd. Oder, weil ich den Nervenkitzel mag. Wobei das nicht wirklich Nervenkitzel ist, das ist mehr so ein Foltern der Nerven. Also… alle diese Hoffnungen/Erwartungen/Ängste/Sorgen wurden erfüllt. Oder fast alle. Es war nicht schrecklich.“
Das besondere an meinem ersten Turnier, die ZEIT Debatte Tübingen 2017, ist vermutlich, dass ich davor noch nie debattiert habe. Ich war nicht Teil eines Clubs, aber ich hatte Freunde, die debattieren (das Team Oxford Zerstörer & Kaninchenbaby, bestehend aus Kai Kortus und Jonas Frey, spätestens bekannt seit dem Finale der ZEIT Debatte Münster 2018) und denen hatte ich in einem Anflug von Übermut versprochen, wenigstens einmal in meinem Leben an einem Debattierturnier teilzunehmen. Ich hatte zuvor eine Debatte gesehen und ich habe Jonas und Kai Monate zuvor zu einem der Clubabende in Marburg begleitet, bei dem ich mich eigentlich die meiste Zeit gefragt habe, wie in aller Welt Metaphern Leute überzeugen. Was soll das heißen, „der Schulzzug rast in die Wand“ und warum kann man nicht einfach direkt sein?
Vor der ZEIT Debatte wusste ich also weder über die Kategorien, noch die Bewertung Bescheid, ich wusste noch nicht einmal für was OPD überhaupt steht oder dass es zwei Formate im deutschsprachigen Raum gibt, aber ich kannte die Regeln so grob und war bereit, ins kalte Wasser geschmissen zu werden.
„Ich hatte direkt nach meiner Einleitung wieder ein totales Blackout und stand einfach 20 Sekunden da und habe nichts gesagt. Und auch was danach kam, war, meiner Meinung nach, sehr ungeordnet und ungenügend erklärt. Ich habe mich auch sehr leicht aus dem Konzept bringen lassen, habe einfach alle Fragen drangenommen, bin auf Zwischenrufe eingegangen und war vom ständigen Kopfschütteln einer freien Rednerin irritiert. Insgesamt war ich sehr unzufrieden mit mir selbst, aber meine Teampartner waren sehr nett und haben mir eher Mut gemacht, indem sie gesagt haben, dass es auch schlimmer hätte sein können.“
„Am allerschlimmsten an der ganzen Sache ist allerdings die Aufregung. Sie ist total lähmend; ich habe so viel Panik gehabt, dass ich überhaupt nicht klar denken konnte. Und dieses Adrenalin ging auch nach meiner Rede nicht weg; obwohl ich ja als erster Redner der Regierung ganz am Anfang dran war, konnte ich danach nicht wieder runterkommen und war auch während des Feedbacks so drauf. Ich weiß aber auch nicht wirklich, wie ich das akut wegbekomme. Wahrscheinlich muss ich mich entweder an diese übertriebene Nervosität gewöhnen oder eben an die Situation selbst und mich während der Debatte einfach sicherer und wohler fühlen. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird, hoffe aber, dass es morgen nicht mehr ganz so schlimm ist.“
Zugegeben, das klingt alles sehr negativ und nicht nach einer spaßigen Freizeitbeschäftigung. Aber gerade deshalb konnte ich am Ende des ersten Turniertages dieses Fazit ziehen:
„Alles in allem bin ich dann eigentlich doch zufrieden. Ich habe es geschafft lang genug zu reden und das wichtigste: ich habe mich das getraut. Auch wenn ich mich nicht erinnern kann, in den letzten Monaten jemals so aufgeregt gewesen zu sein.“
„Aber ich werde ja auch besser (hoffentlich) und vielleicht gewöhne ich mich auch an die Situation. Ich will nämlich debattieren können. Und ich will, dass es mir mehr Spaß macht und ich nicht einfach bloß überfordert bin. […] Ich habe mir auch fest vorgenommen, jetzt in den Tübinger Club einzutreten. Dienstags um 20 Uhr.“
Der Samstag lief dann tatsächlich schon etwas besser. Übung und eine allmähliche Gewöhnung scheinen Wunder zu wirken.
„Der heutige Tag war ziemlich erfolgreich. Zwar war ich auf dem Weg zum Turnier wieder sehr aufgeregt, aber das hat sich dann während der ersten Debatte doch gelegt. Vielleicht, weil ich mit dem Thema mehr anfangen konnte. Ich konnte relativ flüssig reden und habe dann auch eine für mich recht gute Bewertung bekommen.“
Anmerkung: Das war die alte Skala und eine für mich recht gute Bewertung war in diesem Fall eine 39,33. Die 40 Punkte schienen für mich damals wie eine unüberwindbare Hürde, meine Punkte waren nämlich meistens zwischen 35 und 37 auf diesem Turnier und als ich für meine Rede in der letzten Vorrunde dann die 40 Punkte bekommen habe, war ich sehr, sehr glücklich.
Nach dem Tag ziehe ich dieses Fazit:
„Im Moment bin ich also etwas euphorisch. Stolz, dass es nicht so schlecht lief, wie es hätte laufen können, stolz, dass ich mich getraut habe, obwohl ich weiß, dass ich im Debattieren überhaupt nicht kompetent bin (noch nicht!) und stolz, dass ich es einfach durchgezogen habe und ich mich jetzt tatsächlich gut darüber fühle. Ich freue mich auch sehr darüber, dass auch immer wieder ein paar Leute nachgefragt haben, wie es denn bei mir lief, mir Mut zugesprochen haben oder ihre Bewunderung dafür gezeigt haben, dass ich so kurzfristig eingesprungen bin ohne jemals wirklich debattiert zu haben.“
Tatsächlich sind mir außer meiner Aufregung die Menschen in Erinnerung geblieben und die Gespräche zwischen den einzelnen Debatten. Ich weiß noch, dass ich erstaunt war, wie viel Debattierende reden. Jeder schien etwas zu sagen zu haben, die Gespräche waren von der Ungeduld des Zuhörers geprägt, der auch endlich seine Meinung loswerden wollte. Und alle waren nett (über das Kopfschütteln während meiner Reden konnte ich hinwegsehen).
Ich war auch überrascht davon, wie lustig es eigentlich war, auch während der Debatte. Ich habe mir sogar ein Zitat notiert:
„Das Privatleben spielt doch gar keine Rolle, außer man ist zum Beispiel professioneller
Hundetreter. – Zwischenruf Opp, VR6″
Gut, dass ich inzwischen Twitter habe und meine Mitdebattanten unmittelbar über sowas in Kenntnis setzen kann und ich es nicht erst einundhalb Jahre später in meinem Tagebuch entdecken muss. Besonders gut deshalb, weil ich auch ziemlich bald nach dem Turnier das Tagebuch schreiben aufgegeben habe und witzige Zitate gar nicht mehr perserviert wurden.
Als ich den Samstag mit dem Freitag vergleiche, komme ich zu folgendem Schluss:
„Ich habe mich auch wohler gefühlt und es hat mir auch mehr Spaß gemacht, weil ich mich mehr Teil des Ganzen gefühlt habe.“
Im Nachhinein betrachtet wirkt es für mich surreal. Innerhalb eines Tages habe ich mich schon ein bisschen als Teil der Debattiercommunity betrachtet. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, wie viele Freunde ich dort finden werde, dass dies das erste Turnier von locker über 20 über das kommende Jahr hinweg war oder auch dass ich bereits am nächsten Wochenende wieder auf dem Weg zu einem Turnier sein würde. Ich wusste einfach nicht, was für einen großen Teil meines Lebens das Debattieren schon wenige Monate später einnehmen wird. Obwohl man es ein paar Tage später, nach meinem ersten Clubabend erahnen kann:
„Das Debattieren war dann auch eigentlich das coolste am ganzen Tag. Obwohl ich nicht gut war, macht es mir jetzt einfach Spaß und die Leute sind total nett. Am Donnerstag werde ich also wieder dort aufkreuzen.“
Mein Rat an alle Einsteiger: wenn sich ein Turnier anbietet, dann fahrt hin! Egal wie unqualifiziert ihr euch fühlt oder wie eingeschüchtert ihr von den Reden der erfahrenen Debattanten seid: Reden zu halten erfordert Mut und sich zu trauen ist schon etwas, auf das man stolz sein sollte. Das Gute am Debattieren ist, der Fortschritt ist messbar und besonders am Anfang verbessert man sich schneller als man glaubt. Habt keine Erwartungen an euch selbst und ganz wichtig: vergleicht euch nicht mit besseren. Auch wenn es so wirkt, als ob sie schon mit 5 Jahren PM Speeches gehalten haben: nein, auch die waren am Anfang erstmal schlecht (zumindest die meisten). Redet mit Leuten (mit egal wem!), die meisten sind glücklich, wenn sie noch mehr als sowieso schon reden dürfen. Denkt daran, über den Tag genug zu essen und zu trinken, twittert und vor allem: habt Spaß!
cal.
Beatrice Cala, thanks so much for the post.Really thank you! Keep writing.