Der Imagefilm: Eine kritische Rezension

Datum: 18. Mai 2017
Redakteur:
Kategorie: Debatte als Medienformat, Debattieren in der Öffentlichkeit, Mittwochs-Feature, VDCH

Unlängst veröffentlichte der VDCH den auf der letzten Mitgliederversammlung beschlossenen Imagefilm – in einer Facebookversion, die etwas kürzer ist, und einer Vollversion. Tanja Strukelj und Lara Tarbuk haben ihn angesehen und eine Rezension geschrieben.

Disclaimer: Im Folgenden betrachten wir den Imagefilm ausschließlich als kulturelles Artefakt. Jegliche Aussagen über in ihm erhaltene Bedeutungen beziehen sich demnach nur auf den Film als komplexes semiotisches Zeichen, nicht aber auf die an ihm beteiligten Menschen, ihre Intentionen oder die realen Umstände, unter denen der Film gedreht wurde (etwa die ZEIT DEBATTE Hannover und ihre Teilnehmer*innen). Wenn Aussagen über die mögliche Bedeutung und Wirkung von Kleidung und Verhalten getroffen werden, wird diese ausschließlich als Merkmal der fiktionalen (!) Figuren, nicht aber als Merkmal der realen Personen behandelt und in ihrer Wirkung auf mögliche Rezipienten besprochen.


Am vergangenen Wochenende feierte der Imagefilm des VDCH seine Premiere auf Facebook. Ziel des Imagefilms ist es, möglichen Sponsoren sowie interessierten Außenstehenden einen Einblick ins Debattieren zu gewähren. Wenn ihr den Imagefilm noch nicht gesehen habt, könnt ihr das hier auf Facebook oder hier in der Vollversion tun.

Da die auf Facebook verbreitete Version des Films auch für die Funktion der Mitgliederwerbung vorgesehen ist, erscheint es uns wichtig, das dargestellte Bild vom Debattieren genauer zu betrachten: Welche Zielgruppen werden mit dem Imagefilm angesprochen – und welche Gruppen werden dadurch symbolisch ausgeschlossen? Nachdem die vom VDCH durchgeführte Umfrage unter Debattierenden bereits gezeigt hat, dass das gegenwärtige Hochschuldebattieren besonders Angehörige einer gewissen sozialen Schicht von Studierenden anspricht, möchten wir uns den Film unter dem Aspekt der sozialen Ungleichheit anschauen. Natürlich wird ein Film (wie jedes andere künstlerische Artefakt) von verschiedenen Rezipient*innen auf unterschiedliche Art und Weise wahrgenommen. Dies hängt zu einem gewissen Teil auch mit dem persönlichen sozialen Hintergrund der Rezipient*innen zusammen. Blickt man jedoch mit einer sozioökonomischen Brille auf die Darstellung des Debattierens im Imagefilm, so lässt sich feststellen, dass dieser auf bestimmte Rezipient*innen auch eine ausschließende Wirkung haben kann. Beginnen möchten wir unsere Betrachtung mit einer semantischen Analyse der verschiedenen Räume, in denen das Debattieren verordnet wird, um uns daraufhin dem Habitus der Akteur*innen in den jeweiligen sozialen Räumen zuzuwenden.

  1. Räumliche Distinktion

Räume, durch die sich in einem Film Protagonist*innen bewegen, sind immer auch Träger von Bedeutungen und beeinflussen unsere Interpretation der Szenerie als dargestellte soziale Räume einer Gesellschaft. Die Protagonistin des Imagefilms wird daher automatisch von den Rezipient*innen sozial verortet, wenn sie zu Beginn in ihrem Zimmer gezeigt wird. Der Ausblick aus dem Fenster, der sie in einer tendenziell teureren Wohngegend mit Altbau lokalisiert, sowie das auffällig neu eingerichtete, geräumige Zimmer skizzieren eine erste soziale Einordnung: Finanziell scheint die Protagonistin vergleichsweise gut gestellt zu sein.

Ein Screenshot aus dem Imagefilm - © privat

Ein Screenshot aus dem Imagefilm – © privat

Die dargestellte Wohnsituation der Protagonistin wird anschließend mit dem Bild eines anderen Wohnviertels kontrastiert, welches durch einen auffällig zur Schau gestellten Plattenbau gekennzeichnet ist. Dieser wiederum steht in einem engen Zusammenhang mit der finanziellen Situation seiner Anwohner*innen. Die Distanz zwischen den beiden Wohnvierteln (und den damit symbolisch dargestellten sozialen Lebenswelten) wird zusätzlich durch den Weg, den die Protagonistin mit der Bahn zurücklegen muss, um in diese Gegend zu gelangen, symbolisiert. Diese räumlich zurückgelegte Distanz unterstreicht die finanzielle Distanz, welche zwischen der Protagonistin und der Welt einer ökonomischen Unterschicht liegt. Als die Protagonistin zum ersten Mal im beschriebenen Wohnviertel gezeigt wird, kommentiert die Stimme im Voice-over: „Manchmal hilft es zu verstehen, wenn man sich gegen den eigenen Standpunkt stellt.” Durch die Überschneidung von Bild und Text entsteht an dieser Stelle eine Parallelisierung von räumlicher und gedanklicher Fremde. Der neu eingenommene Standpunkt kann an dieser Stelle zweierlei bedeuten: Den räumlich-sozialen Standpunkt im ungewohnten Umfeld sowie den gedanklichen Standpunkt. Ergänzt man die räumliche Komponente um die eingespielten Äußerungen Trumps oder die “zu einfache[n] Antworten”, von denen während ihres Aufenthalts im Plattenbau ebenfalls die Rede ist, wird eine indirekte Verbindung von politischem Populismus zu der gezeigten Gegend gezogen. Die normative Bewertung der räumlichen Distinktion findet sich auch in weiteren filmischen Elementen wieder: Indem die Protagonistin frei fliegenden Vögeln die aus dem Plattenbau-Viertel wegfliegen, nachblickt, wird das Bild einer Befreiung aus den dargestellten – finanziellen und sozialen – Umständen aufgerufen. Diese Deutung wird durch den darauffolgenden zweiten Blick auf das Viertel unterstrichen: Dieser erfolgt nämlich durch ein Gitter, wie durch einen Zaun, wodurch erneut das Bild von Gefangensein und Befreiung als Assoziations- und Deutungsraum abgerufen werden.

Der dritte dargestellte Raum ist der Raum des Debattierens, der mit dem zuvor gezeigten Wohnviertel mehrfach im Kontrast steht. Während im Voice-over des Plattenbau-Viertels von “zu einfachen Antworten” die Rede war, ist der Raum des Debattierens durch reflektierte Argumente und Eloquenz gekennzeichnet, wie die Ausschnitte der Reden demonstrieren. Die damit einhergehende soziale Aufwertung wird erneut durch sozioökonomische Merkmale unterstrichen: Beide Debattierräumlichkeiten zeichnen sich durch ihre prachtvolle Einrichtung, durch aufwändiges Dekor (siehe Kronleuchter!) und hohe Rednerpulte aus. Als solche stellen sie soziale Räume einer wohl situierten Oberschicht dar. Findet das studentische Debattieren sonst meistens in unauffälligeren Seminarräumen der Universität statt, so wird es hier als offizielle und sozial exklusive Angelegenheit präsentiert. Das sich dies meist nur auf Finaldebatten begrenzt, ist an dieser Stelle für Außenstehende nicht ersichtlich.

  1. Habituelle Distinktion

Nicht nur aufgrund der Räumlichkeiten, sondern auch aufgrund des Habitus wird die soziale Distanz von Debattierenden zu Menschen aus sozioökonomisch schwächeren Schichten versinnbildlicht. Wirkt die Protagonistin im Plattenbauviertel durchgehend fremd und abwesend, so bewegt sie sich durch die sozial gehobenen Räume des Debattierens deutlich anders: Hier fügt sie sich gut in das Bild der Debattierenden ein, die sich ohne Scheu und mit besonderer Eloquenz brillierend dem argumentativen Wettstreit stellen. Die dargestellten Debattierenden fügen sich mühelos in das räumliche Ambiente ein und stellen damit sowohl in Hinblick auf ihr selbstverständliches Sich-Verhalten im Raum als auch auf die Art und Weise, wie sie vor anderen sprechen, eine sozioökonomisch gehobene Schicht dar.

Die Autorinnen der Rezension: Lara Tarbuk (lnks) und Tanja Strukelj (rechts) im alternativen Dresscode - © privat

Die Autorinnen der Rezension: Lara Tarbuk (lnks) und Tanja Strukelj (rechts) im alternativen Dresscode – © privat

Aber nicht nur das Verhalten verändert sich in den unterschiedlichen Räumen – es zeigt sich auch eine deutliche Differenz im Auftreten der Debattierenden aufgrund bestimmter Dresscodes. Deutlich zeigt sich dies daran, dass die Protagonistin für das Debattieren eine andere Kleidung wählt als für den einsamen Spaziergang im Plattenbau-Viertel. Blickt man nun generell auf die dargestellten Debattierenden, sieht man, dass mit nur einer Ausnahme die auftretenden Figuren, die von vorne und somit gut sichtbar gefilmt wurden, gehobene Kleidung tragen. Diese gehobene Kleidung in Form von Hemden, Anzügen und Blazern korrespondiert dabei mit den Räumen, in denen die Debatte stattfindet, und verstärken den durch die prachtvollen Räume bereits evozierten elitären Eindruck. Zudem weicht der dargestellte Dresscode im Debattieren auch deutlich ab von jener Kleidung, die etwa an Universitäten mehrheitlich getragen wird. Debattierende scheinen sich also nicht nur von einer sozioökonomischen Unterschicht, sondern auch von “gewöhnlichen” Studierenden abzuheben

  1. Schlussbetrachtungen

Betrachtet man den Film unter sozioökonomischen Gesichtspunkten, so zeigt sich, dass hier die Debattierszene als eine sozial recht homogene und in vielerlei Hinsicht gehobene Schicht präsentiert wird.

Folgt man unserer Interpretation, erscheint das Problem deutlich: Eine solch distinguierte Darstellung des Debattierens richtet sich vor allem an hoch gebildete und finanziell gut situierte Studierende, die sich mit den im Imagefilm dargestellten Motiven identifizieren können. Zugleich wirkt diese Darstellung auf jene Studierende abschreckend, welche aus ökonomisch schwächeren Familien und Elternhäusern mit geringerer Bildung stammen. Durch diese abschreckende Wirkung greift hier ein Mechanismus des Selbstausschlusses: Wenn man sich mit einer bestimmten Gruppe – hier die Gruppe der Debattierenden – aufgrund bestimmter Merkmale von Anfang an nicht so recht identifizieren kann, schließen sich betroffene Studierende selbst aus dem Kreis der Debattierenden aus. Ist der Film aus der Debattierszene heraus entstanden und von deren Atmosphäre geprägt, müssen wir uns fragen, wie wir nach außen wirken wollen und wie wir es schaffen, nach außen so zu wirken, dass dadurch keine Mechanismen der Reproduktion von sozialer Ungleichheit greifen.

Wir möchten darauf hinweisen, dass wir hinsichtlich der von uns vorgebrachten kritischen Punkte die Vollversion des Imagefilms als weniger problematisch einschätzen, da diese durch einen anderen Schnitt die sozioökonomischen Kontraste entscheidend abmildert und z.B. dadurch, dass sie die Aufnahmen aus dem Finale klar als solche kennzeichnet, ein inklusiveres Bild zeichnet. So könnte überlegt werden, ob für die Mitgliederwerbung auf diese Langversion statt auf die Kurzversion zurückgegriffen werden soll. In diesem Sinne ist auch unser Beitrag nicht als Zurückweisung des entstandenen Imagefilms zu verstehen, der in Vielem gelungen ist und einen spannenden Einblick in das Debattieren bietet. Worum es uns in diesem Beitrag vor allem ging, war, für derartige Ausschlussmechanismen zu sensibilisieren, die durch die Außendarstellung des Debattierens transportiert werden können.

Mittwochs-Feature

Tanja Strukelj und Lara Tarbuk waren gemeinsam seit 2014 im Debattierclub Freiburg aktiv und haben als Team mehrere Turniere miteinander bestritten, darunter auch die DDM 2016. Mittlerweile studiert Tanja Soziologie in Frankfurt, wo sie auch im Debattierclub Goethes Faust aktiv ist. Lara widmet sich in Berlin ihrem Studium der Neueren Deutschen Literatur sowie dem Debattieren in der Berlin Debating Union.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

 

 

 

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9 Kommentare zu “Der Imagefilm: Eine kritische Rezension”

  1. Lennart Lokstein sagt:

    Lieber Marc, bitte poste deinen Kommentar noch einmal unter Erfüllung der Klarnamenpolitik. Wir akzeptieren Namen in folgender Form:

    Lennart Lokstein
    Lennart L. (Tübingen)
    L. Lokstein (Tübingen)

    Der alte Kommentar wird in Kürze gelöscht werden.
    Liebe Grüße,
    Lennart

  2. Marcel T. (Stockholm) sagt:

    Sehr guter Punkt. Die Darstellung in beiden Filmen scheint somit eher an Sponsoren gerichtet. Für Studierende wäre es sicher gut die Vielfalt der Themen (wenngleich die im Film schon anklingt) und der Mitdebattierenden (verschiedenen soziale und kulturelle Hintergründe) dazustellen. Will man Studierende wirklich für’s Debattieren gewinnen, so wäre es unabhängig vom Film sicher auch nicht verkehrt, die spaßigen und sozialen Seiten des Debattierens ebenfalls zu zeigen. ?

    1. Lennart Lokstein sagt:

      Danke fürs Reposten mit Klarnamen 😀

  3. Christian L. (MD) sagt:

    Pointierte, gut belegte Argumentation. Ich stimme dem zu. Hier noch ein Link zu dem Themenfeld:
    http://www.mdr.de/kultur/spezial-wie-ungerecht-ist-deutschland-104.html

  4. Benedikt R. ('HD) sagt:

    Schöner und nachvollziehbar geschriebener Artikel!
    Trotzdem glaube ich, dass wir diesen Effekt bei einem solchen Film tatsächlich auch nicht überschätzen sollten: Wír sind es aus Film und Fernseh ja gewohnt, dass dort nunmal jeder besser aussieht als normal.
    Z.B. wäre mir als Zuschauer schon (zumindest wenn ich kurz drüber nachdenke) klar, dass Gina vermutlich nicht in dieser Wohnung lebt, die so glatt aussieht, wie man eben nur Dinge für die Werbung darstellen würde.

    1. Peter G. sagt:

      Willst du damit andeuten, dass Gina eigentlich weniger gut aussieht? 😀
      Shame 😉

    2. Benedikt R. sagt:

      Im Gegenteil, als Schauspielerin wurde sie ja vermutlich gewählt, weil sie besser aussieht als der Durchschnitt, das ist meine Aussage 😉
      Neben einer Wohnung, die eher aussieht wie meine (unaufgeräumtes Zimmer im billigen Studentenwohnheim) hätte man also nach der Logik des Artikel vielleicht auch eine optisch weniger ansprechende Protagonistin wählen müssen, um breitere Schichten anzusprechen…
      Oh Mist, ist das jetzt ein Widerspruch im Artikel das optisch „ansprechende“ Personen und Dinge weniger Leute ansprechen?

    3. Karsten (Jena) sagt:

      Benedikt, nein es ist kein Widerspruch im Artikel, weil dort nie das Gegenteil behauptet wurde.
      „Optisch ansprechend“ ist deine dazuaddierte Wertung der Beschreibung von Ginas Aussehen und ihrer Wohnung.
      Die letzten Worte deiner Frage – „weniger Leute ansprechen“ – sind auch unvollständig, denn die Aussage des Artikels ist „weniger Leute einer bestimmten sozialen Schicht“ ansprechen.

    4. Benedikt R. ('HD) sagt:

      Ich war zugegeben flapsig in meinen Formulierungen (im Gegensatz zum Artikel, den ich wie gesagt sowohl vom Ton her freundlich als auch inhaltlich nachvollziehbar empfinde), was vermutlich etwas unangemessen war.
      Im Prinzip wollte ich nur einerseits darauf aufmerksam machen, dass der im Artikel beschriebene Schaden zum einen womöglich nicht ganz so groß ist, weil dies nicht unbedingt debattierspezfisich ist und somit nicht notwendigerweise mit der „Szene“ eine Elite verbunden wird, sondern dies auch einfach damit verbunden werden kann, dass es sich um einen Film handelt, der nicht die hundertprozentige Realtität spiegelt.
      Zum anderen wollte ich darauf hinweisen, dass es womöglich auch Vorteile hat bzw. natürlich auch einen Grund gibt, warum (Werbe)filme dies meist bewusst machen, nämlich dass sich normalerweise davon erhofft wird den Film ansprechend zu machen für eine möglichst große Zahl an Leuten (und ich empfinde ihn auch als solches).
      Das schließt natürlich nicht aus, dass dies zwar insgesamt so sein mag, aber bei einer bestimmten sozialen Schicht aber nicht, da hast du Recht! Ich wollte nur die Abwägung ergänzen, dass die gewählten Räume / Personen / Kleidungen etc auch Vorteile haben können.

Kommentare sind geschlossen.

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