Die Ergebnisse des dritten Jurier-Think-Tanks
Vom 14.10. bis 16.10.2016 fand in Hamburg der 3. Jurier-Think-Tank mit dem Themenschwerpunkt “Praktische Anleitung zum guten Jurieren” statt. Nachdem bereits am Mittwoch die Keynote von Marion Seiche veröffentlicht wurde, stellt Daniil Pakhomenko in diesem Beitrag alle anderen Vorträge und Ergebnisse vor. Alle Informationen und Links finden sich auch auf dem Blog für Jurierqualität.
Der 3. Jurier-Think-Tank
Ziel des Think-Tanks war es, den Prozess des Jurierens von Beginn bis zum Ende nachzuvollziehen: Von der Themenverkündung bis zum Feedback. Diesem Ziel entsprechend war der Think-Tank in drei Blöcke eingeteilt:
• Block I: Jurieren während der Debatte
• Block II: Jurorendiskussion nach der Debatte
• Block III: Feedback nach der Ergebnisfindung.
Für weitere Details kann das Programm hier eingesehen werden (da Tobias Kube kurzfristig verhindert war, wurden die Vorträge zur Mitschrift zusammengelegt).
Eine Besonderheit des 3. Jurier-Think-Tanks war es, dass in Hamburg eine sehr heterogene Gruppe zusammenkam. Von kampferfahrenen, alten Hasen bis hin zu frisch rekrutierten Junghäschen waren alle Kohorten vertreten. Dadurch war es möglich, in allen Phasen sehr verschiedene Perspektiven zu hören, was auch im Ergebnis die Vorträge und Dokumente bereichert hat. Zielgruppe sowohl der Vorträge als auch der Dokumente sind daher alle Debattierer*innen und Juror*innen: Sowohl Anfänger*innen als auch die absoluten Profis sollten hier fündig werden.
Dem Think-Tank liegt die Hoffnung zugrunde, dass das hier veröffentlichte Material nun in Jurierseminaren auf VDCH- und Clubebene aufgegriffen, verwendet und weiterentwickelt wird.
Block 1: Jurieren während der Debatte
Eine klassische Frage auf Jurierseminaren ist die Frage nach der Mitschrift: „Wie kann ich meine Notizen am besten gestalten?“. In der Regel reagieren die Coaches in solchen Fällen, indem sie auf ihre eigenen Notizen als best practice zurückgreifen und kurz erläutern, wie sie vorgehen. In seinem Vortrag „Die Mitschrift als Grundlage erfolgreichen Jurierens? Ein Annäherungsversuch..“ analysiert Daniil Pakhomenko verschiedene Mitschriften in beiden Formaten und geht auf dieser empirischen Grundlage der Frage nach, ob es signifikante Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt. Daraus lassen sich zunächst (vorbehaltlich der kleinen Stichprobe von je 6 Bögen pro Format) systematische Erkenntnisse darüber ableiten, was die Mitschriften guter Juror*innen auszeichnet (best practice). Diese empirischen Befunde ermöglichen es aber darüber hinaus, zu zeigen, wie stark verschiedene Herangehensweisen bei der Mitschrift die Wahrnehmung der Debatte durch die Jurierenden beeinflussen. Daniils Vortrag ist – wie alle anderen Vorträge – in voller Länge auf dem Youtube-Kanal für Jurierqualität zu finden. Das Video enthält eine praktische Juriersequenz, an deren Beispiel Willy Witthaut und Barbara Schunicht ihre Mitschriften vorstellen und erläutern. Daniils Präsentation ist auf Blog und Kanal verlinkt.
Eine spezifische Schwierigkeit beim Jurieren ist die Mitschrift und Bewertung der „linken“ Kategorien bei OPD. Bereits 2013 hat Jan Papsch auf der Achten Minute das Problem treffend benannt: Es bleibt oft „viel Raum auf Links“. Im Rahmen seines Vortrages greift Jan die Inhalte seines Artikels auf und baut sie weiter aus. Wer nach Material sucht, anhand dessen man Anfänger*innen erklären oder mit Fortgeschritten analysieren kann, wie genau die linken Kategorien juriert werden sollten, wird hier fündig. Zu empfehlen sind insbesondere die Folien von Jans Präsentation (hier als PPP oder PDF), auf denen er Beispiele für schwache bis sehr gute Leistungen gibt sowie seine „Beispiele aus dem Jurorenkopf“, die bei der Zuordnung verschiedener Eindrücke zu konkreten Kategorien helfen.
Wie die ersten beiden Think-Tanks lebte auch die dritte Ausgabe von den Diskussionen und Arbeitsphasen. Eine längere Arbeitsphase fand am Ende des ersten Blocks statt. Das Ergebnis ist ein Dokument, das die Ergebnisse der Diskussion auf dem Think-Tank mit empirischen Erkenntnissen aus Jurierworkshops verbindet und im Kern die Frage zu beantworten sucht, wie man den Jurierprozess während der Debatte optimieren, coachen und einüben kann. Es kann hier aufgerufen werden.
Da die inhaltlichen Schwerpunkte von Gruppe zu Gruppe sehr unterschiedlich waren, ist das Dokument insgesamt sehr vielschichtig geworden.
• Es beginnt mit der systematischen Aufarbeitung von Schwierigkeiten und Herausforderungen des Jurierens (Hier eine ausführliche Darstellung). Diese können erstens von Coaches verwendet werden, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, wo Handlungsbedarf besteht (die Pädagogen und Lehrämtler würden von Lerngruppenanalyse oder -diagnose sprechen). Zweitens können die Spezialprobleme mit Anfänger-Gruppen als Thema für reflexive Gespräche über das Jurieren genutzt werden – auch als Übung.
• Im zweiten Teil enthält das Dokument Beobachtungen und Verbesserungsideen zum OPD-Bogen.
• Der dritte Teil schließlich enthält Ideen für Übungen zur Mitschrift, die bei VDCH-Seminaren oder im Clubbetrieb verwendet werden können.
Block 2: Jurorendiskussion nach der Debatte
Der äußerst unterhaltsame Vortrag von Jule Biefeld zum Umgang mit Nebenjuror*innen richtet sich an alle Hauptjuror*innen und solche, die es werden wollen. Jule erarbeitet gemeinsam mit der Gruppe, welche Typen von Nebenjuror*innen es gibt. Sie stellt dar, mit welchen (an dieser Stelle sozialen, nicht inhaltlichen) Herausforderungen sie umgehen müssen und entwickelt anschließend Vorschläge für den Umgang mit ihnen.
Auf Jules Vortrag aufbauend, aber in der Anlage grundlegender, ist die Checkliste für Chefjuror*innen, die Jule zusammen mit Barbara erstellt hat.
Auf Jules Vortrag folgte ein längerer Erfahrungsaustausch, der sich als echte Goldgrube erwies. In zwei aufeinanderfolgenden Phasen hatten Hauptjuror*innen und Nebenjuror*innen die Möglichkeit, problemorientiert von ihren persönlichen Erfahrungen zu berichten. Die Erfahrungen der Nebenjuror*innen sind inhaltlich in die oben genannte Checkliste für Chefjurys eingeflossen. Im Rahmen des Austauschs der Hauptjuror*innen haben wir zum ersten Mal in systematischer Weise knifflige Situationen erfasst, die zu Übungszwecken (etwa auf Seminaren für Fortgeschrittene) verwendet werden können. Patrick Ehmann hat die Ergebnisse zusammengefasst. Diese sollen zum einen Coaches entlasten, zum anderen aber auch inspirieren, weitere Fälle zu sammeln und zu verwenden.
In dieser Phase wurde das Ziel verfolgt, einen möglichst ehrlichen Austausch zu erreichen. Daher haben wir bereits im Vorfeld beschlossen, die Diskussionen nicht zu veröffentlichen und die aus ihnen entstehenden Ergebnisse zu anonymisieren.
Block 3: Feedback nach der Ergebnisfindung
Ohne Feedback gibt es keinen Debattiersport, denn das Debattieren lebt von gutem Feedback. Zugleich ist Feedback geben gewissermaßen die Königsdisziplin im Jurieren und ein einschlägiger Vortrag darf nicht fehlen. Willy Witthaut setzt sich in seinem Vortrag „Wie gestalte ich ein sinnvolles Feedback auf Turnieren?“ zum Ziel, die Probleme zu analysieren, die es im Feedback häufig gibt und daraus Regeln für gutes Feedback abzuleiten. Anschließend geht er auf die konkrete Umsetzung dieser Regeln ein. Aufbauend auf dem Vortrag und der Präsentation wurden zwei Übersichten bzw. Checklisten für das Geben von Feedback erstellt, die auch Vorschläge zur Feedbackstruktur machen und intuitiv (z.B. im Clubbetrieb) verwendbar sind. Sie sind hier und hier abrufbar.
Abgeschlossen wurde der Jurier-Think-Tank durch Barbara Schunicht, die unter der generellen Fragestellung „Was macht einen guten Juror aus?“ die Ergebnisse der Veranstaltung zusammenfasst.
Ausblick
Der 2. und der 3. Jurier-Think-Tank haben viele Ideen und viel Material hervorgebracht. Nun gilt es, dieses anzuwenden. Dies wird einerseits im Rahmen des bereits in Planung befindlichen 4. Think-Tanks stattfinden, für den die Konzeption von Jurierseminaren vorgesehen ist.
Vor allem muss dies aber im Rahmen von regelmäßig und häufig stattfindenden Jurierseminaren geschehen. Dabei sollte der Blick über Anfängerseminare hinaus geweitet werden. Bereits 2015 hat als Vorbereitung auf die DDM ein Seminar für Fortgeschrittene stattgefunden. Und mit den Ergebnissen des 2. Think-Tanks sind darüber hinaus auch Chefjurorenseminare inhaltlich möglich geworden.
In der letzten Zeit hat sich eine sehr gewinnbringende Kultur des Diskurses über Jurierthemen auf der Achten Minute herausgebildet. Viele einschlägige Artikel wurden veröffentlicht. Dabei wurde auch deutlich, dass es einerseits lösbare Fragen gibt, zu denen es trotz Strittigkeit eine Art Mehrheitsmeinung und weitgehend anerkannte best practices gibt. Andererseits gibt es auch Fragen, die ungeklärt sind und es vorerst wohl auch bleiben werden. Die Think-Tank-Dokumente berücksichtigen diese Standpunkte und ordnen sie ein. Dies ist aber nur in dem Rahmen möglich, in dem Konsens und Dissens auch geäußert wird – und zwar mit unmittelbarem Bezug auf diese Dokumente.
Dass auf der Achten Minute diskutiert wird, ist ein wichtiger und sehr begrüßenswerter Schritt – aber nur der erste. Zu häufig entsteht der Eindruck, dass es dann, wenn es anschließend darum geht, die eigentliche Arbeit zu machen (also Dokumente zu erstellen, Workshops zu konzipieren und vorzubereiten, aber auch in einen ausführlichen Aushandlungsprozess über Strittiges zu treten) immer die Gleichen übrig bleiben. In diesem Sinne sei ein Appell an alle, Jung wie Alt formuliert: Arbeitet an den Dokumenten mit! Die hier präsentierten Dokumente sind gewissermaßen durch die DDG und den VDCH finanzierte Grundlagen für die Verbands- und Clubarbeit im Bereich des Jurierens. Sie werden besser, wenn ihr sie besser macht.
Und mit diesen Worten wünscht euch das Jurier-Think-Tank-Team viel Spaß mit den Links.
Daniil Pakhomenko/jm.
Der Kontext: Die ersten drei Jurier-Think-Tanks
Die Jurier-Think-Tanks sind Foren, die zum Ziel haben, intensiv in einer Gruppe über zweieinhalb Tage die gegenwärtige Lage des Jurierens zu beleuchten und Ansätze zur Weiterentwicklung zu entwerfen. Der Think-Tank in Hamburg ist bereits die dritte Veranstaltung dieser Art gewesen. Während der 1. Think-Tank in Marburg der Form nach eher einer Konferenz entsprach und keinen eindeutigen inhaltlichen Fokus hatte, um zunächst Ideen aus der Breite Raum zu geben, beschäftigte sich der 2. Think-Tank in Berlin explizit mit Themen rund um das Chefjurieren. Ergebnis waren umfangreiche Handreichungen für Turnierorganisatoren und Chefjurys.