VDCH-Umfrage: Mehr Lernen und weniger Wettkampf am Clubabend
Wie bereits vor einigen Wochen angekündigt worden war, wurden einzelne Personen mit der inhaltsspezifischen Interpretation der Ergebnisse aus der großen Debattierumfrage beauftragt. Über die nächsten Wochen stellt die Achte Minute euch jeweils donnerstags um 14:00 Uhr einen weiteren Teil vor. Diese Woche analysiert Philipp Stiel, worauf es Debattanten beim Clubabend tatsächlich ankommt.
Ein Ziel der Debattierumfrage 2016 von VDCH und DDG war es, besser zu verstehen, welche Faktoren bei der langfristigen Bindung der Mitglieder an das Debattieren eine Rolle spielen: Wie können Clubs ihre Debatten und ihr Clubleben gestalten, damit möglichst viele Mitglieder auch langfristig dabeibleiben?
Viele Debattierclubs haben zu dieser Frage natürlich ihre ganz praktischen Erfahrungswerte gesammelt, denn sie sind näher dran an der konkreten Lage vor Ort, als es eine Umfrage je sein könnte. Die Debattierumfrage aber ermöglicht ein vergleichendes Bild über viele Clubs und Erfahrungsstufen hinweg und kann so die Erfahrungen vor Ort ergänzen.
Was hält die Mitglieder dabei beim Debattieren? Um diese Frage zu beantworten, schauen wir zunächst nochmal darauf, was die Studierenden ursprünglich motivierte, zum Debattierclub zu kommen. Genannt werden durften hierzu die wichtigsten 3 Motivationen. Das Ergebnis zeigt, dass die meisten Teilnehmer zum Debattieren kommen, weil sie dort etwas lernen wollen (aufgegliedert in rhetorische und argumentative Fähigkeiten sowie das Reden vor Publikum) und weil sie allgemein ein Interesse an politischen Debatten haben. Schon deutlich weniger Teilnehmer kommen, weil es ihnen einfach „Spaß macht, vor Publikum zu reden“ oder sich in eine „unbekannte Situation zu bringen“ – also die Gruppe der Abenteuer und „Rampensäue“.
Das Interesse am kompetitiven Debattieren hingegen bringt deutlich weniger Teilnehmer in den Debattierclub: Nur der geringe Anteil von 50 Umfrageteilnehmern gab dies als einen von drei Gründen an, warum sie ursprünglich zum Debattieren gekommen sind. Verwunderlich ist das nicht – was Turniere so spannend und interessant macht, das merkt man eigentlich erst dort: Auf einem Turnier.
(Nebenbemerkung: Frauen kommen übrigens signifikant häufiger als Männer in den Debattierclub, um das Sprechen vor Publikum zu erlernen, während Männer häufiger kommen, weil sie eben daran Spaß haben. Frauen haben außerdem schon beim Erstkontakt ein deutlich geringeres Interesse am kompetitiven Debattieren als Männer.)
Wie verändert sich diese Einstellung, wenn die Teilnehmer gezielt danach gefragt werden, was ihnen aktuell wichtig ist am Debattieren? Dazu haben wir in einem zweiten Schritt gefragt, was den Umfrageteilnehmern heute am Debattieren wichtig ist.
Die Umfrageteilnehmer sollten dazu an ihren aktuellen Debattierclub denken und dabei verschiedene Aspekte des Debattierens in ihrer Wichtigkeit bewerten:
- 89% der Umfrageteilnehmer finden eine freundschaftliche Atmosphäre in den Clubs wichtig oder sehr wichtig. Dazu muss man aber nicht zwingend anfangen, auch außerhalb der Clubs Veranstaltungen/Socials zu organisieren. Das ist „nur“ 50% wichtig oder sehr wichtig.
- Die Verbesserung der rhetorischen Fähigkeiten ist 79% wichtig oder sehr wichtig, das Kennenlernen neuer Themenkomplexe immerhin noch 66%.
- Deutlich weniger, nämlich nur 56%, finden in ihrem Debattierclub den Wettkampf wichtig oder sehr wichtig.
Dieser Unterschied scheint aus meiner Sicht eine der wichtigsten Erkenntnisse zu sein – sind doch die Clubabende in vielen Clubs sehr stark auf den Turnierbetrieb ausgerichtet. Sie dienen dem Training und der Vorbereitung auf die Turniere, und häufig sollen sie auch in sich selbst ein kleiner Wettkampf sein. In vielen Debattierclubs wird an jedem Clubabend juriert, gepunktet und Turnierfeedback gegeben. Die Umfrage hingegen spricht eine andere Sprache: Der Clubabend ist für viele zuallererst ein Lernort – und viele wollen einen schönen Abend erleben und auch andere Leute kennen lernen (wichtig oder sehr wichtig für 67%).
Die Umfrage gibt auch Hinweise, wie diese Diskrepanz zustande kommt: Zum einen sind Vorstandsmitglieder deutlich häufiger auf Turnieren unterwegs als Nicht-Vorstandsmitglieder. Wer jedoch häufig an Turnieren teilnimmt, der legt für den Clubabend a) mehr Wert auf den Wettkampfcharakter und b) weniger Wert auf die Verbesserung der rhetorischen Fähigkeiten und eine freundschaftliche Atmosphäre in den Clubs. Diese Zusammenhangsmaße (Korrelationen) sind statistisch signifikant.
Das bedeutet: Eigentlich bräuchte der Clubabend eine vernünftige Mischung von Wettkampf, persönlichem Lernen und dem Bier danach, um möglichst viele Teilnehmer auch langfristig zu binden. Häufig aber wird der Clubabend von denjenigen gestaltet, die ein besonders hohes Interesse am wettkampflichen Debattieren haben und ist dadurch häufig kompetitiver, als er eigentlich sein sollte, will man möglichst viele Leute mitnehmen.
Damit sollen nicht diejenigen, die häufig an Turnieren teilnehmen, schlechtgeredet werden. Im Gegenteil – die Erfahrung zeigt ja deutlich, dass häufige Turnierteilnehmer für Clubs und für die Debattierszene im Allgemeinen deutlich mehr Verantwortung übernehmen. Ohne Turniere hätte sich das das Hochschuldebattieren in den letzten 15 Jahren niemals so erfolgreich entwickelt – und viele Clubs wären gar nicht existent.
Hier aber geht es um die richtige Mischung für den Clubabend: Da Clubvorstände sich besonders stark für den wettkampflichen Charakter des Debattierens begeistern, geht diese „richtige Mischung“ manchmal verloren. Natürlich bindet man mit einer starken Wettkampforientierung auch Mitglieder sehr stark – aber viele gehen dem Debattierclub dadurch auch verloren.
Ich selbst habe das Debattieren in einem Debattierclub gelernt, in dem traditionell selten (nur vor wichtigen Turnieren und auf Seminaren zu Übungszwecken) mit Jurierbogen juriert wurde – es gab häufig noch nicht mal Sieger oder Verlier in der Clubdebatte. Was es gab, war ein konstruktives, verbesserungsorientiertes Feedback nach der Debatte – und zwar nicht durch eine Jury, sondern durch alle Teilnehmer des Abends, ob Redner oder Zuhörer. Ein solches Feedback ist weniger stark auf die Turnier- und Wettkampffähigkeiten ausgerichtet, sondern richtet sich mehr an den Redner oder die Rednerin und seine/ihre Fähigkeiten. Es stellt aus meiner Sicht eine Möglichkeit dar, den Clubabend stärker lernorientiert zu gestalten und ihm weniger starken Wettkampfcharakter zu geben. Wenn dann noch Zeit ist für das Bier danach, dann wäre das eine gute Mischung im Sinne der Umfrageergebnisse.
Philipp Stiel/lok.
Schöner Artikel, Philipp!
Auch bei uns im Club wird (fast immer) ohne Punkte und ohne Sieger juriert. Oft wird man dafür von anderen Clubs komisch angeschaut, dein Artikel bestätigt meine Sichtweise.
Hoch interessant übrigens deine Nebenbemerkung zum Interesse weiblicher (potentieller) Clubmitglieder an Turnieren bei Erstkontakt! Könnte man mal gegen die m/w Verteilungen auf Turnieren rechnen, siehe Pegahs Artikel von vor einiger Zeit… Hieraus könnte man möglicherweise einen Trend ablesen iwieweit wir strukturelle Barrieren in diesem Bereich haben, und inwieweit das Desinteresse am Wettkampf bereits außerhalb der Szene entsteht.
Für mich eines der wenigen überraschenden Ergebnisse (der geringe Anteil der sportlichen Motivation), aber man sollte wohl einfach nicht zu sehr von sich selbst auf andere schließen.
Bei uns werden zwar fast immer Punkte gegeben, aber welche Seite gewonnen hat, fällt meist eher unter den Tisch und gilt als nicht so wichtig. Die Punkte selbst finde ich aber als Orientierung, ob und wo und wie man sich konkret (und messbar) verbessert hat, aber shcon wichtig. Und in BPS auf Sieger zu verzichten stelle ich mir irgendwie witzlos vor ^^ Schließlich geht es dort ja nicht um die eigene Leistung sondern immer nur um die Relation zu anderen. Von daher finde ich übrigens OPD auch geeigneter für die Leute, die sich in erster Linie um ihrer selbst Willen verbessern wolen, weil man Verbesserungen dort in Punkten messbar machen kann.
Die m/w Verteilung hier überrascht mich persönlich nicht wirklich. Ich denke aber, dass Peter hier auf der richtigen Spur ist, was man untersuchen sollte: nicht nur, ob die Debattiersezene Frauen im Durchschnitt abschreckt oder gar irgendwie diskriminiert sondern ob es womöglich eher der kompetitive Charakter der Szene ist oder ob ganz andere Gründe das Problem sind. Einfach zu sagen, wir haben mehr Männer als Frauen und das kann ja nur an einer besonderen Form von Diskriminierung/Sexismus innerhalb der Debattierszene liegen, solange nichts anderes zu 100% bewiesen ist, ist eine etwas simple Herangehensweise (auch wenn diese These übrigens nicht falsch sein muss, ich persönlich glaube aber nicht daran).