Unterschiede deutlich machen: OPD-Neueichung

Datum: 16. November 2016
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Mittwochs-Feature

Die OPD-Regelkommission gibt bekannt, auf dem kommenden Streitkultur-Cup ein Experiment zur Neueichung der Juroren bezüglich der genutzten Punkteskala zu planen. Über Details und Hintergründe informiert sie nachfolgend:

Was?
OPD-LogoEs ist eine altbekannte Tatsache, dass sich die Punkteskala in OPD im Laufe der Jahre zusammengezogen hat. Obwohl theoretisch zwischen 0 und 100 Punkte vergeben werden können, fallen die meisten Reden in den beschränkteren Raum zwischen 35 und 55 Punkten. Auf die Einzelkategorien umgerechnet ergibt sich hier eine Spannweite von im Schnitt 7-11 Punkten. Das ist sehr wenig Spielraum, um feine Unterschiede darzustellen. Wenn wir das Tab der letzten deutschsprachigen Meisterschaft in OPD studieren, erkennen wir das Problem: Die Spitzenergebnisse liegen sehr nah beieinander. Platz eins und Platz sieben trennen nur 0,5 Punkte pro Runde. Jeder Juror, der schon einmal vor der Entscheidung saß, in einer Kategorie 9 oder 10 Punkte zu vergeben, weiß, wie zufällig diese Entscheidung sein kann. Der gefühlt große Sprung zwischen einzelnen Punkten in einer Kategorie sorgt dann auch dafür, dass vor allem unerfahrene Juroren eher konservativ punkten – und am Ende ist es vielleicht einfach Glück, ob man in mehr Räumen eher Hochpunkter oder Niedrigpunkter hatte, wenn es um die letzten breakenden Teams geht. Das soll nicht heißen, dass der Break im Moment willkürlich wäre – in der Tendenz und im Großen betrachtet, gerade auch mit vielen Vorrunden, setzen sich statistisch gesehen gute Teams natürlich durch, und in KO-Runden spielen Hoch- und Niedrigpunkter keine Rolle mehr, solange sie konsequent bei ihrer Tendenz bleiben. Aber gerade bei weniger Vorrunden würde eine größere Differenz die Eindeutigkeit des Breaks weiter erhöhen. Um dem nachzukommen, wollen wir die Skala wieder in ihrer Gänze genutzt sehen.

Wie?

So viele Punkte könnte es auf dem Streitkultur-Cup geben.

So viele Punkte könnte es auf dem Streitkultur-Cup geben.

Dabei sehen wir zwei theoretische Möglichkeiten: Die Juroren langsam wieder an eine höhere Bepunktung heranzuführen oder aber eine neue Eichung auf einen Schlag. Nachdem die Versuche der letzten Jahre, die Juroren daran zu erinnern, dass es noch Punkte jenseits der 10 oder 11 in der Einzelskala gibt, fehlgeschlagen sind, wollen wir jetzt in einem Experiment den radikalen Sprung versuchen. Dafür haben wir – in Absprache mit den Ausrichtern – den Streitkultur-Cup im kommenden Januar ausgewählt.

Dort wird es eine umfassende Information der teilnehmenden Juroren geben, um für ein Turnier lang, wie ursprünglich geplant, Schulnoten als Anhaltspunkt zu benutzen. 40 Punkte bleiben damit eine durchschnittliche Redeleistung, gute Reden finden sich in der Spanne 50-60 und fantastische Reden können im Einzelfall auch in die 80er gehen. Dies ermöglicht eine Ausdifferenzierung in feine Nuancen und macht es deutlich unwahrscheinlicher, dass ein Juror in seinem Urteil zwischen zwei Punkten hängen bleibt und damit den Break entscheidet.

Wir sind uns der Risiken der Einführung einer de-facto neuen Skala bewusst, sehen den Nutzen aber größer als die potentiellen Verzerrungen in der Test- und Einführungsphase. Aus diesem Grund soll der Streitkultur-Cup als Experiment dienen, um hierzu eine genauere Einschätzung zu gewinnen. Besonders der deutliche Unterschied zur alten Skala soll den Umstieg leichter machen im Vergleich zu einem System, in dem alle Juroren ihre alte Eichung im Kopf haben, und nur versuchen die Skala etwas zu dehnen. Wir glauben aber, dass mit ausreichend Sensibilisierung im Vorfeld und am Tag des Turniers, der Versuch auch schnell erfolg haben kann. Abhängig von den Erkenntnissen werden wir nach dem Turnier dann eine Empfehlung für weitere Turniere aussprechen. Bis dahin würden wir uns freuen, wenn Redner wie Juroren die Gelegenheit nutzen, an einem Turnier teilzunehmen, an dem sie deutlich mehr Punkte verteilt sehen, als bisher!

Eure Regelkomission Nikos, Konrad, Lennart, Christian und Willy

lok.

Mittwochs-Feature

Die OPD-Regelkommission ist ein vom Verein Streitkultur e.V., der die Rechte am OPD-Format besitzt, gewähltes fünfköpfiges Gremium, das das Regelwerk pflegt, bei Bedarf aktualisiert und bei Fragen zum Format zur Verfügung steht. Die Regelkommission besteht in der Saison 2016/17 aus Nikos Bosse, Konrad Gütschow, Lennart Lokstein, Christian Strunck und Willy Witthaut. Erreichbar ist sie per Mail an opd [at] streitkultur [dot] net.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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10 Kommentare zu “Unterschiede deutlich machen: OPD-Neueichung”

  1. Zsolt sagt:

    Spannender, wichtiger Schritt.

    Als zeitüberziehender pöbelnder Meister der ungerechtfertigten Generalopposition habe ich eine Frage in eigener Sache: Werden die Abzüge angepasst, oder kann man sich getrost auf eine zehnminütige 80-Punkte-Rede einstellen? (Vermutlich hattet ihr daran natürlich gedacht.)

    Spannender und ernstgemeinter ist die Frage, wie ihr eine Balance zwischen Teampunkten und Speaks wahrt. Im Schnitt 50 zusätzliche Speaks pro Team verschieben den Focus natürlich.

    1. Lennart Lokstein sagt:

      Ich antworte mal im Namen der RK:
      Vielen Dank für deine Frage! Die Abzüge werden natürlich etwas höher sein, wie hoch, legen wir noch fest. Die Teampunkte sollen genau wie Einzelrednerpunkte gemäß der Umrechnungsskala an Schulnoten orientiert werden.

  2. Michael (Boston) sagt:

    Ich finde das auch eine wichtigen, richtigen – und überfälligen – Schritt! Und ich wünsche der Regelkommission und der Debattiergemeinschaft viel Erfolg bei der Umsetzung.

    Wir haben die Regel definitiv nicht für ein zehn Punkte Gesamtspektrum (in einem absurden Teilbereich von 100) geschrieben, sondern mit der Intension, dass das 25-75 Spektrum regelmäßig, das 15-85 Spektrum selten und das 0-100 Spektrum in theoretischen Ausnahmefällen zur Verfügung steht.

    Wenn Ihr es nun hinbekommt, diese Spanne zu nutzen und gleichzeitig die verlässliche Vergleichbarkeit zu bewahren, tut Ihr der Szene und dem Format sicherlich Gutes.

    @Zsolt: Ich glaube es ist „wiederherstellt“, nicht „wahrt“. Aber die Frage der Stärke der Abzüge stellt sich natürlich.

    Viel Erfolg!

  3. Sarah (Coburg) sagt:

    Endlich – darauf warte ich, seit ich wieder mit dem Debattieren angefangen habe. Vielen Dank an alle Tübinger, dass ihr das Experiment wagt!

  4. Jonathan Scholbach sagt:

    Wie wollt ihr denn intersubjektiv klären, was jetzt 86 Punkte verdient? Wenn ihr das klar sagen könnt, warum schreibt ihr das nicht in die Regeln?

    Dass eine „Neueichung“ denkbar ist, zeigt, wie ungenau die Skala durch die gegenwärtigen Regeln definiert ist. Eine gute Skala sollte auch von Leuten angewandt werden können, die noch nicht szene-geeicht sind. Dass die OPD-Skala das nicht leistet, ist ihr Hauptmangel. Daran sollte man arbeiten.

    1. Jonathan Scholbach sagt:

      Schade, dass ihr hierauf nicht antwortet. Ist das keine ernstzunehmende Frage?

    2. Konrad Tü sagt:

      Jonathan, sobald wir mehr schreiben, als dass eine bestimmte Punktespanne „sehr persuasiv“ bzw. persuasionsfördernd ist und eine andere eben nur „mäßig persuasiv“, kommen wir in eine Situation die genaue Kriterien erfordert. Genaue Kriterien sind zwar vereinfachend, was soweit ich es verstehe ja auch dein Ziel ist, aber eben auch einschränkend und verfälschend. Wir können nicht vorhersagen, welche Gestik, Sprache etc. bei einem bestimmten Thema, in einer bestimmten Debatte bei einem bestimmten Redner sinnvoll ist. Dafür sind wir alle zu unterschiedlich und haben unterschiedliche Voraussetzungen. Durch die Wechselwirkungen und carry-over Effekte von Sprache, Gestik, Mimik etc. wird es noch schwieriger, einzelne Bereiche separiert zu betrachten.
      Im Grunde ist das Problem mit unerfahrenen Juroren, dass sie sich zu sehr an einzelne Kriterien klammern, die sie mal gehört haben (z.B. Hände in der Hosentasche = schlecht). Das Ziel sollte es sein, dass alle Juroren einen offenen Geist bewahren, für ganz verschiedene Arten und Techniken der Rede. Die Rede lassen sie auf sich wirken und bepunkten diese Wirkung.

      Dein System mit klaren Kriterien (die sicher auch in einem Großteil der Fälle richtig sind) hat Vorteile bei unerfahrenen Juroren und damit sicher auch irgendwo seinen Platz. Es ist allerdings das Gegenteil der rednerischen Freiheit die wir wollen.

      Die späte Antwort kommt daher, dass du diese Frage schon einige Male gestellt und wir sie schon einige Male beantwortet haben. Die Positionen sind klar, wir wollen verschiedene Dinge und das ist auch ok so.

  5. Jonathan Scholbach sagt:

    Mir ging es vor Allem um die beiden Fragen, die ich gestellt habe. Darin geht es mir gar nicht um meinen Vorschlag, sondern ganz konkret um euer Vorgehen: Wie wollt ihr die Neueichung durchführen, ohne Kriterien für die neue Skala anzugeben? Wenn ihr solche hinreichend klaren Kriterien habt, was spricht dagegen, sie auch gleich in die Regeln zu schreiben – zum Beispiel, um einer erneuten Deflation der Skala in den kommenden Jahren vorzubeugen?
    Oder sagt ihr den Leuten einfach: „Schaut zu, wie die Regelkommission ab heute juriert und macht das nach.“?

    1. Christian (MZ) sagt:

      Je nachdem poste ich sie heute oder morgen Abend: Lieber Jonathan, ich nehme gerne im Namen der Regelkommission zu deinen Fragen Stellung:

      1. Die Neueichung soll über eine Besinnung auf Schulnoten versucht werden. Ich schreibe hierbei bewusst von einem Versuch, denn wie der Artikel selbst schon sagt, stellt dieses Turnier ein Experiment dar. Als Kenner und Kritiker des OPD-Jurierbogens ist dir sicherlich bekannt, dass die verschiedenen Punkteskalen auf der linken Seite der letzten Seite des Bogens bereits jetzt Noten auf einer Skala von 1- 6 vorsehen. Diese Noten werden in den verschiedenen Punkteskalen je nach Kategorie in Einzelpunkte „übersetzt“. Hier wollen wir ansetzen und die Juroren dazu ermuntern, die Reden nicht mehr wie bisher ausgehend über die einzelnen Punkteskalen zu bewerten sondern mit der Vergabe einer Schulnote (1-6, inklusive Minus und Plus). Wie du dich vielleicht noch aus dem Schulunterricht erinnern kannst, wurde auch in der Schule von den meisten Lehrern bisweilen mal eine Note 1 verteilt oder auch mehrere. Und das ohne den Anspruch, dass die dafür erbrachte Leistung eine überragende und praktisch nie gesehene Leistung darstellen musste und dass es (beispielsweise bei einem Aufsatz oder einer Interpretation oder Erörterung) nicht die eine, richtige Lösung gibt. Da den meisten Debattierern das Schulnotensystem noch vertraut sein dürfte, sollte es sich für die Jurierung schnell erlernen lassen.
      Falls es einzelnen Juroren mehr hilft, auf das Notensystem der Oberstufe zurück zu greifen (0-15 Punkte), ist das natürlich auch in Ordnung. Die Maßstäbe sind schließlich die gleichen. Dies sollte insbesondere bei der Einzelrednerbepunktung gut funktionieren. Allerdings müssten die Punkte dann bei den Teamkategorien wieder in andere Punkte der verschiedenen Skalen umgerechnet werden, was Rechenfehler begünstigen könnte. Bei richtiger Rechnung kommt man aber zu den gleichen Ergebnissen, wie wenn man Noten von 1-6 vergibt und diese dann anschließend in die verschiedenen Skalen umrechnet. Ohne Umrechnung geht es leider nicht.

      2. Selbstverständlich besteht dann trotzdem die Gefahr, dass die Juroren nicht sofort einheitliche Maßstäbe bei der Bepunktung ansetzen. Dieses Problem existiert allerdings auch im Status Quo, wenn auch wohl in vermindertem Maße. Um dem nach Möglichkeit vorzubeugen, planen wir eine (Viedeo-)Eichdebatte. Wann, wie und in welchem Umfeld diese stattfinden und wer sie alles wann bewerten wird, besprechen wir noch intern in der Kommission und mit den Organisatoren des Streitkulturcups. Dass wir sehr wahrscheinlich auch dann keine einheitliche Eichung bei diesem Turnier haben werden, ist uns bewusst. Dies gilt allerdings auch für alle Teilnehmer, denn wir haben dieses Experiment weit vor Beginn der Anmeldephase angekündigt.

      3. Ein Aufschreiben „klarer Kriterien“ widerspricht nach unserer Ansicht dem Format OPD, wie von vielen von uns dir gegenüber in zahlreichen Diskussionen bereits ausgeführt wurde. Wie Konrad schon sagte, gibt es nach unserer Ansicht nicht „die“ richtige Sprache, nicht „das“ richtige Auftreten. Jede Rede muss im Kontext der Debatte in seiner konkretindividuellen Wirkung bewertet werden. Was bei einem Redner stark wirkt, kann bei einem anderen Redner schwach oder auch neutral wirken. Gleichzeitig kann aber auch beispielsweise die gleiche Gestik desselben Redners in verschiedenen Debatten richtigerweise unterschiedlich bewertet werden. Wir glauben nicht, dass gerade unerfahrenen Juroren damit geholfen ist, wenn wir seitenlange Listen darüber verfassen, wonach XY „im Regelfall“ oder „meistens“ positiv in der Sprachkraft zu berücksichtigen sein wird. Abgesehen von der Menge an Beispielen, würde dies nur zum Jurieren nach Checklisten führen, was wir vehement als dem Format widersprechend ablehnen. Dabei sollte auch beachtet werden, dass ein „im Regelfall/erfahrungsgemäß wird XY positiv zu bewerten sein“ einem Juroren allenfalls Orientierung aber keine Sicherheit bieten kann. Denn in welchem Fall ist gerade kein „Regelfall“ gegeben? Im Zweifel wird sich ein unerfahrener Juror an den Regelbeispielen seiner Checkliste festhalten und die Rede gerade nicht als Ganze in ihrer Wirkung beurteilen und genau das wollen wir verhindern. Zu dieser Thematik hat Willy in der Vergangenheit bereits ein sehr gutes Mittwochsfeature geschrieben, das ich jeder an OPD Interessierten Person als Lektüre empfehlen kann.

      Wir würden uns übrigens sehr freuen, wenn du auf dem Streitkultur Cup teilnimmst, ob als Redner oder auch als Juror. Und selbstverständlich würden wir uns dann vor Ort oder im Nachhinein auch sehr über dein (gerne auch kritisches ) Feedback freuen.

  6. Jonathan Scholbach sagt:

    Ich finde es gut, dass ihr das versucht. Es ist auf jeden Fall ein Versuch, die Probleme der OPD-Jurierung anzugehen. Man kann viel theoretisch diskutieren, und Konrad hat ja schon angemerkt, dass wir da z.T. sehr weit auseinanderliegende Standpunkte haben. Aber am Ende muss man die Sachen ausprobieren. Deswegen wünsche ich euch viel Erfolg und hoffe, dass sich die viele Arbeit auszahlt, die ihr in dieses Projekt investiert!

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