Alle gewinnen: Das Bundesfinale Jugend debattiert
Am 18. Juni fand in Berlin das Bundesfinale von Jugend debattiert statt. Für die Achte Minute war Jonas Huggins live vor Ort, um sich für unsere Leser ein Bild von der Veranstaltung zu machen.
Die Resonanz ist beneidenswert: 800 Zuschauer sitzen im Saal der Urania in Berlin, um dem Bundesfinale des Schülerwettbewerbs Jugend debattiert beizuwohnen. Sie haben sich an diesem Samstagvormittag pünktlich um halb elf Uhr auf ihre Plätze begeben und erheben sich brav, als der Ehrengast eintritt: Bundespräsident Joachim Gauck, Schirmherr von Jugend debattiert.
Mehr als 200.000 Schüler sind in diesem Jahr mit Jugend debattiert in Berührung gekommen. Nach schulinternen und regionalen Ausscheidungsrunden haben es schließlich 64 junge Sieger der Landeswettbewerbe nach Berlin geschafft. Dort gab es Workshops, bis in zwei Debatten schließlich die Wurzel gezogen wurde und sich acht Bundesfinalisten qualifizierten, je vier in zwei Altersgruppen.
Altersgruppe eins macht den Anfang und wartet gleich mit einer positiven Überraschung auf: Alle vier Finalistinnen sind weiblich. Drei Rednerinnen sind 15 Jahre alt, eine ist erst 13, lässt sich vom Altersunterschied aber nicht beirren. Dabei war das Alter Thema der Debatte: Zur Frage „Soll für den Besitz von Smartphones ein Mindestalter vorgeschrieben werden?“ stellt die Regierung den Antrag, Eltern zu einem Bußgeld von 50 Euro zu verdonnern, wenn ihre Kinder unter zwölf Jahren mit einem Smartphone erwischt werden.
Der Antrag ist wasserfest und die Debatte sehr beeindruckend. Die Schülerinnen differenzieren zwischen Besitz und Eigentum, vergleichen die Maßnahme mit dem Jugendschutz, zitieren einen Gehirnforscher und einen Psychologen, beziehen den Bundespräsidenten ein und verorten die Debatte in einem Clash zwischen Freiheit und Kontrolle. Merle Paulick, eine Vertreterin der Pro-Seite, kann den knappen Sieg schließlich für sich verbuchen. Aber die Kontra-Seite hat es ihr nicht einfach gemacht: Sie stellte sowohl die Prinzipien als auch die Wirksamkeit der Maßnahme infrage.
Die Altersgruppe zwei für Schüler der Oberstufe besteht aus einem Mädchen und drei Jungs, alle 17 Jahre alt. Das Thema: „Soll §103 Strafgesetzbuch ersatzlos gestrichen werden?“ – gemeint ist damit der Paragraph zur „Majestätsbeleidigung“, bekannt aus der Causa Böhmermann. Es geht also um große Politik, vor dem Bundespräsidenten persönlich, der den Paragraphen verteidigt hat – und es ähnelt dem Finalthema der studentischen Regionalmeisterschaften.
Die Debatte beginnt nach einem musikalischen Intermezzo einer Band aus Jugend debattiert-Alumni, die technisch einwandfrei und selbstbewusst schnulzig zwei Lieder im Duett singt. Schade ist dabei nur, dass alle Beteiligten die Ironie übersehen, als das Sänger-Duo Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ schmettert.
Besonders bei den jüngeren Debattantinnen fällt auf, dass das Format von Jugend debattiert die Debatte stark strukturiert. Es beginnt Position Pro 1 mit einer zweiminütigen Eröffnungsrede, gefolgt von Kontra 1, Pro 2 und Kontra 2. Anschließend gibt es eine freie Aussprache, die zwölf Minuten dauert, ohne feste Redezeiten oder Rednerreihenfolge. Tatsächlich wagt es jedoch niemand, die Reihenfolge zu ändern.
In den Redebeiträgen gibt es viele wiederkehrende Elemente. Fast jeder Beitrag beginnt mit „Du hast gesagt, dass…“ Die Debatte wirkt dadurch angenehm aufgeräumt. Bewertet wird am Ende nach einem Kriterienkatalog, der deutlich an die Offene Parlamentarische Debatte erinnert. Für das Küren der Sieger ist eine Jury zuständig, die von Sandra Maischberger angeführt wird. Joachim Gauck beschränkt seine Rolle auf eine freundliche Ansprache („Zusammenfinden heißt nicht, dass man am Ende einer Meinung ist“) und auf Fotos am Schluss.
Die Debatte der älteren Altersklasse hat den Schönheitsfehler, dass sich die Seiten unbewusst darüber uneinig sind, ob der strittige Paragraph nun diplomatische Beziehungen schützt oder erst gefährdet. Dennoch gelingt den Debattierern eine kluge Auseinandersetzung darüber, ob staatlichen Repräsentanten eine Sonderbehandlung zukommen darf und wie die Reichweite der modernen Medien die diplomatischen Beziehungen verändert. Als Sieger geht Christian König hervor, der den Paragraphen verteidigen muss.
Gewonnen haben neben den echten Siegern natürlich alle: Die Teilnehmer, die Mündigkeit der Bürger, die Streitkultur – selbst für die Integration von Flüchtlingen ist das Debattieren eine Lösung. Das bezeugt eine aus Syrien stammende Schülerin, die erst seit sieben Monaten Deutsch lernt und dennoch bereits an Jugend Debattiert teilgenommen hat.
Und das studentische Debattieren? Aus dem Alumniverband, dem die Sieger von Jugend Debattiert beitreten können, sind einige im Studentenalter dem Hobby treu geblieben. Dennoch sollten sich die Clubs und der Verband der Debattierclubs bewusst sein, wieviel Nachwuchs hier gebildet wird, und es nicht dem Zufall überlassen, ob er von den ZEIT DEBATTEN erfährt.
Wer sich von der Leistung der jungen Debattierer einen eigenen Eindruck verschaffen möchte, kann sich das Bundesfinale als Videoaufzeichnung ansehen.
hug./lok.
Jonas Huggins hat selbst einmal bei Jugend debattiert teilgenommen, schied aber bereits auf der Schulebene aus dem Wettbewerb. Nun debattiert er bei der Berlin Debating Union e.V., deren Vorstand er angehört. Er erreichte das Finale des Brüder-Grimm-Cups 2016 und das Viertelfinale der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2016. Von 2013 bis 2016 schrieb er für die Achte Minute, ab 2014 bis 2016 als ihr Chefredakteur. Er studiert Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.
Woran liegt es, dass von den doch recht vielen „Jugend debattiert“-Teilnehmer*innen nur sehr wenige an der Uni weiterzumachen scheinen? Nur 1% von 200.000 wären doch schon 2.000 neue potentielle Unidebattierer*innen pro Jahr …
Als ob 10% aller Gymnasiasten schon einmal debattiert haben…die Herleitung der Zahlen wäre auf jeden Fall mal interessant zu sehen ; )
Ich wette die haben die Gesamtsumme aller Schüler der teilnehmenden Schulen genommen und nicht die Anzahl der Teilnehmer von Workshops, AGs und Turnieren…
Da Jugend Debattiert auf der untersten Ebene soweit ich weiß im kompletten Klassenverbund betrieben wird, kommt da schon eine große Anzahl zusammen. Ohne zu schummeln.
Die allermeisten davon, sind aber eher kurz involviert, da das System die Teilnehmer super schnell eindampft.
Was heißt dabei denn kurz? Einen Tag? Eine Woche? Einen monat? Oder gar nur eine Schulstunde 😉
Ich hab keine Ahnung, frage daher ganz naiv 🙂
Wie viele in der untersten Ebene an einer Schule teilnehmen und wie lange, ist, glaube ich, von Schule zu Schule unterschiedlich. Ich glaube, es ist typisch, dass Jugend debattiert vielleicht ein oder zwei Wochen im Unterricht (etwa Sozialwissenschaften) behandelt wird und dann eine Hand voll aus der Klasse am Wettbewerb teilnehmen.
Die Zahl bezieht sich zudem auf beide Alterstufen. Die Teilnehmer verteilen sich damit auf Klasse 8 bis 12 bzw. 13. Wenn 1% dabei bliebe, wären das also nicht 2000 neue Debattierer für uns pro Jahr, sonder eher 400 oder 500. Aber das wäre ja auch ganz nett!