Auf der Suche nach Austausch I: Der richtige Ton
Im Rahmen der für den März 2016 anstehenden ZEIT DEBATTE Berlin kam es auf der Facebookseite der vom VDCH-Vorstand betriebenen ZEIT DEBATTEN-Seite jüngst zunächst zu sachlicher Kritik an der Wahl des Finalorts, später jedoch zu heftigen persönlichen Angriffen. Die daraus resultierende Löschung des Ursprungsposts und die Verlagerung der Diskussion auf den VDCH-Verteiler forderte unter anderem eine Aufarbeitung der aufgeworfenen Fragen durch die Achte Minute.
Den Auftakt unserer Reportage „Auf der Suche nach Austausch“ kommt nun zunächst mit einem Kommentar von Pegah Maham. Hintergrund dazu sind neben den gefallenen persönlichen Angriffen auf Facebook auch Aussagen im VDCH-Verteiler, die auf Trollcharakter von Beiträgen schließen lassen könnten. „Spaß hab ich hier ehrlich gesagt“, schrieb ein Debattant zur dortigen Diskussion. Als VDCH-Beirätin für Equity und Fairness wird Pegahs Artikel einen Grundstein für folgende Diskussionen und die folgenden Beiträge zu legen versuchen. (Anm: Hier geht es zu Teil II der Reportage.)
Vom Vorwurf zur konstruktiven Kritik
Die Distanz der digitalen Kommunikation verleitet uns, uns eher im Ton zu vergreifen, als wir es sonst tun würden. Verleitet uns, Dinge zu sagen, die wir Menschen so nicht persönlich ins Gesicht sagen würden. Dabei sind sich die meisten von uns einig, dass wir uns gegenseitig nicht unnötig verletzen sollten. Unabhängig davon, wie die Diskussionsforen für den VDCH in Zukunft genau ausgestaltet werden, höfliche und respektvolle Kommunikation kann bei jedem noch so groß erscheinendem Konflikt eingehalten werden.
Kritik soll dafür sorgen, dass womöglich falsche Entscheidungen in Zukunft nicht wiederholt werden. Im konstruktiven Streit kristallisieren sich Für und Wider heraus. Das ist wichtig, wenn wir das Debattieren, Turniere, Seminare, Entscheidungsprozesse und vieles mehr Schritt für Schritt verbessern wollen. Dabei müssen wir aber vorsichtig sein. Je rauer der Ton, umso mehr selektieren wir nach einem Kriterium, nach dem wir nicht selektieren sollten. Nur diejenigen mit der dicksten Haut werden in Zukunft chefjurieren, Turniere ausrichten, sich für den Verband engagieren, wenn diese Dinge bedeuten, sich unsachlicher, verletzender Kritik stellen zu müssen. Das ist nicht in unserem Interesse, wenn wir wollen, dass das Debattieren von verschiedensten Persönlichkeitstypen mitgestaltet wird. Wir profitieren alle von einer Atmosphäre ohne voreilige Vorwürfe, und in der es okay ist, wenn Fehler gemacht werden.
Mit einleitenden Worten, die klar machen, dass es nicht um Schmähkritik geht, kann man die Arbeit der sich engagierenden Personen wertschätzen und gleichzeitig wichtige, konstruktive Kritik üben. Jede Arbeit, auch wenn uns ein Aspekt in einem Moment besonders schlecht erscheinen mag, hat gleichzeitig lobenswerte Seiten. Wenn einem ein Thema der Chefjury nicht gefallen hat, kann man dazu schreiben, welches andere Thema auf dem Turnier einem besonders gut gefallen hat. Oder die Art und Weise wie Feedback gegeben wurde. Oder die Setzung der Finaljury. Wenn euch die Unterkunft auf einem Turnier nicht gefallen hat, dann aber vielleicht die zuvorkommenden Helfer? Das Essen? Die Ehrenjury?
Die meiste Arbeit für das Debattieren wird weder mit Geld, noch mit Credit Points, noch mit anderen Auszeichnungen gewürdigt. Das was bleibt, ist die Erfahrung und das Feedback. Eine destruktive Vorwurfshaltung wirkt demotivierend und undankbar auf die Engagierten, die ehrenamtlich hart für uns und das Debattieren arbeiten. Mit Verbesserungsvorschlägen, Fragen oder Wünschen hingegen können zukünftige Entscheidungen beeinflusst werden, ohne die Mühe anderer für selbstverständlich zu halten.
Zu guter Letzt: Stellt euch die Frage, ob ihr die selben Worte benutzen würdet, wenn euch die Person gegenüber stehen würde. Seid dabei ehrlich zu euch selbst und falls ihr euch unsicher seid, wie man etwas verstehen könnte, könnt ihr im Zweifelsfall sichergehen und umformulieren oder einen Satz dazuschreiben, der Missverständnissen vorbeugt.
Gleiches gilt für den Umgang mit den Kritisierenden. Es sollte möglich sein, Nachfragen, Kritik oder Verbesserungsvorschläge zu äußern, ohne aggressiv angegangen zu werden. Nur so werden sich beispielsweise auch Neulinge trauen, diese Sachen anzusprechen. Zu gewaltfreier Kommunikation gehört es auch, einerseits die Verantwortlichen aber andererseits auch die Kritisierenden nicht persönlich anzugreifen. Weder direkt, noch durch das Unterstellen von Aussagen, Meinungen oder Charakterzügen. Sachliche Kritik sollten wir sachlich beantworten.
Respekt kann man nicht erzwingen
Bislang habe ich nur über die Fälle geredet, in denen alle Beteiligten die Prämisse teilen, niemanden verletzen zu wollen; höflich und respektvoll zu sein. Die große Mehrheit an Diskussionen – sei es auf der AM oder in bereits bestehenden Debattier-Facebookgruppen wie der VDCH-Teampartnerbörse – verlaufen problemlos und sachlich. Allerdings kann es immer Einzelfälle geben von Menschen, die aus Spaß am Streit, als Hilferuf oder in stark emotionalen Momenten Grenzen der Höflichkeit unterschreiten. Gerade in Fällen, wo dies bewusst und als Provokation geschieht, sollte die große Mehrheit einen kühlen Kopf bewahren, sachlich weiterargumentieren und denjenigen ignorieren. Je mehr Menschen sich darüber aufregen, je mehr Kommentare vom eigentlichen Sachthema abgleiten, je mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, desto eher wird solch ein Ton gefördert. Wir sollten uns nicht provozieren lassen, nicht darauf eingehen und ruhig bleiben. Die meisten von uns wollen und können sozial, höflich und konstruktiv miteinander reden. Auch online.
Pegah Maham ist in der Saison 2015/16 VDCH-Beirätin für Equity und Fairness. Sie studiert derzeit in Berlin und gewann verschiedene Turniere, darunter auch die ZEIT DEBATTE Tübingen 2015, erhielt verschiedene Auszeichnungen als beste Finalrednerin und war Teil der Chefjury des Otto-Cups in Magdeburg.
Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.
Pegah Maham/lok
Toller Artikel, dem ich nur beipflichten kann. Leider erwische ich mich manchmal selbst dabei zu rasch und forsch zu sein, ohne die Konsequenzen meiner Worte zu bedenken. Hab zu dem Thema, wie man Kritik formulieren sollte, sogar mal einen (sicher recht umperfekten) Artikel in der Dresdener Campus-Zeitung CAZ geschrieben:
Der deutsche Kulturkreis ist so wunderbar unnötig direkt. Ich bin da leider keine Ausnahme. Wenn ich das Gefühl habe, gerechtfertigte Kritik anbringen zu können, dann tue ich das auch. So weit, so gut. Dies ist ein freies Land. Also teile ich meiner Seminarkollegin in meiner bekannt charmanten Art mit: „Deine Struktur war echt scheiße! Wie soll da jemals irgendwer die Zusammenhänge verstehen?”
So. Da hat sie’s! Und jetzt? Viele Anwesende werden sich sagen: „So’n Arsch.“ Und sie wird meine Kritik vermutlich in die Kategorie „unqualifiziert“ einordnen. Tolle Wurst. Kommilitonen verprellt; Kritik verpufft.
Wenn Kritik kein Selbstzweck bleiben soll, muss sie (Achtung schlechter Wortwitz!) fachmännisch formuliert werden, nicht bachmännisch. Und Kritik soll bitte kein Selbstzweck sein. Sie soll etwas bewirken. Wir wollen anderen helfen, sich zu verbessern, indem wir ihre Schwächen identifizieren. Im akademischen oder gesellschaftlichen Kontext wollen wir Veränderungen anstoßen.
Und selbst wohl formulierte Kritik kann auf taube Ohren stoßen. Und dann hilft es nicht, diese gebetsmühlenartig zu wiederholen. Bei einer Gremiensitzung unterlief mir dieser Fehler und spätestens nachdem ich meine Kritik zum fünften Mal geäußert hatte, war mir das Desinteresse der versammelten Professorenschaft sicher. Leider nicht nur zu jenem Punkt, zu dem ich meine Kritik vorgebracht hatte, sondern auch zu allen Folgenden. Satz mit X. Vielleicht – und mit „vielleicht“ meine ich „in jedem Falle“ – hätte ich einen Gang runterschalten müssen.
Denn Kritik muss nicht nur angemessen und konstruktiv sein, sondern im besten Falle schmackhaft in etwas Positives verpackt werden. Aus dem beamtendeutschen „auf Grundlage der Akten muss das Kriterium XY als nicht erfüllt betrachtet werden“ wird dann „leider macht der sonst gute Antrag nur wenige Ausführungen zu XY“. Und aus dem „Der schon wieder“ im Kopf meiner Kollegen wird hoffentlich ein „Ja, da hat er eigentlich recht“.
„Schöner Vortrag! Aber an einigen Stellen hättest du die Zusammenhänge noch besser darstellen können, wenn du die Punkte noch besser strukturiert hättest.“ Geht doch. Guter Marc.