Warum wir eine BPS-Regelkommission brauchen

Datum: 9. Dezember 2015
Redakteur:
Kategorie: Jurieren, Mittwochs-Feature

Für das kommende Wochenende stehen zwei neue Jurierseminare an, für den kommenden Sommer Regionalmeisterschaften und eine Deutschsprachige Debattiermeisterschaft im Format British Parliamentary Style (BPS). Zeit, einige Fragen aufzuwerfen, die ich mir als Juror und als Redner gelegentlich stelle. Fragen, die auch die Teilnehmer im Jurierseminar stellen könnten, und auf die die Seminarleiter eventuell werden antworten müssen. Eine kleine Warnung vorab: Das könnte jetzt etwas komplexer werden. Wer sich mit den einzelnen Fragen nicht befassen kann oder möchte, möge bitte direkt zum Ende dieses Artikels springen, wo ich auf das eigentliche Problem mit jeder dieser Fragen zu sprechen kommen möchte.

Erste Frage: Wie viel ist ein Argument wert, wenn es eingebracht wird?

Juroren im Fianle des Boddencups 2013 (c) Florian Umscheid

Juroren im Finale des Boddencups 2013 (c) Florian Umscheid

Nach meinem Wissen sollen Juroren in BPS die Leistung eines Teams in der Debatte bewerten und diese mit der Leistung anderer Teams abgleichen. Das heißt, es gilt: „Wer mehr Leistungen in die Debatte einbringt, gewinnt“ gegenüber dem Prinzip „Wessen Argumente am Ende am überzeugendsten waren, gewinnt“. Nun stellt sich aber für mich die Frage, wie viel ein Argument denn an „Leistung“ wert ist, wenn es eingebracht wird. Ist es zunächst einmal abhängig von seiner Relevanz unterschiedlich wichtig? Nehmen wir das einmal an. Dann wäre ein Argument, das große Schäden/Nutzen aufzeigt, zunächst einmal sehr gut. Nun müsste ein anderes Team dieses Argument widerlegen, das wäre dann ebenfalls sehr gut. Beide Teams haben eine große Leistung eingebracht und sind daher vor anderen Teams. Nun bringt jedoch ein schließendes Team ein Argument, das keinen so großen Schaden/Nutzen aufzeigt, aber nicht oder viel weniger als das Argument des vorderen Teams widerlegbar ist. Wessen Argument ist mehr wert?

Es sollte wohl das hintere Argument sein, da dieses standhafter ist. Aber das hieße dann wiederum, dass das Argument des vorderen Teams durch das Rebuttal des anderen Teams nicht bloß in der Abwägung gegenüber dem Team, das das Rebuttal geleistet hat, sondern auch gegenüber dem hinteren Team schwächer wurde. Damit wären wir aber wieder an einem Punkt, an dem Teams anderen Teams Leistung „kaputt machen“ und gehen in Richtung „was steht am Ende noch“.

Die alternative Bewertungsweise dazu wäre, dass bereits beim Einbringen des vorderen Arguments ich als Juror antizipieren muss, dass ein Argument widerlegbar wäre und damit nicht so viel „Leistung“ wert ist. In diesem Fall bin ich als Juror jedoch weitaus mehr als nur ein aktiver Zuhörer: Ich bin ein äußerst kritischer Zuhörer. Dies ist in der Theorie unproblematisch, in der Praxis jedoch sollten besonders fähige und vermutlich auch erfahrenere Juroren damit eine wesentlich höhere Hürde für das Erbringen von „Leistung“ darstellen als unerfahrenere Juroren. Das wäre dann willkürlich, es sei denn, die erfahreneren Juroren sollen sich wiederum allesamt künstlich auf ein bestimmtes Level des kritischen Mitdenkens zurückhalten. Wo aber dieses individuell liegt, ist wiederum sehr schwierig eich-bar.

Marion Seiche und Daniil Pakhomenko Chefjuroren DDM 2015 Münster (c) Katharina Koerth/Elisa Schwarz

Zwei der drei Chefjuroren der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft in Münster machen eine Ansage an die Teilnehmer (c) Katharina Koerth/Elisa Schwarz

Ich persönlich praktiziere genau diese letzte Variante: Nach eigenem Gutdünken zu schauen, wie viel ich als kritischer Hörer durchgehen lasse und wie viel nicht. Warum? Weil die Alternative wäre, dass ich Teams eine nur mäßig standhafte Argumentation als extrem gute Leistung durchgehen lassen müsste, wenn diese nicht widerlegt würde. Es würde vor allem darum gehen, möglichst viele und große Schäden zu behaupten, in der Hoffnung, dass einer davon nicht erwidert wird – selbst wenn jedoch alle von einem Team erwidert würden, wären dann zwar diese beiden Teams leistungsmäßig gleichauf, beide jedoch deutlich vor den hinteren Teams, da ihre Argumente und Widerlegungen ja sehr groß und zahlreich waren.

Kurz: Quantität von Argumenten und den darin behaupteten Schäden/Nutzen wäre ausschlaggebend, statt qualitativer Argumentation und qualitativ selektierter Widerlegung. Deshalb juriere ich so. Das mag falsch sein, aber ich weiß mir nicht besser zu helfen. Andere jurieren vielleicht anders. Auch sie werden sich etwas dabei denken. Gedanken zu dieser Frage schrieb beispielsweise vor einer Weile auch Manuel Adams in einem Mittwochs-Feature.

Zweite Frage: Wann und wo ist es in Ordnung, widersprüchliche Argumentationslinien vorzutragen?

Eine der „Neuerungen“, die sich vor einer Weile ins deutschsprachige Debattieren einschlich, war, dass einige Chefjuroren bekanntgaben, Oppositionsteams dürften einander widersprechen in der Argumentation, Regierungsteams nicht. Das liegt daran, so die Begründung, dass ein Parlament abgebildet wird, in dem die Regierungsparteien einem Zwang zur Einheit unterliegen, die Oppositionsparteien nicht. Historisch mag das soweit stimmen. Doch ich frage mich hier, ob wir nicht primär ein sportlicher Wettkampf und sekundär eine Parlamentssituation sind. Indiz dafür wäre beispielsweise, dass wir Juroren haben und dass wir auch nicht bestimmte Parteiklientel vertreten oder berücksichtigen müssen (außer natürlich in Debatten aus einer bestimmten Perspektive).

In diesem Fall aber – wenn wir Sport über Simulation stellen – frage ich mich, warum eine Seite der Debatte hinten mehr Möglichkeiten zu Begründungen offen haben sollte als die andere Seite. Bevorzugt das nicht die Schließende Opposition in einem unfairen Maße? Ebenso geht es hier um taktische Kalkulationen: Vordere Teams konnten zuvor durch die geschickte Wahl einer Linie oder eines Antrags hinteren Teams die Argumentationsmöglichkeiten einengen. Finden wir das allgemein gut oder schlecht, als taktisches Element, in dem man Können zeigen kann, oder als inhaltlich hinderliches Argument für die Debatte? Allgemein ließe sich sportlich sowohl für als auch gegen Linienkonsistenz argumentieren. Für nur eine Seite jedoch lässt sich ein Fraktionszwang sportlich nicht rechtfertigen.

Dritte Frage: Was tun, wenn die Eröffnende Regierung das Thema unabsichtlich verfehlt oder bewusst durch ein anderes ersetzt?

Hierzu gibt es verschiedene Herangehensweisen. International üblich war früher ein sogenannter „Gegenantrag“: Die Opposition stellt einen neuen Antrag zum Thema und wird damit die neue Regierung, die hinteren Teams tauschen demzufolge ebenfalls die Seiten (oder bleiben beim alten Antrag, falls dieser ihrer Meinung nach eher das Thema wiedergibt). Wird diese Möglichkeit korrekt eingesetzt, so besteht zumindest für den Rest der Redner die Möglichkeit, die von den Chefjuroren gewünschte Debatte zu führen, wenn auch auf anderen Seiten. Im Leitfaden der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2014 heißt es hingegen sinngemäß: „Solange irgend möglich debattierbar wird der Antrag der Regierung debattiert“.

Juror Jurierbogen Finale ZD Frankfurt 2013 (c) Florian Umscheid

Ein Juror im Finale der ZEIT DEBATTE Frankfurt 2013 (c) Florian Umscheid

Dies halte ich aus zweierlei Gründen für höchst problematisch: Einerseits wäre das ein Anreiz für Teams, einfach ein debattierbares Thema ihrer Wahl perfekt, stundenlang und ausgiebig recherchiert vorzubereiten, und wann immer sie Eröffnende Regierung sind, genauso zu beantragen. Dadurch haben die anderen Teams massive Nachteile: Die Eröffnende Opposition (EO) hat sich auf dieses Thema nicht vorbereitet und muss Argumente aus dem Ärmel zaubern. Die Schließende Regierung (SR) hat keine Chance mehr, irgendein relevantes Argument zu bringen. Die Schließende Opposition (SO) hat immerhin noch die Möglichkeit, neue Argumente vorzubereiten, dürfte sich jedoch schwer tun, diese in der Perfektion der ER vorzutragen und zudem einen Teil der relevanten Argumente bereits an die EO „verloren“ haben.

Der Leitfaden spricht hier davon, dass die anderen Teams „wohlwollender“ zu bewerten sind. Aber was hilft das einem SR-Team ohne Argumente und was der EO? Und selbst dann, wie wohlwollend muss man sein, um einem SO-Team mit einem Teil der Oppositionsargumente den Sieg über einem ER-Team zu geben, das man nicht unwohlwollend behandeln soll und das perfekt ausgearbeitete Argumente brachte? Faktisch läuft diese Frage darauf hinaus, dass – selbst wenn man der SO den Sieg geben würde – ein für Vorrunden durchaus reizvolles System besteht.

Eine andere Herangehensweise wäre die in der Offenen Parlamentarischen Debatte (OPD) von der Regelkommission eingeführte: Der erste Redner des gegnerischen Teams darf erklären, warum die ER das Thema verfehlt hat und wo, was diese vertreten sollte und dass die Opposition genau das opponieren wird. Auf diese Weise können die restlichen drei Teams nach wie vor ihr vorbereitetes Material bringen und nur das eigentlich „schuldige“ Team hat das Nachsehen. Die Juroren müssten diskutieren, was die Metrik der Debatte korrekterweise hätte sein sollen und danach bewerten.

In BPS könnte es hier jedoch Sinn ergeben, dass diese Art der Neudefinition nicht bloß dem ersten Redner der EO offen steht, sondern ebenso den ersten Rednern der hinteren Teams. Andernfalls könnte beispielsweise eine schlechte Eröffnende Regierung einen für die Regierung nicht gewinnbaren Antrag stellen, den die Eröffnende Opposition opportunistisch annimmt. Hier würde das schließende Team der Regierung unverschuldet die Debatte verlieren müssen. Wesentlich fairer fände ich es, wenn dieses Team bereits bei der Opposition in Zwischenfragen auf das eigentliche Thema hinweisen und diese zur Auseinandersetzung damit anhalten könnte. Im Zweifel sollten die hinteren Teams die Gelegenheit bekommen, die eigentliche, von den Chefjuroren als „fair“ klassifizierte Debatte für sich zu beanspruchen, statt der Willkür und dem Kalkül vorderer Teams ausgeliefert zu sein.

Aus diesem Gedanken heraus fände ich persönlich eine (begründete und sinnvolle) Neudefinition eines verzerrten oder ignorierten Themas hin zum ursprünglichen Thema stets legitim und würde dies als „Leistung“ anrechnen, wäre ich Juror in einem solchen Raum, um dann anschließend nach der neuen Metrik zu jurieren. Teams, die innerhalb dieser Metrik andere Teams in deren Leistung schlagen, erhalten die vorderen Plätze. Gibt es mehrere Teams, die innerhalb dieser Metrik keine Leistung erbracht haben, so würde ich diese untereinander nach ihrer Leistung innerhalb ihrer eigenen Metrik platzieren, jedoch hinter den übrigen Teams. Mir erschiene das am fairsten. Aber welcher Juror das wo wie anwenden und werten würde, ist ungeklärt.

Warum all diese Fragen?

Lennart Lokstein Finale DDM 2015 (c) Matthias Carcasona

Lennart Lokstein im Finale der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft in Münster 2015 (c) Matthias Carcasona

Das Problem bei allen diesen Fragen ist nicht, dass ich nicht selbst auf eine Antwort von oft mehreren möglichen kommen könnte. Das Problem ist genau das Gegenteil: Viele Juroren können und tun dies – doch oftmals auf unterschiedliche Art und Weise. Und genau hier wird es problematisch: Wenn unterschiedliche Teams im gleichen Raum davon ausgehen, dass mit einer unklaren Situation verschieden umgegangen wird, dann führt das zu einer unschönen Debatte. Noch unschöner wird es dadurch, dass sich das gleiche Problem auch durch Jurorenbanken zieht. Wenn Redner gegenüber Rednern und auch Redner gegenüber Juroren unterschiedliche Annahmen über den korrekten Umgang mit bestimmten Situationen treffen, dann ist die Bewertung, die am Ende herauskommt, zwingend für irgendein Team unfair – ebenso ist sie willkürlich, da dieses Team in einem anderen Raum genau damit „recht gehabt“ haben könnte.

Derzeit übliche Behelfspraxis ist, dass Chefjuroren von Turnier zu Turnier unterschiedlich einige Fragen auswählen und dafür Standards vorgeben. Daran halte ich mich als Juror für dieses Turnier dann natürlich. Aber selbst dann gibt es immer wieder die paar Juroren, die gerade nicht aufpassen, auf dem Klo sind oder erst später anreisen. Und die fallen heraus. Oftmals werden jedoch derartige Fragen überhaupt nicht angesprochen und nie wurden bislang alle diese Fragen abschließend geklärt.

Derartige Unsicherheit, wie sie teilweise besteht, finde ich aus sportlicher Sicht sehr unbefriedigend. Denn: Sie ist vermeidbar. Genau wie beispielsweise ein Staat ein Parlament hat, das Gesetze verabschiedet, um Rechtssicherheit zu schaffen, wäre auch für das BPS-Format eine entsprechende Instanz denkbar und aus meiner Sicht wünschenswert. Ich möchte den Teams gegenüber, die ich juriere, kein willkürlicher Juror sein – aber solange nicht klar definiert wird, was nun richtig und falsch ist, ist das mehr oder weniger jeder von uns.

Was also möchte ich mit diesem Artikel anregen? Der Titel ist bewusst provokant gewählt: Wir brauchen nicht zwingend eine Regelkommission, die BPS verwaltet, wie es in OPD geschieht – hier darf auch nicht vergessen werden, dass BPS parallel international genutzt wird. Aber wir brauchen ein Gremium, das für solche Fragen zur Verfügung steht. Wir brauchen ein Medium, auf dem dieses Gremium erreichbar ist und wir müssen erreichen, dass Entscheidungen dieses Gremiums verbindlich und legitimiert von allen angenommen werden können.

Lennart Lokstein/hug

 Mittwochs-Feature

Lennart Lokstein war von 2013 bis 2015 Vorsitzender der Streitkultur e.V. in Tübingen und ist seit 2014 Mitglied der OPD-Regelkommission. Er gewann zahlreiche Turniere, darunter die ZEIT DEBATTE Hannover 2015, die Süddeutsche Meisterschaft 2015 und den Gutenberg-Cup in den Jahren 2013 und 2015. Bei der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2015 erhielt er den Preis für die beste Finalrede. 2013 regte er die Einsteigerliga an, die Kriterien für Einsteigerturniere vereinheitlicht. Aktuell ist er Beirat des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen e.V. für Jurierseminare und arbeitet an einer Masterarbeit in Allgemeiner Rhetorik zum Hochschuldebattieren in Europa.

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

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13 Kommentare zu “Warum wir eine BPS-Regelkommission brauchen”

  1. Robert P aus P sagt:

    Danke Lennart, für diesen spannenden Input und ich stimme dir zu, eine Rechtssicherheit ist in BPS erstrebenswert.

    Vor deinem zweiten Schritt (der sicher noch etwas Zeit braucht), würde ich jedoch anregen, dass alle den ersten Schritt gehen.

    Wir haben mit dem Leitfaden der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2014 einen großartigen Beitrag zur Rechtssicherheit, quasi ein kommentiertes Regelwerk, dass sowohl von der Expertise der Verfasser, als auch der Qualität, lebt.

    In den letzten Turnieren bin ich jedoch ausnahmslos jedes Mal aus Situationen gestoßen, in denen (auch und gerade erfahrende) Juroren klar geregelte Situationen oder Verfahren nicht kannten. In dem Sinne möchte ich vorerst plädieren, dass Juroren, aber vor allen erfahrene Juroren, wie öfter einen Raum leiten werden (oder CAs), diesen Leitfaden vor Turnieren noch mal lesen. Das würde für einheitlichere Entscheidungen sorgen, gerade bei nicht alltäglichen Juriersituationen.

    Spannend ist für mich hier auch die Frage: Was ist, wenn CAs eine andere Regelauslegung haben als der Jurierleitfaden? Woran bin ich als Juror dann gebunden?

    P. S. Ich bin der Meinung, Opp darf eine widersprüchliche Linie fahren 😉 und das es taktisch immer klug ist von der 1. Opp einen Antrag nur unter der Bedingung des Jurierleitfaden zurückzuweisen, in allen anderen Situationen ist man in einer taktisch ganz guten Position.

  2. Christian (MZ) sagt:

    Großartige Analyse, Lennart! Es gibt noch deutlich mehr Probleme, aber du hast auf jeden Fall einige sehr wichtige deutlich gemacht 🙂

    Gerade die Situation, in der ein Antrag womöglich (!) das Thema nicht richtig trifft, ist für alle Beteiligten schwierig. Das gilt erst recht, wenn die Juroren nicht bereits während der Debatte ein Statement abgeben (können oder dürfen). Was soll dann beispielsweise die schließende Regierung tun? Entweder akzeptiert sie den „neuen Antrag“ der EO und dolcht die ER und verliert womöglich deswegen die Debatte (nicht allein wegen des Dolchens, aber auch deswegen) oder sie steht hinter der ER, während aber beide Oppositionsparteien einen anderen Antrag debattieren und wird womöglich von der ER nach unten gezogen. Im Idealfall versucht man so zu argumentieren, dass beiden Anträgen gerecht wird, aber je nachdem, wie die andere Seite Fragen stellt oder Zwischenrufe bringt, muss man sich eben doch positionieren oder es ist in einigen Fällen vielleicht auch gar nicht möglich, für beide Anträge zugleich zu argumentieren. Die Folge ist in jedem Fall ein wunderbares Durcheinander, bei der auch die Juroren am Ende nicht wissen, was sie tun sollen, eben weil es da keine Regel gibt. Auch den Teams im Raum kann man keine wirklichen Vorwürfe machen, denn es gibt ja keine Regel, auf die sie sich beziehen können. Das gilt übrigens auch für die ER: Wenn der Antrag noch debattierbar ist, aber nicht das Thema trifft, was dann? Kann man dann wirklich einfach ein anderes Thema debattieren, wie Lennart es als These formuliert? Warum sollte das eigentlich nicht gehen, solange das Thema debattierbar ist? Und was, wenn sich die EO und auch die anderen Teams sogar darauf einlassen, weil sie alle mit dem Ausgangsthema nicht klar kommen? Dann kann man den Antrag nicht mal mehr unbedingt unfair nennen.

    Es gibt darüber hinaus noch mehr Klärungsbedarf. Ich habe beispielsweise erst kürzlich Feedback eines Chefjuroren bei einem BPS-Turniers gehört, dass wesentliche Argumentationen einer Rede durch (für den Redner leider akustisch nicht verstandene) Zwischenrufe widerlegt wurden. Mir schien das plausibel. In einer späteren Runde war dann ein anderer CA im Raum, der später auf Nachfrage sagte, dass Zwischenrufe in BPS praktisch bedeutungslos seien und daher eine Widerlegung nicht stattgefunden habe. Solche sich widersprechende Aussagen sind an sich schon problematisch. Das ganze wird aber noch interessanter, wenn die Chefjuroren die Teams dazu anhalten, als Team 2-3 Fragen dran zu nehmen. Nun gibt es aber einige Teams, die absichtlich niemals Fragen dran nehmen. Wenn dann auch noch Zwischenrufe nicht gewertet werden, ist das gleich doppelt problematisch, denn die Interaktion wird bewusst beschränkt. Da es aber bisher nicht sanktioniert wird, wenn man keine Fragen dran nimmt, obwohl die Teams von den CAs ausdrücklich dazu angehalten werden, ist es natürlich auch eine legitime (wenn auch keine besonders faire) Taktik, keine Fragen anzunehmen.

    Zum Jurierleitfaden der DDM 2014: Ich finde ihn auch sehr gut, aber auch dieser hat Lücken, wie Lennart bereits aufgezeigt hat. Ich glaube allerdings auch nicht, dass der Leitfaden ein vollständiges, in sich geschlossenes Regelwerk sein will, aber da lasse ich mich gerne korrigieren. Im Übrigen kann man meiner Meinung nach aber keinem (Chef-)Juror vorwerfen, dass er oder sie nicht nach diesem Leitfaden juriert. Denn der Leitfaden wurde für die DDM 2014 geschrieben und hat, zumindest meines Wissens nach, niemals Allgemeingültigkeit für alle BPS Debatten in VDCH-Land beansprucht. Es ist daher jedem CA-Team überlassen für jedes Turnier einen eigenen Leitfaden zu schreiben und auf das Turnier anzuwenden und die Juroren müssen sich daran selbstverständlich anpassen. Und nur weil ein CA-Team keinen eigenen Leitfaden schreibt, kann man noch lange nicht automatisch davon ausgehen, dass der Leitfaden der DDM 2014 maßgeblich sein sollte. Allein schon deshalb, weil einige Turnierteilnehmer (Redner und Juroren!) auch erst nach dieser DDM mit dem Debattieren begonnen und diesen Leitfaden nie gesehen und in ihren Clubs womöglich sogar etwas anderes gelernt haben. Aber auch so würde ich mir die Frage stellen: Warum sollte dieser Leitfaden, der für ein (!) spezifisches Turnier verfasst wurde, automatisch für alle anderen Turniere im gleichen Format gelten? Auch wenn er noch so gut ist? Es wäre in jedem Fall sinnvoll, wenn BPS-Chefjuroren vor jedem Turnier deutlich machen, ob sie sich auf diesen, einen anderen oder gar keinen Leitfaden beziehen und, sofern sie sich auf einen Leitfaden beziehen, diesen in jedem Fall vor (!) dem Turnier allen Teams und Juroren zugänglich machen. Ein bloßer Verweis beim Turnierbeginn auf einen eineinhalb Jahre alten Leitfaden, von dem einige der Anwesenden womöglich noch nie gehört haben, wäre ziemlich witzlos.

    PS: Ich stimme Lennart voll und ganz zu, dass es unfair ist, der SR das Dolchen zu verbieten und es der SO (die auch noch mehr Zeit hat, Argumente zu finden) zu erlauben. Oft heißt es von CAs zu dem Thema Dolchen auf Nachfrage: „Macht es einfach nicht, auf beiden Seiten.“ Das ist vernünftig. Was aber, wenn es doch jemand tut?

    PPS: Spontaner Vorschlag zum Dolchen: Wie wäre es, wenn man die Regierungsparteien nicht mehr als Koalition wahrnimmt sondern die ER als Minderheitsregierung und die SR als eine sie duldende Fraktion ohne offizielle Koalition? Vielleicht könnte man mit diesem Modell das Dolchen auch für die gespielte Parlamentssituation plausibel machen 😉

  3. Jonathan Scholbach sagt:

    Muss diese Frage nicht international diskutiert werden? Oder wollen wir wirklich „deutsches BPS“?

  4. Patric Flommersfeld sagt:

    Zu der Frage nach einer Regelkommission:
    Klares nein. BPS ist das was in den WUDC Guidelines steht. Fertig.
    Ein Veränderung dieses Systems stellt meiner Ansicht nach ein paralleles Regelwerk dar. (Wir haben doch schon OPD)

    Zu 1)
    Ist es nicht eher die Mischung aus beiden Ansätzen?
    Zum einen MUSS ich werten wie die Teams miteinander interagieren. Wenn keine, oder nur schlechte Rebuttals präsentiert werden, dann wurde ein Pflichtbereich des Systems verletzt, bzw. vernachlässigt. Bzw. die Interaktion ist der Maßstab, welcher mir als Juror am meisten Einblick in die strategischen Kompetenzen der Teams gibt. Daraus kann ich ablesen in wie weit Teams das Thema verstanden haben und ob diese eine Taktik aufweisen können, welche darauf abzielt den Kern des Themas zu erarbeiten.

    Allerdings jetzt stumpf ALLES als Argument laufen zu lassen ist natürlich auch der falsche Weg. Natürlich muss ein Argument logisch schlüssig präntiert sein und es darf auch nur dann als entkräftet gelten, wenn ein logisch schlüssiges Rebuttal erfolgt.
    Aber selber zu antizipieren, ob ein Argument widerlegbar ist halte ich für eine Fehlsauslegung der BPS-Regeln. Die Beweislasst liegt immer bei den Rednern. Sobald du „antizipierst“ nimmst du ihnen Pflichtarbeit ab und verzerrst die Debatte, in dem du plötzlich Argumente als vollständig ansiehst, welche nur angeschnitten worden. Einzige Ausnahmen sind offensichtlich falsche Schlüsse oder Behauptungen, so dass Naturgesetzte oder offensichtliche Fakten außer Kraft gesetzt werden. An sich muss ich als Juror erstmal alles als Argument wahrnehmen, was begründet ist. Und dann am Ende als 2. Schritt schauen, was auf der Makroebene die stärkste Auswirkung hatte.

    Zu2 )
    Den Fall hatte ich noch nie :/ Gibt es diese Regel nur im deutschen Raum? Noch nie gehört…

    zu3)
    Auch bei den beschissensten Debatten habe ich noch nie erlebt, dass jemand gebrauch des Gegenantrags gemacht hat. Die natürliche Reaktion einer EO ist doch der (begründete) Hinweis auf das Verfehlen des Antrags seitens der ER und das Nachlegen von grundlegenden Strukturen und Begriffsfragen. Eigentlich das was jeder guter Debattierer macht, wenn er eine Thema aufbauen möchte. An sich entspricht das auch der aktuellen (internationalen) Regelauslegung, soweit mir bekannt. Eigentlich passiert dann technisch gesehen auch nichts anderes, als das die ER de facto raus aus der Debatte ist und die eigentliche Antragsarbeit an die EO übergeht.
    Wo werden da die schliessenden Teams benachteiligt? Für die SR wird es einfacher, da sie mehr Punkte bringen kann, welche die ER hätte bringen sollen und bei der SO bleibt alles beim alten, nur man ignoiert die ER…

    Zu den Zwischenrufen:
    eindeutig geklärt in den WUDC Guidelines: 1. Verboten 2. Nicht wertungsfähig.
    Man sollte ZR sowieso unterbinden. Ist einfach eine deutsche Unart. Wer was reinrufen will soll auf OPD Turniere fahren.

  5. Christian (MZ) sagt:

    @Patric: Zu Punkt 3) bei dir: Klar, wenn für die SR alles offensichtlich ist, dass der Antrag nicht ok ist usw., dann ist sie wohl nicht benachteiligt. Aber erstens ist das im Eifer des Gefechts nicht immer so klar und zweitens können es die Juroren noch einmal ganz anders sehen. Auch die EO muss sehr schnell entscheiden, ob sie den Antrag annimmt oder einen anderen Antrag zur Debatte stellt. Und je nachdem, ob man mit so einer Entscheidung richtig oder falsch liegt, kann man auch schon mal eine Debatte verlieren. Und dieses Problem wird bei einer unklaren Regel eben noch viel größer. Denn selbst wenn klar ist, dass der Antrag ein Thema verfehlt, kann es immer noch sein, das am Ende der Juror sagt: Der Antrag der ER ist aus meiner Sicht noch debattierbar, also ist er maßgeblich.

    Und eine Debatte ohne Zwischenrufe…tja, das wäre zumindest mal eine eindeutige Regel, was an sich schon eine gute Sache wäre. Ich fände Debatten ohne Zwischenrufe zwar sehr langweilig, aber kann man natürlich machen.
    Da Zwischenrufe aber in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum immer als zulässig galten, weiß ich nicht, ob uns der Hinweis auf die WUDC-Guidelines weiter hilft. Auch hier sehe ich nicht den Automatismus. Denn diese Guidelines werden ja momentan offensichtlich nicht (vollständig) angewandt und niemand hatte in den letzten Jahren ein Problem damit. Man könnte auch diese Guidelines als verbindliches Regelwerk bestimmen, denn auch dann hätte man das, worum es Lennart geht und was ich gleichfalls für wichtig halte: Rechtssicherheit. Für Redner und für Juroren.

  6. Christian (MZ) sagt:

    @Jonathan: Da wir scheinbar zumindest teilweise die internationalen Regeln offensichtlich ignorieren (siehe Zwischenrufe) , haben wir offensichtlich bereits ein deutschsprachiges BPS. Das kann man begrüßen oder verurteilen. Aber im Sinne der Fairness aller Beteiligten würde ich es mit Lennart für sinnvoll erachten, verbindliche Regeln zu kommunizieren. Das können ja gerne auch die WUDC Guidelines sein. Entweder vollständig oder mit ausdrücklich genannten Abweichungen.

  7. Patric Flommersfeld sagt:

    @Christian: Aber wenn der Antrag das Thema verfehlt und der Juror diesen Trotzdem annimmt, dann ist das doch ein Fehler des Jurors? Bzw. der Juror müsste dann doch in der Lage sein zu erklären, warum der Antrag das Thema eben nicht verfehlt.

    Ob man jetzt Zwischenrufe werten lässt oder nicht ist eine Detailfrage. Ich tendiere zu der internationalen Auslegung aus Pragmatismus. Mir machen Debatten mit Zwischenrufen auch deutlich mehr Spaß, aber bei BPS-Debatten auf hohem Niveau finde ich sie eher nachteilig, da ich mich lieber auf die geilen Analysen konzentrieren möchte, bzw. muss. (Auch als Teil des Publikums)

    Meiner Meinung nach kann man solche „Kleinigkeiten“ für jedes Turnier individuell festlegen. Dafür brauche ich einen Körper, welcher das System als Ganzes betrachtet. Es würde ja schon reichen, wenn man für jedes Turnier einen standardisierten Bogen anfertig, welcher nur anzeigt, welche Auslegung im Zweifel gilt. Man könnte Turniere in welchen z.B. Zwischenrufe erlaubt und Backstabbing strikt verboten ist dann auch einfach als „BPS +ZW -BS“, oder so kennzeichnen. Simpel, gut erkennbar, jeder weiss was gemeint ist. Für so Detailfragen das komplette Regelwerk in Frage zu stellen erscheint mir eher Kontraproduktiv, vor allem was den internationalen Wettbewerb angeht.

    Allerdings, wenn man Zwischenrufe erlaubt, dann muss man deren Inhalt auch werten lassen. Ansonsten erscheinen sie mir sinnlos, bzw. sind nur noch ein reines Störinstrument.

  8. Lennart Lokstein sagt:

    Nochmal zur Verständlichkeit: Ich erwarte hier keine eindeutige Antwort auf meine Fragen – auf jede gibt es nämlich mehrere. Was wir überlegen müssen ist, wen wir dazu bestimmen, „Rechtssicherheit“ zu schaffen:
    Chefjuroren lokal auf ihrem Turnier? Die Chefjuroren der DDM? Ein Regelwerk, deutsch oder international – und wer editiert dieses dann?

    Damit Fragen geklärt werden können benötigen wir jemanden, der im Zweifelsfall für Argumentationen beider Seiten zugänglich ist und letzten Endes entscheidet. Aus Pragmatismus würde ich diese Instanz zumindest vorläufig auf deutscher Ebene sehen – zwar wäre eine solche Instanz fürs Internationale sehr wünschenswert, bislang gibt es diese jedoch nicht und sie zu schaffen dauert sicher noch eine Weile und benötigt weit mehr involvierte Akteure (und damit Zeit) als auch „nur“ auf VDCH-Ebene. Das könnten aber beispielsweise die VDCH-Beiräte für Internationales auf dem Council langfristig anregen.

    Über die einzelnen Fragen hier konkret zu diskutieren würde vermutlich das eigentliche Diskussionsthema sowie auch die Nebendiskussionen zerfaßern. Es zeigt jedoch, dass wir im Grunde einen Raum dafür bräuchten. Im Zweifelsfall gerne auch in Form einzelner weiter Achte Minute-Artikel.

  9. Ich bin kein Freund von extensiven Regelwerken etc., da sie eine Rechtssicherheit vorgaukeln, wo es keine Rechtssicherheit gibt (es gibt immer den einen Fall, an den niemand gedacht hat). Ich bin auch der Meinung, dass man sich bei BP an die aktuellen Regeln des WUDC-Councils halten sollte, wenn man Einheitlichkeit möchte, da diese die verbreitesten sind; beim Fußball wird ja auch im Allgemeinen nach den FIFA-Regeln gespielt. Ich gebe aber auch gerne zu, dass ich mich derzeit an den Juroren-Leitfaden zur DDM 2014 in Berlin halte, da er explizit für deutsche Verhältnisse geschrieben wurde und meiner Meinung nach die relevantesten Streitfälle behandelt und Handlungsmaximen vorschlägt. Da ich aber bei den von Lennart und Christian beschriebenen Problemfällen keineswegs die Regeln so unklar finde, wie hier dargestellt, bin ich gerne bereit – quasi als „Service“ – meine jeweiligen Positionen als Juror im Einzelnen darzulegen:

    Zu Lennarts Frage 1: Der Wert eines Arguments resultiert aus seiner Relevanz für die Debatte. Daher würde für mich in der beschriebenen Situation (vordere Hälfte stark, neutralisiert sich jedoch; hinteres Team schwach, aber nicht widerlegt) die Relevanz der Extension des schließenden Teams die Frage entscheiden, ob es vor oder hinter den eröffnenden Teams landet:
    Fall A: Das schließende Team geht nicht auf den bisherigen Verlauf der Debatte ein und stellt seinen kleineren Case in den Raum, ohne zu erklären, warum er für die laufende Debatte wichtig ist – das Team ist somit nicht relevant für die Debatte und landet hinter den eröffnenden Teams.
    Fall B: Das schließende Team geht auf den bisherigen Verlauf der Debatte ein, scheitert aber dabei, den eigenen Case für den neutralen Beobachter mit seinem Durchschnittswissen (der ich als Juror bin) relevant für die Abwägung der beiden Seiten zu machen – das Team ist somit weniger relevant für die Debatte als die vorderen Teams und landet hinter den eröffnenden Teams.
    Fall C: Das schließende Team geht auf den bisherigen Verlauf der Debatte ein und zeigt, warum sein eigentlich kleinerer Case stärker den Kern der Debatte berührt als der fruchtlose Austausch der Argumente auf der vorderen Hälfte – das Team ist somit relevanter für die Debatte als die vordere Hälfte und landet vor den eröffnenden Teams.

    Zu Lennarts Frage 2: Offenes bzw. explizites Backstabbing (und das ist das einzige Backstabbing, das für die SR im Leitfaden zur DDM 2014 verboten ist) ist auf der Regierungsseite eigentlich nur dann notwendig, wenn der Antrag der Regierung nichts mit dem Thema zu tun hat. Dazu gleich mehr. Wenn aber nur der Antrag sehr ungünstig für die Regierungsseite ist, die ER einen Stakeholder explizit vom Antrag ausgenommen hat, über den die SR reden wollte, oder die ER eine sehr ungünstige Definition eingekauft bzw. geliefert hat, bleibt der SR immer noch ein aus der Logik der Debatte begründetes implizites Backstabbing. Mögliche Vorgehensweise, die ich als Juror akzeptieren würde, sind z.B.:
    Antrag der ER ist ungünstig für die Regierungsseite: „In der ersten Hälfte ging es viel um die praktischen Aspekte des Antrags; dies ist aber aus unserer Sicht für diese Debatte nicht so relevant wie die prinzipielle Ebene, auf die die SR besonders eingehen möchte…“
    Stakeholder von ER explizit ausgeschlossen: „Der Antrag ist ein erster Schritt und die ER hat ja schon zur Genüge dargestellt, warum wir derzeit [Stakeholder] vom Antrag ausschließen. Aber wenn wir erst auf dem richtigen Weg sind, können wir natürlich über eine Ausweitung auf diesen Stakeholder nachdenken. Das hätte weitere Vorteile: …“
    ER kauft bzw. liefert sehr ungünstige Definition: „Es ist jetzt müßig, über den genauen Wortlaut zu streiten. Für uns auf der SR bedeutet die Begrifflichkeit auf jeden Fall [bessere Definition] …
    Zum Vorwurf der Unfairness, weil zwischen Backstabbing auf Reg und Opp unterscheiden wird: Diese sehe ich nicht so richtig, da es auf Seiten der Opp verdammt schwer ist, als SO der EO explizit zu widersprechen. Eigentlich geht das nur, indem man die Regierung rechts (bzw. links) überholt. Aber selbst in dem Fall sagt man selten explizit etwas, was der EO diametral gegenübersteht, sondern ignoriert einfach komplett ihren Beitrag in der Hoffnung, dass der eigene Input am Ende von den Juroren als relevanter gesehen wird. Somit ist die entspannte Haltung auf Seiten der Opp einfach nur der Tatsache geschuldet, dass die Situation keine praktische Relevanz besitzt.

    Zu Lennarts Frage 3: Im ominösen Jurorenleitfaden der DDM 2014 wird dies eigentlich erschöpfend behandelt: Anträge sollen sich auf das vorgegebene Thema und dessen Problematiken beziehen; andernfalls sind sie der ER negativ anzukreiden (S. 5, 5b). Wenden wir dies auf den fiktiven Fall an und nehmen an, dass das Thema „DHW eine Frauenquote in Sportredaktionen einführen“ lautet. Die ER lacht sich ins Fäustchen, zieht ihren präparierten Case zum Thema „DHW die Förderung von Solaranlagen nach dem EEG ersatzlos streichen“ hervor und stellt den Antrag, zum 1.1.2017 keinerlei Subventionen mehr für Solarstrom zu zahlen. Meine spontane Reaktion als Juror: Wo ist die Relevanz zum Thema? Solange mir die ER nicht zeigt, dass ihr Antrag irgendetwas mit Frauenquoten in Sportredaktionen zu tun hat, ist alles Gesagte erst einmal irrelevant für die Debatte. Und wenn sie eine Verbindung herstellt, wird diese so schwach sein, dass sie von der EO ohne Problem widerlegt werden kann. Somit wird es für die ER verdammt schwer
    Aber müssen die anderen Teams nicht nach dem Leitfaden (S. 5/6, 5c (1)) trotzdem diese für sie eigentlich nicht gewinnbare Debatte führen? Ja, aus Ermangelung einer Alternative bleibt ihnen nichts Anderes übrig; aber solange sie klarmachen, dass sie sich im Rahmen der Fragestellung der Debatte mit dem Antrag auseinandergesetzt haben, werden sie sich vor die ER schieben. Wie kann das im Einzelnen aussehen? Z.B. so:
    EO: „Uns ist leider nicht wirklich klargeworden, was genau der Antrag der ER mit Frauenquoten in Sportredaktionen zu tun hat. Vielleicht kann der zweite Redner der ER dies noch nachliefern. Uns ist auch nicht wirklich klar, wie genau der Mechanismus der Regierung funktioniert. Wieso führt die Abschaffung der EEG-Förderung zu Frauenquoten in Sportredaktionen? Auch hier erhoffen wir uns eine Klarstellung vom zweiten Redner. Unabhängig davon glauben wir aber, dass die Abschaffung der EEG-Förderung einige Nachteile mit sich bringt…“
    SR: „Auch wenn es vielleicht ungewöhnlich erscheinen mag, warum wir gerade diesen Antrag wählen, um unser Ziel der Frauenquote in Sportredaktionen durchzusetzen, so glauben wir, dass das Warum in der ersten Hälfte zur Genüge beleuchtet wurde. Wir möchten uns in allererster Linie mit den Argumenten der EO auseinandersetzen und noch einmal die Vorzüge dieses Antrages hervorheben…“
    SO: „Die Regierung ist uns bis zuletzt eine Antwort schuldig geblieben, inwiefern dieser Antrag Frauenquoten in Sportredaktionen berührt und wie genau der Mechanismus funktioniert. Wir setzen unsere Hoffnungen darauf, dass der Schlussredner der Regierung uns endlich eine Antwort gibt. Bis dahin möchten wir aber noch einmal im Detail darauf eingehen, welche negativen Effekte dieser Antrag hat…“
    Mit anderen Worten: Die Opp muss konsequent eine Anbindung des Antrags an das Thema fordern und die SR zeigen, dass sie sich zwar mit der Debatte auseinandersetzt, sich aber gleichzeitig nicht mit der ER gemein macht. In diesem Fall habe ich keine Probleme, die ER aufgrund von Unsportlichkeit (es ist ja eine holistische Bewertung) hinter die SR zu setzen. Wenn die anderen Teams aber den Case der ER kaufen, ohne auf das eigentliche Thema zu verweisen, oder gar Zwischenfragen der ER akzeptieren und damit dieser noch zusätzliche Interaktionsmöglichkeiten bieten, wird es für sie natürlich schwierig. Und ja, für die SR ist es in diesem Fall tatsächlich am Schwierigsten. Aber aufgrund der geringen praktischen Relevanz erscheint mir dies kein besonderes Handicap zu sein, da die Auswirkungen von großzügigeren Gegenantragsregeln die SR möglicherweise genauso kalt erwischen.

    Zwischenrufe: Zwischenrufe sind in Deutschland gestattet und fließen entsprechend in meine Bewertung mit ein. Der Mehrwert ist allerdings gering. Maximal ziehe ich sie als Beweis dafür heran, dass sich ein eröffnendes Team mit einem Redner, auf das es nicht mehr reagieren kann, trotz fehlender Zwischenfragen auseinandergesetzt hat oder dass ein Argument als irrelevant entlarvt wurde, auch wenn nicht mehr explizit darauf eingegangen wurde. Als Faustregel sei hier aber gesagt, dass vielleicht einer von 100 Zwischenrufen in BP relevant ist.

    Ich hoffe, dass zumindest in den Fällen, in denen ihr von mir in BP juriert werdet, jetzt klarer ist, wie meine Bewertungen zustande kommen.

    Addendum zu Kommentar Nr. 8: Ich würde die Entscheidung, wie mit unklaren Regelauslegungen zu verfahren ist, den CAs des jeweiligen Turniers überlassen, denn dafür sind sie schließlich CAs. Wenn diese irgendwann aus Bequemlichkeit wie in OPD alle auf denselben Regelkommentar zurückgreifen, ist das natürlich für alle Teilnehmer der bequemste Weg. Aber ein Muss ist es meiner Meinung nach nicht.

  10. Andreas Lazar sagt:

    Wir haben in unserem Laienspaß (nicht Profisport!!) Debattieren funktionierende organische Systeme der Regelauslegung, die sowohl die nötige Konsistenz und Verlässlichkeit bieten (DDM-Leitfäden als Maßstab) als auch genug Raum für Experimente lassen (z.B. Jobs der Themensetzer*innen und Chefjuror*innen trennen). Ein solches System halte ich gerade in unserer (letztlich aus Angst vor dem Tod, aber das führt hier zu weit) obrigkeitshörigen und regelversessenen Kultur für sehr wichtig. Lasst hundert Blumen blühen und uns die Unsicherheit aushalten, nicht jeden Sonderfall exakt verregeln zu müssen. Wir brauchen keine Regelkommission.

  11. Witthaut sagt:

    Entschuldigt, die sehr lange Antwort aber die ein oder andere Sache finde ich wichtig zu unterscheiden.

    Vorweg: Viele der inhaltlichen Fragen sind Tobi, Barbara und ich aktiv dabei zu diskutieren und auch wir haben vor, vor den Regios eine Art Update des Leitfadens von 2014 (der sehr gut ist!) zu verfassen. Was ich jetzt von mir gebe, ist rein meine persönliche Meinung, nicht die, die am Ende umgesetzt wird oder Ähnliches. Wir Debattierer vermischen da ja gerne Dinge und deswegen Sage ich das lieber vorne ab 😉

    Im Folgenden möchte ich über zwei Aspekte schreiben:

    a) Warum ein Regelwerkt / Kommission in BP strikt abzulehnen ist
    b) Was ein Leitfaden soll, warum er gut ist und wo seine Grenzen sind

    A) Ich lehne ein Regelwerk vehement ab. Der Grund ist relativ einfach. Eine Regel erfordert eine Regeleinhaltung. Quasi per Definition eine Möglichkeit der Sanktion. In OPD funktioniert es, Sanktionen (in Form von Schlechtleistung oder gar Abzug) zu formulieren da sich das Gesamtergebnis um eine absolute Punktzahl handelt. In BPS werden Platzierungen relativ zueinander vergeben. Eine vergleichende Relation lässt zu, dass eine Seite im Vergleich IMMER schlechter sein kann.

    Ein Beispiel: Nehmen wir A. L. Beispiel von dem Genderthema und der EEG. Wenn die Eröffnende Opposition nun 7 Minuten damit verbringt den Holocaust zu leugnen, kann ich mir vorstellen, dass dies eine noch schlechtere Leistung ist, als der fehlgeleitete Antrag. Selbst schlechter als ein möglicher Backstab auf Seiten der Regierung, der versucht das Thema wieder zu retten.

    Eine Formulierung einer Regel: „Backstabbing auf Regierung ist verboten“ hat zur Folge, dass Juror*innen in eine heikle Position kommen. Kein Regelwerk hat die Möglichkeit alle Situationen, die auftreten KÖNNEN, abzubilden. Was muss das Panel also machen? Aus Sicherheit gegenüber den Chefjuror*innen und Redner*innen das Team, das versucht das Thema zu retten, einen Backstab begeht, verlieren lassen, obwohl andere Teams 7 Minuten über EEG und Holocausleugnung reden? Immerhin können die Eröffnenden Positionen sich immer auf „Seiten des Rechts“ fühlen, indem sie sagen: Backstabbing ist verboten, die Leugnung von Geschichte ist nirgends festgeschrieben. Gerade wenn wir Dinge relativ zueinander betrachten ist es implizit unlogisch absolute Maßstäbe zu formulieren.

    Wie löst sich aber das Problem? Es gibt exakt zwei Regeln die BPS (meines Erachtens) hat: 1. Das Team, das am meisten überzeugt gewinnt. 2. Es gibt keine Automatismen. Beides angewandt (insbesondere mit gesundem Menschenverstand) löst jedes Problem. Natürlich ist es überzeugender einen Antrag zu formulieren, der zum Thema passt. Dementsprechend Bedarf es keiner expliziten Sanktionierung einer Antragsverfehlung, weil sie inherent weniger überzeugt. Warum? Zuschauer*innen und Juror*innen kennen das Thema und denken sich schlicht „Häääää“. Ein Gegenantrag, der nicht notwendig ist, weil die Maßnahme der Regierung (wenn auch schlecht) funktioniert, führt zu der Reaktion „Muss das sein? Ist das jetzt sooo wichtig?“ und wirkt weniger überzeugend. Ein Backstab führt in der Regel dazu, dass man sich als Juror*in oder Zuschauer*in hinterfragt, ob der vorgebrachte Punkt noch logisch ist im Kontext der anderen Beiträge. Foglich ist es viel schwieriger zu beweisen, warum man Recht hat und meisten schwieriger es überzeugend darzustellen. Gleichzeitig bieten aber beide Prämissen die Möglichkeit an, Debatten schlicht zu retten. Eigentlich sind wir uns alle einig, dass ein Backstab auf Regierung doof ist. Dennoch wäre ein Automatismus fatal. Ich erinnere mich an eine Debatte, die ich in Magdeburg mit Daniil bestritten habe, in der wir Schließende Regierung waren und eine Eröffnende Regierung hatten, die schlicht überfordert waren mit dem Thema. Das Thema war ungefähr so: Sollte man Diktatoren wie Gaddafi Amnestie gewähren, wenn sie sich dazu bereit erklären, ihr Amt aufzugeben und in Deutschland zu leben? Die ER wusste schlicht nicht was das Problem ist, redete ungefähr darüber, dass es doch sinnvoll sein, wenn psychisch kranke Menschen nicht frei herumlaufen. Die EO hat keinen Gegenantrag formuliert, sondern nur klar gemacht, warum der Antrag „falsch“ ist. Gut, Daniil stellt sich hin und macht statt einer Extension eine Antragsrede, mitsamt Problemanalyse, Antrag, Mechanismus etc. Am Ende haben wir die Debatte gewonnen. Ich glaube auch mit Recht. Obwohl wir „Backstabbing“ auf REG! begangen haben, haben wir zum aller ersten Mal über das Thema gesprochen. Solche Fälle kann ein Regelwerk nicht anbieten. Daher bitte keine Automatismen und darüber nachdenken was überzeugt! Im Normalfall ist ein Backstab, ein Gegenantrag, keine Zwischenfrage weniger überzeugend aber generell lässt sich keine Regel erstellen, wenn am Ende ein RELATIVER Maßstab gefunden werden muss. Juror*innen müssen in der Pflicht und Lage sein, begründen zu können, was sie überzeugt und was nicht.

    B) Dennoch gebe ich Lennarts Analyse Recht: Standards etablieren ist gut. Das können wir aber nur durch eine gute Juror*innenschule, die eben klar macht, dass es auch Unterschiede bei Backstabs gibt und die gut erklärt, war Relevanz, Objektivität und Überzeugung bedeutet.

    Ein Leitfaden ist exakt das, was er aussagt: Ein Orientierungshilfe. Es hilft, insbesondere jungen Juror*innen eine generelle Orientierung zu geben, wie mit bestimmten Situationen umgegangen werden sollte. Beispielsweise sagt eine Forderung nach mindestens zwei Zwischenfragen pro Team aus: Es ist gut, wenn Leute interagieren. Das ist generell eine wünschenswerte Sache. Dennoch kann eine Rede auch ohne Zwischenfrage mehr Interaktion beinhalten als eine Rede mit 5 Zwischenfragen. Das ist abhängig von der Abwägung der Argumente mit der Gegenseite sowie den Antworten an sich.

    Das heißt, wir sollten auch Leitfäden und Ähnliches genauso wie oben beschrieben, kommunizieren: Als Orientierung. Tut mir leid, ich habe Backstabs, Gegenanträge, Unsportlichkeit, etc. alles schon miterlebt. Davon auszugehen, dass jeder mit solchen Situationen konfrontiert wurde, ist jedoch Utopie. Deswegen sehe ich einen Leitfaden auch eher als eine Vermittlung von Wissensweitergabe als eine Vermittlung von Standards. Es gibt die Möglichkeit zwar generelles Wissen weiterzugeben, ermöglicht aber auch eine Einschätzung der konkreten Situation. Niemand kann sich mehr dahinter verstecken, ein Team auf den vierten Platz zu setzen, weil es „gebackstabbed“ hat, sondern ist aufgefordert es zu begründen! Nur so können wir langfristig Qualität von Entscheidungen sichern. Eine Antwort im Sinne von: „Ihr habt verloren, weil ihr einen Gegenantrag gestellt habt“ ist in meinen Augen schlicht schlechtes Jurieren. Weil es nicht erklärt, warum ein Gegenantrag in der konkreten Situation weniger überzeugend war.

    Nun, wer soll das machen? Der Leitfaden von 2014 ist cool und wir werden auf der DDM das ganze updaten. Ich persönlich würde dabei auch gerne die Regio-CAs einbinden und quasi für beides einen gemeinsamen Leitfaden herausgeben. Das ist noch ein wenig Wunschkonzert, aber ich hoffe, dass sich letzlich ein Procedere etablieren lässt.

    Ein Leitfaden kann aber nie alles abdecken. Wir können zwar versuchen abstrakt zu formulieren was überzeugend, bzw. was relevant, bzw. was argumentatorisch gut ist. Jedoch können wir nicht reale Situationen prognostizieren.

    Ansonsten wäre mein Vorschlag an alle Juror*innen und Redner*innen: Lest zwar Leitfäden, die herausgegeben werden von CAs für das konkrete Turnier- Ruht euch aber nicht darauf aus. Vielleicht seid ihr besser als die CAs. Warum auch nicht? Lest alle Leitfäden! EUDC, WUDC, DDM und arbeitet daran zu begründen, warum ein Team überzeugt hat. Das macht gutes Jurieren aus, insbesondere dann, wenn es um einen relativen Maßstab geht! Ruht euch nicht aus auf faule Begründungen und Automatismen. Genauso wenig wie wir in OPD hören wollen, „du hast 7 Punkte in Auftreten, weil du schief standest“ wollen wir in BPS keine Begründungen wie „du bist Vierter, weil du keine Zwischenfrage“ dran genommen hast. Wir wollen hören, welche Wirkung durch den Stand erzeugt wurde und wir wollen hören, warum es weniger überzeugend war, keine Zwischenfrage dranzunehmen. Das macht eine gute Entscheidung aus!

    Vielleicht ist meine Vorstellung ein Idealzustand. Ich bin ja selbst stark dafür einen Leitfaden zu schreiben. Nur ist es in meinen Augen inherent unlogisch einem relativen Bewertungssystem, absolute Maßstäbe an die Hand zu geben. Dennoch hoffe ich, ein wenig was zu dieser Diskussion beitragen zu können 

    Daher: Keine Automatismen. Immer überlegen was überzeugt. Und Orientierungen annehmen aber hinterfragen!

    In dem Sinne: Ich liebe Debatte. <3

    PS: Überzeugung ist eine deutsche Übersetzung, die vielschichtig interpretierbar ist. Ich mag das englische Verb dazu ein wenig mehr. Es geht am Ende um das Verb „to persuade“ und nicht um das Verb „to convince“.

  12. Witthaut sagt:

    PPS: Für Lesfaule:

    Leitfäden sind gut, sie machen Leute Sprachfähigkeit. Ein Regelwerk wäre schlecht, weil in relativen Bewertungssystemen absolute Maßstäbe fehl am Platz sind.

  13. Nicolas F. (Göttingen) sagt:

    Ich stimme Lennart voll zu. Wir brauchen eine Regelkommission für BPS UND OPD. Und zwar verbandsintern. Es wird Zeit dass wir sowohl das Tübinger Heimscheißermodell von Regelkommission entmachten und stattdessen eine ordentlich gesamtvdchweite Regelkommission einführen!!!

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