„Wir erleben eine wahre Flut der Kriseninformation“ – Theo Koll im Interview
Für den aktuellen Newsletter des Verbandes der Debattierclubs an Hochschulen sprach Vizepräsidentin Elisa Schwarz mit Theo Koll. Der Journalist, der als Ehrengast der Meisterschaft in Münster den besten Finalredner gewürdigt hatte, kritisiert die Debattenkultur in der deutschen Politik und hat Ideen für gute Themen.
Herr Koll, die Medien in Deutschland stecken derzeit in einer Vertrauenskrise. Viele Bürger zweifeln an der medialen Objektivität, kritisieren einseitige oder fehlerhafte Recherche und fühlen sich im Wettbewerb um die innovativste Drama-Metapher in der Griechenlandkrise nicht ausreichend informiert. Was antworten Sie diesen Kritikern?
Theo Koll: Lassen Sie uns genauer hinschauen, was hinter dieser Kritik steckt. Im Moment erleben wir eine wahre Flut der Kriseninformation, die nicht nur den Journalismus vor neue Herausforderungen stellt, sondern auch den Leser beziehungsweise Zuschauer. Er soll plötzlich beurteilen können, wer wirklich verantwortlich ist für die Ukraine-Krise, warum Griechenland nicht aus den Schulden kommt oder was das Attentat in Sousse für Konsequenzen nach sich ziehen wird.
Anzahl und Ausmaße der Konflikte überfordern viele Menschen. Deswegen suchen sie mitunter ihr Heil in der mentalen Renationalisierung, in dem Glauben, dass das Unheil, das auf einmal so nah und bedrohlich wirkt, im kleinen, überschaubaren Mikrokosmos ausgeschlossen werden könnte. Die Welt rückt immer näher – das ist eine Binse, aber sie ist wichtig und wahr. Es betrifft die Bürger mittel- oder unmittelbar, wenn ein Flugzeug mit Touristen über der Ukraine abgeschossen wird oder wenn finanzielle Rettungspakete für Griechenland beschlossen werden.
Diese Entwicklungen aufhalten zu können, ist ein Irrglaube, mit dem viele populistische Parteien auf Stimmenfang gehen. Man kann nicht, wie es derzeit Marine Le Pen in Frankreich vorschlägt, die Zeit zurück drehen, die Grenzen zwischen den europäischen Staaten wieder hochziehen. Das ist eine vergangene Welt. Es ist Aufgabe der Medien, die mit der Zunahme an Betroffenheit verbundene Informationsflut zu ordnen, aufzubereiten und einzuordnen.
Dass dabei auch gelegentlich Fehler passieren, ist menschlich. Die Fehler müssen aber umgehend öffentlich korrigiert werden, so wie wir es im ZDF auch tun. Daraus eine Glaubwürdigkeitskrise der Medien abzuleiten, halte ich für unangemessen. Zudem sollte man nicht außer Acht lassen, dass der kritische Diskurs während der Ukraine-Krise stark interessengeleitet war. Neben gelegentlich berechtigter Kritik gab es vor allem viel propagandistisches Kalkül. Die Überforderung angesichts der Informationsflut scheint auch in der Unsicherheit zu liegen, welche Informationen valide sind und welche nicht.
Sie haben 2013 den deutschen Fernsehpreis für die „beste Information“ gewonnen. Was zeichnet diese Information aus?
Koll: Gute Information muss vor allem stimmen, sie muss verlässlich sein und zugleich den größeren Kontext beleuchten. Als ich Ende Juni in Sousse über den Anschlag berichtet habe, ging es natürlich zunächst einmal um die klassischen W-Fragen: Was ist passiert? Wer war der Täter? Wie viele Menschen sind ums Leben gekommen?
Diese Informationen allein geben aber in der thematischen Einordnung kaum Halt – es fehlt das In-Beziehung-Setzen. Das ist die eigentliche Arbeit der Auslandskorrespondenten. Sie kennen das jeweilige Land und können idealerweise aktuelle Ereignisse rasch einordnen. Was bedeutet der Anschlag in Tunesien für die Wirtschaft, wie wird sich die Terrorgefahr weiter entwickeln? Diese Verbindung von Geschehen und Analyse wird meines Erachtens immer wichtiger.
Im Internet findet sich eine solche Symbiose selten – was dort zählt sind Klickzahlen und ad hoc-Meinungen. Trotzdem informieren sich junge Leute im Netz und kaum über die Heute-Sendung um 19 Uhr. Deswegen hat das ZDF mit Heute + auch ein Format entwickelt, das im Internet stark präsent ist. Natürlich informiert sich die junge Generation auch über soziale Netzwerke, aber daraus lässt sich nicht ableiten, dass sie kein Interesse an qualitativ hochwertigen Informationen hat. Heute + erreicht Jugendliche, genauso wie junge Erwachsene, die Einschaltquoten sind gut.
Als Journalist prägen sie nicht nur den medialen Diskurs, sondern beobachten auch die politische Debatte. Sie waren Auslandskorrespondent in London, moderierten das Politmagazin und leiten nun das ZDF-Auslandsstudio in Paris. Wie nehmen sie die deutsche Debattenkultur wahr im Vergleich zur französischen oder auch britischen?
Koll: Interessant ist, wie sich schon die Architektur der Parlamentsgebäude unterscheidet und die Debattenkultur prägt. In Großbritannien sitzen sich die Redner gegenüber, zwei Schwertlängen voneinander entfernt – ein symbolhaft konfrontatives Setting. Die Konsenspolitik in Deutschland spiegelt sich im Halbrund des Bundestags wider, wo es eher um eine Politik der Mitte und des Kompromisses geht.
Die Franzosen lieben den intellektuellen Diskurs. Meine bisherige Erfahrung ist, dass sie dabei heftig aufeinander ein- und gerne auch durcheinander reden. Den Argumenten der Gegenseite wird dabei weniger Beachtung gezollt – anders als im britischen Parlament, wo mehr rhetorischer Wert auf die Argumente des Gegenübers und natürlich auf das geschliffene Wort gelegt wird. Da hat die deutsche Debattenkultur noch einiges nachzuholen – vor allem in puncto rhetorischer Schärfe.
In England ist rhetorische Brillanz eine Notwendigkeit. Redner, die nicht glänzen können, werden sanktioniert. In Deutschland hingegen wird es zwar positiv anerkannt, wenn ein Politiker rhetorisch versiert ist, allerdings hat es keinerlei Konsequenzen, wenn die Rhetorik vernachlässigt wird. Im Gegenteil, man geht eigentlich davon aus, dass die meisten Reden im deutschen Parlament eher glanzlos vorgetragen werden.
Hier würde Ihnen der eine oder andere Debattierer widersprechen: Nicht die rhetorische Brillanz ist in einer Rede letztlich ausschlaggebend, sondern die sachliche Analyse des besten Arguments. Völlig d’accord. Es besteht immer die Gefahr, dass der Redner der Schönheit der eigenen Formulierung erliegt und darüber die Substanz des eigentlichen Arguments aus dem Auge verliert. Deswegen bleibt es zentral, sich erst einmal über die Substanz der Sache und der einzunehmenden Position klar zu werden, bevor man den Diamanten schleift oder in eine schöne Fassung steckt.
Der eigentliche Wert eines Diamanten steigt nicht mit der Fassung, er wird nur schöner präsentiert. Der Einstiegssatz des besten Finalredners in Münster war eine perfekte Fassung – ein ear catcher: Er bat explizit darum, von Applaus nach seiner Rede abzusehen und hatte damit sofort die Aufmerksamkeit bevor er in den eigentlichen argumentativen Teil überging.
Das Debattenformat war Ihnen in Münster nicht neu. 2013 moderierten Sie „Die Debatte“ im ZDF als Alternative zu den zahlreichen Talkshows im deutschen Fernsehen. Die FAZ schrieb damals in der Frühkritik: „So hatte die Sendung alles, was sich der Kritiker so wünscht. Es fehlte nur eins: Die Debatte.“ Was ging schief?
Koll: Vor allem hat vieles funktioniert. Aber die Debatte ist im Fernsehen ein Luxusformat. Wir hätten gerne noch mehr Zeit gehabt für die Debatte, hätten das Publikum noch stärker einbeziehen können. Aber: Zeit ist im Fernsehen eine knappe Ressource. Die BBC, die Erfinderin dieser Fernsehdebatten, sendet das Format auch nicht im Hauptprogramm – und ist damit erfolgreich. Ich könnte mir vorstellen, dass bei uns 3sat ein guter Sender für weitere Debattensendungen wäre.
Herr Koll, ein kleines Gedankenspiel zum Schluss: Wenn Sie für die Themenfestlegung auf der nächsten deutschsprachigen Debattiermeisterschaft zuständig wären – worüber sollten wir streiten?
Koll: Debattieren Sie doch über die gefühlten Grenzen der Vielfalt und den Streit der Kulturen. Ich glaube, das Thema wächst und wirft dabei leider immer längere und tiefere Schatten – das Licht einer Debatte täte da gut.
Vielen Dank für das Gespräch!
Elisa Schwarz/hug
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Theo Koll studierte Politische Wissenschaften sowie Neuere Geschichte, Soziologie und Staatsrecht an den Universitäten in Bonn, London und Paris. Von 2001 bis 2009 war er Moderator und stellvertretender Redaktionsleiter des Politmagazins Frontal 21 im ZDF, bevor er von 2009 bis 2014 die Moderation des ZDF-auslandjournals übernahm. Seit 2014 ist er Leiter des ZDF-Auslandsstudios in Paris.