„Formatvielfalt als Standortvorteil – Ein Appell“: Nicolas Eberle über die Offene Parlamantarische Debatte

Datum: 15. April 2015
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature

Das Format der Offenen Parlamentarischen Debatte (OPD) wurde im Dezember 2001 erstmals auf einem Turnier debattiert. Es trat damit als zweites Format neben das tradierte, aus Großbritannien übernommene Format des British Parliamentary Style (BPS). Auch wenn in den zurückliegenden 14 Jahren einige weitere Formate in Deutschland entwickelt wurden, wie beispielsweise das Wartburg-Format aus Jena, blieben doch die an sich einzig bedeutsamen Formate im deutschsprachigen Turnierbetrieb die beiden vorgenannten.

Dies dürfte überwiegend daran liegen, dass die OPD schon in ihrem Ausgangspunkt die Zielsetzung verfolgt, als sinnvolle Ergänzung neben den BPS zu treten. Damit dieses – in den Augen des Autors dieser Zeilen überaus wertvolle – sich gegenseitige Ergänzen der beiden deutschen Turnierformate auch in Zukunft mit all seinen Früchten bestehen bleibt, bedarf es des behutsamen und verständigen Umgangs mit dem Format der Offenen Parlamentarischen Debatte unter expliziter Wertschätzung seiner Eigenheiten im Debattieren wie auch im Jurieren.

Der nachfolgende Beitrag versteht sich – je nach Kenntnis- und Erfahrungsstand des Lesers oder der Leserin – als überblickartige Geschichtsstunde, Erläuterung des Formats der OPD in Form des Kommentars oder Interpretationshilfe. Allem voran ist es eine Kombination aus Anregung zum Nachdenken und Hommage eines bekennenden Fans.

Grundlegende Gemeinsamkeiten von OPD und BPS

In gepflegtem Ambiente schulte Nicolas Eberle die Debattanten Österreichs und bereitete sie auf das Austran Open vor. (Foto: Christoph Wiederkehr)

Nicolas Eberle bei der Leitung eines Debattierseminars in Österreich. © Christoph Wiederkehr

Beide Formate simulieren eine parlamentarische Debatte und legen dementsprechend Wert auf ein „parlamentarisches Vokabular“, einen insgesamt parlamentarischen Stil in Auftreten und Interaktion der Beteiligten untereinander und eine Formalisierung des Debattenrahmens, der sich – jedenfalls terminologisch – an den Sprachgebrauch von Parlamenten anlehnt.

Auch wird, jedenfalls in der theoretischen Vorgabe beider Formate, die einzelne Rede grundsätzlich ihrem gesamten Eindruck nach bewertet. Ein solcher Gesamteindruck einer freien Rede setzt sich zumindest zusammen aus einer inhaltlichen Komponente und einer Komponente der Form; es ergeben sich damit notwendigerweise zwei – gemeinsam zu betrachtende aber doch voneinander abgrenzbare – Aspekte der Bewertung einer Redeleistung: Argumentation und Form.

Die Formate unterscheiden sich aber in einem Aspekt der hier gedanklich gegenüber zu stellenden Simulation (welche eine jede Debatte letztlich ist) ganz entscheidend: Im Adressaten. 

Gleich welcher Bewertungsmaßstab nach den jeweiligen Regelwerken anzulegen ist, grundlegende Voraussetzung um überhaupt zur Bewertbarkeit einer Rede zu kommen, ist stets die Festlegung eines Adressaten der zu bewertenden Rede – denn diese Weichenstellung bestimmt alleine, aus wessen Perspektive die Rede überhaupt zu beurteilen ist. Es dürfte einleuchten, dass diese Frage gravierende Auswirkungen auf die tatsächliche Bewertung der Leistungen anhand des jeweiligen Bewertungsmaßstabes hat.

Adressatenbezogenheit im BPS

Im BPS ist Adressat der einzelnen Redebeiträge sowie der Überzeugungsleistung des jeweiligen Teams ein Berichterstatter (Mister/Madam Speaker). Dieser simuliert den Berichterstatter der Königin bzw. des Königs. Der Berichterstatter selbst trifft in dieser der Simulation zu Grunde liegenden Konstellation verständlicherweise keine eigene Entscheidung. Er berichtet den Sachverhalt und die für beide Positionen sprechenden Argumente sowie gegebenenfalls – in der Praxis mit Sicherheit – seinen subjektiven Eindruck. Und zwar der Königin. Diese trifft dann ihre Entscheidung. Hier wird der Charakter vom BPS als nur mittelbar adressatenbezogenes Format überdeutlich. Realistischerweise wird der auf seine verantwortungsvolle Aufgabe geschulte Berichterstatter am Hofe der Königin eine solche Empfehlung dann abgeben, wenn ihn die Argumente einer der beiden Seiten überzeugt haben und deren analytische Tiefe eine solche Überzeugung als auch vor der Monarchin vertretbar erscheinen lassen. Und – erneut durchaus verständlicherweise, denn wer hängt nicht an einem Leben mit dem eigenen Kopf auf den eigenen Schultern? – auch nur dann.

Als Madam Speaker wird in der Turnierpraxis die jeweilige Chair des Raumes adressiert, die gemeinsam mit ihren Wings das Jurorenpanel bildet und über die Debatte befindet. Damit wird klar, dass es a priori für den konzeptionellen Adressaten einer BPS-Debatte kaum eine entscheidungserhebliche Rolle spielen wird, dass eine Seite rhetorisch ganz erheblich stärker aufgetreten ist, als die andere. Einzig bei einer idealtypisch gedachten BPS-Debatte, in der Argumente und Analysetiefe sich die Waage halten, wird die Form jemals ausschlaggebend für die Entscheidung der Juroren sein können.

Adressatenbezogenheit in der OPD

Das Format der OPD steht seiner ganz grundlegenden Konzeption nach im krassen Gegensatz hierzu. Hier gilt es, das Publikum zu überzeugen. Das Format ist seiner Intention nach ein unmittelbar adressatenbezogenes.

Das Publikum wird im Format OPD durch die Freien Redner repräsentiert. Diese Repräsentation bedeutet allerdings nicht, dass die Freien Redner das Publikum ersetzen. Zwar ist dies auf Turnieren im Rahmen der Vorrunden in aller Regel der Fall – jedoch nur, weil regelmäßig schlicht kein Publikum anwesend ist. Nach den Vorrunden, also in den „Breakrunden“, ist zumeist ein Publikum anwesend, welches die Freien Redner dann lediglich ergänzen.

Das dergestalt definierte Publikum trifft dann im Rahmen der Simulation eine eigene, freie Entscheidung darüber, welche Seite es überzeugender fand. Die Seite, welche die in der OPD vorgesehene Aufgabe der Überzeugung des Adressatenkreises besser erfüllt hat, gewinnt die Debatte. Natürlich wird die Debatte schlussendlich auch im Format der OPD von einer Jury bewertet und auch die an der Debatte teilnehmenden Freien Redner selbst unterliegen dieser Bewertung.

Zur Konzeption der Offenen Parlamentarischen Debatte

(c) Michael Schindler

Im Format der Offenen Parlamentarischen Debatte ist das Publikum Adressat der Überzeugung. © Michael Schindler

Nichtsdestoweniger ist die Konzeption der OPD kein Zufall. Die OPD existiert überhaupt nur deshalb, weil versucht wurde, eine im Turnierbetrieb praktikable Mischform aus der Parlamentarischen Debatte und der Publikumsdebatte zu erschaffen. Mit Erfolg.

Zum Hintergrund: Eine Parlamentarische Debatte wird in allen parlamentarischen Systemen kaum jemals unmittelbar adressatenbezogen sein; so werden auch in Deutschland Entscheidungen im Bundestag durch die Abgeordneten nicht anhand der Überzeugungskraft der einzelnen Redner zum Thema getroffen. Entsprechend verhält es sich mit den in Debattierformate umgesetzten Simulationen solcher klassischen parlamentarischen Debatten. Die reine Publikumsdebatte allerdings folgt regelmäßig keinen formalisierten Regeln, bietet kaum Anhaltspunkte für eine Bewertung und wird in aller Regel durch Stimmzettel oder Wertungstafeln rein nach subjektivem Eindruck der Abstimmenden entschieden. Für ein Turnierformat ist das nicht praktikabel.

Debattanten aus Tübingen, zwei Studenten der Allgemeinen Rhetorik und ein Lehrbeauftragter des Faches, entwickelten das Format der OPD als Ergänzung zum Format des BPS. Der OPD sollte dabei ein alltagstauglicheres Bewertungssystem zu Grunde liegen, welches nicht überwiegend auf die beispielsweise im akademischen Diskurs, vor deutschen Gerichten oder im Prüfungsgespräch maßgeblich entscheidende Analysetiefe, sondern ganz bewusst auf die Überzeugungskraft gegenüber einem „durchschnittlich gebildeten Zeitungsleser“ abstellen sollte. Ausgangspunkt jeder Bewertung sollte die Frage sein, ob das Publikum überzeugt wurde. Als Repräsentanten dieses Publikums in den Turnierrunden ohne Publikum setzte man die Freien Redner ein.

Entsprechend der Ausbildung der drei damaligen Studenten ist es kein Zufall, dass beispielsweise das mit maximal 50 Punkten am deutlichsten auf die Wertung durchschlagende Teamkriterium die „Überzeugungskraft“ ist. Auch ist es kein Zufall, dass sich die auf die Form bezogenen Bewertungskategorien ihrer Gewichtung nach zumindest die Waage mit den auf Argumentation und Analysetiefe bezogenen Kriterien halten. All dies folgt im Grunde der „Rhetorik“ des Aristoteles, verstanden als ganzheitliche Darstellung der Redekunst in Abgrenzung zur adressatenunabhängigen, rein auf Logik beruhenden Argumentationstheorie. Grundlegend setzt sich hiernach die Überzeugungskraft aus drei Ebenen der Überzeugung zusammen: Ethos (Glaubwürdigkeit des Redners), Pathos (Emotionaler Zustand/Ansprache des Adressaten) und Logos (Argument). Notwendigerweise bedarf es für eine, dem Telos der OPD entsprechende, Bewertung einer Redner- oder Teamleistung damit eines Adressaten, dessen Perspektive im Rahmen der Simulation den Ausgangspunkt für eine jede Bewertung durch einen jeden Juror überhaupt erst konstituiert.

Notwendige Folge des bis hierhin Gesagten ist auch, dass Kreativität, Ansprache des Publikums auf emotionaler Ebene, Bildhaftigkeit der Sprache, Appelle, Stilmittel sowie Form der Rede die Grundlage der Bewertung zu bilden haben. Selbstredend nicht isoliert, sondern stets ausgerichtet am Ziel, den zu vermittelnden Inhalt möglichst eindrücklich und eindringlich zu transportieren; letztlich: zu Überzeugen.

Zu guter Letzt: Status Quo, Problembeschreibung und Antrag

Gerade in den letzten beiden Jahren scheint es sich immer häufiger zu begeben, dass die Konsequenzen des ganz grundlegenden Unterschiedes zwischen beiden Formaten – namentlich der Adressatenbezogenheit – marginalisiert, in Zweifel gezogen oder schlichtweg verleugnet werden. Oftmals ist die Rede davon, das Format OPD müsse mehr Wert auf Inhalt legen, es müsse weniger laut, konfrontativ oder weniger jovial debattiert werden. Noch häufiger hört man, OPD sei „im Wandel“ begriffen, müsse „nüchterner“ werden oder die Bewertung müsse mittels eines Kriteriums der „Authentizität“ einer Redeleistung überprüft werden. Jüngst hörte der Autor dieser Zeilen, dass auf Jurierseminaren vereinzelt und zumeist von unerfahrenen RednerInnen der Gedanke geäußert wird, man solle doch einfach auf die Freien Redner verzichten, denn an sich hätten ja ohnehin die Juroren die Debatte zu bewerten und seien daher auch als Adressaten zu behandeln. Dass Solchem nicht vehement widersprochen wird ist bedenklich und für das Debattieren in Deutschland zumindest bei Verstärkung solcher Tendenzen mit Sicherheit auch schädlich.

Aufmerksame Juroren Alexander Prinz (l.) und Philipp Schmidtke sowie Zuschauer im Finale des Marburger Geschichtsturniers 2014 (c) Jöran Beel

Ziel eines Redners ist es, die Aufmerksamkeit des Publikums zubekommen und es zu überzeugen. © Jöran Beel

Weder war die OPD jemals ein inhaltsentkleidetes Format, noch kann es in ihrem Rahmen in gleichem Maße auf Analysetiefe und kleinteilige Deduktion ankommen, wie im Format des BPS. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Natürlich muss der zu transportierende Inhalt klar strukturiert, sachlich korrekt und logisch konsistent ausgeführt sein. Jedoch will die begrenzte Redezeit in der OPD auf alle Aspekte des Formates verteilt werden. Auch darf keinesfalls eine grundsätzliche Einordnung ex ante vorgenommen werden, welcher Stil – beispielsweise „laut“, „konfrontativ“ oder „schnörkelhaft“ – nicht erwünscht ist; die OPD lebt gerade davon, Kreativität nicht lediglich zu ermöglichen, sondern auch zu honorieren, ja an sich als Voraussetzung einer „Gutleistung“ explizit zu fordern. „Authentizität“ des Redners im Hinblick auf dessen einzelne Leistungen in den fünf Einzelrednerkategorien kann zudem, bei teleologischer Auslegung des Regelwerkes, überhaupt nur jemals Korrektiv im Rahmen des Ethos sein – und zwar in der Bewertungsskala nach unten. Niemals darf diese „Authentizität“ als „Metakriterium“ oder „Ersatzkategorie“ Anwendung finden. Anders formuliert: Sie darf nicht dazu führen, dass ein Redner, der viel zu schnell und hektisch spricht und dabei ebenso hektisch mit beiden Händen die immer selbe Geste ausführt aufgrund seiner „Authentizität“ bei ebendieser Darbietung von Juroren eine „Gutleistung“ in den Kategorien Sprachkraft und Auftreten attestiert bekommt. Wer unwahrscheinlich schnell und hektisch spricht, mag eine analytisch brillante Rede halten – in der Lebenswirklichkeit, außerhalb des dieser oftmals entrückten akademischen Umfeldes, in dem viele von uns sich tagtäglich bewegen, wird niemand ihm länger als 90 Sekunden zuhören wollen; und so wird er eben auch niemanden überzeugen können.

Das Abschaffen der Freien Redner bei Seite gelassen, ist an dieser Stelle noch zu erwähnen, dass ein jeder Adressat einer jeden Rede, deren Zweck die Überzeugung des Adressaten selbst ist, es begrüßen, wenn nicht erwarten dürfte, dass er auch direkt angesprochen wird. Das fängt bereits beim Telefonieren an, setzt sich in allen Briefen, die jemals geschrieben wurden, fort und gipfelt beim Autoverkäufer oder Staubsaugervertreter ebenso wenig, wie bei den Rednerinnen des politischen Aschermittwochs oder bei Konzerten von Kraftklub – überall wird die Minimalleistung darin bestehen, die Adressaten zu begrüßen (Kraftclub: „Hallo, Frankfurt!“). In der OPD sind dies die Freien Redner. Zwar mag es albern erscheinen, jede Debatte mit dem Satz „Werte Freie Redner…“ einzuleiten, diese Adressaten aber im Laufe einer Rede gar nicht anzusprechen, nicht einzubinden, Beispiele nicht auf sie zu beziehen – das verhindert die optimale Entfaltung des Pathos, denn sie werden kaum so sehr emotional mitgerissen werden, wie es der Fall wäre, wenn sie direkt angesprochen oder ihre Kinder als Leidtragende im Rahmen eines Beispiels herangezogen worden wären. Das ist die Natur des Menschen und auf dieser basiert die Natur der OPD.

Dies soll aber beim besten Willen kein Appell sein für die Bewertung von OPD-Debatten nach einer Checkliste, für das unablässige Begrüßen der Freien Redner oder für eine an Argumentation arme Praxis des Formates. Auch soll hier nicht für die Zukunft des Debattierens in Deutschland eine bestimmte Interpretation der OPD gepredigt werden; im Gegenteil – das Debattieren in Deutschland entwickelt sich weiter, das Format der OPD entwickelt sich weiter. Nur sollten wir dabei nicht die fundamentalen Unterschiede zwischen dem BPS und der OPD vergessen oder verleugnen. Wir würden sonst etwas sehr Wertvolles verlieren – unseren Standortvorteil der zwei sich hervorragend ergänzenden Formate: Ein Format mit einem überdeutlichen Fokus auf Argumentation, Analysefertigkeit und Logik. Ein Format mit dem Fokus auf der unmittelbar beim Adressaten der Rede wirkenden Überzeugungskraft in ihrer Gesamtheit.

Um beides in angemessener Form zu bewahren, bieten sich beispielsweise Jurierseminare an, die sich bewusst an fortgeschrittene RednerInnen richten und einen lebendigen Diskurs ermöglichen. Ein solches, inhaltlich bereits sehr gut gestaltetes und konzeptionell hervorragendes Seminar fand am vergangenen Wochenende in Heidelberg statt. Auch der geplante Dialog zur Verbesserung der Jurierqualität im Rahmen eines sogenannten Think Tank in Marburg ist zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung. Man kann sich eine rege Beteiligung Aller an dieser und allen zukünftigen Veranstaltungen vergleichbarer Art nur wünschen.

Das gleichberechtigte Nebeneinander beider Formate – unter bewusster Wertschätzung und Förderung ihrer jeweiligen Eigenheiten – spricht nicht nur potentiell grundverschiedene Menschentypen an und bereichert das deutsche Debattieren dadurch in vielerlei Hinsicht. Es garantiert auch weiterhin die wohl bestmögliche – weil wirklich umfassende – Ausbildung der Rednerinnen und Redner: Eine so gute, auch praxistaugliche Ausbildung, dass sie sich für die allermeisten von uns an vielen Stellen auf dem weiteren Lebensweg bezahlt machen dürfte.

Nicolas Eberle/ama

Mittwochs-Feature

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Nicolas Eberle war Chefjuror der Österreichischen Meisterschaft 2013. Er war Westdeutscher Meister 2009, Westdeutscher Vize-Meister 2011, Halbfinalist des Oxford IV 2009, Bester Redner der Freien Debattierliga (FDL) in der Saison 2012/2013 und gewann die ZEIT DEBATTEN Tübingen 2009, Heidelberg 2014 sowie zahlreiche weitere FDL-Turniere. In der Amtszeit 2010/2011 war er Präsident des Debattierclubs Johannes Gutenberg e.V. Mainz, in der Amtszeit 2011/2012 Vize-Präsident der Deutschen Debattiergesellschaft e.V. Derzeit promoviert er an der Law School der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden, wo er auch als Assistent an einem Lehrstuhl tätig ist.

 

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9 Kommentare zu “„Formatvielfalt als Standortvorteil – Ein Appell“: Nicolas Eberle über die Offene Parlamantarische Debatte”

  1. Jonathan Scholbach sagt:

    Ich stimme Dir zu, Nicolas, dass die Formatvielfalt begrüßt werden sollte, auch als Mittel einer umfassenderen Ausbildung zu Redepersönlichkeiten.

    Das Problem mancher OPD-Jurierung war (ist?) in meinen Augen, dass mitunter totaler Schrott positiv bewertet wurde, der auch für ein „normales“ Publikum (was immer das sein soll) nicht überzeugend war.
    Beispielsweise sind in OPD Bewertungen vorgekommen à la: „Hat die Rednerin die FFR genannt?“ -> +3 Punkte in Kontaktfähigkeit. „Der Redner hat gesagt: Diese Debatte ist wie ein Haus mit Fenstern und Türen. Im ersten Fenster sehen wir unser erstes Argument: …“ -> +3 Punkte in Sprachkraft.
    Sehr oft werden auch solche sprachlichen Bilder positiv bewertet, die in einer ganz schiefen oder in gar keiner Relation zur Sache stehen. Ein Publikum, das nicht gerade dumm ist, würde so etwas sogar negativ bewerten, weil hier ein Versuch der Manipulation sichtbar wird, was in der Regel Reaktanz auslöst. In OPD aber wird z.T. bereits die bloße Bildhaftigkeit der Rede positiv bewertet.
    Ist das Zufall? Ich glaube, es gibt systemische Gründe dafür: Es hat sich z.T. ein Spektrum eines „OPD-Stils“ entwickelt, der weder auf Analysetiefe noch auf tatsächliche Überzeugungskraft bei einem „Durchschnittspublikum“ abstellt. Letzteres in einem Jurierbogen modellieren zu wollen, ist nämlich illusorisch, weil das Publikum sehr divers ist und entsprechend andere Dinge wertschätzt. Ehrlicher wäre ein Konzept, das zugibt, dass es bestimmte Wertentscheidungen trifft, und nicht ein fiktives Publikum als Legitimationsbasis zitiert. Das ist nämlich ein Null-Verweis, Angemessenheit und Überzeugungskraft variiert mit Publikum und Redesituation. (Zugespitzt: Wenn ich vor einem blinden Publikum rede, das seinen Screenreader auf doppelte Geschwindigkeit stellt, um im Internet zu surfen, kann BPS genau richtig sein.) Das imaginierte Standardpublikum der OPD wird daher immer wieder neu verhandelt werden. Die große Vagheit der OPD-Kategorien zusammen mit der viel zu großen Skalenbreite und der offenen Willkür, zu der der Bogen an manchen Stellen einlädt, sorgt hier immer wieder für innerszenische Nachjustierungsversuche. Das sind Mängel, über die man diskutieren sollte.

    Der Ruf nach sachlichereren OPDen entspringt wohl auch der Sehnsucht nach den einem etwas festeren, intersubjektiv nachvollziehbarerem Maßstab.

  2. Lennart Lokstein sagt:

    Lieber Jonathan,
    wenn Leute denken „Bild: Mehr Punkte“ sind sie einfach unerfahrene Juroren. Wenn es unerfahrene Juroren gibt muss man diesen Umstand ändern, nicht das Format. Jeder erfahrene Juror – und dazu trägt Nicolas‘ Beitrag denke ich auf angenehme Weise bei, vielen Dank! – bewertet eben nach der Maxime „Hat etwas zur Überzeugung beigetragen oder nicht.“
    Wird nun von mehreren (kompetenten) Juroren noch die Punktevergabe gemittelt, so kommen wir dem Eindruck eines Publikums was die Überzeugungsleistung eines Teams angeht meiner Ansicht nach doch sehr nah.

  3. Jonathan Scholbach sagt:

    Lieber Lennart,

    ich bestreite nicht, dass es einen Unterschied zwischen erfahrenen und unerfahrenen Jurors gibt. Ich wollte nur eine Abstraktionsebene weiter oben darauf hinweisen, dass die Unklarheit des Konstrukts „Überzeugungskraft“ ein systemisches Problem ist, das über Erfahrenheit und Unerfahrenheit hinausgeht. Du gehst davon aus, dass die Erfahrenheit der Jurors zumindest zu einem Konsens grosso modo führt. Das glaube ich nicht. (Wer kann schon sagen, was der Unterschied zwischen „nationaler Spitzenleistung“ und „internationaler Spitzenleistung“ in auch nur einer der 5 Einzelrednerkategorien ist?) Als Indiz für diese These sehe ich eben die Veränderung der OPD-Bewertung über der Zeit, die Nicolas im Artikel ganz richtig diagnostiziert. Diese Veränderung deute ich als Resultat eines Spielraums, über den ständig verhandelt werden muss, weil er vom Format nicht hinreichend klar definiert wird. Dieser Spielraum wird von der Vagheit der formulierten Kriterien aufgespannt. Diese Vagheit zu reduzieren würde zu einer besseren intersubjektiven Nachvollziehbarkeit führen. Das würde ganz nebenbei auch den Lernprozess bei Jurors beschleunigen.

    Viele Grüße!

    Jonathan

  4. Patric Flommersfeld sagt:

    Das Problem mit oft nicht nachvollziehbaren(evtl. auch als willkürlich emfpundenen) Jurierungen ist eher ein strukturelles Problem der Szene. Ich habe den Eindruck, dass sich die Debattierkompetenzen in einigen wenigen Clubs konzentrieren, welche die deutsche Szene dominieren. In erste Linie sind das in meiner Warhnehmung Berlin, Tübingen, Münster, Mainz und Göttingen. Innerhalb dieser Clubs existieren die Fachkräfte und Persönlichkeiten die es schaffen innerhalb der Clubabende ihre Kenntnisse weiterzugeben. Es scheint sich dort eine Art selbstantreibender Kreislauf des Lernens und Lehrens etabliert zu haben, welcher jedes Jahr aufs neue sicherstellt, dass aus diesen Clubs ein konstanter Strom an Talenten herangezogen wird. Dem gegenüber müssen sich die kleineren und auch oft viel jüngeren Clubs alles selbst erarbeiten, bzw. da sind oft nicht die Persönlichkeiten vorhanden um einen langfristigen auf Nachhaltigkeit bedachten Prozesses zur Wissensschaffung zu etablieren und aufrecht zu erhalten.
    Ich sehe mich auch den „kleineren“ zugehörig und muss feststellen, dass ich viele Aspekte des OPD-Rahmens hier in diesem Artikel und auch auf dem Coaching Cup in Wuppertal zum ersten Mal gehört habe, bzw. zum ersten Mal darauf aufmerksam gemacht wurde wie die Schreiber des Regelwerks diese grundsätzlich verstehen und bewerten.
    Daher scheint das Problem doch viel mehr kommunikativer Art zwischen den „Eliten“, welche die Regelwerke definieren und den „Kleinen“, welche versuche diese zu adaptieren.
    Ich glaube auch nicht , dass in der Szene eine relevante Menge an Rednern existiert, welche OPD abschaffen wollen oder es überhaupt als „undurchsichtiges Hexenvoodoo“ bezeichnen würden. Also der Diskurs über eine Existenzberechtigung scheint mir nicht gegeben, allerdings verstehe ich den Artikel dann doch eher als (unnötige) Rechtfertigung des Formats.

    Man sollte daher eher schauen, dass klarer kommuniziert was gemeint ist mit „Publikumsbezogen“ und „Freie Redner Adressieren“. Gerade die ganzen Rhetoriker und Kommunikationsiwissenschaftler müssen dann hinsichtlich der Weitergabe ihres Wissens beachten, dass der Rest der Szene eben nicht das gleiche Verständnis von Kommunikation hat, bzw. dass das grundlegende Verständnis vom Umgang mit Publikum fehlt, da einfach ein anderer fachlicher und methodischer Horizont gegeben ist. So kommt es dann auch dazu, dass wenn ein Rhetoriker von einem Ingenieur fordert „Adressiere die Freien Redner mehr“ der Ingenieur dies dann pragmatisch effektiv umsetzt und die Freien Redner mit „Liebe Freie Redner“ grüßt, ein häckchen dahinter macht und sich dann wundert warum die Tübinger noch immer meckern 😉
    Daher muss man da dann auch die verschiedenen denkweisen berücksichtigen und solche abstrakten und weichen Punkte, welche man eben nicht einfach nach Methode X messen kann, auch entsprechend wohldefiniert darlegen.
    Schlussendlich ist die Frage, wie kriegen wir es hin, dass diese fundamentalen Kenntnisse effektiv in der gesamten Szene verbreitet werden können, so dass die Kompetenzkluft zwischen der Spitzengruppe und dem Rest kleiner wird?
    Die Ausbildung von Trainern ist auf jeden Fall ein guter erster Schritt, das Ergebniss davon lebt dann aber auch nur, wenn die richtigen Freaks, die Debattiersuchtis am Ende durch das Programm gezogen werden. Ich liebäugel zusätzlich immerwieder mit dem Ansatz der Toastmaster: Ein durchstrukturiertes, einheitliches, in kleine Häppchen unterteiltes Konzept, welches auf Tracks, bzw. dem erreichen von Leveln/Badges beruht. Zu jedem Happen gibt es eine Art How-To-Heftchen, in welchen man Erläuterungen und Übungen, sowie das Abschlussziel definiert vorfindet. So weiss man als Einsteiger wo man Anfängt, hinwill und was die nächsten Schritte sind. Evtl. kann man dann erreichen von bestimmten Skills in Rahmen von Turnieren sich bestätigen lassen.

  5. Stefan Kegel sagt:

    OPD bildet den klassischen Dreiklang aristotelischer Rhetorik ab. Ethos – Kontaktfahigkeit. Pathos – auftreten, sprachkraft. Logos – Sachverstand, Urteilskraft. Insofern bleibt, diese 3 Fertigkeiten den Rednern, und deren Bewertung den Juroren zu vermitteln. Literatur hierzu gibt es hinreichend. Angefangen bei den Übersetzungen aristotelischer Schriften, hinzu Lehrbüchern des Tübinger Seminars für Rhetorik: Müller, Clemens: Rhetorik.

  6. Daniel (Heidelberg) sagt:

    @ Jonathan: Zu vage? Das ist lustig. Ohne hier dem historischen Panel beim kommenden Think Tank vorgreifen zu wollen: früher wurde der OPD vorgeworfen, alles viel zu ausufernd und detailliert regeln zu wollen, man war als BPSler stolz darauf, den rund 300 Seiten des „Handbuchs der OPD“ mit einem Bierdeckel-Codex entgegentreten zu können. Heute heißt es, es sei alles noch zu unbestimmt. So ändern sich die Zeiten…
    Grüße
    DS

  7. Jonathan Scholbach sagt:

    @Daniel: OK, das ist in der Tat lustig. Aber „wortreich“ und „vage“ sind weder Gegenteile, noch schließen sie einander auch nur aus.

  8. Daniel (Heidelberg) sagt:

    Haha ,nein, tun sie natürlich nicht 😉 Wobei ich die bestehenden Handreichungen zur OPD durchaus auch inhaltlich für äußerst substanziell halte. Das anders zu sehen, steht natürlich intersubjektiv jedem frei. Schlechte Jurierungen systembedingt einem speziellen Format anzulasten, halte ich hingegen ganz objektiv für falsch. Ebenso wie den Versuch, die „linken Kategorien“ zu marginalisieren, wenn Nicolas diese Bestrebungen richtig beschrieben hat. Eine „BPisierung“ der OPD würde in meinen Augen übrigens auch BPS missverstehen. So wenig, wie ein guter OPD-Juror für schlechte Sprachbilder hohe Punkte vergibt, so wenig würde ein guter BPS-Juror für gute Sprachbilder niedrige Punkte verteilen. So geht es in meinen Augen eigentlich um die prinzipielle Frage, ob man Stimme, Sprache, Gestik, Mimik etc. überhaupt für relevant hält. Oder ob man einfach aufhört zu reden und sich per e-mail ausformulierte Essays schickt und dann schaut, wer besser googeln kann. Auch was fürs historische Panel…
    Grüße
    DS

  9. Peter G. sagt:

    Ein sehr gelungener Artikel, der hoffentlich in der Szene zu mehr Verständnis des Formates führt. Was mich ein wenig irritiert, ist dabei aber die Tatsache, dass dies notwendig zu sein scheint: Das kommentierte Regelwerk der OPD gibt eine sehr gute Beschreibung des Formates ab, und lieber Patric, es erklärt auch hinreichend, wer Adressat einer OPD-Rede ist und warum! Es kann also keineswegs davon die Rede sein, dass Nicolas hier „Geheimwissen“ veröffentlicht hat. Es steht alles niedergeschrieben und nachlesbar für jeden Club, der sich mit dem Format beschäftigen möchte (für sehr engagierte Leser existiert ja auch noch das Handbuch der OPD…). Im Übrigen möchte ich meinen, dass die Lektüre und Kenntnis des Regelwerks von zumindest den erfahrenen Rednern, die dann auf Turnieren, Jurierseminaren oder der 8M über Formate diskutieren, zu erwarten ist und dass auch die Weitergabe dieses Wissens an die Clubmitglieder vorrausgesetzt werden kann.
    In diesem Regelwerk finden wir auch Antworten auf das von Jonathan Gesagte: Wo immer du diese Jurorenentscheidungen gehört haben magst, was ich an sich schon bezweifle (auch ich kenne aber die Legende des Hauses mit Fenstern und Türen), so stellt man fest, dass eine Punktevergabe sich rein für diese Äusserungen schlicht nicht rechtfertigen lässt. Das ist also tatsächlich einfach eine Schlechtleistung des Jurors, wie Lennart schon richtig bemerkt hat.
    Zuletzt sei noch bemerkt, dass das „blinde Publikum“-Argument, wie von Jonathan beschrieben, wieder am Kern von OPD völlig vorbei geht (Überspitzt: Eine Publikumsdebatte zum NPD-Verbot ist für die Regierung wohl kaum gewinnbar, wenn sie auf dem Parteitag der NPD stattfindet. Das ist zwar ebenso richtig, hat aber mit OPD ebenso wenig zu tun.). Adressat ist hier ein „durchschnittliches Publikum“, welches lediglich im Rahmen von gesamtgesellschaftlichen Veränderungen neu verhandelbar wäre.

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