Ein offener Ansatz: Patrick Ehmann über Deutsch als Fremdsprache
Bei der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft (DDM) dieses Jahr in Berlin gab es zum ersten Mal einen Wettbewerb in der Kategorie Deutsch als Fremdsprache (DaF). Auf dem Turnier war das ein wichtiges Gesprächsthema: Vor fast jeder Runde gab es dazu eine Ankündigung und das DaF-Finale fand großen Anklang.
Ich war gemeinsam mit John Eltringham DaF-Beauftragter bei der DDM. Wir waren für die Durchführung des Wettbewerbs zuständig und haben ein ausführliches Konzept dazu entwickelt, dessen Kernpunkte ich hier vorstelle. Zum Vergleich gehe ich auf Entwicklungen der Fremdsprachenwettbewerbe bei Welt- und Europameisterschaften ein und stelle abschließend Perspektiven für die Weiterentwicklung des DaF-Wettbewerbs vor.
Überlegungen für die DDM 2014
Die Einordnung in die Kategorie DaF ist komplex. Wir haben uns für eine dynamische Regelung entscheiden, die sich an zwei Fragen orientiert. Die erste zielt auf den Unterschied von DaF-Redner*innen zu Erstsprachensprechern: Besteht ein erkennbarer Sprachnachteil gegenüber Erstsprachensprechern? Die zweite Frage vergleicht die DaF-Bewerber untereinander: Gibt es einen übermäßigen Sprachvorteil gegenüber anderen Fremdsprachensprechern? Wie schwierig eine richtige Einordnung ist, zeigen folgende drei Szenarien:
Szenario 1 – Verlernen von Sprachkenntnissen durch Studium im fremdsprachigen Ausland: Die Schulbildung einer Rednerin findet in der Erstsprache statt. Ihr Studium absolviert sie aber in einer Fremdsprache. Sie befindet sich dabei in einem Umfeld, in dem die Erstsprache kaum gesprochen wird. Die Rednerin debattiert ausschließlich in der Fremdsprache. Ihre Fähigkeit, in der Erstsprache zu debattieren, wird eingeschränkt sein. Gegenüber Personen, die die Sprache aktiv im akademischen und debattierrelevanten Kontext verwenden, hat sie einen erheblichen Nachteil.
Szenario 2 – Qualitativ komplexe Sprachsituationen: Ein Redner schließt sein dreijähriges Bachelorstudium in der Fremdsprache ab. Es folgt ein dreijähriger Aufenthalt als Entwicklungshelfer in einem Land, in dem die Fremdsprache Amts- und Umgangssprache ist. Im Alltag wird die Sprache jedoch stark mit anderen Sprachen vermischt. Der Redner absolviert aktuell ein Aufbaustudium. Durch diesen Kontext ist sein Sprachwissen nicht zwingend debattierrelevant.
Szenario 3 – Dialekt, Soziolekt und die Wahrnehmung durch Juroren: Eine Rednerin spricht mit einem starken regionalen oder soziokulturellen Einschlag und studiert damit im eigenen regionalen Umfeld erfolgreich. Aufgrund der Fremdheit verstehen die Juroren die Sprache nicht vollständig, auch wenn sie sich aktiv bemühen. (Es kann natürlich auch den Fall geben, dass Personen von vornherein die Fremdheit als negativ wahrnehmen.) Dies zeigt, dass eine sprachliche Benachteiligung nicht nur durch mangelnde Sprachkenntnisse entsteht, sondern auch durch die Rezeption der Sprache.
Konsequenzen für den DaF-Wettbewerb bei der DDM 2014
Was bedeutet es, sprachlich einen Nachteil zu haben? Diese Frage mussten wir beantworten, um Kriterien für die Teilnahmeberechtigung am DaF-Wettbewerb zu entwickeln. Da die DDM das erste Mal war, dass eine Regelung im deutschsprachigen Debattieren getroffen wurde, genügte es nicht, eine Lösung für das Turnier zu finden. Die Regelung sollte eine mögliche Entwicklungsrichtung für die Zukunft vorgeben und gleichzeitig für Umdeutungen offen sein.
Wir haben bei jedem Bewerber eine Einzelfallentscheidung getroffen. Das war notwendig, da vor der DDM keinerlei Daten bestanden, auf die wir uns hätten beziehen können. Die Entscheidungen sollen einen Referenzrahmen bilden, mit deren Hilfe in Zukunft DaF-Redner präzise eingeordnet werden können.
DaF-Bewerbungen und –Entscheidungen
Teilnehmer an der DDM Berlin 2014 mussten einen Bewerbungsbogen ausfüllen, um eine Startberechtigung im DaF-Wettbewerb zu erlangen. Wir als die DaF-Beauftragten ordneten sie anschließend auf der Grundlage der schriftlichen Angaben sowie Interviews in eine von sechs Kategorien ein. Ursprünglich hatten wir geplant, die Empfehlungen turnieröffentlich bekanntzugeben, was jedoch aus Zeitmangel nicht geschah. Die Bewerber hatten abschließend das Recht, selbst auszuwählen, ob sie am DaF-Wettbewerb teilnehmen wollten oder nicht.
Wir haben den Bewerbern in den Fragebögen und Interviews sechs Fragenkomplexe vorgelegt:
- Warum solltest du am DaF-Wettbewerb teilnehmen?
- Welchen Nachteil hast du gegenüber deutschen Erstsprachensprechern?
- Wo, wie und wie lange hast du Deutsch gelernt?
zum Beispiel: Aufenthalt/Studium in Deutschland, Besuch einer deutschen Schule/Uni im Ausland, Arbeit in einem deutschsprachigen Umfeld, Deutsch als Umgangssprache mit Freunden/Familie
- Wie lange und wie häufig debattierst du auf Deutsch?
- Im Falle deines Sieges beim DAF-Wettbewerb der DDM 2014: Wie würde sich deine Sprachfähigkeit auf die soziale Wahrnehmung deines Erfolgs auswirken?
- Gibt es weitere Angaben, die für die Entscheidung relevant sein könnten?
Insgesamt gab es nur acht Personen, die sich als DaF beworben hatten. Das waren drei vollständige Teams sowie zwei Personen, die mit nicht DaF-Partnern antraten. Wie auf der Achten Minute bereits berichtet, waren sieben der Kandidaten eindeutig einzuordnen, bei einer Person war die Situation komplexer. Dies hat sich mit unserer im Konzept geäußerten Erwartung gedeckt: Die meisten Fälle sind so gelagert, dass einfache, eindeutige Entscheidungen gefällt werden können.
Nach Auswertung der Interviews empfahlen wir eine von sechs Kategorien:
- Offensichtlich DaF: Es gibt kaum oder keine Gründe, die gegen eine Zulassung sprechen
- Klar DaF: Die Gründe für die Zulassung überwiegen deutlich
- Grenzwertig DaF: Die Gründe für die Zulassung überwiegen
- Grenzwertig nicht DaF: Die Gründe gegen die Zulassung überwiegen
- Klar nicht DaF: Die Gründe gegen die Zulassung überwiegen deutlich
- Offensichtlich nicht DaF: Es gibt kaum oder keine Gründe, die für eine Zulassung sprechen
Im Einzelfall könnte ein offensichtlicher Missbrauch der Freiheiten des Verfahrens stattfinden. Um dies zu verhindern, erhielt die Chefjury die Möglichkeit, nach Rücksprache mit den Beteiligten gegen Entscheidungen der Bewerber ein Veto auszusprechen. Sie machte davon aber keinen Gebrauch.
Entwicklungen im internationalen Debattieren
International ist die Einordnung in die Sprachkategorien English as a Second Language (ESL) und English as a Foreign Language (EFL) bei Welt- und Europameisterschaften stark umstritten. Bei der diesjährigen Europameisterschaft in Zagreb hat eine Kommission einen Bericht zu Schwierigkeiten der ESL-Kriterien vorgelegt. Darin werden Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Kriterien gemacht. Da die Europameisterschaften sich in Bezug auf die ESL-Kriterien nach den Entscheidungen der Weltmeisterschaften richten, beschloss der EUDC-Council – das höchste Entscheidungsgremium der Europameisterschaft – keine eigenen Änderungen. Man wolle aber drei Vorschläge in den Council der Weltmeisterschaft einbringen.
Aktuell darf am EFL-Wettbewerb teilnehmen, wer nicht länger als 3 Monate in einem englischsprachigen Land gewohnt hat oder länger als 6 Monate in einem nicht-englischsprachigen Land auf Englisch unterrichtet wurde. In die ESL-Kategorie wird zugelassen, wer weniger als zweieinhalb Jahre in einem englischsprachigen Land gewohnt hat oder weniger als fünf Jahre in einem nicht-englischsprachigen Land englischsprachig unterrichtet wurde (Schule und/oder Hochschule). Die genauen Regeln finden sich im Artikel 31 der Constitution des Weltmeisterschafts-Council.
Dies ist eine einfach zu handhabende Regelung. Oftmals ist sie jedoch zu starr, um auf Sonder- und Grenzfälle Rücksicht zu nehmen. Gerade im internationalen Debattierkontext sind Biografien häufig nicht in einfachen Strukturen abzubilden. So werden weder die Dynamik beim Erlernen und Verlernen von Sprachfähigkeit gewürdigt, die Qualität der Sprachfähigkeit des Umfeldes betrachtet, noch die Wechselwirkungen zwischen Erst- und weiteren Sprachen berücksichtigt. Zudem ist Sprachfähigkeit immer auch eine Frage, wie eine Person von Juroren verstanden wird, und nicht ausschließlich, ob diese Person einer abstrakten Norm entspricht.
Dieser Perspektivenmangel wird auch im aktuellen Kommissionsbericht deutlich. Im Bericht werden zwar immer wieder Argumente vorgebracht, die auf die zwei unterschiedlichen Perspektiven hinweisen, aus denen die Fremdsprachenfrage grundsätzlich betrachtet werden kann (1. Nachteile gegenüber Erstsprachen-sprechern; 2. Sprachunterschiede innerhalb der Fremdsprachensprechern). Es wird aber nie bewusst beschrieben, dass es diese Perspektiven gibt.
Damit wird die Grundfrage „Was ist der Fremdsprachenwettbewerb?“ nirgends thematisiert. In dieser Hinsicht ist der Ansatz der Welt- und Europameisterschaften bei weitem nicht so offen, wie es unserer ist. Gleichzeitig ist anzuerkennen, dass ein offener Prozess bei über 200 Personen, wovon vielleicht ein Achtel zu den umstrittenen Fällen zählt, logistisch schwer zu meistern ist.
Die weitere Entwicklung des DaF-Wettbewerbs
Es ist schwer, Prognosen über Entwicklungen im Debattieren zu treffen. Es bleibt offen, wie sich der DaF-Wettbewerb im deutschsprachigen Raum entwickelt. Er mag verschwinden, er mag sich etablieren, er mag durch Kooperationen mit weiteren Partnern ein deutlich außer-europäisches Gesicht erhalten.
Das vorgestellte Konzept bietet vielfältige Optionen zur Weiterentwicklung, sowohl inhaltlich, als auch verfahrenstechnisch. Nach den umfangreichen Einzelfallentscheidungen besteht nun ein Grundstock an Daten, aus dem weitere DaF-Beauftragte werden schöpfen können. Gleichzeitig bietet das Verfahren diskursive Einflussmöglichkeiten der Debattierszene.
Eine bereits diskutierte Herausforderung wird sein, den DaF-Wettbewerb sinnvoll in DDMs im Format der Offenen Parlamentarischen Debatte zu integrieren. Die Diskussion auf der Achten Minute sowie auf der Mitgliederversammlung des VDCH zeigt den weiteren Bedarf zur Klärung dieser Fragen.
Wir würden uns freuen, wenn unsere Überlegungen Impulse zur anhaltenden Beschäftigung mit Fragen nach Sprachunterschieden und deren Deutungen beisteuern können.
Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 10.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.
Patrick Ehmann war Cheforganisator der Debattierweltmeisterschaft 2013 in Berlin. Er ist Deutscher Vizemeister 2010, 2009 und 2007. In den vergangenen beiden Jahren gewann er den Masters‘ Cup der Deutschen Debattiergesellschaft. Als Chefjuror wirkte er unter anderem bei der DDM 2008 und der Zimbabwean National Debate Championship 2012 mit. Von 2009 bis 2011 war er Präsident der Berlin Debating Union e.V. Ende 2014 übernimmt er die Rolle des Tabmasters bei der Afrikameisterschaft in Südafrika.