Zagreb EUDC 2014: Erste Punktzahlen und Diskussionen
Bereits der erste Tag der European Universities Debating Championships (EUDC) 2014 sorgte für Spannung: Neben der Eröffnungsfeier boten Differenzen zwischen den Chefjuroren und dem Equity Team reichlich Gesprächsstoff. Nikos Bosse, EUDC-Korrespondent der Achten Minute, fasst die wichtigsten Ereignisse des ersten Tages sowie die Ergebnisse der Teams aus dem VDCH-Land zusammen.
Heitere Eröffnungsfeier
Die Eröffnungsfeier der Euros 2014 fand bei sommerlich-lauen Temperaturen im Museum für Zeitgenössische Kunst in Zagreb statt. Neben einigen Freigetränken konnten die Teilnehmer die Ausstellungen des Museums genießen, über eine Rutsche gelangten sie anschließend vom zweiten und dritten Stock direkt zur Terrasse. Dort begleiteten Bands den ersten Abend des Turniers in Zagreb musikalisch.
Ergebnisse der VDCH-Teams nach dem ersten Tag
Insgesamt 23 VDCH-Teams bestreiten die Europameisterschaften in Zagreb, darunter 3 aus Österreich und 2 aus Lund in Schweden. Am Montag fanden die ersten drei Vorrunden statt. Soweit der Achten Minute bekannt, erzielten die Teams dabei folgende Punktzahlen (Angaben ohne Gewähr):
- Berlin Debating Union A: 5
- Berlin Debating Union B: 4
- Berlin Debating Union C: 5
- BITS: 4
- Debating Society Jena: 2
- DK Wien A: 7
- DK Wien B: 5
- DK Wien C: 4
- Kiel University: 2
- Lund A: 8
- Lund B: 5
- Magdeburg: 4
- München A: 5
- München B: 5
- München C: 4
- Mannheim: 6
- Münster: 5
- Potsdam: 5
- RWTH Aachen: 3
- Streitkultur Tübingen: 6
- Tilbury House A: 7
- Tilbury House B: 5
- Tilbury House C: 2
Diskussionen über die „Pronoun introduction“
Am Montagabend kam es während des Redner-Briefings zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Chefjuroren Rebecca Meredith, Milan Vignjevic, Alon van Dam, Ashish Kumar, Engin Arikan, Maja Cimermann, Sella Nevo, und Tomas Beerthuis, sowie dem Equity Team, das aus Ary Ferreira da Cunha und Marietta Gädeke besteht. Diskutiert wurde über die Frage, ob sogenannte Pronoun Introductions auf dem Turnier verpflichtend eingeführt werden sollten. Vor einigen Wochen unterbreitete Crash Wigley den Vorschlag, auf Debattierturnieren zu Beginn der Debatte neben der Rednerreihenfolge auch das Pronomen aufzunehmen, mit dem der Redner angesprochen werden möchte (Mittwochs-Feature der Achten Minute vom 23. Juli 2014, „Trans debaters ought to be welcomed, not only tolerated: Crash Wigley argues in favour of pronoun introductions“). Viele englische Turniere setzten den Vorschlag daraufhin um. Für die EUDC gab es zu Beginn des Turnieres noch keine Entscheidung über die Umsetzung.
Im Pre-Council am Montagnachmittag hatte das Equity-Team angekündigt, den Juroren die Pronoun Introduction zwar ans Herz zu legen, diese aber bis zu einer endgültigen Entscheidung des EUDC-Councils nicht verpflichtend einführen zu wollen. Während des Rednerbriefings kündigte das Chefjurorenteam jedoch nach lauten Zwischenrufen aus den Reihen der britischen Debattierclubs ohne Rücksprache mit dem Equity-Team an, die Pronoun Introduction für alle Debatten verpflichtend zu machen.
Am Dienstag gaben die Chefjuroren und Equity Officer bekannt, sich auf eine verpflichtende Einführung der Pronoun Introduction geeinigt zu haben. Sie baten für etwaige Missverständnisse um Entschuldigung. Am Mittwoch soll nach den Vorrunden ein Equity-Forum stattfinden, das sich weiter mit der Pronoun Introduction beschäftigt.
nbo/kem
Ich hoffe, das Orgateam kann ausreichend Kommisare der Humorpolizei für alle Räume stellen; soweit ich mich entsinne hatte der Autor ja ein absolutes Lachverbot während der Vorstellungsrunde gefordert, verbunden mit Vorladungen vor das Equityteam und Sanktion für Zuwiderlachende. Aber korrekte Inklusion anderer und Sicherheitskontrollen am Flughafen sind eben ernste Angelegenheiten, da muss der Freimut auch mal zurückstehen können.
Danke Michael. Wie immer kann ich dir da nur zustimmen.
In Realitas ist das alles ziemlich entspannt, in unseren Runden war das Abfragen, wie die Leute angesprochen werden wollen, keine große Sache, jeder sagt seinen Wunsch und fertig ist. Keine Witze, kein pubertäres „Hihihi“ sondern einfach Leute, die sich über etwas, was einer Minderheit extrem wichtig ist, weil es deren identität und Wahrnehmung betrifft, nicht lustig machen. Wenn Dein bester Freund Dich um etwas bittet, was ihm wichtig ist, macht man sich ja auch nicht rüber lustig, sondern respektiert es.
So einfach läuft das hier. Gibt aber auch so genug zu Lachen, keine Sorge.
Ich kann mit Sicherheit nicht für Deinen Freundeskreis sprechen, Mathias, aber wenn mein bester Freund mich um etwas bittet dann wird auch gemeinsam gelacht. Manchmal über- und manchmal miteinander. Aber immer ohne Sorge um Strafappelle und Equitysanktionen.
Freut mich. Und für alle anderen ausser dir, die nicht verstehen, dass man so einfach man nett zu Leuten kann, die um ihre Identität ringen, ohne sich darüber lustig zu machen, für diese Leute, die nicht so viel Empathie haben, gilt halt immer der Witz. Was haben pubertäre Unempathen und Milch gemeinsam: Am besten kalt stellen, sonst werden sie sauer.
Mit dem „kalt stellen“ von Andersdenkenden hast Du sowohl Deine Einstellung, als auch unseren Dissens so hervorragend beschrieben, dass es kaum noch etwas hinzuzufügen gibt. Außer, dass diese Episode ein Musterbeispiel dafür abgibt, wie man einer tatsächlich fördernswerten Sache (der Inklusion von Menschen mit anderen Identitäten und Orientierungen) durch die Einführung eines Stuhlkreises mit erzwungenem Lippenbekenntnis und Humorverbot in der langen Sicht schadet.
Michael, das mit dem „kalt stellen“ war ein Witz! Ich wollte mit über die leute Lustig machen, die sich über andere Leute lustig machen, nur weil die ein ernstes Anliegen haben, was man ihnen leicht gewähren könnte. Das müßte ja ok sein, denn wer austeilt muss auch einstecken können. Ich dachte, wenn Du Humor hast, wirst Du darüber mindestens schmunzeln können. Tut mir leid.
Ich werde hier keine Witze mehr über diese Leute machen, betrachte das aber nicht als Humorverbot sondern einfach als etwas, was der Konversation förderlich ist.
Dann sage ich es noch mal ganz ernsthaft: Ich habe hier in Zagreb weder Stuhlkreise noch „erzwungene Lippenbekenntnisse“ erlebt. Die machen das also so, wie Du dir das wünscht.
Mich würde in erster Linie mal interessieren, wieviele Leute von dieser Problematik auf einem Turnier tatsächlich betroffen sind. Wenn sich nachher herausstellt, dass es nur ein oder zwei sind (mit mehr rechne ich persönlich nicht, wobei ich mich gerne mit realen Zahlen widerlegen lasse), halte ich diesen Zirkus für reichlich übertrieben. In diesem Fall wäre es völlig ausreichend, wenn die Person bei der Rednerreihenfolgefestlegung von sich aus oder bei falscher Anrede freundlich darauf hinweist. Sofern dann immer noch jemand lacht, kann man immer noch das Equity-Team rufen. Ich will hier sicherlich niemanden diskriminieren, aber wenn eine verschwindend geringe Minderheit ein Problem mit ihrem Geschlecht hat, muss sie dieses Problem doch nicht auf den Rest der Gesellschaft externalisieren. Von mir aus darf jede Person sich in ihrem präferierten Geschlecht, welches auch mehr als nur zwei Ausprägungen annehmen kann, austoben und darf mit Recht gegen Diskriminierung vorgehen. Aber ist das wirklich Diskriminierung, wenn man nicht nach dem Personalpronomen fragt? Was kommt dann als nächstes? Werden dann demnächst sachtliche Argumente wegen Diskriminierung verdammt, da weniger intelligente Menschen nicht in der Lage sind, diese zu verstehen?
Ich kann Johannes hier nur zustimmen und empfehle ein Problem mit Augenmaß anzugehen.
Was außerdem wohl für (sehr berechtigten) Unmut gesorgt hat, ist der Prozeß wie die Maßnahme der Pronomenabfrage durchgesetzt wurde. Die betroffene Person hat auf ein von ihr empfundenes Problem bzw. eines, welches von ihrem Aktivisten-Zirkel beobachtet wurde („[…] in the feminist/LGBTQ/General Liberation-Left circles I’m in […]“), in einem Text aufmerksam gemacht und einen generellen Vorschlag unterbreitet. Wie der Text in anderen Ländern aufgenommen wurde weiß ich nicht, würde mich aber sehr interessieren. Allerdings wurde hier auf der Achten Minute kein Kommentar der Zustimmung bzw. der Ablehnung gepostet. Sprich, dass Thema hat keinen AchteMinute-Leser dazu bewegt seine Meinung hier kundzutun. Die Chefjuroren der Euros haben also ohne vorherige Ankündigung und ohne Absprache mit dem dafür verantwortlichen Gremium (dem Konzil) eine Festlegung getroffen, die Sprache und Verhalten beeinflusst. Dies ist ein ziemlich undemokratischer und rücksichtsloser Akt.
Heißt das also, dass wenn ich einen Text mit einem von mir emfpundenen Problem inkl. einem Vorschlag zur Verhaltensänderung, wenige Wochen vor einem großen Turnier, verfasse und der Text in das Weltbild der Chefjuroren passt bzw. sie gutmeinen: Wird das sofort und ohne allgemeine Diskussion durchgesetzt?
Grundsätzlich wünsche ich Crash Wigley und allen Transgender-Leuten alles Gute und viel Erfolg bei Ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz. Aber die Maßnahme bei den Euros ist von ihrem Verfahren her undemokratisch und gleicht dem Schießen auf Spatzen mit Kanonen. Gut gemeint ist nicht gleich gut.
Lieber Christian, du sagst: „Aber die Maßnahme bei den Euros ist von ihrem Verfahren her undemokratisch und gleicht dem Schießen auf Spatzen mit Kanonen.“ Ich finde, du vergisst dabei, dass die Pronoun Introduction auf insbesondere britischen Turnieren schon gang und gäbe sind. Insofern handelt es sich nicht um ein undemokratisches Verfahren in dem Sinne, da sich die Chefjuroren vermutlich nicht an Crash Wigley’s Text sondern vielmehr an einem üblichen Prozedere auf anderen internationalen Turnieren orientiert haben.
Lieber Johannes, du sagst: „Von mir aus darf jede Person sich in ihrem präferierten Geschlecht, welches auch mehr als nur zwei Ausprägungen annehmen kann, austoben und darf mit Recht gegen Diskriminierung vorgehen.“ Wo, glaubst du, wird unsere Gesellschaft landen, wenn es nur die Minderheit ist, die gegen Diskriminierung vorgeht? Findest du es wirklich verwerflich, wenn sich eine größere Menge an Menschen – in diesem Fall die Debattant*innen bei den Euros -, von denen nicht alle zu der Minderheit gehören, für diese Minderheit einsetzen? Wie sollen Minderheiten eine Stimme in unserer Gesellschaft erhalten, wenn wir sie alleine diesem Kampf überlassen?
Die Pronoun Introduction ist meiner Meinung nach außerdem auch kein „Schießen auf Spatzen mit Kanonen“. Wenn ihr euch die Debatten angesehen habt, solltet ihr mitbekommen haben, dass die Aufnahme der Namen ziemlich schnell und unaufregend von statten geht: „Sarah, she“, „Johannes, he“, „Christian, he“. Das nennst du einen Kanonenschuss? Es ist tatsächlich für jeden einzelnen ein minimaler Aufwand. Ihr unterschätzt vermutlich, welche nicht sichtbaren Auswirkungen das immerwährende „misgendering“ auf Transgender hat, wie es einen von innen auffressen kann. (Für einen Einblick kann ich die Website genderfork.com empfehlen.) Wenn ich einer Handvoll, oder meinetwegen auch nur ein, zwei Menschen das Leben leichter machen kann, indem ich zu Beginn der Debatte sage, dass ich mit „sie“ angesprochen werden will, dann mache ich das gerne. Das ist kein Schießen auf Spatzen mit Kanonen, das ist ein gemeinschaftliches Miteinander, das die Akzeptanz in unserer Gesellschaft fördert. Es vermeidet außerdem, dass die betroffenen Personen immer wieder sagen müssen: „Entschuldigung, ich sehe zwar durchaus maskulin aus, aber ich fühle mich doch eher feminin. Wäre es vielleicht möglich, dass du mich bei meinem korrekten Pronomen – sie – nennst?“
Ich erkenne an, dass diese Diskussion unter anderem ein deutsches Problem ist. Wir sind nicht halb so tolerant, wie beispielsweise unsere Nachbarn aus UK. Und nicht halb so tolerant, wie wir das gerne sagen. Dass man aus 8 Silben so ein Problem machen kann, zeigt das in aller Deutlichkeit. Zum Vergleich: Während man in Deutschland in jeglichen Formularen immer noch angeben muss, ob man Mann oder Frau ist, ist es in UK üblich, aus folgenden Alternativen wählen zu können: „Mr./Mrs./Mx.“
Wenn sich alle ein wenig entspannen und sich nicht künstlich darüber aufregen würden, dass acht Silben während einer Debatteneinführung dem Schießen auf Spatzen mit Kanonen gleicht, oder darauf verzichten würden, eine ständige Fehlbeschreibung von Mitmenschen mit kontroversen sachlichen Argumenten zu vergleichen (dieser Vergleich leuchtet mir nun wirklich nicht ein! Besser gesagt, ich finde ihn völlig fehl am Platze!), hätten wir schon einiges an Toleranz gelernt.
Viele Grüße
Sarah
Liebe Sarah,
inwieweit geht man denn gegen Diskriminierung durch das Nennen seines Personalpronomens vor und inwieweit setze ich mich damit für eine Minderheit ein? Ich verstehe unter Diskriminierung etwas anderes, beispielsweise indem man bewusst jemanden aufgrund irgendeiner Eigenschaft ausschließt und sich über diese lustig macht. Jemanden in der Gesellschaft willkommen heißen, kann auch auf passive Weiße geschehen. Indem man diese nämlich einfach so akzeptiert, wie sie ist und ganz normal mit ihr umgeht. Gegen Diskriminierung vorgehen heißt, dass man sich an die Seite des Diskriminierten stellt, wenn tatächlich jemand aktiv eine Person aufgrund irgendeiner Eigenschaft diskriminiert.
Weißt du, wieviele Minderheiten es auf der Welt gibt? Was würde es bedeuten, wenn wir uns alle permanent und vor allem AKTIV durch irgendwelche Begrüßungsfloskeln und anderen Neusprech für ihre vermeintliche Integration einsetzen müssten?
Und nur, weil die Briten etwas eingeführt haben, heißt das nicht, dass wir automatisch dies ebenfalls übernehmen sollten. Sonst müssten wir demnächst auch alle links fahren und Stargazy Pie essen 😉
Ich trink erst mal ein Guiness,
Johannes
Hallo,
kurz gesagt, ich halte von der Regelung wenig und schließe mich der Argumentation von Christian an.
Aber machen wir doch mal einen kleinen Blick in die Realität.
Man nimmt als Hauptjuror die Namen auf und – auf internationalen Turnieren wohl noch häufiger – weiß nicht genau wie man einen Namen ausspricht. Ich stolpere bis heute bei dem Namen Daniil, sorry for that.
Folge: Man spricht den Namen eventuell falsch aus. Jetzt könnte das in einer Sprache, bei der die Betonung der Wörter komplett neue Bedeutungen ergibt (Hebräisch, Chinesich?), bedeuten, das Du statt dem Namen etwas Sinnfreies oder sogar beleidigendes sagst.
Konsequenz I im Sinne dieser Maßnahme:
Jeder Juror lernt mehrere Jahre die Sprachen (und am besten den kulturellen Hintergrund) der Personen, die er juriert.
Konsequenz II, die common sense Variante
Man fragt als Hauptjuror, kannst Du mir bitte sagen, wie Dein Name ausgesprochen wird. Das wird diese Person sicher freiwillig und gerne machen und den Fall mit dem adäquaten Personalpronomen sehe ich ähnlich.
Vorteil:
keine strikten allumfassenden Regeln, sondern an die Situation angepasstes Verhalten (also BP statt OPD)
Und zum Schluss noch ein Beispiel zur Verdeutlichung.
Bei Konsequenz I hätte ein deutscher Juror Teilnehmer Müller zu fragen: Du „mußt“ mir jetzt sagen, wie Dein Name ausgesprochen wird. Sinnvoll? Eher nein.
Wenn der Juror aber Engländer ist …. dann schon eher.
Aber sind Engländer zu dumm zum fragen und setzen lieber auf allumfassende Regeln?
Wenn ja, wären sie ja wieder Deutsche 😀