„Jedes Team, das wir schlagen, beweist, wie fantastisch wir sind“ – Deutsch als Fremdsprache bei der DDM 2014
Die Schlange ist lang. Während die Sonne bei 36 Grad über dem Innenhof der Dathe-Schule brütet, erwarten die Teilnehmer der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft (DDM) 2014 sehnsüchtig Waffeln und Eis. Doch nicht alle können den Moment der Ruhe genießen. In einem verlassenen Debattenraum abseits des Getümmels steht eine Handvoll Debattierer und führt nervösen Smalltalk. Gleich sollen sie geprüft werden, eingestuft in eine von sechs Kategorien. Der Grund dafür: Sie sind DaF.
Das steht für Deutsch als Fremdsprache und ist eine der Neuheiten, auf die die Ausrichter der DDM mächtig stolz sind. So, wie es im internationalen Debattieren die Kategorie English as a Second Language (ESL) gibt, erhalten nun auch Redner, die nicht muttersprachlich Deutsch sprechen, eine eigene Wettbewerbsklasse. Wer als DaF antritt, qualifiziert sich für einen gesonderten Break nach den Vorrunden in das DaF-Finale, das parallel zu den regulären Halbfinals im Roten Rathaus stattfindet.
Bob Alberts ist ein solcher Redner. Er kommt aus Amsterdam und ist sich der Schwere seiner Aufgabe bewusst. „Auch als DaF-Redner erkennt man die relevanten Punkte einer Debatte, aber gerade beim British Parliamentary Style kommt es auch darauf an, seine Argumente gut zu analysieren. Doch je tiefer man analysieren will, desto größere Sprachkenntnisse braucht man“, beschreibt er die vor ihm liegende Herausforderung. Das sei aber nicht entmutigend, sondern im Gegenteil motivierend. „Normalerweise würde ich mir darüber Gedanken machen, ob wir breaken oder nicht. Hier weiß ich: Im Normalfall werden wir die letzten im Tab sein. Jedes deutsche Team, das wir schlagen, beweist nur, wie fantastisch wir sind.“
Lange müssen die DaF-Anwärter nicht ausharren. Einer nach dem anderen wird aufgerufen und tritt in den benachbarten Debattenraum. Dort wartet eine zweiköpfige Jury auf sie: Patrick Ehmann und John Eltringham sind gemeinsam verantwortlich für den DaF-Wettbewerb. Beide haben Erfahrung auf dem Gebiet gesammelt, Patrick als Cheforganisator der Weltmeisterschaften 2013 in Berlin, John dadurch, dass er selbst Deutsch als Fremdsprache spricht. Für sie ist der DaF-Wettbewerb mehr als nur ein nettes DDM-Gimmick, sie wollen Geburtshelfer des nicht-muttersprachlichen Debattierens in Deutschland sein. Dafür haben sie als offizielle DaF-Beauftragte im Vorfeld der DDM eigens eine Richtlinie verfasst und ganze sechs Kategorien eingeführt: Offensichtlich, klar und grenzwertig DaF, ebenso wie grenzwertig, klar und offensichtlich nicht-DaF.
Sozialer Druck mit Notfall-Veto
Das Ziel der Interviews ist es, für die Redner eine Empfehlung auszusprechen, wie sie einzustufen sind. In fast allen Fällen reichen zur Beurteilung die drei Fragen aus, die ganz am Anfang des Interviews gestellt werden. „Wie lange hast du Deutsch gelernt?“ Während der Grundschule. „Sprichst du Deutsch in deinem Umfeld oder in der Familie?“ Nein. „Wann war deine erste deutschsprachige Debatte?“ Gestern. Bei den ersten Kandidaten ist nicht strittig, ob sie überhaupt, sondern lediglich, ob sie „offensichtlich“ oder „klar“ DaF sind.
So eindeutig die Empfehlungen auch sein mögen, bindend sind sie nicht. Die Redner entscheiden alle selbst, ob sie in der Kategorie DaF antreten wollen oder nicht. „In dem Fragebogen, den alle ausfüllen mussten, gab es bereits eine Suggestivfrage“, erklärt John. „Sie lautete: Wie würde sich deine Sprachfähigkeit auf die soziale Wahrnehmung eines eventuellen Sieges auswirken? Das sollte die Menschen dazu anregen, selbst zu überlegen, ob die anderen ihnen den Sieg gönnen würden oder nicht.“
Die Empfehlung der DaF-Beauftragten soll auf dem Turnier bekannt gegeben werden. Sollte der soziale Druck jemanden, der ganz offensichtlich nicht in den DaF-Wettbewerb gehört, nicht abhalten können, bliebe als letzte Waffe noch ein Veto der Chefjury.
Der Ernstfall tritt jedoch nicht ein, auch die Empfehlung wird nicht bekanntgegeben. Stattdessen offenbart sich rasch, dass das eigentliche Problem ganz woanders liegt: Es haben sich nur drei vollständige DaF-Teams angemeldet. Dabei hatten die Ausrichter im Vorfeld auf internationalen Turnieren massiv für die Teilnahme ausländischer Redner geworben: Für die europäischen Partnerländer des Programms Jugend in Aktion gab es bei der Platzvergabe ein eigenes Kontingent von 20 Teams. Im Gegenzug wurde für alle Teilnehmer eine Fahrtkostenerstattung von 70 Prozent ermöglicht. Ein eigenes Finale wurde angekündigt, das gesamte Turnier stand unter dem Motto „Deutsch reden – europäisch denken!“ Und immerhin handelte es sich nicht um ein Feld-Wald-und-Wiesenturnier, es gab einen Meistertitel zu gewinnen.
Letztlich wurde das Jugend in Aktion-Kontingent hauptsächlich von Muttersprachler-Teams aus dem Ausland genutzt, die mehrheitlich aus Österreich und der Schweiz, aber auch aus Lund, Maastricht und Rotterdam kamen. Die drei DaF-Teams kommen aus Amsterdam, Slowenien und Westminster – wobei die Briten ohnehin als Austauschstudenten in Berlin wohnen.
DaF-Finale droht zu scheitern
Im Interview-Raum schauen Patrick und John deshalb besorgt auf die Anzahl der DaF-Redner. Ein viertes Team muss her, damit das Finale stattfinden kann. Viele Fremdsprachler scheinen sich nicht zugetraut zu haben, auf Deutsch zu reden, und sind stattdessen als Juroren gekommen. Kann man sie noch hinzuziehen? Und wurden vielleicht Redner übersehen, weil sie sich einfach nicht für DaF angemeldet haben? Nach kurzer Überlegung scheint es aber doch zu heikel, Redner danach zu fragen, nur, weil sie mit einem Akzent sprechen.
Nach den leichten Einstiegsfällen kommt mit Andreas Villarreal ein komplizierterer Fall. Patrick und John sind begeistert, endlich gefordert zu sein, ihr Interview dauert dieses Mal länger. Andreas ist in Belgien geboren, seine Eltern stammen aus Südamerika. Da er in der Nähe von Brüssel aufgewachsen ist, ist Französisch seine Muttersprache, wobei die Eltern untereinander oft Spanisch sprachen. Sein Kindergarten und seine Grundschule waren deutschsprachig. Weil er auf einer französischen Universität studieren wollte, lernte er danach auf Französisch. Nach dem Abitur verbrachte er aber ein Gap Year in Wien und belegte dort einen deutschen Sprachkurs. Jetzt studiert er auch dort und debattiert auf Englisch.
Andreas ist kein Muttersprachler, so viel ist sicher. Aber hat er ihnen gegenüber tatsächlich einen Nachteil? Und ist der Vorteil gegenüber denjenigen, die nur brüchig Deutsch sprechen, nicht zu groß?
Patrick und John vergleichen seinen Nachteil gegenüber den Muttersprachlern und den Vorteil gegenüber den DaF-Kontrahenten. Sie wissen, dass sie jeden DaF-Redner brauchen, wenden aber gewissenhaft ihre Richtlinie an. Andreas ist auf höherem Niveau als die anderen, das ist nicht von der Hand zu weisen. Gefragt nach seinem Nachteil gegenüber Muttersprachlern, verweist er selbst aber darauf, dass ihm häufig der für Debatten wichtige Spezialwortschatz fehle. Er mache auch Fehler wie „Ich würde dich gerne eine Frage stellen“. Am Ende einigen sich Patrick und John auf die Kategorie „grenzwertig DaF“.
Ein Kompliment an die deutsche Sprache
So schleppend wie die Waffelschlange bewegt sich auch Deutsch als Fremdsprache vorwärts. Wegen der Hitze sei der Waffelteig „gekippt“, heißt es. Auch das DaF-Finale kippt beinahe. In letzter Minute finden die Organisatoren eine Lösung: Nach den Vorrunden gestatten sie einem Team den Break ins DaF-Finale, das aus zwei einzelnen Fremdsprachlern anderer Teams besteht. Andreas bildet ein Mixed-Team mit Nicolas Hernandez, der ebenfalls eigentlich eine muttersprachliche Teampartnerin hat und mit ihr für Münster antritt.
So kommt am Ende doch noch das DaF-Finale zustande. Debattiert wird über die Frage, ob sich Deutschland stärker militärisch engagieren sollte. Das Mixed-Team aus Andreas und Nicolas schafft es auch, den Sieg auf sich zu vereinen.
Wem letztlich der Titel des Deutschsprachigen Debattiermeisters in der Kategorie DaF verliehen wird, bleibt bei dieser DDM eine Randnotiz. Nicht nur die Organisatoren sind stolz und erleichtert, dass der Wettbewerb überhaupt stattfinden konnte. Stellvertretend für die DaF-Finaljury erklärt Hauptjuror Daniil Pakhomenko bei der Siegerehrung, dass er die Teilnahme jedes DaF-Redners bei dieser Meisterschaft „als Kompliment an die deutsche Sprache“ empfinde, und erntet damit großen Applaus.
Bob Alberts hat zwar den DaF-Titel nicht gewonnen, aber eine Menge deutscher Teams geschlagen. Nach den Vorrunden belegen sein Teampartner und er den 44. Platz. Für gewöhnlich, überlegt er nach dem Turnier, träten gute Debattierer ja nur an, wenn sie auch gewinnen könnten. Für Nicht-Muttersprachler seien deshalb andere Anreize ausschlaggebend, erklärt er. „Du brauchst einen anderen Grund zu kommen als die Aussicht, dass du der beste Debattierer sein wirst und dich alle ewig lieben werden. Der Ausrichter muss die Leute überzeugen, dass die Partys und das Essen toll sind.“ Und das, bilanziert er, sei bei der DDM gelungen.
hug/kem
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Sehr schöner Artikel!
Ich fand es allerdings sehr schade, dass nur so wenige Zuschauer beim DaF-Finale waren. Und wenn man sich so umschaute, dann waren das doch meist die Leute, die sich als ESL-Speaker auf internationalen Turnieren schon oft in einer ähnlichen Situation befunden haben und deswegen Wertschätzung für die Leistung jedes einzelnen DaF-Sprechers aufbringen konnten.
Danke, dass ihr euch den Strapazen ausgesetzt habt und da wart, liebe DaF-Sprecher – ich fand das Finale super!
Ich glaube das hat gar nichts mit Wertschätzung (zumindest wenn wir nur diese DDM betrachten) zu tun. Absolut gar nichts. Das DaF-Finale war während des Halbfinales. Morgens früh am letzten Tag. Nach mehreren Tagen Party und Anstrengung. Die Leute haben einfach nur geschlafen. Was ihnen nicht zu vergönnen sei, außer wir führen wieder eine Diskussion, dass Feiern innerhalb einer studentischen Szene ach so böse ist. Vielleicht sollten wir beim nächsten Mal das DaF Finale lieber am Samstag Abend abhalten oder zwischen Halbfinale und Finale (wenn alle endlich wach und teilweise ausgenüchtert sind). Ich glaube, dass wir dann einen unglaublichen Zuwachs an Zuschauern haben werden.
Danke für den Artikel!
Ich hatte im Rahmen der DDM Gelegenheit gegen Nick und das Westminster-Team anzutreten und empfand das als tolle Erfahrung. Zum einen steht man da guten Debattierern gegenüber (mein Team ist jeweils schlechter weggekommen als die DaF-ler) und zum anderen höre ich Debattierern, die Deutsch als Fremdsprache sprechen, auch sehr gerne zu. Einen angloamerikanischen Blick auf Deutschland, Russland, das Debattieren oder weiß der Fuchs was zu bekommen, hat meine DDM deutlich bereichert.
Und zum DaF-Finale: Wer es nicht gesehen hat, der hat echt was verpasst.
Die Orga des DaF-Finales mag mühsam gewesen sein, aber es hat sich durchaus gelohnt.
Schön, dass ihr dabei wart!