Egal, wie man es dreht und wendet: Sex ist unparlamentarisch!

Datum: 19. Februar 2014
Redakteur:
Kategorie: Mittwochs-Feature

Sex sells, soviel ist sicher. Warum laufen Deine Augen jetzt über diese Zeilen – weil Du jeden Artikel auf der Achten Minute liest, oder weil ich ein Signalwort verwendet habe? Egal. Es ist jedenfalls meine Vermutung, dass es diese Anziehungskraft des Wortes Sex ist, warum immer wieder Sex- oder Porno-Themen auf Turnieren gesetzt werden. Die Worte Sex, Porno, [und alle, die jetzt per Vervollständigungsfunktion in euren Köpfen aufleuchten], machen ganz seltsame Dinge mit unserer Aufmerksamkeit: Sie ziehen sie an. Es muss ein Urinstinkt sein, er ist nicht beherschbar, er will, er strebt, er greift nach diesem Wort: Sex. Es ist fast unheimlich. Und ich schlage vor: Lasst es uns beenden. Liebe Chefjurorinnen und Chefjuroren der Gegenwart und der Zukunft – verschont uns mit Sex-Themen! Lasst uns Sex aus dem Themen-Pool des Debattierens verbannen!

Nicht, dass ich nicht verstehen könnte, was den Reiz von Sex-Themen ausmacht. Endlich kann man mal so richtig die Sau rauslassen, wo wir uns doch sonst mit so ödem Zeug wie Zinssätzen und Auslandseinsätzen beschäftigen. Außerdem ist es doch so lustig! Endlich kann beim Debattieren auch mal gelacht werden!
Nur: Nicht alles, was Sex ist, macht Spaß. Ich habe bisher die Erfahrung gemacht, dass Sex-Themen im Sinne eines Wettbewerbs verstanden werden, wer sich am unwohlsten fühlt. Oder wer sich am meisten traut. In beiden Fällen wird es vor allem eins: Nicht lustig. Und: Peinlich. Und: Kein Spaß.

No SexMein Hauptargument: Sex-Themen bieten expliziter Sprache und explizitem Inhalt nicht nur einen Raum, sie erfordern sie. Beispiel Sex als olympische Disziplin. Ich muss dabei unweigerlich an die zehn Weltrekorde in Sachen Sex denken. In dieser Debatte darüber zu reden, worüber in diesem Video geredet wird, ist mehr als legitim. Das Problem stellt sich mir hier auf mehreren Ebenen.
Zunächst einmal ist es sprachlich kaum möglich, darüber zu reden, ohne gewisse Grenzen zu überschreiten. Denkt jetzt an die Worte, die ihr vorher autovervollständigt habt! Und auch inhaltlich möchte man sich vielleicht nicht mit allem auseinandersetzten, was Sex-Themen so mit sich bringen. Vielleicht will ich einfach kein Rebuttal zu ****sex, Sex mit ******* oder ******* ** **** *** machen.
Zweitens: Sex ist etwas Privates. Sex-Debatten fordern einen aber dazu auf, preiszugeben, wieviel „Sachverstand“ man dazu hat. Wie in einer klassischen Mutprobe muss man jetzt zeigen, dass man mit diesem sehr intimen Bereich „offen“ (in Wirklichkeit: pseudo-offen) und „erwachsen“ (eigentlich: spätpubertär) umgehen kann.

Hier ist es aber anders als bei „gewöhnlichen“ Themen. Wer keine Ahnung von Wirtschaft hat, ist eben Germanist. Das ist okay. Aber wer keine Ahnung von Ihr-wisst-schon hat, ist komisch. Kurz: Auf jeder dieser Ebenen muss man in Kauf nehmen, dass man möglicherweise die Gefühle von jemandem verletzt, dass sich jemand unwohl und im schlimmsten Fall bloßgestellt fühlt.
Debattieren ist zwar ein spezieller referentieller Rahmen. Aber so speziell ist er jetzt auch wieder nicht. Und vor allem: Wir haben eine Übereinkunft darüber, dass wir uns auf parlamentarischem Niveau bewegen. Nicht inhaltlich jetzt, das wäre ja fürchterlich, aber zumindest, was Angemessenheit betrifft. Und Sex ist einfach, egal wie man es dreht und wendet, unparlamentarisch. Und jetzt sagt nicht, Sex sei gesellschaftlich relevant. Klar. Deswegen debattieren wir auch, ob es Aufklärungsunterricht an Schulen, Abtreibung, Prostitution und alles mögliche andere gesellschaftlich Relevante geben sollte. Aber es ist nicht der Sex selbst relevant – in seiner pornographischen Form -, sondern die Frage, wie wir mit Sexualität generell umgehen. Für alles andere gilt in unserem Staat völlig zurecht das Urprinzip des Liberalismus: Macht, was Ihr wollt, solange Ihr es nicht gegen den Willen anderer Leute tut. Und: Tut es, aber lasst die anderen damit in Ruhe!

Zum Schluss eine Art salvatorische Klausel: Ich habe nichts gegen Sex. Echt nicht! Aber ich glaube, dass es abends auf Debattierpartys genug Möglichkeiten gibt, sich in einem unbepunktetem Kontext über alles auszutauschen, was uns auf der Seele liegt. Sex mit Robotern ist bestimmt eine tief emotionale Offenbarung. Und olympischer Sex ist bestimmt… hm, beeindruckend. Und den verklemmten Sex auf dem öffentlich-rechtlichem Pornokanal möchte ich mir auch nicht entgehen lassen. Aber die Debatten darüber können wir uns wirklich sparen. Danke!

Eine Anmerkung: Natürlich ist es nicht Ziel dieses Artikels, Chefjuroren schlecht aussehen zu lassen. Viele Chefjuroren, die ich sehr mag und schätze, haben schon mal Sex-Themen gestellt, und das ist völlig in Ordnung. Dies hier ist ein in die Zukunft weisender Beitrag. Diese Diskussion hat es, soweit ich das sehe, in dieser Form ja noch nicht gegeben.

kem/hug

Mittwochs-Feature

Das Mittwochs-Feature: Jeden Mittwoch ab 9.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.

Der Autor dieses Textes ist der Redaktion bekannt. Auf Wunsch des Autors, der im Schuldienst tätig ist, wird sein Name jedoch nicht veröffentlicht.

Print Friendly, PDF & Email
Schlagworte: ,

18 Kommentare zu “Egal, wie man es dreht und wendet: Sex ist unparlamentarisch!”

  1. Oli (HGW) sagt:

    Endlich spricht es jemand an. Sehr schön.
    Allein das Argument, dass Sex jetzt gänzlich unparlamentarisch sei, verstehe ich nicht. Spaßthemen wirft man ja auch nicht vor unangemessen zu sein. Dafür richten die Mainzer sogar regelmäßig ein eigenes Turnier aus.
    Wenn der Reiz der Sexthemen so groß ist, könnte sich dafür vllt. auch ein eigenes Turnier etablieren. Dafür würden dann andere Turniere verschont.

  2. Witthaut sagt:

    Toller Artikel! Aber eine Nachfrage: Wo ist die Grenze? Was ist gesellschaftlich noch relevant und was nicht? Gerade zum Beispiel die Frage nach Sex mit Robotern stellt die Frage wie wir mit Sexualität in der Gesellschaft umgehen (ähnlich dem Prostitutionsbeispiel). Das führst du aber auf unter den Themen, die wir sein lassen sollen. Ich gebe dir aber vollkommen Recht, was du in deinem Artikel beschreibst!

  3. Matthias sagt:

    Das Parlament ist Vorbild für den Modus des Debattierens, aber nicht zwangsläufig für die Inhalte. Es gibt fantastische Debatten über moralische Dilemma, die sich einem Parlament nie stellen würden. Außerdem beschäftigt sich der Bundestag ja gerade durchaus mit Sex.

    Sex, Geschlechterrollen usw. sind nun mal Themen, die in jeder Gesellschaft ständig neu austariert werden, auch wenn dies nicht unbedingt im Parlament stattfindet. Daher stellt es auch gutes Material für Debatten dar. Das wirkliche Problem sind sogenannte „Spaßdebatten“ die oft weder Spaß noch Debatte sind.

  4. Manuel A. (HB) sagt:

    Wenn Friebe redet, wird’s unparlamentarisch.
    Ansonsten einfach parlamentarisch bleiben, dann bleibt’s parlamentarisch.
    Siehe dazu beispielsweise http://www.youtube.com/watch?v=KL7lJU4ykiw#t=1m06s

  5. NE sagt:

    Die Dosis macht das Gift, finde ich.
    Der Artikel scheint mir eher Spassdebatten als solche zu betreffen; ich halte es fuer ein Geruecht, dass 1. das Potential fuer persoenliche Verletzungen bei Spassdebatten mit dem Thema Sex hoeher ist als bei (vielen, nicht allen) anderen Spassdebatten und dass 2. man eine Spassdebatte ueber Sex nur unparlamentarisch fuehren kann. Ich persoenlich sehe kein Problem mit Spassdebatten, wenn diese im richtigen Rahmen stattfinden. Bei Meisterschaften oder ernsthaften Turnieren, da muessen es wegen mir keine Spassdebatten sein, das halte ich fuer gut vertretbar. Bei Freundschaftsturnieren, als Spassturniere ausgerichtete Turnieren oder Anfaengerturnieren halte ich Spassdebatten fuer ueberaus sinnvoll, alleine aus Uebungszwecken. Ich wuerd mich Matthias also weitgehend anschliessen.. Spassdebatten die weder Spass noch Debatte sind, sind scheisse. Ganz einfach; zumindest eines davon sollte am Ende herauskommen, gute Spassthemen zu finden, vor allem fuer Anfaenger, finde ich sehr schwierig.

    PS: Das mit dem anonymen Artikel wegen „Schuldienst“ erscheint mir ein wenig uebertrieben. Ist doch ganz politisch korrekt der Artikel.

  6. Daniel (Heidelberg) sagt:

    Na, da muss ich aber für den Friebe mal eine Lanze brechen. Z.B. bei der NODM 2009 hat er in der Eichdebatte über die Zulässigkeit von gemalter/gezeichneter/animierter Kinderpornographie höchst parlamentarisch gesprochen und es verstanden, einfühlsame und sensible Argumentation mit bekannt grafischer Ausdrucksweise zu verbinden. Das war keine „Sex-Debatte“ wie vom Studienrat oben beschrieben, aber an Friebe liegt es jedenfalls nicht.

  7. Marco W. sagt:

    Das klingt ehrlichgesagt wieder einmal nach dem typischen: „Ich mag das nicht; deshalb gehört es verboten.“
    Debattieren ist nunmal das Auseinandersetzen mit allen Arten von relevanten Themen: Sex und Pornographie gehören dazu.

    Hier zu zwei Anekdoten:

    1) Ich denke nicht, dass das Israelische Team, das im EUDC 11 ESL Finale gegen die Existenz Gottes (mit aufgesetzter Kippa) debattieren musste, weniger ihrer Persönlichkeit in Frage stellen oder offenbaren musste, als jemand der zu Robotersex spricht. Wer wegen fehlendem Wissen Angst vor der Blamage hat, muss sich eben in diese Themen einlesen, genauso wie ich mich als Maschinenbauer in Rousseau einlesen musste, um nicht von den Geisteswissenschaftlern belächelt zu werden.

    2) Auf meinem ersten Debattierturnier (Potsdamer Punk-Turnier) gab es das Thema: „Brauchen wir eine Kondompflicht für Pornos?“. Diese Debatte war vollgepackt von schmierigen Anspielungen bis hin zu expliziten Erklärungen, worauf ein Mann beim Porno-schauen achtet und warum dies schützenswert sei. Es war eine Herausforderung im Sinne des Debattierens und erschien damals als eine absolut realitätsferne Debatte. Bis dann 2012 dieses Gesetz tatsächlich in LA inkraftgetreten ist.

    Debattieren lebt von der Vielseitigkeit. Lasst uns doch nicht spießiger als nötig sein.

  8. NE sagt:

    Sehr schön, Marco und Daniel.

  9. Jörn(Bremen) sagt:

    Ich finde es problematisch, wenn hier (aus meiner Sicht zurecht) von Kommentatoren die Nennung des eigenen Namens verlangt wird und die Angabe auch mitveröffentlicht wird, aber ein anonymer Text erscheint. Das Mittwochs-Feature soll wie in diesem Fall eine Debatte ergeben und zu einem guten Debattenbeitrag gehört, dass man entweder überzeugend lügt (meine Variante) oder wahrhaftig überzeugt (z.B. Filip B.). Welches Bild aber suggeriert ein Debatten-Beitrag, der zu dem man nicht stehen kann? Wahrhaftigkeit ist es meiner Meinung nach nicht.

  10. Jörn(Bremen) sagt:

    Randbemerkung 1: Im letzten Halbsatz ist ein „der“ zu viel.

    Randbemerkung 2: Ich stand vor der Aufgabe, Sexualität im Fach „Ethik“ (=Was soll ich tun?) zu behandeln, denn in der Schule gelangt Sexualität im Sandwich zwischen problemlösender Kommunikation und interkultureller Toleranz als rein biologisches Thema an seine Grenzen. „Was hat das mit Ethik zu tun?“, fragten meine Schülerinnen und Schüler nicht nur einmal zu Beginn. Aber nach der Unterrichtsreihe – bin ich mir sicher – war ihnen klar, dass es bei der Sexualität Relevantes gibt, dass nicht nur auf das Prahlen mit olympischem Verkehr und auf für sich behaltene Wünsche reduziert werden kann, sondern dass auch in diesem Bereich Dinge besprochen und diskutiert werden müssen. Eine entsprechende Sprache zu benutzen, setzt das natürlich voraus, aber wenn Achtklässlern das gelingt, warum sollte es dann nicht auch erfahrenen Debattierenden gelingen? Themen gibt es für und abseits von Spaßdebatten aus meiner Sicht genug.

  11. Michael (Boston) sagt:

    Okay, irgendjemand muss es sagen, also können wir es auch gleich hinter uns bringen: Ich habe auch das Gefühl, dass bei diesem Thema in Hinsicht auf Privatsphäre von Autor und Kommentatoren mit zweierlei ‚Latte‘ gemessen wird!
    Aber mal im Ernst, natürlich sind viele „Sex“- und „Porno“-Themen hochpolitisch und gehören zum debattierten politischen Kernverständnis unserer Gesellschaft. Anstelle vieler sei hier nur auf Rickard Falkvinges hochpolitischen (und sehr differenzierten) Beitrag von 2012 verwiesen. (http://falkvinge.net/2012/09/07/three-reasons-child-porn-must-be-re-legalized-in-the-coming-decade/)

  12. Sarah Kempf sagt:

    Dem Autoren geht es nicht um Anonymität innerhalb der Debattierszene, er möchte lediglich nicht in Verbindung mit dem Artikel für seine Schüler „googlebar“ sein. Daher haben wir uns entschieden, dem Wunsch ausnahmsweise zu entsprechen. Wer sich dafür interessiert, wer den Artikel verfasst hat (die Anzahl der „Debattier-Lehrer“ ist ja insgesamt ohnehin überschaubar), möge sich an die Redaktion wenden.
    Im Hinblick auf die hier abgegebenen Kommentare weise ich ein weiteres Mal darauf hin: Wer den Kommentier-Regeln zustimmt, muss kenntlich machen, wer er ist. Hier kann die Redaktion nämlich nicht zur Klärung beitragen. Bereits ausreichend sein können dafür je nach Person nur der Nachname, die Angabe des Vornamens in Kombination mit dem -im Zweifel auch abgekürzten- Nachnamen und/oder dem Club/ der Stadt. Nachahmenswerte Beispiele, siehe oben: Witthaut, Manuel A. (HB), Marco W., Daniel (Heidelberg), Jörn (Bremen) und Michael (Boston).

  13. Andreas Lazar sagt:

    Sex ist einer der wichtigsten Bestandteile im Leben der meisten Menschen und der Mechanismus der Fortpflanzung unserer Spezies. Er ist seit jeher von unzähligen gesetzlichen und gesellschaftlichen Geboten und Verboten umgeben und birgt in jeder Hinsicht unwahrscheinlich viel in sich, von seiner Wirkung auf die Kunst bis zur medizinischen Pathologisierung langsamerer weiblicher Erregbarkeit. Wenn es auf der Welt nicht um den Tod geht, geht es eigentlich meistens um Sex. Über dieses wichtigste aller Themen nicht zu debattieren fände ich daher sehr schade und falsch. Es ist nicht die Schuld des Themas, wenn einige wenige Debattierer*innen damit nicht angemessen umgehen können.

  14. NE sagt:

    Sarah,

    meine initialien variante ist nicht gut? Fühle mich doch etwas außen vor bei der Aufzählung nachahmeswerter namen 😉

    VG aus NY,

    Nicolas

  15. Nicolas F. (Göttingen) sagt:

    Erstmal @Daniel: Danke für die gebrochene Lanze…

    Zum Sex: Ich verstehe total die Frustration des Autors dass in vielen Debatten zum Thema Sexualität mit einigen Debattierern der Gaul durchgeht und man sich auf deutsch den allerletzten häufig sehr unappetitlichen Scheiß anhören muss. Allerdings liegt das seltener am Thema sondern zumeist am Redner. Dass viele Clubs ihre Redner nicht auf Sexdebatten vorbereiten scheint mir hier eher das Problem zu sein.
    Wer weiß was ihn erwartet kann frei entscheiden ob er über bestimmte Themen debattieren möchte. Wer keine Lust hat vor Leuten zu sprechen wird beim Debattieren nicht glücklich. Wer keine Lust hat über Sex gezwungermaßen öffentlich zu sprechen sollte vom Turnier fernbleiben. So einfach ist das.

  16. Jonathan Scholbach sagt:

    Verstehe ich das richtig, dass der Artikel ist eine Tabuisierung von Sexualität fordert? Warum soll uns das peinlich sein, über sexuelle Praktiken zu reden? Dass jemand einschlägige Begriffe kompetent verwenden kann, sagt doch nichts über sein privates Sexleben aus. Da ich mich als Germanist über Wirtschaft belese, um in Debatten fit zu sein, warum sollte ich mich nicht auch über Sex belesen? Beides weitet meinen Horizont, einer der in meinen Augen wichtigsten Effekte des Debattierens. Und gesellschaftlich gesehen ist Sex eines der größten Themen (ich stimme da völlig Andreas Lazar zu), was man schon an dem Umfang erkennen kann, den Sex im Internet einnimmt. Ein solch relevantes gesellschaftliches Thema der Debatte aufgrund verstaubter Sittlichkeitsvorstellungen (oder was war jetzt nochmal das *Argument* dafür, dass Sex „unparalamentarisch“ sei?) der Debatte zu entziehen hielte ich für eine fatale Entscheidung hinsichtlich der gesellschaftlichen Relevanz des Debattierens.
    Auch eine Chefjury, in der ich war, hat schon ganz bewusst ein Sex-Thema als Finalthema gesetzt. Meiner Meinung nach eignen sich Sex-Themen sogar besonders gut als Finalthemen, weil ihnen oft eine gewisse Unernstheit innewohnt, die Möglichkeit auch mal einen Witz zu machen. Ich persönlich halte es für viel schwieriger, wenn ich (als Finalredner) vor Publikum bspw. dafür sein muss, Menschen zu töten. Da ist ein Thema wie „DHW sexuelle Paraphilien als gleichberechtigte Spielarten der Liebe im Schulunterricht behandeln“ doch viel entspannter.

  17. Der Lehrer sagt:

    Der Artikel ist differenzierter als sein – zugegebenermaßen überspitzte – Titel.

    Ich kommentiere meinen eigenen Artikel eher ungern, aber hier scheint mir dieser Satz doch sehr angebracht. Ich stimme euch nämlich – mit wenigen Ausnahmen – völlig zu. Jörn, weil ich an der Schule genauso Sexualität und Gender thematisiere. Zum Beispiel heute in der ersten Stunde in einer 7. Klasse. Matthias, Andreas und Jonathan, weil ihr sagt, dass Sex gesellschaftlich relevant sei. Ganau das sage ich aber auch. Es geht ja gerade *nicht* um Tabuisierung von allem, was irgendwie mit Sex und Sexualität zusammenhängt (in der Tat, folgt man dem einen oder anderen Phychoanalysten lässt sich ja wirklich alles darauf zurückführen). Das steht oben aber auch bewusst ganz explizit so drin. Und daher führt der Hinweis auf die Relevanz von Sex meiner Meinung nach ins Leere.

    Möglicherweise kann ich diese Unschärfe an Marcos Anekdote veranschaulichen. Das Problem mit dem Kondomthema ist doch, dass sie in Los Angeles (ich habe die Debatte damals tatsächlich mit Feierabendrestinteresse verfolgt) so geführt wurde, wie auch sonst solche Themen:

    Pro: Problem = Aids. Kondom = Kein Aids.
    Contra: Pflicht = Zwang. Zwang = Pornodrehen im Untergrund

    Fertig.

    In einer studentischen Debatte, also unter uns, – und zwar *weil* wir unter uns sind und unter uns andere Angemessenheitsregeln gelten oder angenommen werden als in der realen Welt – läuft das natürlich nicht so ab wie in Los Angeles. Sondern so wie Marco es beschreibt. Da muss erstmal darüber geredet werden, wie der Mann Pornos anschaut, und aus welchem Winkel gefilmt werden muss und so weiter. Ich kann es mir sehr bildlich vorstellen, diese Debatte. Und ich würde mal behaupten, dass wir hier den Bereich des Geschmacks betreten und den Bereich der gesellschaftlichen Relevanz weitgehend verlassen. In dem Artikel steht, dass Themen, die dieser Dimension der Debatte Tür und Tor öffnen (auf den ersten Blick scheint mir Michaels Kinderpornographie-Thema dies *nicht* zu tun) nicht auf Turniere gehören. Dass Redner anders mit solchen Themen umgehen könnten, ist eine zusätzliche Forderung (die das Problem ja, soweit ich das verstehe, implizit anerkennt) die ich durchaus teile.

    Ich glaube wirklich kompliziert ist Willys Frage: Wo ist die Grenze? Auf diese Frage habe ich keine Antwort – weil es sie meiner Meinung nach einfach nicht gibt.

  18. Marco W. sagt:

    Lieber Lehrer:

    Selbst auf einem Punkturnier mit mir als damalige Debattier-Jungfrau, haben wir mehr aus dieser Debatte herausgeholt, als die LA’ler und deine Ausführungen zusammen. Nur um ein bisschen lustvolldie Fantasie anzuregen (mmmm 🙂

    Pro:
    – Aids vermeiden bei Darstellern ==> Verrohung von Pornografie macht freie Wahl für Darsteller unmöglich;
    – Porno als status-quo Aufklärungsmittel für Kinder und Jugendliche ==> Nachahmung von kondomlosen Sex durch fehlende Referenz ==> da Sex = Tabuthema (wie hoffentlich nicht auch bald im Debattieren) ==> Teeny-Schwangerschaften verhindern;
    – Kondom als „Normalität“ in Gesellschaft einführen ==> Realitätsverständnis wird durch wiederholtes ansehen und nachahmen auch bei erwachsenen geformt
    – etc.

    Kontra:
    – Porno als Kunstform ==> Künstlerfreiheit;
    – Recht der Erwachsenen auf Unterhaltung ==> Mehrheitsinteressen überwiegt ==> Mehrheit darf nicht bestraft werden (und ja hier kann/muss man erklären, was dieses Interesse ist. Bildhaft bietet sich bei diesem Thema an);
    – Ausgleich von nichtgelebter sexualität im echten Leben kann durch Pornos abgemildert werden ==> resultierende political correct Pornos = langweilig ==> durch Verbot entstehen entweder Underground-Pornos oder bei effektiver Durchsetzung Kompensation von Phantasien in Pornos fällt weg und führt zu Ausleben von Phantasien an (nicht immer willigen) Menschen;
    – Kein Schaden, da Pornodarsteller geschützt durch regelmäßige Tests

    6-8 x 7 Minuten und schon gab es viele Höhepunkte in einer tiefdringenden Debatte. Nicht alles muss trocken sein, damit es gut ist.
    (oh Gott, es ist schon spät und die Zweideutigkeit hinkt…)

Kommentare sind geschlossen.

Folge der Achten Minute





RSS Feed Artikel, RSS Feed Kommentare
Hilfe zur Mobilversion

Credits

Powered by WordPress.