Durch Debattieren sehr unterschiedliche Gruppen zusammenbringen: Der Debattierclub Knesset
Für Schüler gibt es Schuldebattieren, in mehreren Formen. Für Studierende gibt es, klar, den Verband der Debattierclubs an Hochschulen e.V. und oft mehr Turniere, als man an einem Wochenende besuchen kann. Für berufstätige ehemalige studentische Debattierer gibt es die Deutsche Debattiergesellschaft und den Masters‘ Cup. Und nun gibt es auch immer mehr außeruniversitäre Debattierclubs für Menschen, die ihre Argumentations- und Redefähigkeiten verbessern wollen. Einer dieser Clubs ist der Debattierclub Knesset in München.
Der Club wurde im Herbst 2012 auf Initiative der Europäischen Janusz Korczak Akademie e.V. (EJKA) von Georg Shparberg, Roman Grinblat und Tamás Kanyo gegründet und nach dem israelischen Parlament benannt. Die Treffen finden regelmäßig alle sechs Wochen statt, meist in den Räumen der Akademie in München, aber auch schon bei Gastspielen in Nürnberg und Dortmund und bald in Erfurt. Die Clubmitglieder halten dabei entweder selbstständig Debatten oder laden externe Referenten für Workshops ein, aus dem Universitätsdebattieren beispielsweise bereits Wladislaw Jachtchenko, Igor Gilitschenski und mich. Die Zielgruppe sind jüdische junge Erwachsene, Studierende und Young Professionals, aber auch jeder andere, der Interesse an Rhetorik und Argumentation hat. Die Ansprache läuft laut Roman Grinblat meist über persönliche Kontakte sowie über soziale Netzwerke.
Der Club wird durch Förderprogramme der Jewish Agency for Israel, der größten jüdischen Nonprofit-Organisation der Welt, sowie von der Korczak-Akademie finanziell und organisatorisch unterstützt (Janusz Korczak war ein jüdisch-polnischer Arzt und Leiter eines Waisenhauses im Warschauer Ghetto, der bei der Räumung des Ghettos mehrere Fluchtangebote ausschlug. Stattdessen begleitete er seine Waisen ins Vernichtungslager Treblinka, wo sie ermordet wurden). Die Jewish Agency for Israel und die Korczak-Akademie wollen so die rhetorische und politische Bildung jüdischer Deutscher fördern: Georg Shparberg nennt das Beispiel, dass die jüdischen Gemeinden in Deutschland sehr unterschiedliche Gruppen zusammenbringen müssen, von alteingesessenen Juden über Einwanderern aus dem ehemaligen Ostblock bis hin zu jungen Israelis, die in Deutschland Fuß fassen wollen. Da sei jede Unterstützung, um besser miteinander reden zu können, sehr hilfreich. Auch nicht in Gemeinden aktive Teilnehmer seien für Tipps zur Überzeugungsarbeit und ein besseres Auftreten bei Referaten oder geschäftlichen Verhandlungen dankbar.
Die Debattierthemen drehen sich um jüdisches Leben in Deutschland, aber auch um allgemeinere Fragen. So debattierten die Teilnehmer in Dortmund beispielsweise, ob die jüdischen Gemeinden auch patrilineare Juden ohne Konversion aufnehmen sollen. Diese Menschen werden in vielen Ländern als Juden behandelt, obwohl nach dem jüdischen Religionsgesetz, der Halacha, nur Jude ist, wessen Mutter Jüdin ist, was in Deutschland zu Schwierigkeiten in den örtlichen Gemeinden führen kann. Die konservativeren Redner befürworteten kleinere, weniger „verwässerte“ Gemeinden, während die liberaleren Teilnehmer für mehr Offenheit und größere Gemeinden plädierten. Weil das Seminar in der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund stattfand und es Sabbat war, an dem für religiöse Juden Arbeiten verboten ist, machte sich niemand Notizen, und auch ich verzichtete auf meinen Laptop und eine Präsentation.
In den Räumen der EJKA in München geht es bei Themen wie „Soll die Kirchensteuer abgeschafft werden?“ oder „Soll die digitale Manipulation von Werbefotos kenntlich gemacht werden?“ lockerer zu, umrahmt von Übungen, Theorie und koscheren Brotzeiten. In der Facebook-Gruppe des Clubs Knesset debattieren die Mitglieder diese und andere Themen weiter und weisen einander auf vertiefende Materialien und interessante Termine hin. Durch die unterschiedlichen Perspektiven der in vielen verschiedenen Ländern geborenen, orthodoxeren oder progressiveren, in allen Sparten studierenden oder arbeitenden, als Juden in Deutschland lebenden Teilnehmer entstehen häufig lebhafte und lehrreiche Diskussionen, z.B. über die Wahrnehmung von Edward Snowden oder die Wichtigkeit von Ehen.
So erdiskutieren oder besser erdebattieren sich die Mitglieder des Debattierclubs Knesset beim Reden als Sport viel konkreten Nutzen für ihr Leben. In den Evaluationen am Ende der Workshops erwähnen die Teilnehmer aber auch immer wieder, dass die Übungen und die Debatte ihnen sehr viel Spaß gemacht hätten und sie beim universitären Debattierclub in ihrer Nähe vorbeischauen möchten. Georg und Roman waren auch schon als Zuschauer beim Finale der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2013 dabei, das sie sehr beeindruckt hat. Ob in oder um Unis, Debattieren hat für jeden was!
Text: Andreas C. Lazar/kem
Das Mittwochs-Feature: jeden Mittwoch ab 9.00 Uhr stellt das Mittwochs-Feature eine Idee, Debatte, Buch oder Person in den Mittelpunkt. Wenn du selbst eine Debatte anstoßen möchtest, melde dich mit deinem Themen-Vorschlag per Mail an team [at] achteminute [dot] de.
Andreas C. Lazar wurde in der Kategorie English as a Foreign Language (EFL) Vizeweltmeister im Debattieren des Jahres 2010 sowie Bester Redner (EFL) der Weltmeisterschaft 2011. Er war Chefjuror der ZEIT DEBATTE Stuttgart 2010 sowie des Stuttgarter Punkturniers 2011. Seit Oktober 2013 ist er Weltrekordhalter im Dauerdebattieren (48 Stunden und 15 Minuten). In den Amtsjahren 2005/06 und 2007/08 war er Präsident des Debattierclubs Stuttgart e.V. An der Universität Stuttgart promoviert er am Institut für Erziehungswissenschaften.