Denn sie wissen nicht, was sie tun: „die debatte“ im ZDF
Vielleicht war alles nur ein großes Missverständnis. Am Donnerstagabend zeigte das ZDF „die debatte“ im Abendprogramm, als Ersatz für Maybrit Illners Talkshow. Talkshows sind beim Publikum gerade nicht besonders beliebt, erstens gibt es zu viele von ihnen, zweitens führen sie selten zu neuen Einsichten. Die Verantwortlichen, die eine Debatte im ZDF zeigen wollten, suchten deshalb wohl eine Alternative zum üblichen Durcheinanderblöken ohne Erkenntnisgewinn. Das Debattieren, das sich idealerweise durch tiefschürfende Analysen auszeichnet, sollte die Lösung sein. Die Idee war gut, leider griff die Umsetzung zu kurz. „Das Besondere an der Debatte ist das unbedingte Sich-gegenseitig-ausreden-lassen“, betonte Theo Koll, Moderator von „die debatte“, und auch im Nachmittagsprogramm wurde die Sendung vorab mit dem Hinweis angepriesen, dass „man ausreden darf – allein das ist ja schon einmalig“. Das ZDF weckte große Hoffnungen bei der deutschsprachigen Debattierszene, ihr Hobby durch die Sendung prominenter machen zu können. Zwanzig Mal wurde auf Facebook die Ankündigung der Achten Minute geteilt, dass „die debatte“ endlich „richtiges“ Debattieren im Fernsehen zeige. So lobenswert der Ansatz auch war: Bei der Premiere am Donnerstagabend stellte sich heraus, dass Ausredendürfen allein noch keine Debatte macht, erst recht keine originelle Sendung.
Das Problem begann schon damit, dass sich der „provokanten These“ (Koll) keiner der Gäste so recht anschließen mochte. „Die Alten leben auf Kosten der Jungen“ lautete sie und hätte von der Pro-Fraktion befürwortet werden sollen. Katharina Nocun (26), politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, und Wolfgang Gründinger (29), Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, gaben sich stattdessen zurückhaltend. „Wir brauchen euch Alte als Bündnispartner“, warb Gründinger um die Zuneigung der Babyboomer, und auch Nocun scheute die Konfrontation: „Wir müssen mit dieser Debatte aufhören und stattdessen gemeinsam mit Mut in die Zukunft schauen.“ Während die IQ2 Debates 2011 bewiesen hatten, dass man über das Thema unterhaltsam streiten kann, blieb „die debatte“ reichlich dröge.
Gemeinsame Suche nach dem Feindbild
Der Reiz des Debattierens liegt darin, in eine Rolle hineinschlüpfen zu können und losgelöst von der eigenen Meinung zu argumentieren. Genau deshalb macht es Spaß, provokante Thesen zu verteidigen. Dass dieses Konzept nicht durchgehalten werden kann, wenn Politiker vor Fernsehpublikum debattieren, liegt auf der Hand. Gründinger ist SPD-Mitglied, Nocun ist Bundestagskandidatin für die Piratenpartei. Keiner von beiden wollte wohl den Fehler begehen, sich wie Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union Deutschlands, schon zu Beginn der eigenen Karriere unbeliebt zu machen. Vermutlich spukte Gründinger noch Mißfelders Äußerung aus dem Jahr 2003 durch den Kopf, als er beteuerte: „Es geht mir nicht darum, den Alten ihre Rente wegzunehmen oder die Hüftgelenke.“ Einig waren sich Nocun und Gründinger deshalb mit den „Alten“, in der Sendung repräsentiert durch Kurt Beck (64) und Heiner Geißler (83), dass man nicht eine Generation gegen die andere ausspielen dürfe.
Weil Debattieren ohne Konfrontation aber keinen Sinn ergibt, musste trotzdem ein Feindbild her. Geißler entschied sich wenig überraschend für den Kapitalismus, Beck wählte einen noch bequemeren Weg und befand, jede Generation habe es eben auf ihre Weise schwer. Eine These, die nicht zu widerlegen ist, garantiert die Gunst des Publikums.
Ausreden lassen? Vielleicht beim nächsten Mal
Um beide Fraktionen auseinanderhalten zu können, wurden die Redner in der Sendung hinter farbigen Stehpulten platziert wie in einer x-beliebigen Quizshow. Dieses Mal durfte, wie im Debattieren üblich, die Pro-Seite beginnen. In der 3sat-Debatte, die das erste Mal Debattieren im Abendprogramm gezeigt hatte, war das noch anders gewesen. Im gemütlichen kleinen Studio hatten Gesine Schwan und drei damals noch wenig bekannte Intellektuelle einander gegenüber gesessen und darüber gestritten, ob der Islam zu westlichen Werte passe. Im direkten Vergleich der beiden Sendungen kam „die debatte“ im ZDF schlechter weg. Das lag nicht nur an der Wahl des Themas und der Gäste, sondern auch am konfusen Konzept der Sendung. Das vorab gerühmte „Ausredenlassen“ war nicht durchgängig möglich. Bei den Eröffnungsreden der vier Gäste wurden ihnen die wichtigen 15 Schlusssekunden gestohlen, weil sie von bedrohlicher Musik und dem eingespielten Ticken einer Uhr übertönt wurden.
Und überhaupt, die Technik. Die Stärke des Debattierens ist, dass es eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung ermöglicht. Es blieb ein Rätsel, warum Koll wie ein unerfahrener Lehramtsanwärter willkürliche Infohäppchen in Form von Graphiken und Twitterbeiträgen einstreute, auf die kein Bezug mehr genommen wurde. Als erahne er die Sinnlosigkeit seiner Handlung, relativierte er einen seiner Beiträge fast entschuldigend mit dem Hinweis: „Dies nur ganz kurz zur Anmerkung.“ Die Widersinnigkeit der angeblichen „Debatte“ gipfelte schließlich in einem Stream am unteren Bildschirmrand, in dem während eines Redebeitrags von Geißler Tweets durchliefen. Als Zuschauer musste man sich fragen: Zweifelt die Redaktion an der Relevanz von Geißlers Worten? Oder weiß sie einfach nicht, was sie da macht?
Wer am wenigsten Fehler macht, gewinnt
Immerhin in einem Punkt ähnelte „die debatte“ einigen echten Debatten: Am Ende gewannen die Redner, die am wenigsten falsch machten. Nocun und Gründinger konnten ihre Nervosität insbesondere zu Beginn der Sendung nicht verbergen, beide schienen Auswendiggelerntes herunterzuleiern. Gründinger schaute länger auf seine Notizen als ein Nachrichtensprecher und verhaspelte sich („ich hatte immer ein warmes Dach über dem Kopf“), wie Nocun richtete auch er immer wieder starr den Blick in die Kamera. Dieses Durchbrechen der vierten Wand brachte die Redner dem Zuschauer ungewohnt nah, jedes unsichere Stocken geriet zur quälenden Ewigkeit. Geißler und Beck hingegen ließen den Blick frei schweifen und reicherten ihre Reden mit weitgehend inhaltsleeren, aber unterhaltsamen Bildern an, sie parierten die Attacken der Jungen ohne Mühe und schafften es so, die Stimmung zu ihren Gunsten zu drehen. Im Studio hatten vor der Sendung 62 Prozent der These „Die Alten leben auf Kosten der Jungen“ zugestimmt, 23 Prozent hatten sie abgelehnt. Nach der Sendung bot sich das umgekehrte Bild: 64 Prozent lehnten die These ab, nur noch 36 Prozent befürworteten sie.
Zwei Millionen Zuschauer haben die Sendung verfolgt. Eine solche Reichweite ist ein Traum für die Anhänger eines Nischensports. Ob aber „die debatte“ dem Debattieren tatsächlich einen Gefallen getan oder vielmehr einen Bärendienst erwiesen hat, wird sich zeigen. Fest steht: Das ZDF hat eine große Chance vertan. Im Grunde war „die debatte“ nämlich doch nur eine Talkshow, die wenig neue Einsichten und viel Raum für die Eitelkeiten der Gäste bot.
Wer die Sendung verpasst hat, kann sie hier in der ZDF Mediathek anschauen.
kem/fpu
Hier ist noch ein Format, das das Debattieren auch versucht, sogar schon länger. Leider unregelmäßig und ohne Fernsehkameras:
http://www.disput-berlin.de/
Danke für diesen großartigen Einblick, Sarah! Jetzt weiß ich zumindest ganz genau, dass ich nichts verpasst habe.
Danke für den Artikel, Sarah! Traurig ist an der Sache, dass man das von dir dargestellte Hauptproblem des „Merkelns“ (sich bloß keine Feinde durch Festlegen auf eine klare Position zu machen) natürlich erwarten konnte. Das ZDF ist der Überlegung auf den Leim gegangen, dass man Debatten im Fernsehen nur anschaut, wenn dort interessante Namen debattieren.
Mein Vorschlag an das ZDF wäre: Lasst richtige Profis dran, nämlich Teams von den Hochschulen, die den Sport beherrschen. Wählt Themen, die aktuell bewegen, statt Themen, zu denen sich gerade semi-prominente Redner finden lassen.