Über die Relevanz und die Jurierung von Zwischenfragen/ POIs in BPS
Während in OPD die Qualität und – in gefühlt deutlich geringerem Ausmaß – auch die Quantität von Zwischenfragen explizit in der Jurierung berücksichtigt wird (was man gut oder schlecht finden mag), gibt es in BPS eine solche explizite Bewertung nicht. Dementsprechend gibt es unter Juroren teils recht große Diskrepanzen bezüglich des Stellenwertes, den Zwischenfragen bzw. points of information (POIs) in der BPS-Jurierung haben sollten. Weil POIs jedoch auch (oder vielleicht sogar gerade) in BPS ein sehr wichtiges strategisches Mittel sind, widmet sich dieser Artikel der Frage, wie POIs in BPS möglichst einheitlich bewertet werden können.
Zur Relevanz
BPS ist ein Format, das von der Auseinandersetzung mit der Gegenseite und der Interaktion der Teams lebt. Hierbei sind POIs ein sehr zentrales Element. Sie ermöglichen es, auf Widersprüche hinzuweisen, Argumentationslücken aufzudecken, (Gegen-)beispiele einzubringen, die eigenen Punkte wieder in der Debatte präsent zu machen oder auch einfach für Klarheit zu sorgen. Gerade für die Interaktion der „Diagonalen“ (also 1. Opp vs. 2. Reg und – noch wichtiger – 1. Reg vs. 2. Opp) sind POIs von immenser Bedeutung, da diese Teams wenig bis gar nicht in ihren Reden direkt aufeinander antworten können. So sollte m.E. jeder Redner einen POI der Gegenseite annehmen (am besten aus der Diagonale). Für die Schließenden Parteien besteht in meinen Augen sogar die Pflicht, dem gegnerischen eröffnenden Team die Möglichkeit zum POI zu geben, denn nur so hat das Team die Möglichkeit sich mit ggf. komplett neuem Material überhaupt auseinanderzusetzen. Im internationalen Bereich besteht angesichts der angeführten Gründe sogar die Tendenz, eine zweite Frage dran zu nehmen; drei angenommene POIS pro Team sind hier Standard. Das war auch die offizielle Ansage der CAs bei den letzten Euros.
Ein Vorschlag zur Jurierung
Nun stellt sich jedoch die Frage: Wie bewertet man diese Form der Interaktion? Wie geht man als Juror damit um, wenn ein Team zum Beispiel gar keinen POI der Gegenseite annimmt (was im deutschsprachigen Debattieren leider nicht allzu selten vorkommt)? Ich bin der Meinung, POIs sollten als ein wichtiger Indikator dafür bewertet werden, wie gut sich die Teams mit einander auseinander gesetzt haben, was wiederum ein zentrales Element der relativen Bewertung in BPS ist. Wenn ein Team sich sehr gut mit den POIs der Gegenseite auseinander gesetzt (und selbst gute eingebracht) hat, während ein anderes Team wie oben beschrieben die POIs der Gegenseite komplett abblockt, vermittelt dieses Team den Eindruck, dass es der Auseinandersetzung mit der Gegenseite lieber aus dem Weg geht. Das ist m.E. ein Argument dafür, dass dieses Team im direkten Vergleich das Nachsehen haben sollte. Auch sollte eine starke Diskrepanz hinsichtlich der POIs zwei Teams in der Bewertung näher zu einander bringen, wenn das ansonsten stärkere Team trotz wiederholt angebotener POIs abblockt und sich nicht darauf einlässt. Guter oder schlechter Umgang mit/ Einsatz von POIs sollte zwar nicht dazu führen, dass ein Team den Vergleich mit einem anderen Team automatisch gewinnt oder verliert, aber es sollte ein wichtiges Indiz für die Entscheidung sein.
Ich denke, gerade weil es in der Jurierung bisher mitunter kaum oder gar nicht gewürdigt worden ist, haben Teams einen Anreiz, keine POIs der gegnerischen Seite anzunehmen, um zum Beispiel nicht Gefahr zu laufen, dass die eigene Extension durch einen POI substanziell geschwächt wird. So komme ich zu der Schlussfolgerung, dass POIs in jedem Falle in der Jurierung und ganz besonders auch im Feedback berücksichtigt werden sollten. Andernfalls „belohnt“ man Teams dafür, die Auseinandersetzung zu meiden, was nicht im Sinne des Formats und des Debattierens allgemein sein kann. Hier wäre für die Zukunft auch etwas Nachdruck seitens der CAs wünschenswert, um mit Ansagen wie auf den Euros oder kürzlich auch beim Berlin IV die Teams und Juroren auf eine Linie zu bringen.
Text: Tobias Kube mit Unterstützung von Hauke Blume
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Tobias Kube studiert in Marburg und ist dort im Debattierclub Brüder Grimm aktiv. 2012 gewann der Nachwuchspreis der Deutschen Debattiergesellschaft.
In BPS soll das Team gewinnen, das den relevantesten Punkt gebracht hat, der am Ende noch steht. Kriterien wie „Hat er eine POI drangenommen?“, „Kam das Argument erst in der letzten Minute?“, „Hat sie/er seine/ihre Rolle erfüllt?“ sind formale Bewertungen, auf die man erst dann zurückgreifen sollte, wenn auf inhaltlicher Ebene ein Patt eingetreten ist. Deswegen halte ich solche Formulierungen wie „Ich bin der Meinung, POIs sollten als ein wichtiger Indikator dafür bewertet werden, wie gut sich die Teams mit einander auseinander gesetzt haben, was wiederum ein zentrales Element der relativen Bewertung in BPS ist.“ für zu schwammig – das scheint mir zu suggerieren, dass man pauschal die Interaktion bewerten soll, die anhand formaler Kriterien zu bestimmen wäre. Darum geht es aber m.E. nicht, sondern darum, wer am Ende Recht behalten hat, im oben genannten Sinne.
„In BPS soll das Team gewinnen, das den relevantesten Punkt gebracht hat, der am Ende noch steht. “
Was für ein Unsinn. Wenn dann die vorderen Teams diesen Punkt einbringen, kann hinten ja nicht gewinnen. Und was ist mit Schlussreden? Und die Argumente von vorne haben viel mehr Zeit, angegriffen zu werden.
Jonathan, da bin ich leider nicht deiner Meinung. Eventuell ist der relevante Punkt nur deshalb relevant geblieben, weil dem eröffnenden Team die Möglichkeit genommen wurde darauf zu reagieren. Wenn ein schließendes Team diese Möglichkeit verwehrt, sollte das natürlich in die Bewertung eingehen.
Es ist vielleicht damit zu vergleichen, dass ein Redner nach 7 Minuten noch ein wichtiges Argument ausführt/zu Ende führt. Natürlich hat er dann etwas sehr relevantes zur Debatte beigetragen, trotzdem geht das Argument nicht/weniger stark in die Bewertung ein.
Meiner Meinung nach, ein sehr wichtiger Artikel, Tobias!
@In BPS soll das Team gewinnen, das den relevantesten Punkt gebracht hat, der am Ende noch steht.
Ich denke, ganz so einfach ist es nicht. Ein Beispiel:
Angenommen die Eröffnende Regierung ist sehr stark, die Eröffnende Oppostion und die Schließende Regierung sind sehr schwach. Dann kommt die Schließende Opposition und bringt eine gute (relevante und gut ausgeführte/ begründete) Extension. Der Schlussredner der Regierung, der einzige in der gesamten Debatte ist, der überhaupt in der Rede auf die SO eingehen kann, vergisst das Rebuttal oder ist im Rebuttal einfach zu schwach, um die Extension der SO zum Fallen zu bringen. Gleichzeitig blocken beide Redner der SO POIs (wenn viele angeboten, v.a. von der ER) komplett ab. (Mit der anderen Diagonalen würde das Beispiel natürlich fast ebenso funktionieren).
Wie wollen wir hier jurieren? Wollen wir wirklich sagen „Tja, Pech gehabt, liebe ER“ und die SO dafür belohnen, die Auseinandersetzung zu meiden, um zu verhindern, dass die eigene Extension angegriffen wird? Wenn wir so jurierten, hätte aus strategischer Sicht jedes gute Schließende Team einen Anreiz, keinen POI anzunehmen. Das wäre m.E. ein systematischer Nachteil für die eröffnenden Teams, v.a. wenn bei den schließenden Teams das eine klar besser als das andere ist. Das kann doch nicht im Sinne des Debattierens sein, wo die kritische Würdigung eines anderen Standpunktes und die inhaltliche Auseinandersetzung von zentraler Bedeutung ist.
@ Alex: Hinten kann einfach einen relevanteren Punkt einbringen, oder erklären, warum er relevanter ist. Relevanz kann ja auch erzeugt werden. Und: Ja, die Argumente von vorn haben mehr Zeit angegriffen zu werden. Dafür sind hinten oftmals viele gute Punkte schon „weg“ – das sind eben Merkmale des Formats. [PS. Bitte nicht beleidigen. :-)]
@ Christian: „dass ein Redner nach 7 Minuten noch ein wichtiges Argument ausführt/zu Ende führt.“ – doch, genauso sehe ich das. Wann ein Argument gemacht wird (solange es vor 7:15 ist), ist völlig egal. Wenn das Argument steht, dann kann es für den Sieg entscheidend sein. Natürlich ist es schwer, ein Argument in 10 Sekunden so gut zu machen, dass es stehen bleibt und seine Relevanz klar wird. Aber wenn es gelingt, dann ist das OK.
@ Tobi: Ich spreche vom Regelfall. Wenn es möglich ist, das System zu hacken, muss man das als Juror berücksichtigen. Aber dennoch ist das erste Kriterium der Inhalt, formelle Fragen sollten nur in Ausnahmen herangezogen werden, bei Patt oder Hack. Man sollte meiner Meinung nach nicht die Ebenen vermischen, und formale und inhatliche Punkte miteinander in eine Topf werfen. Wenn jemand keine Zwischenfrage drannimmt (obwohl ausreichend angeboten wurde), ist das so zu interpretieren, als habe er die bestmögliche Frage schlechtmöglichst beantwortet.
Nochmal @ Tobi: Was ich sagen will, ist: Wir sollten kein formelles Kriterium einführen, das etwa „Auseinandersetzung“ heißt, wir sollten nicht sagen: „Dieses Team hat gewonnen, weil es sich besser auseinandergesetzt hat.“ Sondern wir sollten sagen: „Die SO hatte das relevanteste Argument. Allerdings haben sie der ER keine Möglichkeit gegeben, es anzugreifen. Weil sie mit dieser Strategie das System hacken könnten, landen sie hinter der ER, die danach das beste Argument hatten. SO landet auf zwei, weil sie den relevanteren Punkt als EO hatten und SR es nicht geschafft hat, sie zu widerlegen.“
Warum sollten wir das so machen? – Sonst könnte es dazu kommen, dass jemand auch in Situationen, in denen es kein Hack sein konnte, wegen schlechterer Auseinandersetzung verliert, obwohl er inhaltlich gewonnen hat. In der klassischen Fehljurierung sagt der Chair, dass Team A verloren hat, weil es zu wenig Zeit auf das Rebuttal gegen B verwendet hat – was oftmals als Indiz für schlechte Auseinandersetzung gewertet wird. Das ist aber egal. Wenn das Rebuttal ausreicht, um die Gegenseite zu widerlegen, dann setzt sich A vor B. Das kann im krassesten Fall ein einziger Satz sein.
Das gute alte „Good cop, bad cop“-Bild!
Wie soll es eine möglichst objektive Jurierung sein, wenn man sich vorstellt, ein Team habe eine „bestmögliche Frage schlechtmöglichst beantwortet“? Was für eine Frage soll das sein und was für eine Antwort? Ich würde sehr stark davon abraten, sich zu erträumen, ein Team habe irgendetwas gesagt, und das gar in die Bewertung einfliessen zu lassen! Was zählt, ist aufm Platz …
Um Teams auf der langen Diagonalen (ER-SO) zu vergleichen, empfehle ich stattdessen folgendes Vorgehen:
1. Explizites (P)rebuttal und/oder einander gestellte Zwischenfragen bewerten.
2. Falls es kein 1. gibt, implizites (P)rebuttal bewerten.
3. Falls es kein 2. gibt, im Jurorenpanel über Metriken zur Bewertung der genannten Argumente einig werden.
Natürlich wird die Wertung immer subjektiver, je weiter nach unten man auf dieser Liste kommt, darum verhindern gute Teams eine solche Willkür, indem sie für ausreichend Interaktion sorgen. Keine Zwischenfragen dranzunehmen sieht auch einfach schlecht aus, nicht weil das ein formales Kriterium verletzen würde (ich stimme mit Jonathan überein, dass Formales fast nie Maßstab der Bewertung sein sollte), sondern weil es mitunter offensichtliche Fragen zu den eigenen Argumenten unbeantwortet lässt und so wirkt, als könnten die Argumente vom nächsten Windhauch umgeblasen werden, so dass man als JurorIn lieber mal genauer hinschaut. Der Umgang mit POIs sollte also ins Jurieren einbezogen werden, aber nicht aus formalen Gründen, sondern aus holistischen.
@ Andreas: Diese Ergänzung stimmt natürlich. Ich sehe es aber wie Tobi, dass man einem Hacking des Systems vorbeugen muss. Der kritische Fall ist doch: ER war sehr stark, wird aber von SO rebuttalt. SO ist sehr stark, entzieht sich aber – willentlich oder unwillentlich – dem Rebuttal durch die ER. In diesem Fall wirken die drei Punkte, die man im regulären Fall anwenden sollte, nicht.
Wenn man die bestmöglichste Frage schlechtmöglichst beantwortet, ist der eigene Punkt gefallen 🙂
Wenn die Schließende Opposition eine sehr starke Eröffnende Regierung widerlegt und ihre Argumente auch ohne gegnerische Zwischenfragen Bestand haben, sollte sie gewinnen …
Der erneute Hinweis: wer angibt “Ja, ich habe die Kommentier-Regeln gelesen und akzeptiere sie” hat auch diese Passage der Kommentierregeln akzeptiert: “Die Achte Minute bietet den Lesern die Möglichkeit, eigene Leserkommentare zu veröffentlichen. Voraussetzung für eine Veröffentlichung ist, dass die Verfasser und Verfasserinnen ihren wirklichen Namen nennen, das heißt, in der dafür vorgesehenen Maske den korrekten Vor- und Nachnamen eingetragen haben.”
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Eine interessante Diskussion. Dazu gab es vor einiger Zeit auch den Vorschlag POIs ganz abzuschaffen:
https://www.achteminute.de/en/20130205/abolish-points-of-information-doug-cochrans-thoughts-on-how-to-improve-pois/
Insbesondere der letzte Absatz, in dem man einfach jedem Team genau eine Frage erlaubt, könnte eine sinnvolle Regelung sein für die Zukunft.