Mit statt ohne Zettel – Sabrina Göpel über ihre Juriererfahrungen beim Streitkultur-Cup in Tübingen
Auch wenn es die Tübinger Streitkultur bei ihrer offenen Vereinsmeisterschaft den Rednern untersagt, bei ihren Reden Notizen zu verwenden: als Juror ist einem der Luxus vergönnt, Zettel und Stift zu nutzen – immerhin soll es bestmögliche Bewertungen und gerechtes Feedback geben, da reicht der mentale Notizblock dann doch nicht ganz aus.
Für mich war der diesjährige Streitkulturcup ein ganz besonderes Turnier: Nicht nur, dass das Turnier das bereits zehnte Jubiläum feierte, der Streitkulturcup des letzten Jahres war mein erstes Debattierturnier überhaupt und so war am letzten Wochenende quasi Einjähriges angesagt. Dieses Mal trat ich allerdings nicht als Rednerin an, sondern durfte das Turnier an der Seite eines wunderbaren Jurorenpanels verfolgen. Da es am Samstag schon in aller Frühe losgehen sollte, reisten wir Marburger schon am Freitagabend an. Nachdem wir zum Auftakt des Wochenendes der Stammkneipe der Tübinger Debattierer einen Besuch abgestattet hatten, stand das Turnier unter einem guten Stern und wir konnten in aller Frische am nächsten Morgen zur Tat und Rede schreiten.
Pauline schaffte es dieses Mal, die kürzeste aller OPD Einführungen zu halten, die die Debattierwelt je gesehen bzw. in diesem Falle gehört hatte – auf die sonst obligatorische Präsentation wurde wundersamerweise vollständig verzichtet! Auch was die Themenverkündung anging, hatten die Chefjuroren Pauline Leopold und Tobias Kube sowie der Tabmaster Willy Witthaut eine erfrischende Idee: vor jeder Motion wurde ein Zitat aus der Themenfindungsphase an die Wand geworfen, dass einer der Drei von sich gegeben hatte (zumindest behaupteten sie dies). Für die erste Vorrunde bekamen wir dieses hier zu sehen: „Wenn ich könnte, würde ich euch alle umbringen“ (Pauline). Das passende Thema hierzu lautete „Brauchen wir einen Mindestpreis für tierische Nahrungsmittel?“ Auch wenn dieses Thema bei uns in Marburg aufgrund eines überdurchschnittlich hohen Vegetarieranteils sicherlich auf fruchtbaren Boden fallen würde, ging es in meinem Raum bei dieser Debatte mehr um die subjektive Wertschätzung von fleischhaltigem Essen, artgerechte Tierhaltung und Qualitätssteigerung von Fleischprodukten als um die Probleme übermäßigen Fleischkonsums. Aufregend war diese Runde aus meiner Perspektive in der Hinsicht, als dass ich als Hauptjurorin gesetzt wurde und somit Feedback geben musste, was ich zuvor noch nie auf einem Turnier gemacht hatte. Zum Glück wurde ich tatkräftig von Tom-Michael Hesse unterstützt, was mir nach dem Schubs ins kalte Wasser dann doch ein wenig mehr Sicherheit gab.
Nach der Runde konnten wir uns erst einmal kurz erholen und mit Pizza und Falafel stärken, dann gab es auch schon das nächste Thema. Frei kommentiert von Tobi „Und ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich sage: Letzten Endes, wer wollte das bestreiten?!“ hieß es dieses Mal: „Sollen alle in Deutschland lebenden Menschen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit das aktive Wahlrecht bei Bundes- und Landtagswahlen erhalten?“ Zusammen mit ebendiesem Chefjuror und noch einem weiteren Juror aus dem Panel durfte ich diese Runde noch einmal als Hauptjurorin erleben. Auch wenn – oder vielleicht auch gerade weil – ab und an ein wenig abstruse Ideen bei diesem Thema aufkamen, war die Debatte unterhaltsam und interessant anzuhören. Ob Integration an Wahlrecht gebunden ist, wie Migranten sich in Deutschland Gehör verschaffen können und was für eine lebhafte Demokratie das Beste ist, all dies wurde hitzig debattiert. Wie auf Turnieren unserer Szene gar nicht anders bekannt, gab es nach dieser Runde wieder einmal etwas zu essen, wer aufgepasst hat, weiß, es folgen Kaffee und Kuchen.
Doch schritten wir relativ schnell weiter und kamen sogleich zur letzten der drei Vorrunden dieses Turniers. Willy äußerte sich wie folgt zum anstehenden Thema: „Das ist wie Porno gucken mit 13 – schon cool, aber auch irgendwie eklig“ Tatsächlich drehten sich die Debatten hierum: „Sollen deutsche Medizinstudierende vor Abschluss ihres Studiums in Entwicklungsländern als vollwertige Ärzte arbeiten dürfen?“ An der Seite von Nicolas Friebe konnte ich dieser Debatte etwas entspannter lauschen, da dieses Mal kein Feedback auf dem Programm stand. Sollten wir in Kauf nehmen, junge Studenten kurz vor Abschluss ihres Medizinstudiums in Brennpunktländer zu schicken, weil sie dort dringend gebraucht werden? Oder ist es besser, wenn sie in Deutschland Praxiserfahrung sammeln, bevor sie in den Dienst entlassen werden? Solche und andere Fragen provozierte die abendliche Motion.
Gefolgt wurde die Runde von einem schnellen Abendessen und gleich darauf von der Break-Verkündung, schließlich mussten wir noch in die großartige Finallocation umziehen, der Hörsaal der alten Anatomie der Uni Tübingen, der durch seine unglaublich steilen Ränge beeindruckt. Den Sprung ins Finale schafften die Teams Heidelberg Philosophenweg (Daniel Sommer, Khang On, Jan Lüken) auf Seiten der Opposition und Mainz Berti (Christian Strunck, Allison Jones, Nicolas Eberle), welche als Regierung antraten. Als Fraktionsfreie Redner durften Simon Lehle (SK Tübingen), Roman Pable (AFA Wien) und Ruben Brandhofer (BGDC Marburg) ihren Beitrag zur Debatte leisten.
Zum Thema „Soll man den Doktortitel nicht mehr im Namen führen dürfen?“ hörten und sahen wir sehr emotionale und lautstarke Reden von allen Seiten. Dem Debattierhimmel sei Dank brach sich dabei niemand etwas, denn ein erhöhter Schwierigkeitsgrad gebot, nicht über ein Kabel zu fallen, das just an der Stelle aus dem Boden ragte, wo die Plädoyers der Parteien gehalten werden sollten. Verbal unbescholten gingen die meisten der Redner allerdings nicht aus dem Finale hervor, der ein oder andere Seitenhieb wurde schon ausgeteilt, zumal sich gleich zwei Doktoranden unter ihnen befanden. Dem Heidelberger Philosophenweg hatte am Ende das Glück an diesem Tag scheinbar besonders zugelächelt, denn die Heidelberger Redner räumten gleich dreimal ab: Nicht nur das Finale gewannen die Baden-Württemberger, auch der Publikumspreis für die beste Finalrede (Daniel Sommer) und der Nachwuchspreis (Khang On) gingen an Heidelberg.
Die gewonnenen Partyhütchen und –tröten aller Finalteilnehmer konnten am selben Abend auch noch sogleich zum Einsatz kommen, denn natürlich gab es wie immer eine Debattierparty mit weniger Speis‘ aber dafür umso mehr Trank. Wir Marburger hatten das Glück, direkt neben der Party crashen zu dürfen, somit hatten wir an diesem Abend den kürzesten Heimweg zu bewältigen. Denn jedes Turnier hat nun mal sein Ende, daran kann sogar die Streitkultur nichts ändern. Wir bedanken und bei allen Organisatoren und Teilnehmern für ein schönes Wochenende und freuen uns schon auf das nächste Jahr – denn das kommt bestimmt.
Text: Sabrina Göpel/ tk