In der Vorbereitungszeit über das Wetter reden?
Um die Vorbereitungszeit ranken sich viele Legenden. Stimmt es, dass sich manche Teams dabei wie die erbittersten Feinde anschreien? Ist es wahr, dass Jack Watson sich dabei übers Wetter unterhält und am Ende drei Wörter aufschreibt? Und wie findet man eigentlich Argumente zu Konflikten in Ländern, die man nicht einmal auf der Karte findet? Diese Fragen beantwortet Andreas Lazar für Euch.
Diese Mythen sind verständlich, weil die Vorbereitung anders als die Debatten, die Jurierung und das Feedback immer nur in einem nicht öffentlichen Rahmen stattfindet. So kann man sich weit weniger etwas von den Besten abschauen. Und es fällt auch fortgeschrittenen Debattiererinnen oft schwer, ihr Vorgehen in der Vorbereitungszeit genau zu verbalisieren. Zudem haben verschiedene Teams verschiedene Methoden, von denen keine unbedingt den anderen signifikant überlegen sein muss. Hier dennoch ein Versuch, einige allgemein gültige Herausforderungen zu identifizieren und hoffentlich hilfreiche Tipps und Tricks zu geben.
Ich möchte dies anhand der drei Dimensionen Logistik, Taktik und Strategie tun. Schließlich hat Debattieren viel mit Krieg gemeinsam – die meiste Zeit wartet man, nur um plötzlich hektisch loszuballern und zu hoffen, dass man irgendwas trifft …
Logistik
„Die Grenze zwischen Chaos und Ordnung liegt in der Logistik.“ (Sun Tsu)
15 Minuten sind sehr wenig Zeit, die durch labyrinthische Debattierorte (z.B. die „Brücke“ bei der WUDC Berlin) oder übereifrige Hauptjurorinnen noch zusätzlich verkürzt werden können. Bei komplizierten Themen oder starken Gegnerinnen kann das fatal sein. Daher ist es wichtig, dass man die effektive Vorbereitungszeit bestmöglich maximiert. Das heißt:
- Macht Euch im Voraus mit den Debattierräumen vertraut, so dass Ihr nicht herumirren müsst; lernt, auch in Treppenhäusern und bei der Überquerung von Hauptstraßen Notizen zu machen; pflanzt Euch, sobald Ihr Euren Raum gefunden habt, irgendwo in seiner Nähe hin, ohne erst nach Luxusinfrastruktur wie Stühlen zu suchen; und entleert Eure nervösen Blasen vor der Themenverkündung …
- Seid nicht zu unausgeschlafen, verkatert oder sauer wegen der offensichtlich skandalösen Jurierung in der letzten Runde: Wenn Ihr über zehn Argumente sprecht und bei jedem nur fünf Sekunden schneller denken und sprechen könnt, habt Ihr fast eine Minute gespart. Seid so eingespielt wie möglich mit Euren Teampartnerinnen, so dass jede weiß, was sie wann zu tun hat und Ihr nicht drei Minuten darüber streiten müsst, wer jetzt als erste redet. Wie in einer guten Ehe: Mit je weniger Worten Ihr Euch verstehen und einander vertrauen könnt, desto besser für Euer langfristiges Glück.
- Verlegt so viel wie möglich der Vorbereitungszeit in Euer tägliches Leben. Dort habt ihr so viel Zeit, wie Ihr braucht, um über Themen nachzudenken und dazu Dinge aufzuschreiben. Warum ist Privatsphäre ein Recht? Wie kann es Moral geben, wenn Gott tot ist? Wer sind die Hauptakteure im syrischen Bürgerkrieg und was wollen sie? Je eher Ihr eine Antwort auf diese und tausend andere Fragen habt, desto weniger müsst Ihr versuchen, sie am Morgen nach einer Yakka-Party oder in einem Weltalmanach aus dem Jahr 1987 zu finden. Auf schnelles Nachschlagen ausgelegte Materialien wie ein kurzer Überblick über die wichtigsten internationalen Organisationen oder eine First-Principle-Datei (Erste Prinzipien, die in sehr vielen Debatten eine Rolle spielen, z.B. Ziele der Strafjustiz, Daseinszwecke von Staaten, Methoden sozialen Wandels usw.) können aber sehr hilfreich sein.
Taktik
„Man gewinnt in der Vorbereitung. Man verliert in der Debatte.“ (Andreas Lazar)
Sobald man ein gewisses Niveau erreicht hat, wird man in der Debatte in der Regel nicht plötzlich die Analyse seines wichtigsten Arguments vergessen oder nach drei Minuten weinend am Pult kollabieren. Somit muss man weniger geistige Energie für die eigenen Beiträge aufwenden und kann mehr auf die Reden und Zwischenfragen der anderen Teams achten. Dadurch kann man sie besser widerlegen bzw. in der zweiten Hälfte gute Extensions auflegen und in der ersten Hälfte durch Fragen entblößte Extensions stehlen. Daher solltet Ihr in der Debatte so wenig wie möglich am Aufschrieb Eurer konstruktiven Punkte ändern müssen, indem Ihr ihn, und damit Euren Case, schon am Ende der Vorbereitungszeit weitgehend fertiggestellt habt. Doch wie?
- Ihr könnt mit Argumenten aus Ersten Prinzipien, Akteursanalysen (vom Thema betroffene Menschen, Gruppen, Länder usw.) und der Beantwortung der Frage „Was müssen wir beweisen, um diese Debatte zu gewinnen?“ schon sehr viel erreichen. Besser eine etwas langweilige, aber saubere und solide Erklärung, warum Repräsentantinnen leidenschaftslosere Entscheidungen zusichern als Referenden, als ein „kreatives“ Argument über die Illusion von Wahlfreiheit, das niemand versteht und Euch eine 65 beschert. Ihr könnt kreativ werden, nachdem Ihr die Basics beherrscht.
- Stellt Euch in der zweiten Hälfte vor, dass vor Euch das beste Team der mehrfachen Weltmeister aus Monash sitzt und alle offensichtlichen und auch manche kreativen Mechanismen, Folgen und Prinzipien erklärt. Was nehmt Ihr dann noch als Extension? Das ist Eure Extension. Falls doch ein schlechtes Team vor Euch sitzt, sollte es Euch dann leicht fallen, spontan ein paar solide Argumente zu bringen.
- Prüft die „Gesundheit“ Eurer Argumente, indem Ihr Euch mit Eurer Teampartnerin darüber austauscht. Wenn sie etwas nicht versteht, für zu umstritten oder unumstritten oder für zu wenig erklärt oder als relevant gezeigt hält, ist das ein gutes Indiz dafür, dass die Jurorinnen es genauso sehen werden. Vertraut auch auf Euer Bauchgefühl, das Euch sagt, wie ein Argument ankommt.
- Schreibt so viel auf, wie Ihr braucht, um Eure Argumente klar rüberzubringen und kein wichtiges Beispiel o.ä. zu vergessen, aber redet lieber etwas länger mit Eurem Team, falls noch etwas unklar ist, als Euch in Eure Notizen zu vergraben. Im Notfall ist es besser, den Aufschrieb in der Debatte anzufertigen, als die wichtigste Analyse nie gefunden zu haben, weil man zehn Minuten lang in fünf Farben geschrieben hat.
Strategie
„Nach Runde Drei ist vor Runde Vier.“ (Sepp Herberger, Oxford IV 1919)
Dank Eurer guten Vorbereitung konntet Ihr Euch ganz auf die Debatte konzentrieren und die gegnerischen Teams schlagen. Doch die nächste Runde wird viel schwerer. Die Wirkung Eures Red Bulls lässt langsam nach. Und Ihr wisst immer noch nicht so recht, wieso Sri Lanka eine Resolution des UN-Menschenrechtsrats abgelehnt hat. Zeit, Euch von den Jurorinnen Feedback nicht nur darüber zu holen, was Ihr in der Debatte hättet besser machen können, sondern auch davor („Welche Argumente hättest Du gebracht?“), und Euch auch selbst und mit Eurer Teampartnerin darüber Gedanken zu machen. Habt Ihr eine zentrale Analyse versäumt? Sind verrückte oder in sieben Minuten unerklärbare Argumente durchgerutscht? Habt Ihr Euch unzureichend auf offensichtliche Gegenargumente vorbereitet? War Euer Aufschrieb zu rudimentär oder zu ausführlich? Übernehmt selbstkritisch Verantwortung für Eure Leistung, versucht, Euch jedes Mal zu verbessern, und debattiert, debattiert, debattiert. Es heißt, dass man 10.000 Stunden gezielten Trainings braucht, um in einem Feld von einer Anfängerin zu einer Virtuosin zu werden. Wie viele habt Ihr schon?
Text: Andreas Lazar/ak
Vielen Dank für die unterhaltsame Zusammenstellung zur Vorbereitungszeit – irgendwie habe ich schon immer geahnt, dass mein Alkoholkonsum auf Debattierturnieren in direktem Zusammenhang mit meiner Leistung stehen könnte… 😉
Das ist wirklich ein interessantes Thema. Ich fände es schön, wenn es einige Finalteams auf ZDen, DDMen, etc. zulassen würden, während ihrer Vorbereitungszeit gefilmt zu werden. Daraus ließen sich sicherlich gute Lehrmaterialien erstellen, in Verbindung mit dem Video der Debatte, wie sie danach gelaufen ist.