Argumente vortragen: „Luxus im Fernsehen“ / 3sat-Debatte startet erfolgreich
280.000 Zuschauer saßen am Montagabend vor dem Fernseher, als erstmals eine Debatte im Abendprogramm eines deutschen Fernsehsenders gezeigt wurde. Vermutlich waren zahlreiche Debattierer darunter, die sich das Ereignis nicht entgehen lassen wollten: Um viertel nach neun startete die erste „3sat-Debatte“, live übertragen aus dem Berliner Zollernhof.
Die These, über die gestritten wurde, war mit „Der Islam passt zu unseren westlichen Werten“ aktuell und streitbar. Befürworter waren Prof. Gesine Schwan, frühere Bundespräsidentschafts-Kandidatin für die SPD und selbst gläubige Katholikin, sowie Tarafa Baghajati, syrisch-stämmiger Mitbegründer der Initiative Österreichischer MuslimInnen und ehrenamtlicher Imam. Gegen die These argumentierten der Philosoph und Religionskritiker Dr. Michael Schmidt-Salomon, der als Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung fungiert, und der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad, der Sohn eines Imams ist und sich mittlerweile vom Islam distanziert hat.
Luxus im Fernsehen: Fünf Minuten ungestörte Redezeit
Zu Beginn der Sendung bekam jeder der vier Mitstreiter fünf Minuten Zeit, seine Argumente am gläsernen Pult in freier Rede auszubreiten – ein „Luxus im Fernsehen“, wie Moderator Theo Koll betonte. Für Debattierer ungewohnt, begann mit Schmidt-Salomon die Opposition. Obgleich Koll nicht müde wurde, zu betonen, das Konzept der Sendung sei an die „britische Debattenkultur“ angelehnt, erkannte das geschulte Debattierer-Auge sehr wohl Ähnlichkeiten mit den Debatten, wie sie deutsche Studierende regelmäßig führen: Während Schmidt-Salomon den klassischen Anfänger-Fehler machte, sich an seinem Skript festzuhalten, erfüllte er dennoch die Rolle des Eröffnungsredners. Er erklärte zunächst den zentralen Begriff des „westlichen Werte“, die er als die Werte des Humanismus und der Aufklärung, vor allem der Selbstbestimmung, definierte. Wie ein alter OPD-Hase wirkte Abdel-Samad, als er mit dem Bild „Stellen wir uns vor, wir würden alle zusammen auf einem Schiff sitzen und eine Weltreise unternehmen“ in seine Rede einstieg. Auch Schmidt-Salomons launige Bitte an das applaudierende Publikum, wegen der knappen Redezeit nicht zu klatschen, musste jenen bekannt vorkommen, die nicht die erste Publikumsdebatte ihres Lebens sahen. Baghajati wagte als erstes, unter Johlen des Publikums direkt gegen die andere Fraktion auszuteilen, als er Schmidt-Salomon zurief: „Bei allem Respekt, Sie haben keine Ahnung vom Islam.“
Einig waren sich beide Fraktionen darin, dass die Menschenrechte keineswegs eine Erfindung des Westens seien. Schmidt-Salomon, dessen Argumentation auf dem Koran und den Gesammelten Aussprüchen des Propheten Mohammeds fußte, argumentierte, der Islam passe grundsätzlich nicht zu den westlichen Werten. In den Quellentext fänden sie sich nicht verankert, mit der Scharia seien sie ohnehin nicht vereinbar. Dies sei jedoch nicht verwunderlich, hätten doch auch die Kirchen niemals freiwillig Menschenrechte wie die Gleichberechtigung von Frau und Mann anerkannt. Abdel-Samad baute die Linie des Vorredners aus und sagte, der Islam habe eine spirituelle und juristisch-politische Dimension. Für ein gelungenes Zusammenleben müsse der politische Islam entmachtet werden, denn er könne kein Teil von Deutschland sein: „Der Islam hat sich niemals als Teil von etwas gesehen. Er muss das große Ganze sein, unter das sich alles andere unterordnet.“
Hitzige Diskussion nach Zuschauerfragen
Gesine Schwan, die als erste Rednerin der Pro-Fraktion als Rednerpult trat, widersprach: „Der Koran ist, wie auch die Bibel, widersprüchlich und bedarf daher einer Deutung.“ Sie wollte die Frage, ob der Islam zu den westlichen Werten passe, nicht am politischen Islam festmachen, sondern an den Gläubigen. „Die Frage ist: Wird der Islam tolerant oder intolerant praktiziert?“, betonte sie. Das Übel liege nicht grundsätzlich nicht in der Religion, sondern in der Intoleranz – brutal könne auch der intolerante Atheismus sein. Baghajati ergänzte in seiner Redezeit, universelle Werte der Religion seien verbindende Elemente, die stärker gesehen werden sollten als die trennenden. Der Westen könne sich jedoch vom Islam noch einige abschauen: „Der Islam hat viele Antworten auf wirtschaftliche Fragen, so gibt es etwa ein Monopol- und ein Spekulationsverbot. Europa hätte sich mit diesen Werten viele Krisen ersparen könne.“ Er sagte, das Problem der Islamfeindlichkeit sei nichts anderes als verschleierter Rassismus.
Auf die fünfminutigen Eingangsstatements folgte eine offene Diskussionsrunde, in der auch Fragen verlesen wurden, die Zuschauer im Internet, unter anderem per Twitter, gestellt hatten – etwa, ob überhaupt eine Religion zu den westlichen Werten passe. Die Fragen führten zu hitzigen Diskussionen der Redner, in der es dennoch, im Gegensatz zu gängigen Talkshows, problemlos möglich war, mehrere vollständige Sätze ohne Unterbrechung zu sprechen. Die 3sat-Debatte war bewusst als Alternative zu den Talkshows gedacht, die viele Zuschauer wegen des ungeordneten Durcheinanderredens meiden, welches das Zuhören oft anstrengend macht und inhaltlich wenig erhellt. Vor und während der Debatte konnten die Zuschauer auf der 3sat-Homepage über die Streitfrage abstimmen und sich während der Sendung mit Statements und Fragen einmischen. „Die Zuschauerbeteiligung hat unsere Erwartungen übertroffen. 110.000 Personen haben vor der Sendung abgestimmt, 11.000 während der Sendung“, erklärte Frank Herda, zuständiger Redakteur für Öffentlichkeitsarbeit bei 3sat. Auch „ein großer Rücklauf nach der Sendung“ zeige das Interesse am Format und dem Thema, am Montag war die Sendung laut Herda die Nummer eins in den Twitter Charts. Gegenwärtig wird beim Sender 3sat darüber diskutiert, weitere Debatten auszustrahlen.
Am Besten Religion und politische Macht trennen
Der VDCH hat die Macher der Sendung vorab beim Konzept beraten. „Wir haben ihnen zum Beispiel empfohlen, den Moderator der Debatte mit einer Glocke auszustatten, damit er sich bei Zeitüberschreitungen durchsetzen kann“, beschrieb VDCH-Präsident Philipp Stiel die Unterstützung. „Und auch, dass nicht zu viele Fragen auf einmal angenommen werden, damit die Interaktion mit dem Studiopublikum dynamisch bleibt.“ Über den VDCH-Verteiler und die Achte Minute wurde die deutschsprachige Debattierszene auf die neue Fernsehsendung aufmerksam gemacht. Im Publikum saßen denn auch einige Debattierer, darunter Stiel selbst, aber auch Annette Kirste (Berlin Debating Union), Christoph Krakowiak und Paul Weinhausen (beide Streitkultur Berlin). Die vier traten selbstbewusst ans Mikrophon, als Zuschauerkommentare und -fragen angenommen wurden. Sicherlich nicht geschickt war dabei, doch mehrere Fragen aus dem Publikum direkt nacheinander anzunehmen. Krakowiaks Frage an Baghajati, wie denn der Islam konkret zum Menschenrecht der Religionsfreiheit beigetragen habe, war schon beinahe vergessen, als dieser sie beantwortete.
Einig waren sich am Ende immerhin beide Fraktionen, dass Religion und politische Macht am Besten zu trennen seien. Nach der offenen Diskussion hatte jeder Redner noch einmal 2 Minuten für ein Schlussstatement zur Verfügung. Ob das Ausdebattieren unterschiedlicher Standpunkte bei einigen Zuschauern tatsächlich zu einem Umdenken geführt hat, blieb offen. Das Abstimmungsergebnis ergab sowohl vor, als auch nach der Sendung eine Mehrheit für die Befürwortung der These, der Islam passe zu den westlichen Werten. Noch eindrücklicher wäre dies sicher gewesen, hätte es vor der Debatte nicht die Möglichkeit der Enthaltung gegeben. Zu verbessern gäbe es also noch ein paar Kleinigkeiten, wenn es weitere 3sat-Debatten gäbe – und das wäre der deutschen Fernsehlandschaft zweifelsfrei zu wünschen.
Wer die erste 3sat-Debatte verpasst hat, kann nach wie vor ein Best-Of in der Mediathek anschauen.
Text: Sarah Kempf / tr
Anm.d.Red.: Das im Text angesprochene Abstimmungsergebnis bezieht sich auf die Live-Abstimmung im Publikum vor und nach der Sendung. Eine zweite Abstimmung im Internet förderte ein knapp anderes Ergebnis zu tage.
Ja, mehr davon im deutschen Fernsehen!
Ohne gleich dem Kulturpessimismus zu verfallen: Das Abstimmungsergebnis brachte vor und nach der Debatte Mehrheiten gegen die These, der Isam passe zu unseren westlichen Werten, nicht dafür.
http://www.3sat.de/page/?source=/debatte/164031/index.html
DS
Ha, danke Daniel! Ist soeben korrigiert!
Kein Grund für Kulturpessimismus: Daniels Link verweist auf die ONLINE-Abstimmung. Mein Text dagegen bezieht sich auf die Abstimmung des STUDIO-Publikums. Wie die farbigen Balken (Pro=blau, Contra=rot) in der Graphik zeigen, die Koll am Ende der Sendung präsentiert, war das Ergebnis VOR der Sendung: 43% pro Islam, 32% Contra, 25 % Enthaltung.
NACH der Sendung gab es keine Enhaltungsmöglichkeit, 57% stimmten DAFÜR, dass der Islam zu den westlichen Werten passe. Darum: „Korrektur“bitte rückgängig machen. Danke! 🙂
Oh, ich verstehe das Missverständnis – die zuvor erwähnte Online-Abstimmung kann in der Tat verwirrend sein, wenn man die Sendung nicht gesehen hat. Sorry!
Ahh, jetzt habe ich das auch verstanden! Danke!
Mensch, dieser Abstimmungsmarathon. Da kommt man ganz durcheinander. Habe den Text zurück aufs Original gesetzt, aber einen Hinweis auf die beiden Abstimmungsmodi eingefügt. Danke, Sarah, für den Hinweis!
Der Moderator Theo Koll hat anscheinend noch nicht mitbekommen, dass es seit 20 Jahren an deutschen Universitäten Debattierclubs gibt. Nicht schlecht! http://www.3sat.de/page/?source=/debatte/164035/index.html
@Peter:…außerdem scheint er die Bundestagsdebatten der 60er, 70er und auch der 80er nicht zu kennen, wenn er sich mehr Aggressivität im Bundestag wünscht. Ich rate ihm dringend seine Gabel zu benutzen…
Weiß jemand, wann die nächste Sendung stattfindet? Mir hat sie sehr gefallen.