Streit im Paradies – Die Mitteldeutschen Debattiermeisterschaft in Jena
Übertragen wir Mirabeaus Diktum, dass Preußen eigentlich eine Armee war, die sich einen Staat hält, auf Jena, dann handelt es sich um eine Hochschule, die sich eine Stadt hält. Seit über 450 Jahren existiert die Friedrich-Schiller-Universität Jena, an der unter anderen Schiller lehrte und Hegel den Weltgeist im vorbeireitenden Napoleon gesehen haben will. Heute ist der jeder vierte Einwohner der Stadt Student an einer der beiden großen Jenenser Hochschulen. Logisch, dass auch hier das akademische Debattieren feste Wurzeln geschlagen hat. Die Debattiergesellschaft Jena feierte unlängst ihren zehnten Geburtstag und kann auf zwei gewonnene deutsche Meisterschaften im studentischen Debattieren zurückblicken. Zugleich haben sich die Jenaer als unermüdliche Ausrichter von großartigen Debattierturnieren ausgezeichnet.
In dieser Reihe steht die Mitteldeutsche Debattiermeisterschaft in Jena am dritten Aprilwochenende, die parallel mit der Norddeutschen Meisterschaft in Kiel und der Süddeutschen Meisterschaft in Ingolstadt stattfand. Insgesamt 16 Teams aus Marburg, Halle, Mainz, Leipzig, Magdeburg und Frankfurt am Main rangen um den Turniersieg und zugleich um zusätzliche Startplätze bei der Meisterschaft im Deutschsprachigen Debattieren in Wien.
Um pünktlich und halbwegs ausgeschlafen am Samstagmorgen zu erscheinen, reisten einige Teams bereits am Freitagabend an. So wurde ein Zehnertrupp von Debattierern aus Magdeburg am Freitag auf den Bahnsteigen des verheißungsvoll klingenden Bahnhofs “Jena Paradies“ gesichtet. Sofort nach der freundlichen Aufnahme durch Mitglieder der Jenaer Debattiergesellschaft und der Einteilung der Crashplätze ging es sofort in die Wagnergasse, Jenas berühmteste Kneipenstraße, um die Mägen zu füllen und Thüringer Bierspezialitäten auszuprobieren.
Am nächsten Morgen erreichten alle Teilnehmer pünktlich das Universitätshauptgebäude, eine interessante architektonische Mischung aus Hogwarts und einer Kaserne im Stil des Historismus, wo das ganze Turnier ausgetragen wurde. Begrüßt wurden sie von den Jenaer Debattierern um Clubpräsident Jonathan Scholbach sowie den beiden Chefjuroren Patrick Ehmann (Berlin Debating Union) und Pauline Leopold (Streitkultur Tübingen). Patrick konnte dabei von sich behaupten, bei allen offiziellen VDCH-Turnieren dabei gewesen zu sein. Eine Leistung, die nur noch Mario Dießner für sich beanspruchen kann, der ebenfalls zugegen war.
In den folgenden vier Vorrunden hatten sich die Redner mit spannenden Themen aus den klassischen Debattierthemenfeldern auseinanderzusetzen. Es wurde die Frage über die Verantwortlichkeit der Medien (“Dieses Haus würde die Medienberichterstattung über Amokläufe einschränken“) aufgeworfen, bei dem die Taten von Breivik allerdings über den Debatten schwebten; eine kleine, spannende Abänderung des klassischen Frauen-in-den-Dax-Vorständen-Themas (“Es gibt Staaten, in denen Frauenquoten für Vorstände vorgeschrieben sind. Dieses Haus würde es in diesen Staaten verbieten, dass Unternehmen aus anderen Staaten sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen, wenn diese nicht die entsprechende Anzahl an Frauen im Vorstand haben“); das Eingreifrecht des Staates (“Dieses Haus würde den staatlich vorgeschriebenen Denkmalschutz abschaffen“) oder ein Streitpunkt des internationalen Rechts (“Wenn ein Schiff ein UN-Waffenembargo zu brechen droht, würde dieses Haus es allen Staaten erlauben, das Schiff gewaltsam aufzuhalten“) zum Schiffe versenken.
Kennzeichnend für dieses Turnier war, dass es neben den erfahrenen Rednern und Juroren auch viele Neulinge gab, die noch gar nicht oder kaum an VDCH-Turnieren teilgenommen hatten und hier wertvolle Erfahrungen sammeln konnten.
Bis zur letzten Debatte blieb offen, welche Teams in die Halbfinalrunden am Sonntag einziehen würden. Selbst im Raum mit den wenigsten Punkten bestand noch die Hoffnung auf den Break. Die zeitweilige Spannung darüber, wer es denn nun geschafft hatte, konnte durch ein famoses Buffet zum Abendessen zeitweilig verband werden. Gegen 22.30 Uhr dann verkündeten Patrick und Pauline endlich das Ergebnis: Drei Teams auf Mainz, jeweils zwei Teams aus Magdeburg und Halle und eins aus Frankfurt hatten gebreakt! Den Halbfinaleinzug zwei ihrer Teams feierte die gesamte Magdeburger Delegation natürlich ausgiebig. Da statt in der abgeschiedenen Jugendherberge, die sonst immer bei Jenaer Turnieren genutzt wird, in einer kleineren am Zentrum übernachtet wurde, brauchten die Teilnehmer sich keine Sorgen um aufwendige Transfers zu machen. Gemeinsam mit den Teilnehmern aus den hessischen Clubs und einem der beiden Chefjuroren feierte die Magdeburger Delegation bis tief in die Nacht in der “Rose“ den Doppelbreak. Dieser Studentenclub, in den Gemäuern eines ehemaligen Weinkellers gelegen, bietet vom Kickertisch bis zu niedrigen Bierpreisen alles, was das Studentenherz begehrt. Die Musik tangiert dabei im wilden Mix alle Geschmäcker von Simple Plans “Hit me baby one more time“ bis hin zu “Let’s get to the Mall“ von Robin Sparkles.
Nach einer kurzen Nacht das Halbfinale: In zwei hochklassigen Debatten wurde über die Frage debattiert, ob jede Person das Recht hat, von Kunstwerken und Performances Fotos zu machen und diese öffentlich als eigene Kunstwerke auszustellen. Nach langen Beratungen der beiden Jurys wurde auf das Ergebnis gewartet, bis schließlich um 13.30 Uhr die Finalteilnehmer von ihrem Glück erfuhren. In dem anschließenden Finale in der Aula der Jenaer Universität traten als Eröffnende Regierung Marion Seiche und Robert Epple für den Debattierclub Frankfurt Goethes Faust an. Als Eröffnende Opposition standen den beiden die Führenden des Vorrundentabs gegenüber: Andrea Gau und Daniil Pakhomenko aus Mainz. Beschlossen wurde das Finale von Jan Dirk Capelle und Philipp Neumann auf der Regierungsseite sowie Carolin Penke und Christoph Rippe auf Seiten der Opposition. Beide schließenden Teams kamen vom Debattierclub Magdeburg. Nach einer spannenden Debatte über den Zugang der Öffentlichkeit bei Gerichtsverhandlungen, nämlich ob diese in Ton und Bild aufzunehmen gestattet sein sollen, um diese zu verbreiten, waren sich die Zuschauer keineswegs einig darüber, wer den Titel des Mitteldeutschen Debattiermeisters erstritten hat. Die Finaljury, bestehend aus Marietta Gädeke, Patrick Ehmann, Pauline Leopold, Mario Dießner und Philip Schröder, sahen aber schließlich Andrea und Daniil einstimmig vorne. Ihre Mainzer Anhängerschaft intonierten gleich zur Freude “Wir sind nur ein Karnevalsverein!“, was aber angesichts einer gewonnen ZEIT DEBATTE und der nun errungenen Mitteldeutschen Debattiermeisterschaft zweifelhaft erscheint. Glückwunsch noch einmal an Daniil und Andrea! Außerdem durfte sich Robert freuen. Der Frankfurter Debattierer wurde von der Ehrenjury um DDG-Präsident Stefan Hübner zum besten Redner des Finales gekürt.
Und natürlich sei auch den Jenaer Ausrichtern um Jonathan Scholbach gedankt. Ein wie immer reibungslos abgelaufenes Turnier mit kurzen Wegen, freundlichen Helfern und ohne unnötigen Schnickschnack hat mal wieder für einen überaus lohnenswerten Besuch in Jena gesorgt.
Christian Landrock / apf