WUDC 2012: „To a life less ordinary“ – Die World Universities Debating Championships in Manila
Trauma überwunden! Die amtierende Vizeweltmeisterin Dessislava Kirova berichtet für die Achte Minute vom weltgrößten Turnier, bei dem sich um den Jahreswechsel im philippinischen Manila aus fast 400 Zweierteams um den Weltmeistertitel stritten. Dessislava hat es mit ihrer Teampartnerin Juliane Mendelsohn bei den World Universities Debating Championships (WUDC oder Worlds) bis ins Finale geschafft.
Masako Suzuki betritt die Bühne. Sie lächelt und hebt das Mikrophon an die Lippen. Das Adrenalin steigt. Wird sie die drei magischen Buchstaben sagen? Die Hauptjurorin des ESL-Finals verkündet die Entscheidung, fast zeitgleich springt der ganze Saal auf: Jubeln, Applaus, Riesenfreude! Der amtierende Europameister aus Tel Aviv ist Weltmeister! Die beiden Brüder Omer und Sella Nevo laufen in Richtung Bühne, die Kameras fangen ihre Freude ein und strahlen sie an die Leinwand. Ein magischer Moment. Ich drehe mich zu Juliane, lächele sie an und wir umarmen uns – die Weltmeisterschaft ist zu Ende und sie hätte nicht schöner sein können.
Nach einem für uns traumatischen Viertelfinale auf der Europameisterschaft im Sommer hatten wir uns vorgenommen zusammen auf die Worlds zu fahren. Vier Monate und sieben Tage später sind wir so weit gekommen wie nur wenige deutsche Teams vor uns: das ESL-Finale. Fast wäre das Viertelfinale wieder zum Trauma geworden, doch wir schafften es und konnten uns dann klar im Halbfinale durchsetzen: In einem Raum, der mit Leiden, Galatasaray und Utrecht gerne auch das Finale hätte sein können. Vor uns schafften das nur drei andere deutsche Teams: Assen Kochev und Kai Menzel für Tilbury House (Köln), Henrik Mädler und Alex Domeyer für die Jacobs University (Bremen) und Adam Hildebrandt und Alyona Asyamova für die Hertie School of Governance (Berlin). Und nun wir für die Berlin Debating Union. Die Hoffnung stirbt zuletzt und so hatten wir bis zur Verkündung noch gehofft, dass wir vielleicht auch Chancen haben, als Sieger aus dem Finale zu gehen. Das Thema klang kompliziert, war aber eigentlich ein normales Debattierthema, die Konkurrenz war nicht zu unterschätzen: der amtierende Europameister aus Israel, die Sieger des Cambridge IV 2011 und des SOAS IV 2011 aus den Niederlanden und ein Team aus einer der stärksten Debattierinstitutionen Asiens, der International Islamic University of Malaysia. In so einer Debatte kommt es darauf an, so wenig wie möglich falsch zu machen, jeder Fehler kann schwer wiegen. Wir haben eine gute Vorbereitungszeit, fühlen uns gut – etwas aufgeregt, aber daran haben wir uns in der Zwischenzeit (fast) gewöhnt. Am Ende reicht es nicht für den Sieg, wir könnten trotzdem kaum glücklicher, zufriedener und stolzer sein. Die harte Arbeit hat sich ausgezahlt, das Preppen in den Monaten davor trägt Früchte: Das Lesen, Lesen, Lesen, das Schreiben von Fact Sheets, das stundenlange Telefonieren über Themen, die Fahrt zum Stuttgart IV.
Die World Universities Debating Championships 2012 in Manila waren von Anfang bis Ende ein einziger Traum: Ein 5 Sterne Hotel mit azurblauem Pool, Betten wie im Himmel in denen man bis 2h morgens wach liegen und Fact Sheets über Syrien lesen kann, ein Frühstück das kaum etwas zu wünschen lässt (von der asiatischen Krabbensuppe, über das frisch zubereitete Omelette bis zu den köstlichen Waffeln und Pancakes), die süßesten und freundlichsten Helfer die man sich nur vorstellen kann und ein herausragendes Chefjurorenteam.
Das Jurorenbriefing am 28. Dezember macht klar: Hier wird auf Qualität und Konsistenz geachtet. Alle Juroren müssen vor Ort einen Test absolvieren und eine Live- Debatte mit den besten Debattierern der Welt jurieren. Ihre Entscheidung und Begründung schreiben sie ganz normal auf und geben diese ab. Das Chefjurorenteam liest all das und stuft dementsprechend die Juroren ein. Die Chefjuroren verkünden, dass es nicht die eine richtige Entscheidung gebe, sie sehen zwei Teams, die beide auf Platz Eins hätten landen können – es kommt auf die Begründung an.
Falls sich jemand schon mal gefragt hat was Worlds-Chefjuroren (CJ) machen, hier ist eine Antwort: Sie lesen. Im Laufe des gesamten Turniers werden sie noch sehr viel mehr Lesestoff bekommen. Die Chefjuroren wenden, wie es auf allen großen internationalen Turnieren üblich ist, ein umfassendes Feedbacksystem an. Es gibt drei unterschiedliche Feedbackbögen: Der Hauptjuror bewertet seine Nebenjuroren, die Nebenjuroren bewerten den Hauptjuror (seine Fähigkeit die Diskussion zu leiten und dann das Feedback zu geben) und die Teams bewerten die Hauptjuroren (vor allem die Begründung der Entscheidung). Die Chefjuroren lesen diese Feedbackbögen und befördern Nebenjuroren zu Hauptjuroren, oder setzen sie in breakrelevante Räume am letzten Tag – manchmal wird auch aus einem Hauptjuror ein Nebenjuror. Die Hauptjuroren werden angehalten, ihr Feedback in zwei Teile zu Teilen: Sie sollen zuerst die Positionen im Vergleich zueinander begründen (warum ist etwa der Zweite „nur“ Zweiter geworden im Vergleich zum Ersten) und dann den Teams Verbesserungsfeedback geben. Es gilt die Debatte so zu bewerten, wie sie stattgefunden hat und nicht wie man sie als Juror gerne gehabt hätte. Sehr großer Wert wird auf die Erklärung der Auswirkungen gelegt: Wie wird dieser Antrag die Situation konkret verändern, besser machen und warum ist das gut. Raum für Prinzipien gibt es dabei natürlich auch, wenn es um die Frage geht, warum bestimmte Auswirkungen gut oder schlecht sind. Das Ergebnis ist eine unglaublich konsistente Jurierung über das ganze Turnier hinweg – keine Willkür, kein schlechtes Feedback, Teams werden in unterschiedlichen Räumen bei unterschiedlichen Hauptjuroren aus den gleichen Gründen Dritter.
Diese Leistung der Chefjuroren führt dazu, dass man sich tatsächlich von einer Runde auf die nächste verbessern kann – wenn man denn das Feedback des Jurors nur beherzigt und spezifisch in der nächsten Vorbereitungszeit daran dachte. Wie beherzigen einiges davon nicht im Viertelfinale und sind noch mal davongekommen; im Halbfinale berücksichtigten wir aber fast alles: Wie genau kann die First Lady ein Vorbild sein? Für welche Art von Frauen wird sie ein Vorbild sein? Welche Stereotypen kann sie aufbrechen? Was wird die Opposition sagen, wie gehen wir damit um? Unbedingt zwei Fragen von der Schließenden Opposition drannehmen, damit wir wissen, was sie als Extension bringen wollen.
Bemerkenswert, weil anders, ist das Chefjurorenteam auf zwei anderen Gebieten: Jurorenbreak und Themensetzung. Im Vergleich zu den letzten beiden Worlds breaken in Manila “nur“ knapp über 50 Juroren; in Gaberone und Koc waren es um die 100. So werden die CJ im Council dafür stark kritisiert. Sie begründen ihre Entscheidung damit, dass sie wirklich nur Spitzenjuroren in den KO-Runden haben wollten. Ein CJ wird mit folgenden Worten zitiert: ”Excellent wasn’t good enough, we wanted them all to be brilliant.” Guter Grund, leider müssen einige dieser Topjuroren mehrere Runden nacheinander jurieren, was durchaus schlauchen kann. Im Bereich der Themensetzung wartet so mancher bis zuletzt auf das ein oder andere klassische Themenfeld, zum Beispiel Internationale Beziehungen, Arabischer Frühling oder ein regionales asiatisches Thema. Vergeblich. Die Chefjuroren wollten weg vom vorbereiteten “case files“-Debattieren. Viele der Spitzendebattierer bereiten klassische Themen und Beispielfälle schon daheim vor und haben diese dann in dicken Ordnern mit auf Turnieren. So scherzte auch die Zusammenfasserin im “open final” aus Sydney ”Well, my partner and I, we’ve abandoned our case files somewhere halfway through the tournament.“.
Für die deutsche Delegation, besonders für Berlin, steht noch eine ganz andere Herausforderung an. Nicht unbedingt der Fakt, dass Berlin als der nächste Ausrichter der WUDC einen Abend in Manila gestalten darf, die Berlin Night (ein voller Erfolg dank dem Besten, was die deutsche Musik zu bieten hat: Scorpions, Lena und Nena), sondern die Ratifizierung der Bewerbung, die Berlin vor einem Jahr in Gaborone in Botsuana gewann. An Neujahr tagt das Council, die Mitgliederversammlung der Weltdebattiergemeinschaft. Wer Silvester feiern kann, kann auch morgens wieder fit sein und reden. Der Präsident des Organisationskomitees, Patrick Ehmann, berichtet über die Arbeit im vergangenen Jahr und beantwortet Fragen. Das ausgesprochene Vertrauen und die einstimmige Ratifizierung geben viel Kraft und Motivation für das kommende Jahr – die Fußstapfen, die es zu füllen gilt, sind immerhin nicht gerade klein. Am letzten Abend wird ganz feierlich und offiziell der Worlds-Hammer vom Cheforganisator in Manila an den nächsten Cheforganisator übergeben: Patrick freut sich und ist gerührt. Er lädt dazu ein, die “Kraft des Widerspruchs“ in einer der aufregendsten Metropolen der Welt zu erleben.
Wohin der Hammer nach den Berlin WUDC 2013 geht, ist noch nicht klar, denn es gibt zu diesem Zeitpunkt noch keine Bewerbung für die Worlds im Jahr nach Berlin. Normalerweise werden die WUDC immer zwei Jahre im Voraus vergeben, aber dieses Jahr gibt es einfach keine Bewerber. So verabschiedet Council ein neues Vergabeverfahren, das auch über die Ferne und per E-Mail funktioniert. Es wird damit gerechnet, dass es bis März nun doch ein oder zwei Bewerbungen geben wird. Wir dürfen gespannt sein.
Das Fantastische an der Weltmeisterschaft (wie eigentlich bei fast jedem Turnier, egal wie groß oder klein) ist das Abtauchen in die Welt des Debattierens, das alles andere aus dem “echten“ Leben ausblendet. Kopfzerbrechen über Themenstellungen, neue Aspekte zu einem Thema aufwerfen, über das man so noch nie nachgedacht hat; das nie versiegende Reden, Reden, Reden – vor den Runden, während der Runden, nach den Runden; der fortwährende Austausch der Ideen, Ansätze und Erfahrungen mit den Anderen; das Knüpfen neuer Freundschaften, das Vertiefen flüchtiger Bekanntschaften, das Wiedersehen mit alten Weggefährten; der Frust über einen dritten Platz, die Freude über einen ersten Platz; die Hoffnung zu breaken, der Wunsch eine 80 zu reden; das Realisieren nach acht Tagen, dass es noch ein Leben außerhalb der Debattierblase gibt, den Alltag. In diesen Alltag kehren wir jedes Mal halb widerwillig zurück, geprägt von der Magie und Erfahrung des Debattierens – “to a life less ordinary“. Thank you Manila, see you all in Berlin!
„To a life less ordinary“
Das Video vom Eröffnungsdinner
der Debattierweltmeisterschaft in Manila
Lest hier das Interview mit den Vizeweltmeiserinnen Dessi ud Juliane.
Dessislava Kirova / apf
In einer früheren Version hieß es, dass Assen Kochev gemeinsam mit Felix Lamouroux im Finale der WUDC gestanden habe. Das war falsch: Assen Kochevs Teampartner war Kai Menzel.
Toller Artikel Dessi! Und nochmal ganz herzlichen Glückwunsch zu Eurer Vize-Weltmeisterschaft. Oh wie ist das schön 🙂