Rasante Fahrt im Doppelzweier an der Saale – Florian Umscheid über die ZEIT DEBATTE Jena

Datum: 29. Mai 2011
Redakteur:
Kategorie: Themen, Turniere

Bis jetzt habe ich noch keinen meiner drei Besuche in der zweitgrößten Stadt Thüringens – alle drei zum Debattieren – bereut. Im Frühsommer 2009 war das zweite Turnier meiner Karriere die ZEIT DEBATTE Jena 2009. Im Januar 2011 folgte Besuch Nummer zwei, ein wirklich nettes Freundschaftsturnier im kleinen Rahmen. Die ZEIT DEBATTE 2011 war nun mein dritter Besuch an der thüringischen Saale.

Die Tatsache, dass es erst das zweite Turnier ist, das ich im Format Wartburg bestritten habe zeigt, dass es kein Turnier unter vielen ist. Durchschnittlich verbringen Touristen 2,5 Tage in der Optikstadt. Viele Debattierer werden aber nur auf zwei Tage kommen. Wie also den Rest kompensieren, um überdurchschnittlich zu werden? Entweder verpasst man etwas oder die Erlebnisdichte muss höher sein. Für die ZEIT DEBATTE Jena kann ich nur Zweiteres bestätigen. Das Turnier und die Stadt hatten viel zu bieten.

Kritische Stimmen, die schon länger fordern, das deutsche Debattieren müsse sich mehr am internationalen Debatterien orientieren, können zumindest am Freitagabend zum Verstummen gebracht werden. Aufgrund diverser Staus und Verzögerungen findet die erste Vorrunde zum Thema “Der Konsum von Fleisch ist unmoralisch” mit gut einer Stunde Verspätung statt. Diese Verspätung muss den Vergleich zu internationalen Wettkämpfen wie dem SOAS IV oder den Botswana Worlds nicht scheuen. Ansonsten, das sei hier schon hervorgehoben, lief das Gesamte Turnier wie Carl-Zeiss-Feinmechanik.

Zurück zum Thema und damit der ersten Vorrunde: Herausgefordert von den Eigenheiten des Formats und dem Thema ist die erste Fahrt des Berliner Doppelzweiers mit Steuerfrau (so unser Teamname) eher, um das Bild zu bemühen, eine Raftingfahrt – viel durcheinander und es geht den Bach runter – als das formschöne Dahingleiten in argumentativ geraden Bahnen und tiefem Wasser, wie wir es im Rudern gerne sehen. Die zwei Fragen, die nach der Debatte für uns bleiben, lauten: „Wie kriegt man 2500 Jahre Moralphilosophie in eine bis drei Reden, ohne dass es völlig unglaubwürdig und konstruiert wirkt?“ und „Wie oft muss ein erster Redner wieder aufstehen und eine Privilegfrage anbieten, nachdem er abgewunken wurde?“.

Entsprechend mager ist auch das Ergebnis an Punkten aus der Debatte. Nächster Programmpunkt: Abendessen. Nach anfänglicher Überforderung fängt sich die Mannschaft der “Weintanne“ und es wird ein gelungener Auftakt in den Abend. In der Folge wird Bier beim Dönermann besorgt und in die Jugendherberge umgezogen. Ein zwangloses Gelage, unterbrochen nur von der Gesprächsrunde „Gedanken zu Mark Twain und Winston Churchill – Kritische Reflektion ihrer Werke“ mit Teilen des VDCH-Vorstands und weiterer in der „Raucherecke“, zieht sich bis in die frühen Morgenstunden im tropisch-warmen Foyer der JuHe.

Nach dem beherzten Weckklopfen der Jenaer Orga, das jeden Feldwebel mit väterlichem Stolz seinem Gefreiten gegenüber erfüllt hätte, geht der Samstag mit Frühstück, Transfer und Vorrunde zwei weiter. Zum Thema “Die Universität muss jeden einzelnen Studenten umfassend bilden” bleibt der Doppelzweier mit Steuerfrau auf Kurs und hat eine Debatte, die den oben aufgestellten Forderungen an den Sport annähernd entspricht. Mit 193 Punkten wähnt sich Mannschaft des Doppelzweiers wieder in ruhigem Fahrwasser.

Vorrunde drei: “Erneuerbare Energie ist wichtiger als Umweltschutz.” Wie Manuel via Achte Minute bemerkt: „Wie kann die zentrale Maßnahme zum Umweltschutz wichtiger sein als Umweltschutz?“ Die Debatte gerät zum verbalen Drahtseilakt, als beide Seiten das Gleiche/dasselbe/sehr viel Ähnliches sagen. Umweltschutz sei ja auch Klimaschutz und vice versa. Die Debatte, ob jetzt Biber/Juchtenkäfer/deutsche Kulturlandschaft gleichzeitig zum Klima gerettet werden sollen und können, oder erstmal der Biber/Juchtenkäfer/die deutsche Kulturlandschaft leiden müssen, ist zwar argumentativ umfassend, der Erkenntnisgewinn eher gering. Der Beantwortung der Frage, ob der Biber uns seine Kollegen erstmal Opfer bringen müssen, damit sie später nicht in klimaerwärmten Bächen ihre Dämme erreichten, kommen wir nicht nahe. Ein, zwei wohlgesetzte Worte der Erklärung dieser interessanten Spielart des Themas hätten beiden Seiten weitergeholfen. Kai Dittmann fasst in bewährtem Qualitätspopulimus eine denkbare Linie der Regierung nach der Debatte so zusammen: „Immer dieses Gewusel. Ein Biologiebuch sollte den maximalen Umfang eines handlichen Flyers haben.“

Auf dem bis jetzt transferfreudigsten Turnier der Saison wird zum Mittagessen transferiert und wieder zurück zum Unihauptgebäude zur Vorrunde vier. „Die Idee des Kommunismus ist gescheitert“ steht zur Debatte. Die Überlegung unsere Reden mit „Solange noch einer die Idee des Kommunismus kennt oder sie irgendwo niedergelegt ist, ist sie nicht tot, vielen Dank.“ zu beginnen und zu beenden, setzt sich nicht durch. Also streiten wir uns in der Folge nicht über Ideen und Tod sondern die Definition(en) von Kommunismus, die DDR, die Sowjetunion, Kuba, China und viele andere. Eine ironische Erkenntnis: „Zu Debatten über Kommunismus ist der Tod immer eine willkommene Alternative.“
Nach dem Kuchenbuffet, das mit ausgefallenem und detailverliebtem Backwerk überzeugt geht es in die letzte Vorrunde “Lotto und Sportwetten sind Allgemeingut.” In der der Debatte halten sich ernste Argumente und Wortwitze – auf die unsere Gegner aus Bayreuth aufspringen – die Waage, es wird ein unterhaltsamer Ausklang der Vorrunden.
Zwei Transfers später kommt das große Abendessen in der “Ratszeise“. Weder qualitativ noch quantitativ bleibt irgendein Wunsch offen. Das Buffet ist, wie schon 2009 schlicht und ergreifend Spitzenklasse (fünf Sterne auf der Jacobs-University-Buffet-Skala). Natürlich wird auch noch gebreakt, erst die Juroren, dann die Teams und zum Schluss noch die 10 besten Redner des Tabs. Dazu Till aus Heidelberg via Achte Minute: „Die üblichen Verdächtigen […]“. Der Doppelzweier geht auf Position 10 ins Ziel.

Nach dem Break verläuft sich die Party. Es wird in verschiedene Richtungen losgezogen. Viele Richtung Juhe, einige in diverse Kneipen, ein Teil geht in den Titty Twister, schon ein Ritual auf den Turnieren in Jena, ein anderer Teil geht in den Rosenkeller, auch das sollte ein Ritual werden. Denn hier geht die Post ab. Zu feinstem Indie-Rock, Pop und House wird stundenlang getanzt. Die Party setzt in puncto Musik Maßstäbe, die, meiner Meinung nach, sehr lange nicht mehr erreicht wurden. Die Preformance der anwesenden Debattierer sei positiv hervorgehoben.

Es wird spät, es wird früh. Fürs Protokoll: Auch um halb fünf, liebe „Da-kommen-wir-nicht-mehr-Heim-Fraktion“, fahren in Jena Busse, sogar alle 20 Minuten. Es wird sehr schnell wieder Zeit zum Aufstehen und damit umweglos Zeit fürs Halbfinale. Thema „Die europäische Idee scheitert, wenn der Euro fällt.“ Zusammen mit Irene Adamski, Alexander Labinsky und Simeon Reusch spielen wir im Halbfinale Netzer und Delling für Debatten und haben Spaß. Erkenntnisse wie „Alles ist leicht, wenn man es nicht selbst macht.“ und „Dieses Haus glaubt, die EU ist ein wenig geeignetes Debattenthema.“ könnten mal ein BP-Thema abgeben.

Es folgt der Stadtrundgang unter der Führung von Clemens Lechner. Die Führung ist gelungen, begeisterte Zuhörer raten ihm zu einer Karriere auf diesem Feld, so er sich nach dem Studium umorientieren möchte.

Das Finale verspricht eine interessante Debatte zu einem mutigen und kontroversen Thema. Schon die Rede von Daniil Pakhomenko macht Lust auf mehr, aber aufgrund von anstehenden Terminen versuchen Kai und ich während der Reden von Steffen Jenner, Andrea Gau und Simon Lehle unseren ICE zu erwischen. Nach einem Fehlschlag kommen wir für die Schlussreden von Willy Witthaut und Sarah John zurück, die uns eine Ahnung davon geben, was für eine hochwertige Debatte wir verpasst haben.

Die ZEIT DEBATTE in Jena 2011 war ein großartiges Turnier. Die Orga war nett und immer präsent, die vielen Tansfers haben gut funktioniert, das Turnier war mit viel Liebe zum Detail organisiert. Einige Themen wurden teilweise kritisch aufgenommen und um eine größere Homogenität der Maßstäbe der Bepunktung zu erreichen könnte man überlegen, die Tradition der Eichdebatte, gerade bei diesem viel zu seltenen Format, wiederzubeleben. Vielen Dank an die Debattiergesellschaft Jena für das Ausrichten des Turniers und Glückwunsch an Tübingen zum Sieg!

Florian Umscheid / apf

Florian Umscheid wurde im vergangenen Jahr bei der Deutschen Debattiermeisterschaft in Münster von der Deutschen Debattiergesellschaft zum besten Nachwuchsredner gekürt. Im April setzte er sich mit seinem Team bei der Ostdeutschen Meisterschaft in Halle durch und wurde bester Redner des Finales.

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5 Kommentare zu “Rasante Fahrt im Doppelzweier an der Saale – Florian Umscheid über die ZEIT DEBATTE Jena”

  1. Manuel sagt:

    Der Mann schreibt wie der junge Aeneas Rooch.

  2. Jörn(Dortmund) sagt:

    Gibts von dem Turnier eigentlich überhaupt keine Fotos?

  3. anja sagt:

    wieso hast du denn keine gemacht, jörn? bin schon gespannt auf fotos und berichterstattung vom dortmunder turnier – wirst du denn bei deinem heimatclub dabei sein?

  4. Flo (Berlin) sagt:

    Weil Jörn nicht da (in Jena) war. Aber ich werde in Dortmund sein und besitzte einen Fotoapparat, digital, so Jörn nicht da wäre.

  5. Jörn(Dortmund) sagt:

    Hey, vom Dortmunder Turnier wirds Fotos geben und ich werde in einem DO-E-Team antreten. – Und genau, ich habe keine in Jena gemacht, weil ich nicht da war. 😉

Kommentare sind geschlossen.

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