Shakespeares Erben – Ein Einblick in die Norddeutsche Meisterschaft
Nicht nur nach Dortmund, Ilmenau und München zog es Deutschlands beste Debattierer am vergangenen Wochenende, auch in Hannover sammelte sich ein stattliches Grüppchen ebensolcher – es galt, den Norddeutschen Meister 2010 zu küren. Zu diesem Zweck waren Redner aus Berlin, Greifswald, Hamburg, Kiel, Magdeburg, Paderborn, Potsdam und Osnabrück angereist, die gemeinsam von den Debattierclubs Braunschweig und Hannover (der Einfachheit halber ab jetzt die „Braunoveraner“ genannt) eingeladen worden waren. Die inhaltliche Betreuung wurde durch ein hauptstadtfreundliches Chefjurorenteam (Lea Weitekamp und Tim Brückmann aus Bonn, Patrick Ehmann aus Berlin) übernommen.
Obwohl oder gerade weil der Beginn des Turniers extrem debattiererfreundlich gewählt worden war – erst um halb elf begrüßte Cheforganisator Alexander Johnston die Teilnehmer – ging es dann auch direkt in die Vollen. Nach einer Redner- und Jurorenschulung im Schnellstdurchlauf gab es schon das erste Thema und die Redner stoben auseinander, um – durch die helfenden Guides der Braunoveraner geleitet – die Debattenräume in den angrenzenden Gebäuden auf dem Hannoveraner Campus zu erreichen.
Alle Redner? Nein! Denn ein von (eigentlich) unbeugsamen Debattierern bevölkerter Club aus Magdeburg hatte sich durch ein schief gelaufenes Wendemanöver noch während der Anreise selbst gestoppt. In einem der beiden betroffenen Autos musste Stefan Kegel verfrüht den Rücktritt antreten – schade, Stefan, und viel Erfolg bei der Reparatur! Die verbleibenden Magdeburger, die sich konsequenterweise in „Magdeburg Auffahrunfall“ und „Magdeburg Karambolage“ umbenannten, besetzten die Teams spontan um – dennoch verkürzte sich die Vorbereitungszeit für Kai Illner und Steffen Westphal um einige Minuten.
Nach der ersten Runde zum Thema „Dieses Haus würde den Walfang grundsätzlich erlauben“ durften sich Redner und Juroren direkt schon wieder über eine Pause freuen, und über eine mit Bewirtung noch dazu: In der zur Uni gehörenden „Contine“ wurde das Mittagessen serviert. Die meisten der Teilnehmer verschlug es zum Speisen selbst aber direkt wieder nach draußen, da sich in Hannover auch die in diesem Jahr ja seit einer gefühlten Ewigkeit herbeigesehnte Sonne von ihrer besten Seite zeigte.
Frühlingsgefühle kamen in der zweiten Vorrunde allerdings nicht auf. „Sollte die Identität von Sexualstraftätern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden?“ Hierüber stritten die norddeutschen Redner ausgiebig, doch nicht länger als unbedingt nötig. Denn im Verkündungsraum wartete – man mag es kaum glauben – schon der nächste Imbiss. Dieser offenbarte das Drittmitteleinwerbungstalent der braunoverschen Ausrichter auch in kulinarischen Belangen: Mit Bagels und sündhaft zuckrigen Riesenmuffins vom Muffin Mann war diese Kaffeepause eine wahre Freude.
Zu mehrdeutigen Angeboten kam es dann in der dritten Vorrunde zum Thema „Dieses Haus würde dem Individuum Definitionshoheit über sein Geschlecht geben (männlich, weiblich, keins von beiden)“. So gestand Benedikt Nufer vom Debattierclub Hamburg, dass er sich schon immer zu Manuel Adams (Hanse Debating Union Bremen) hingezogen gefühlt habe, wenn er ihn auch nicht ganz so erotisch finde wie seine Freundin. Manuel ließ ihn grinsend gewähren – als Juror hatte er ja auch keine Gelegenheit zu Widerspruch. Auch die ansonsten wohl eher in Ilmenau gefragten Unisex-Toiletten fanden ihre Fürsprecher. In anderen Räumen wurde durchaus ernsthafter über die Folgen für das globale Geschlechtergleichgewicht spekuliert.
Die vierte Vorrunde zur Frage, ob Jerusalem unter UN-Verwaltung zu stellen sei, forderte den Rednern zu nun fortgeschrittener Stunde noch einmal alles ab. Diejenigen von ihnen, die aufgrund unkooperativer Campus-Gebäudeöffnungszeiten erst Asyldebattenräume hatten finden müssen, erreichten den Shuttleservice zur Jugendherberge gerade noch – für einige der Juroren und die Chefjuroren führte der Weg raus aus der Uni direkt rein in die Bar ALEX und damit zum Abendprogramm. Um elf Uhr wurde hier der Break verkündet: Neben vier – und damit allen der angereisten – Berliner Teams hatten sich auch Greifswald, Magdeburg, Hamburg und Potsdam je einen Platz im Halbfinale erstritten. Vorerst ließen die Debattierer den Abend aber im ALEX ausklingen – oder? Anderweitig laut gewordene Gerüchte über eine wilde Partynacht können hier zwar nicht bestätigt, aber auch nicht ausgeräumt werden…
Im ersten Halbfinale am Sonntagmorgen – erneut debattiererfreundlich: Beginn um zehn Uhr – eröffnete die Regierung „Greifswald Dänische Wiek“ zum Thema „Dieses Haus fordert die Kopfpauschale im Gesundheitswesen“. Unterstützt wurde sie auf der Regierungsseite vom Team „Berlin Humboldthain“, für die Opposition traten in diesem Raum die Hamburger, gefolgt vom Team „Berlin Amalienstraße“, an. Im zweiten Raum standen sich „Berlin Südstern“ und „Berlin Krumme Lanke“ auf den eröffnenden Positionen, „Magdeburg Auffahrunfall“ und „Potsdam Metropolis“ in der schließenden Debattenhälfte gegenüber. Durchsetzen konnten sich „Berlin Amalienstraße“ mit Dessislava Kirova und Filip Bubenheimer sowie Greifswald mit Sarah Jaglitz und Rafael Heinisch aus Raum eins und „Berlin Krumme Lanke“ (Kai Dittmann, Julian Ohm) neben „Potsdam Metropolis“ (Jana Bachmann und Florian Umscheid) aus Raum zwei.
In einem hochkarätigen, spannenden Finale läuteten Dessislava und Filip die Debatte ein und erklärten: „Es gibt kein geistiges Eigentum in der Literatur!“. Florian und Jana taten in der eröffnenden Opposition ihr Bestes, um dem Antrag und der drohenden Transformation des Shakespeare’schen „Hamlet“ in einen „Dessi-let“ Einhalt zu gebieten. Sarah und Rafael in der schließenden Regierung mussten sich gegen Kai und Julian in der schließenden Opposition behaupten.
Nach einer nervenaufreibend langen Beratungszeit fand sich die Finaljury, bestehend aus den Chefjuroren sowie Linda Tschiche, Hauke Blume (beide Berlin) und Bernd Höfer (Kiel), endlich auf der Bühne ein. Zunächst wurde allerdings ein anderer, ebenfalls heiß begehrter Preis verliehen: Die Ehrenjury kürte Filip Bubenheimer zum Besten Redner des Finales. Und Filip, der schon im letzten Jahr die Regionalmeisterschaft gewonnen hatte, durfte gleich weiterjubeln: Auch als Team hatten er und Dessislava die Jury überzeugt, Norddeutscher Meister 2010: Berlin!
Dessislava, Filip und die BDU konnten sich über wohlverdienten Applaus, Urkunden und über Sony Ericsson-Handys freuen – und nicht zu vergessen über einen weiteren Startplatz für die Deutsche Debattiermeisterschaft im Juni, die in diesem Jahr in Münster ausgetragen wird. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Glückwunsch! Allen anderen winkten als Trostpreise ein wie immer fröhlicher Sektempfang sowie das erhebende Gefühl, nach einem rundum gelungenen Wochenende entspannt die Heimreise antreten zu können. Danke für alles, Braunoveraner, es war spitze!
Text: Lea Weitekamp, DC Bonn / glx
Im Finale der Norddeutschen Meisterschaft konnten sich Filip Bubenheimer und Dessislava Kirova für die Berlin Debating Union aus der Eröffnenden Regierung heraus gegen ein Team der Wortgefechte Potsdam (Eröffnende Opposition, Florian Umscheid und Jana Bachmann), den Debattierclub Greifswald (Rafael Heinisch und Sarah Jaglitz) und ein weiteres Team aus Berlin (Kai Dittmann und Julian Ohm) durchsetzen. Die Entscheidung lag bei den Chefjuroren des Turniers, Lea Weitekamp, Tim Brückmann (beide DC Bonn) und Patrick Ehmann (BDU), sowie den Juroren Linda Tschiche, Hauke Blume (beide BDU) und Bernd Hoefer (Debattierclub Kiel). Die Ehrenjury wählte Filip Bubenheimer zum besten Finalredner.
Dies ist der vierte und letzte Text über die vier VDCH-Regionalmeisterschaften, die am vergangene Wochenende ausgetragen wurden. Die Redaktion der Achten Minute dankt Pauline Leopold, Sarah Kempf, Franziskus Bayer und Lea Weitekamp für die Artikel.