Jurieren ist eigentlich doch nur wie das „reale Leben“ – VDCH-Jurierseminar aus Teilnehmersicht
Mit welcher Einstellung soll ein Juror in die Debatte gehen, nach welchen Kriterien soll er bewerten, wie sind bestimmte Situationen zu handhaben und was heißt es, gutes Feedback zu geben? Das sind die Fragen, die einem Juror im Debattieren immer wieder durch den Kopf gehen sollten. Genauso sind das die Fragen, die den knapp 30 Teilnehmern beim zweiten VDCH-Jurierseminar der Saison am ersten Fastenwochenende in Wiesbaden beantwortet wurden.
Nachdem wir am Freitagabend in der Jugendherberge der Landeshauptstadt Hessens angekommen waren – oder auch nicht, wie manch Frankfurter Debattant unter Beweis stellte, der verschiedene Wochenenden verwechselte (Wir wollen niemanden an den Pranger stellen, daher nennen wir ihn einfach Julian W. oder besser J. Wagner) – begann das Programm, das unseren Wissenshunger stillen sollte mit einem herausragenden ersten Programmpunkt: Mit Essen!
Gestärkt durften wir dann den Leitern des Seminars lauschen, die uns durch den Dschungel des Jurierens und Debattierens einen Weg bahnen sollten: Gudrun Lux, Mario Dießner (beide für OPD), Tim Brückmann und Lea Weitekamp (beide für BPS).
Erst erhielten Tim und Lea das Wort, sie begannen das Seminar mit der Vorstellung des BPS-Jurierens. Als geheimer dritter Leiter entpuppte sich Michael N. aus Stuttgart, der immer wieder mit Beispielen und Anekdoten aus dem (Zitat Michael N.) „realen Leben“ die theoretische Kost von Tim und Lea unterstützte.
Ein Höhepunkt des Vortrags war auf jeden Fall die Darstellung des Extension-Zoos von Tim am Samstagmorgen. Neben der darstellerischen Brillanz glänzte Tim hier mit seiner künstlerischen Begabung, mit der er versuchte, Adler, Nilpferd, Storch und Maulwurf (an die „Rampensau“ wollte er sich gar nicht erst wagen) uns Teilnehmern auch visuell darzulegen. Wer hier nicht verstanden hatte, dass es sich bei dem Adler eigentlich um einen Kondor handelt – und zwar nicht das Tier, sondern den Flugzeugtyp – der hat wirklich nicht aufgepasst!
Nachdem Tim und Lea mit ihrem Teil fertig waren, übernahmen Mario und Gudrun mit der Darstellung des Jurierprozesses bei OPD. Zu allererst wurden wir aber aufgeklärt, dass neben Biertrinken und Debattieren keinerlei Verhältnis zwischen den beiden Referenten bestehe, sie sich gegenseitig eigentlich hassen, aber aus einer Tragödie doch Großartiges entstehen könne. Der lockere Umgang der beiden miteinander übertrug sich auf uns – es war klar, dass wir beide mit jeglicher Frage belästigen durften und ein gemütlicher Umgang zwischen den Leitern und den Teilnehmern bestand. So konnte auch während des Seminars auf die interessierte Nachfrage eines Mainzers hin endlich für alle geklärt werden, dass Freie Redner nicht als Team breaken können.
Sehr schön für uns alle waren die praktischen Anwendungen im Seminar. Nach jedem theoretischen Block wurde eine Debatte von ein paar mehr oder weniger Freiwilligen geführt, die danach in Kleingruppen juriert wurde. Hier konnten alle endlich das Vorurteil zerstören, bei OPD oder BPS würde im Jurierprozess gewürfelt. Alle Kleingruppen kamen zu gleichen bzw. sehr ähnlichen Ergebnissen, die mit denen der Leiter übereinstimmte. Natürlich wurde über einzelne Punkte ausführlicher diskutiert und es gab ein, zwei unterschiedliche Interpretationen was Verstöße anging, aber im Großen und Ganzen war ein ganz klare Tendenz zu erkennen. Wir können davon ausgehen, dass viele Jungjuroren nach dieser Ausbildung sich auf Turnieren und im Clubbetrieb bald wunderbar herausheben werden.
Einstimmig wurde der letzte Part des Seminars als sehr gelungen empfunden. Das „Feedback zum Feedback“ (die Leiter bewerteten einzeln das Feedback der Teilnehmer für eine Debatte) war sehr hilfreich und es ließ sich sehr viel daraus mitnehmen, wie man mit den Rednern umzugehen hat, was wichtig und was weniger bedeutungsvoll ist in einem Feedback. Auch wegen der Stimmung, die einer mündlichen Prüfung glich, waren alle sehr konzentriert und zu konstruktiver Kritik bereit. Vielen Dank hier besonders an Lea, die das „Feedback zum Feedback“ sehr gelungen konstruierte.
Aber nicht nur wir waren für Kritik offen, auch unsere Referenten, die am Ende genauso ihr Feedback aushalten mussten. Im Großen und Ganzen ist dieses allerdings sehr positiv ausgefallen. Besonderer Dank gilt auch Tim Richter und Teresa Peters vom VDCH-Vorstand, die das VDCH-Jurierseminar organisiert haben und im Vorfeld und am Seminarwochenende für die kleinen und großen Nöte der Teilnehmer stets ein offenes Ohr hatten.
Insgesamt war es ein sehr schönes und interessantes Wochenende, in dem nie eine große Distanz zwischen Leitung und Teilnehmern bestand, so dass jeder aufgeschlossen war und viele Fragen geklärt wurden. Alle Teilnehmer konnten in das Jurieren der beiden Formate eingeführt oder darin fortgebildet werden und sind nun noch wissenshungriger als zuvor. Natürlich haben die Organisatoren auch daran gedacht und zum Schluss endete das Seminar, wie es begonnen hat: großartig und mit Essen!
Text: Willy Witthaut, Frankfurter Debattierclub Goethes Faust / glx
Ein Artikel über das Jurierseminar aus Stuttgarter Sicht ist bereits auf der Internetseite des Debattierclub Stuttgart erschienen.